Freiheit im Bildungswesen - für den Menschen oder die Institution?

01.10.2009

Warum Finnland auch künftig besser abschneiden wird

Unter diesem Aspekt beziehe ich mich auf den Beitrag von Prof. Dr. Reijo Wilenius (Finnland). Er zitiert aus den Bürgerrechten der Europäischen Union, der Europäischen Charta der Grundrechte, Artikel 14 Recht auf Bildung, im ersten Teil. ”Die Freiheit zur Gründung von Lehranstalten unter Achtung der demokratischen Grundsätze … (ist) sicherzustellen …“

Das Europäische Forum für Freiheit im Bildungswesen, effe, sieht sich auch dem zweiten Satzteil des Artikel 14 verpflichtet: „ … sowie das Recht der Eltern, die Erziehung und den Unterricht ihrer Kinder entsprechend ihrer eigenen religiösen, weltanschaulichen und erzieherischen Überzeugungen sicherzustellen …”

Dieser zweite Teil des Artikels 14 der Charta der EU beschreibt ein grundsätzlich am Individuum orientiertes Recht über die Entscheidungsfreiheit seiner Bildung. Es ermöglicht Eltern im demokratischen Europa aus der großen Vielfalt der Bildungsmöglichkeiten für ihre Kinder zu wählen.

„Auf seiner Pressekonferenz, zum Abschluss seines Deutschlandbesuches 2006 in Berlin, hielt Prof. Dr. Vernor Muñoz Villalobos, UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Bildung, fest: "Diese besondere Selektivität, die wir im deutschen System wahrgenommen haben, scheint auch einige alternative Bildungsmöglichkeiten zu verschließen, wie z.B. im Fall des Homeschooling und des Fernunterrichts …" Nach UN-Recht sind "Eltern vorrangig berechtigt, die Art der Bildung ihrer Kinder zu bestimmen".(siehe hier)

So etwas ist in Deutschland und anderen Ländern mit staatlich monopolisierten Bildungssystemen nicht vorstellbar, sei es das Lernen von zu Hause aus, in kleinen sich frei bildenden Lerngruppen, auf Reisen mit den Eltern „oder auf andere Weise“, wie es im Gesetz, beispielsweise in England, formuliert wurde. Die Regelungen von Bildung in eher autoritär strukturierten Ländern fallen dagegen auf durch ihre Unfähigkeit sich den modernen Erkenntnissen zum Lernen aus den Humanwissenschaften und der Zukunftsforschung zu öffnen.

Der Fokus dieser Staaten auf ihre Institutionen und ihr Mangel an Vertrauen in die Bürger dürften daher wesentlich Ursache für die schlechteren Ergebnisse bei PISA sein. Die Freiheit der Bürger als mitverantwortliche Gestalter ihrer Gesellschaft in Staaten, die auch im Bildungsbereich den Bürger demokratisch respektieren, scheint die kreative Kraft frei zu setzen, die nötig ist, dass auch die Institution „Schule“ wandlungsfähig bleibt.

Wie sieht die Anwendung des Artikels 14 der Charta der EU in Finnland aus? Prof. Dr. Reijo Wilenius aus Finnland, Vorstand des „Europäische Forum für Freiheit im Bildungswesen“, effe, bezieht sich auf den ’World Value Survey’ von 2000, wenn er von der Vorreiterfunktion der skandinavischen Länder spricht und dabei als wesentlichen postmateriellen Wert die Selbstbestimmung der Bürger benennt. „Ein Ausdruck dieser Selbstbestimmung ist die Teilnahme der Bürger an dem Schulwesen. Zitat von Prof. Wilenius auf dem Kolloquium des effe, 2006:

"Kurz: Freiheit ist die beste Methode im Bildungswesen. Genaue Kontrolle der Schulen und Standardisierung der Lehrpläne ist eine ‘kontraproduktive’ Reaktion auf schlechte oder mittelmäßige PISA-Resultate." Freiheit ist die beste Methode - würde dies allgemein akzeptiert und ernst genommen, stünde auch der Legalisierung jeglicher Form der individuellen und selbstbestimmten Bildung nichts mehr im Wege![1]

In Finnland wird das Schulwesen rechtlich als ein Bildungswesen verstanden, das die individuelle Gestaltungsfreiheit der Bürger zulässt. Ob die Mutter ihr Kind am Küchentisch unterrichtet oder ob der Pädagogik-Student Marko Koskinen sein Pädagogikstudium an den Nagel hängt und die „Phönix-Schule“ gründet, um junge Menschen selbst darüber entscheiden lassen zu können, wo, was und wie sie lernen wollen, - kein Amt, keine Justiz hindert ihn. Dies berichtete er auf dem genannten Kolloquium des effe. Bis zur staatlichen Anerkennung, und damit der Finanzierung seines „Schule“ genannten Zusammenschlusses von Schülern, Eltern und Lernbegleitern, helfen die beteiligten Familien sich gegenseitig bei der Beschaffung der vergleichsweise geringen Kosten für dieses gemeinsam organisierte Bildungsprojekt.

