Hessnatur: Zum Hintergrund des Vergleichs mit der Kundeninitiative

12.04.2013

Aus aktuellem Anlass veröffentlichen wir an dieser Stelle den jüngsten Newsletter der Initiative wir-sind-die-konsumenten.de.

Liebe MitgestalterInnen einer solidarischen Wirtschaft,

Am 6. März unterzeichneten die beiden Hessnatur-Geschäftsführer Marc Sommer und Maximilian Lang einen Vergleich mit uns, den Betreibern der Kundenplattform wir-sind-die-konsumenten.de. Der Vergleich schliesst weitere juristische Auseinandersetzungen weitgehend aus. Demnach wird Hessnatur nicht in Berufung gehen und von einem Hauptsacheverfahren gegen uns absehen. Außerdem verpflichtet sich der Ökoversender, im Fall einer erneuten Dissenz nicht sogleich eine Anwaltskanzlei zu beauftragen, sondern zuerst das persönliche Gespräch zu suchen. Uns bleibt ausdrücklich erlaubt, kritisch über Hessnatur zu berichten und die ökonomischen Verstrickungen darzustellen. Im Gegenzug verzichten wir darauf, die drei streitgegenständlichen Äußerungen zu wiederholen. Konkret heisst das: Möglich ist etwa die Feststellung, dass HarbourVest einer der Investoren des neuen Hessnatur-Eigentümers Capvis ist, und dass dieser Investor Gelder von Rüstungskonzernen verwaltet. Nicht mehr möglich ist uns dagegen, daraus den Schluss in Form einer der drei streitgegenständlichen Äußerungen zu ziehen - zumindest nicht öffentlich.

Ganz unleugbar verstoßen wir damit nun gegen unsere eigenen Grundsätze. Auf die Abmahnung vom 2. Oktober 2012 hatten wir nämlich zunächst öffentlich erklärt, die Frage nach der Wahrheit nicht zum Gegenstand eines Handels zu machen, weil die Wahrheit nur das freie Gespräch vertrüge. In diesem Sinn boten wir Hessnatur an, deren Sichtweise auf unserer Webseite ebenfalls zu veröffentlichen, und gemeinsam den objektiven Sachverhalt herauszufinden. Hessnatur ließ sich darauf nicht ein, und erwirkte stattdessen eine Verfügung gegen uns. Das Landgericht Frankfurt hob die Verfügung jedoch wieder auf, nachdem der Richter Zweifel am Wahrheitsgehalt einer eidesstattlichen Versicherung von Marc Sommer geäußert hatte. Dass wir uns nun, trotz des gewonnenen Verfügungsverfahrens, auf einen Vergleich eingelassen haben, könnte also manchem Unterstützer unverständlich erscheinen. Wir möchten Ihnen deshalb unsere Gründe erklären:

Einen Tag, nachdem das Landgericht Frankfurt für uns entschieden hatte, erreichte uns ein Brief von Marc Sommer. Der Hessnatur-Geschäftsführer erklärt darin, weitere Prozesse anstrengen zu wollen, die für beide Seiten eine erhebliche "finanzielle Belastung" darstellen würden, falls wir nicht die ursprüngliche Unterlassungserklärung unterzeichneten. Wir begriffen natürlich, dass die finanzielle Belastung eher auf unserer Seite, als auf Seiten des Investors ins Gewicht fallen würde. Unser Rechtsanwalt Jakob Janitzki klärte uns darüber auf, dass ein Hauptsacheverfahren mehrere Jahre beanspruchen könnte - Zeit, in der unsere Kräfte an diesen Streit gebunden wären. In dieser Situation mussten wir tatsächlich Kosten gegen Nutzen abwägen. Und wir fanden, dass auf der Nutzen-Seite eigentlich nicht viel stand. Bestenfalls könnten wir nach etlichen Jahren die Möglichkeit gewinnen, die drei Äußerungen zu wiederholen - nachdem Hessnatur längst weiterverkauft wurde, und wir inzwischen wenig Konstruktives hätten beitragen können. Also haben wir zwar nicht die Unterlassungserklärung unterzeichnet, aber doch nach langwierigen Verhandlungen einen Vergleich erreicht, mit dem beide Seiten leben können.

