Eine Gästetagung des Heidenheimer Arbeitskreises im Eisenwerk zu Lohr am Main

01.09.1960

Quelle
Zeitschrift „Mitteilungen aus der anthroposophischen Arbeit in Deutschland“
14. Jahrgang, Michaeli 1960, Nr. 53, S. 149–153
Bibliographische Notiz

An den Bemühungen des Heidenheimer Arbeitskreises auf dem Felde der Betriebsgestaltung besteht ein so lebhaftes Interesse, daß wir durch den folgenden Tagungsbericht einen Einblick geben möchten.
Die Herausgeber

Wenn man jahrelang in einem Kreise arbeitet, der aus der Natur der Sache heraus ein geschlossener ist, so kommt doch immer wieder ein Augenblick, in dem man sich sagt: Man muß auch mit anderen zusammenkommen und sich austauschen! Und so kam es, daß nun schon einige Male sich Mitglieder des Heidenheimer Arbeitskreises in Tagungen zusammenfanden, bei denen auch Mitarbeiter aus den eigenen, sowie leitende Leute und Mitarbeiter aus anderen Betrieben mitwirkten.

Im vergangenen Jahre, zur Johannizeit, fand – nachdem zuvor schon andere in der Maschinenfabrik Voith veranstaltet worden waren – eine solche Tagung im erweiterten Kreise in Darmstadt statt. Damals war das Thema: „Die Betriebsarbeit fordert Sachlichkeit, Objektivierung – wie aber können wir darin als Menschen bestehen?“ Ein ganzes Wochenende, vom Freitag Mittag an, wurden die mit dem Thema zusammenhängenden Fragen in heißem Bemühen, unter breiter Beteiligung der Mitarbeiter aus den Betrieben, im Rundgespräch beraten, so daß am Ende eine echte Begeisterung entstand. Das Ganze spielte sich auf dem Hintergrund eines Betriebes ab: Den Baumschulen in Eschollbrücken, welche Kurt Eisele mit seinen Mitarbeitern – vor allem Kurt Willmann – aus dem öden Sandboden eines Truppenübungsplatzes nach dem Kriege in wenigen Jahren hervorgezaubert hat. Das Feuer, welches unter den Teilnehmern im Suchen nach einer menschlichen Gestaltung der Betriebe entstanden war, schien dann in der Samstag-Nacht sich mit

[Mitteilungen, Nr. 53, Michaeli 1960, Seite 149]

den Flammen des Johannisfeuers zu vereinigen, welche, von den Eschollbrückener Baumhegern in dem mächtigen Holzstoße entzündet, zum Himmel emporloderten.

In diesem Jahre – es war die 38. Tagung des Kreises – fand die Zusammenkunft auf dem Boden des Eisenwerkes in Lohr am Main vom 1. bis 3. Juli statt. Wieder sollte es um den Menschen in der Wirtschaft gehen, und so formulierte man das Thema so:

„Was können wir tun, um den Betrieb immer mehr zu einer menschenwürdigen Stätte zu machen?“

Unser Freund Alfred Rexroth, der Mitinhaber des Eisenwerkes, begrüßte die etwa 100 Teilnehmer und führte sie in die Geschichte des Ortes und des Werkes ein. Dieses ist ein zur modernen Eisengießerei und Maschinenfabrik ausgewachsenes Überbleibsel der alten Eisenhämmer, welche – den radtreibenden Wassern und dem Holzreichtum des Spessarts ihr Dasein verdankend – einst zahlreich die Gegend belebt hatten. Sodann hieß Dr. Hanns Voith die Gäste im Namen des Kreises willkommen, indem er bereits auf das Thema der Tagung einleitend einging.