Konsequenzen für Deutschland?

Einen ersten Schritt in diese Richtung tat das effe, mit seiner „Entschließung“ im Frühjahr 2007 zu einem für Deutschland folgenschweren Übersetzungsfehler eines Artikels der UN-Kinderrechtskonvention:

effe-Entschließung zu Home Education

"Dem effe gehören neben Eltern, Lehrkräften, Erziehungswissenschaftler/innen von öffentlichen und privaten Schulen und Hochschulen sowie Politiker/innen und Schulverwaltungsangehörigen auch Menschen an, die für ihre Kinder Bildung und Unterrichtung außerhalb des bestehenden Schulsystems wünschen. Mit Rücksicht auf diese Minderheit fassen Präsidium, Vorstand und die Mitglieder der Internationalen Konferenz des effe die nachfolgende Entschließung:

Die Parlamente sowie die Schulministerien und Schulbehörden der deutschen Bundesländer werden aufgefordert, im Sinne der bestehenden internationalen Übereinkommen die Schulpflicht zu ersetzen durch eine Bildungs- und Unterrichtspflicht.

Begründung:

In fast allen Nachbarländern Deutschlands und in den meisten europäischen Ländern gilt anstelle einer nur in einer staatlichen oder staatlich anerkannten Schule zu erfüllenden Schulpflicht (wie in Deutschland) eine auch durch Heimunterricht (homeschooling) zu erfüllende Bildungs- und Unterrichtspflicht. Dies entspricht auch der englischen, französischen und spanischen Fassung von Artikel 28 der UN-Kinderrechte-Konvention: Insoweit gibt die deutsche Fassung

- den Besuch der Grundschule für alle zur Pflicht und unentgeltlich zu machen

nicht den wirklichen Sinn dieser Ausgestaltung des Rechts auf Bildung wieder, wie er in den Fassungen in englischer, französischer und spanischer Sprache zum Ausdruck kommt:

- make primary education compulsory and available free to all - ils rendent l`enseignement primaire obligatoire et gratuit pour tous - implantar la ensenanza primaria obligatoria y gratuita para todos.

Beschlossen vom Vorstand, Präsidium und der Internationalen Konferenz des Europäischen Forums für Freiheit im Bildungswesen (effe) im April 2007"

Dieses Dokument wurde zum Teil des Dossiers:

„Das Menschenrecht auf Bildung, Freiheit und Vielfalt im Bildungswesen. Aufruf zu öffentlicher Diskussion.“

Es ist der Entwurf für ein Bildungswesen, das die Selbstverantwortung der Bürger und Bürgerinnen, in den Grenzen des Grundgesetzes und unter der Aufsicht des Staates, in sein Zentrum stellt. Zu finden ist er, samt Anhang und Unterschriftenliste, auf der Seite bildunginfreiheit.de.

Damit die Freiheit im Bildungswesen auch in Deutschland wieder zur Selbstverständlichkeit werden kann, haben sich in Berlin, im Herbst 2008 etwa 80 Vertreterinnen und Vertreter aller Arten von staatlichen und freien Schulen, von Fernschulen, von der Bildung von zu Hause aus und von anderen Organisationen auf eine gemeinsameBerliner Erklärung zur Bildungsfreiheit geeinigt und ein gemeinsames, übergreifendes Vernetzungs- und Informationsportal beschlossen: bildunginfreiheit.de

Anke Caspar-Jürgens lernte sowohl als Kind als auch als Lehrerin und als Mutter von zwei Kindern eine Vielzahl von Schulen, Schulkollegien und Klassen kennen. Sie war Initiatorin und Mitarbeiterin der ersten Alternativ-Schule in Hamburg sowie einer neuen Art der Bildung von Kindern in geborgenen sozialen Zusammenhängen. Die Dokumentation zu Letzterem "Lernen heißt Leben" erscheint im Frühjahr 2010 im Drachenverlag.

Anke Caspar-Jürgens 2009, Kontakt über: acj@bvnl.de

Anmerkungen

[1] Quelle: eljascha, Date: 03/08/2006, www.dfgnrw.de/ALT/S/UT/effe-doc.pdf

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