Offen bleibt die Frage, wie die Bedürfnisse der kritischen Kunden befriedigt werden können, die mit ihren Zahlungen weder einen Private-Equity-Fonds wie Capvis, noch den einstigen Arcandor-Vorstand Marc Sommer unterstützen möchten. Viele wollen weiterhin, dass die Genossenschaft hnGeno den einstigen Ökopionier übernimmt und erklären auf wir-sind-die-konsumenten.de, dann auch wieder bei Hessnatur zu bestellen. Außerdem häufen sich Anfragen ehemaliger Kunden, ob die Genossenschaft denn nicht ein Alternativ-Unternehmen gründen könne, um die Versorgungslücke selbst zu schliessen. Tatsächlich prüft die hnGeno gegenwärtig die Möglichkeiten für den Start einer Alternative zu Hessnatur - "um die Wartezeit zu überbrücken", wie ein Sprecher der Genossenschaft erklärte. Noch in diesem Jahr soll das Startup der Öffentlichkeit präsentiert werden. Nichtsdestotrotz halte sie aber an ihrem Plan fest, Capvis bei Hessnatur abzulösen.

Als Betreiber von wir-sind-die-konsumenten.de haben wir selbst keinerlei "persönliches" Interesse an der hnGeno. Mit dem Portal wollen wir vielmehr Ihnen als Verbraucher die Möglichkeit geben, Ihren selbständigen "Konsumentenstandpunkt" sichtbar zu machen. Wir sehen die Gestaltungsmöglichkeit für eine solidarische Wirtschaft nämlich gerade im Dialog zwischen selbständigen Interessensvertretungen, und eben nicht in einer Vermischung der Interessen. So wenig, wie wir einem von Hessnatur gewählten "Kundenrat" beitreten, genau so wenig werden wir uns andererseits mit Kritik an der hnGeno zurückhalten. Einkaufen werden wir selbst letztendlich bei demjenigen Anbieter, dem wir das Vertrauen entgegenbringen können, dass dieser sich aktiv um eine Vertiefung und Weiterentwicklung des Fair-Trade-Gedankens bemüht. Walter Strasheim-Weitz, ehemaliger Betriebsratsvorsitzender von Hessnatur und Gründungsmitglied der hnGeno, erklärte indes, dass man sich bei der Genossenschaft genau diese Selbständigkeit der Kunden wünsche: "Es ist gut, wenn uns jemand auf die Finger schaut. Wir brauchen uns nicht zu verstecken."

Wir danken Rechtsanwalt Jakob Janitzki von der Kanzlei Barkhoff & Partner, ohne dessen klugem Vorgehen wir jetzt womöglich auf einem Schuldenberg säßen. Und wir möchten uns von ganzem Herzen bei Ihnen allen für Ihr Mittun bedanken, insbesondere auch bei denen, die für die Prozesskosten gespendet haben. Mit Ihrer Hilfe konnten wir die Kosten des Verfahrens vollständig decken!

Wir werden an dieser Stelle demnächst berichten, wie es weiter geht. Einigen von Ihnen ist außerdem sicher aufgefallen, dass wir uns nicht zufällig an dieser Stelle einsetzen, sondern dies (wie auch Heinz Hess) aus einem umfassenderen Zusammenhang heraus tun: aus der Bewegung für soziale Dreigliederung. Ihr haben wir das Prinzip unseres Vorgehens entnommen, nämlich das Prinzip der Kommunikation zwischen Konsumenten und Produzenten. Uns war aber wichtig, hier niemandem eine grundsätzliche Diskussion über die soziale Frage aufzunötigen. In diesem Newsletter soll deshalb nur jener Kommunikations-Aspekt im Zentrum stehen, so weit wenigstens, wie er unmittelbar Hessnatur betrifft. Wer sich auch darüber hinaus für unsere Arbeit oder weitere Initiativen interessiert, der möge sich also zusätzlich in den Newsletter unseres Instituts eintragen: http://www.dreigliederung.de/newsletter/

Im Übrigen sei an dieser Stelle auch einmal darauf hingewiesen, dass wir unsere Arbeit ausschließlich durch Spenden finanzieren. Wir freuen uns deshalb über jede Hilfe:

http://www.dreigliederung.de/institut/spenden.php (Verwendungszweck: solidarische Wirtschaft)

Herzliche Grüße
Ihr
Johannes Mosmann / Andreas Schurack

Liegnitzer Straße 15
10999 Berlin
Tel.: 030 / 68079689-43
wir-sind-die-konsumenten.de

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