Hessnatur: Warum ergreift der Sohn von Heinz Hess jetzt Partei für Capvis?

18.09.2012

Einstweilige Verfügung

Am 1. Oktober (Ausfertigung 2. Oktober) hat die Hess Natur-Textil GmbH, vertreten durch Maximilian Lang, gegen Johannes Mosmann und Andreas Schurack, die Betreiber der website www.wir-sind-die-konsumenten.de, eine einstweilige Verfügung beim Landgericht Frankfurt am Main erwirkt, die ihnen untersagt, einen der folgenden Zusammenhänge zu behaupten oder behaupten zu lassen:

a. "Die Zahlungen der Kunden der Hess Natur-Textil GmbH gingen in die Rüstungsindustrie"
b. "Die Anteilseignerin Capvis der Hess Natur-Textilien GmbH sei in die Rüstungsindustrie verstrickt"
c. "Das australische Militär vermehre sein Geld über jeden Einkauf bei der Hess Natur-Textilien GmbH"

Aus diesem Grund mussten wir Texte und Textstellen, die die einstweilige Verfügung betreffen, auch von dieser website entfernen. Johannes Mosmann und Andreas Schurack haben ihren Anwalt beauftragt, Widerspruch zu erheben. Solange die einstweilige Verfügung jedoch wirksam ist, ist ihnen "bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis € 250.000, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten" untersagt, solche Zusammenhänge zu behaupten oder behaupten zu lassen.

Download einstweilige Verfügung (PDF)

Eine offene Antwort auf den offenen Brief von Martin Hess

Nachdem sich Tausende von Hessnatur-Kunden und viele Mitarbeiter gegen die Übernahme des Ökomodenversenders durch Capvis ausgesprochen haben, meldet sich nun auch ein Sohn des verstorbenen Hessnatur-Gründers zu Wort - und ergreift Partei für die Private-Equity-Gesellschaft. Die "Absicht der Gründung eines Konkurrenzunternehmens" von Seiten der Genossenschaft hnGeno sei ein "unmoralisches, unsoziales und rechtlich fragwürdiges" Tun, das von seinem Vater niemals toleriert worden wäre, so Martin Hess im Hessnatur-Blog. Martin Hess weiß auch, was sein Vater eigentlich wollte: "Hessnatur ist 1976 durch soziale Überzeugung und friedlichen “Protest” entstanden. Die Gründer wollten in den 70-igern mit hessnatur eine bessere Welt schaffen und keine “Steine werfen”". Deshalb verlangt der Sohn jetzt: "Es wäre im Sinne von Heinz Hess, dass alle Beteiligten nach vorne blicken, Konflikte beheben und an einem Strang ziehen. Im Sinne des Erhaltes und Erfolges von hessnatur und der geschaffenen Werte."

Heinz Hess ist tot. Er hat uns keine "Werte" hinterlassen, die es nun gleich irgendwelcher Ausgrabungsfunde trocken zu halten gilt. Aber er hat sich mit der Natur und seinen Mitmenschen in einer bestimmten Weise verbunden gefühlt, als er lebte. Aus dieser Verbundenheit sind Güter entstanden, die es vorher nicht gab: fair und ökologisch gehandelte Kleidung. Seine Werte waren das Leben selber. Das kann man nicht konservieren, sondern das kann man nur wiederum selber leben, indem man sich ebenso tief verbindet mit seiner Umwelt - oder noch tiefer. Dann können weitere Schritte in Richtung eines menschen- und umweltgerechten Wirtschaftens unternommen werden. Solche Menschen leben heute - zum Beispiel unter den Mitarbeitern und Leitern von Hessnatur. Manche von Ihnen haben mehr ökonomisches Geschick bewiesen als Heinz Hess, der sein Unternehmen an Neckermann verkaufen musste, weil die Banken ihm weitere Kredite versagten. Mit Heinz Hess eint sie aber das Bewusstsein, Teil eines großen Erdenorganismus zu sein, und aus den Interessen dieses Organismus heraus zu handeln, anstatt aus persönlichem Gewinnstreben. Deshalb sind diese Menschen in einen Konflikt mit der Schweizer Private-Equity-Gesellschaft Capvis geraten, von der Martin Hess ganz richtig sagt, dass diese Gesellschaft seinem Vater nicht bekannt war.

Capvis verbindet sich nicht mit Mensch und Umwelt. Das Geschäft von Capvis ist das Gegenteil. Capvis hat mittlerweile 29 verschiedene Unternehmen gekauft und anschließend entweder zerlegt, aufgelöst oder weiterverkauft. Die Laufzeit für Hessnatur steht schon fest: 2018 soll der Ökopionier weiterverkauft werden. Niemand weiß, wer dann das Recht haben wird, mit Hessnatur nach seinem Belieben zu verfahren. Entweder unter Capvis, oder unter seinem Nachfolger werden Arbeitsplätze verlegt, Stellen abgebaut, Löhne gedrückt und Umweltstandards umgangen. So ist Capvis mit dem Besteckhersteller WMF verfahren, und so läuft das meistens, denn das ist der Sinn von Private Equity: Ihre Anleger wollen ihr eingesetztes Kapital durch Gewinnausschüttungen und den Weiterverkauf des Unternehmens vermehren. Und wer sind die Anleger von Capvis? Gesellschaften wie HarbourVest und F&C! Capvis wurde nur als Mittelsmann eingeschaltet, und zwar gerade deshalb, weil die Anleger sich nicht mit dem betroffenen Betrieb, geschweige denn mit Mensch und Umwelt verbinden wollen, wie Wikipedia ganz richtig erklärt.

Werte liegen nicht herum, Werte werden auch nicht vererbt. Werte entstehen, wo Menschen sich verbinden. Werte verschwinden wieder, wo Menschen sich nicht verbinden, sondern nur den Anspruch auf ein Genussrecht erheben. Das ist der Konflikt. Die Kunden von Hessnatur wollen nicht an jeden Kauf gezwungenermaßen eine Zahlung koppeln, mit deren Hilfe die konkrete Wertbildung von Hessnatur gerade untergraben wird. Sie wollen die Wirtschaftsweise von Capvis und Marc Sommer nicht finanzieren. Deshalb boykottieren immer mehr von ihnen Hessnatur, bis die Genossenschaft hnGeno sich mit dem Unternehmen verbinden darf. Denn in der Genossenschaft haben sich langjährige Mitarbeiter und Kunden zu einem einzigen Zweck vereint: sie wollen dem Unternehmen auch über das Jahr 2018 hinaus verbunden bleiben. Hier stehen nicht der Gewinn, sondern Mensch und Umwelt im Zentrum, und zwar dauerhaft. Der Brief von Martin Hess zeugt deshalb von einer beschämenden Naivität. "Alle Beteiligten" sollen ihre "Konflikte beheben" und an "einem Strang" ziehen. Alle Beteiligten - das heisst also: die Hessnatur-Mitarbeiter, die Kunden, Marc Sommer, Capvis, Harbourvest, all die unbekannten Investoren hinter Capvis, die hnGeno, Du und ich - wir ziehen jetzt zusammen an einem Strang, damit Friede herrscht wie in den 70ern, als man noch nicht mit Steinen warf. Ein schöner Gedanke.

Viele Hessnatur-Kunden hatten, auch auf wir-sind-die-konsumenten.de, der Genossenschaft hnGeno vorgeschlagen, eine Alternative zu dem von Capvis geführten Hessnatur zu gründen und die Mitarbeiter, die Capvis früher oder später entlassen werde, so wie Capvis z.B. jetzt schon den erfolgreichen Geschäftsführer Wolf Lüdge entließ, zu übernehmen. Daraufhin fragte die Genossenschaft ihre Mitglieder an, ob diese auch zu einer solchen Verwendung ihrer Beiträge bereit wären. Es ist eine geradezu obszöne Verdrehung der Tatsachen, wenn Martin Hess der hnGeno deshalb nun vorwirft, ein "Konkurrenzunternehmen" gründen zu wollen. Denn der Strang, an dem Martin Hess gerne die ganze friedliche Herde ziehen wissen will, ist der Strang des Konkurrenzdenkens. Es ist die Ideologie, dass ein Unternehmen im Interesse des angeblich unanfechtbaren Konkurrenzprinzips der Wirtschaft verschlankt werden muss, damit es mit anderen Wettbewerbern mithalten könne. Freilich mit dem angenehmen Nebeneffekt, dass Verschlankung auf der Arbeitnehmerseite stets mit Verdickung auf der Arbeitgeberseite einhergeht. Diesem Kriegsgedanken macht die hnGeno Konkurrenz - und gefährdet deshalb laut Martin Hess den Frieden und das Andenken seines Vaters.

Mit welchem Recht erhebt Martin Hess hier seine Stimme? Weil er der Sohn von Heinz Hess ist. So einleuchtend diese Geste auf den ersten Blick erscheint, so absurd wirkt sie auf den zweiten. Denn was Martin Hess vorbringt, ist nichts Neues. Er hat nichts vorzubringen zur Lösung des Konflikts. Alles, was er anbieten kann, ist die Tatsache, dass Heinz Hess ihn gezeugt hat. Er verweist darauf, dass er eine blutsmäßige Verbindung zu seinem Vater hat. Das ist aber gar nicht die Verbindung, die hier zur Debatte steht! Es geht um die freie Verbindung eines Individuums mit einem konkreten Unternehmen durch die eigene, fähige Arbeit. Martin Hess gehört nicht zu den Menschen, die es seinem Vater gleich taten und sich arbeitend mit Hessnatur verbanden. Und selbst wenn er ein Hessnatur-Mitarbeiter wäre: 324 Mitarbeiter hätten dann mindestens das selbe Recht, in dieser Frage gehört zu werden.

Die Lancierung dieses Briefes wirkt natürlich entsprechend auf manche Gemüter, weil er das Blut beschwört, an dem viele Menschen heute noch hängen. So wie manche die Intelligenz mit dem "deutschen" Erbgut verbunden wissen wollen und daher die Weisheit von der Geburtenrate der Türken bedroht sehen, so glauben manche auch, der Geist wandere mit dem Blut vom Vater auf den Sohn. Demgegenüber steht der individuelle Mensch, der sich allein auf das beruft, was er sich selbst errungen hat. Er kann deshalb auch weder Kapitalmacht noch Blut als Grund für die Unterstützung eines anderen Menschen in dessen Eigentumsanspruch anerkennen, sondern nur das, was dieser andere Mensch durch sich selber ist.

Martin Hess schreibt: "Diese Werte kann man nicht so einfach für sich beanspruchen, man muss sie sich durch besondere Leistung verdienen." Das ist zweifellos richtig. Deshalb darf gefragt werden: Mit welchem Recht darf eine Persönlichkeit wie Walter Strasheim Weitz, der seit über 20 Jahren in dem Unternehmen arbeitet und sich als nicht freigestellter Betriebsratsvorsitzender schützend vor seine Mitarbeiter stellt, der sämtliche Bestechungsversuche zurückweist und seinen eigenen Posten riskiert, um für das einzustehen, was er für richtig im Interesse der Gemeinschaft erachtet, mit welchem Recht spricht dieser Mensch von "Werten"? Mit welchem Recht sprechen die MitarbeiterInnen und KundInnen, die das Unternehmen über Jahrzehnte hinweg aufbauten und schließlich die Genossenschaft hnGeno gründeten, um die Zerstörung ihrer Arbeit durch eine reines Finanzinteresse zu verhindern, mit welchem Recht sprechen sie von "Werten"? Und mit welchem Recht tut es ein Mensch, der für seine "Argumente" nichts weiter vorzuweisen hat, als geboren worden zu sein? Mit welchem Recht zieht Martin Hess die Werte der Menschen, die mit einer solchen Unerschrockenheit für Mensch und Umwelt eintreten, dass sie selbst ihren Kritikern Bewunderung abringen, auf derart widerwärtige Weise in den Dreck?

„Wenn ein nichtsnutziger Lümmel und Sohn eines Fabrikbesitzers das Unternehmen seines Papas geerbt hat, so bewirken weder seine Unfähigkeit, noch Missbrauch, noch Nichtgebrauch des geerbten „Privateigentums“ die Verwirkung des Besitz-Rechtes, der nichtsnutzige Erbe darf im Namen der Regierung seiner Religion soviel Unfug stiften, als ihm beliebt.“ So erklärte Papst Pius XI im Jahr 1931 das katholische Verständnis von Eigentum. Heute, unzählige Kriege und Hungerkatastrophen später, dämmert allmählich ein modernerer Eigentumsbegriff. Die Rechnung von Capvis und Marc Sommer wird nicht aufgehen.

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