Diesmal sollten nicht ausschließlich Gespräche die Zusammenkunft beherrschen, sondern diese sollten jeweils durch grundlegende Ausführungen vorbereitet werden. So beschäftigte sich Fritz Götte mit der Frage:

„Inwiefern können wir den Betrieb als einen Organismus betrachten?“

Da mußte zunächst einmal gesagt werden, was wir unter dem Begriff des Organismus zu fassen versuchen, wobei schon die Herkunft des Wortes Organ einen Hinweis gibt: griechisch ergon ist „Werk“, ergein will „tun, wirken“ besagen. Vom tierischen Organismus, welcher in der Erscheinungswelt als Leib und Seelenhaftes auftritt, während das eigentlich Wirkende und Dirigierende desselben als Typus oder Gruppenseele in einer höheren Welt beheimatet ist, wurde zum Menschen hingeführt, dessen Organismus ebenfalls Leib und Seele ist, aber auch den Geist – und zwar als einen individuell jedem Einzelnen zugehörigen – in der Erscheinungswelt beherbergt. Indem dieser nach Leib, Seele und Geist dreigegliederte Mensch der sogenannten „formellen“ Organisation des Betriebes gegenübergestellt wurde, welche eine kalte, hierarchisch geordnete, rein auf den Wirtschaftszweck hinorientierte Funktionspyramide darstellt, wurde die Frage aufgeworfen: Was kann und muß geschehen, um das Notwendige der formellen Organisation so zu durchdringen und einzubetten, daß eine menschenwürdige, das heißt dem dreigliedrigen Menschen entsprechende Betriebsgestalt herauskommt? Da konnte aus der Arbeit des Heidenheimer Kreises hingewiesen werden auf jene spezifischen Sphären und Organbildungen im Betrieb, welche auch dem Geist jedes arbeitenden Menschen und seiner Seele Entfaltungsfelder geben – eine Weiterausarbeitung des Wortes des amerikanischen Betriebsberater Peter F. Drucker, welcher sagte, „daß es unmöglich ist, nur eine Hand anzustellen; ihr Eigentümer kommt stets mit.“ Wenn in den Betrieben nicht nur Hände und Köpfe angestellt werden können, sondern ganze, das heißt nach Leib, Seele und Geist dreigegliederte Menschen, dann muß die formelle Organisation des Betriebes auch in einen dem Vollmenschlichen entsprechenden dreigliedrigen Betriebs-Organismus eingebettet werden.

Es ist eine alte Gepflogenheit im Heidenheimer Arbeitskreis, immer wieder auch mit Angehörigen anderer Berufe zusammenzuarbeiten, wohl wissend, daß heute keine Tätigkeit eines geistigen Zusammenschlusses entbehren kann, wenn sie menschlich werden soll. Diesmal hat, wie schon öfter, Dr. med. Walther Bühler, der Leiter des Paracelsus-Krankenhauses in Unterlengenhardt (Schwarzwald) mitgearbeitet, welcher sich zu dem Thema äußerte:

„Tendenzen zum Krankwerden Möglichkeiten zum Gesunderhalten in der Arbeitswelt.“

Er rief zunächst Bilder alten Berufslebens herauf, etwa des Gärtners, der eine durch und durch rhythmische Tätigkeit ausübt, welche den Rhythmen im Menscheninnern wohl entspricht; er bezeichnete sie als urgesund, wozu auch, als von außen eingreifend, ein Regen kommen kann, der eigentlich ja nur ein natürlicher Kneippguß sei. Diesen alten „gesunden“ Berufen stellte Dr. Bühler – wohl weil er da selber der Technik am nächsten kommt! – den Autolenker gegenüber, dessen Sinnesorgane durch eine Unzahl rasch auftretender und wieder verschwindender Wahrnehmungen völlig einseitig und arhythmisch strapaziert werden, und der im übrigen, wiederum alles gesund Rhythmische vernichtend, mit Händen und Füßen fast regungslos an Lenkrad und Gaspedal gefesselt sei – schlimmer als ein Galeerensklave; jede Unachtsamkeit aber bedeute

[Mitteilungen, Nr. 53, Michaeli 1960, Seite 150]

Unglück oder gar den Tod. Eindrucksvoll wurden dann die Krankheitstendenzen dargestellt, welche aus dieser Spezialisierung der menschlichen Tätigkeiten und der fast völligen Entrhythmisierung derselben hervorgehen. Aber das alles geschah, um deutlich zu machen, daß der Mensch, wenn er sich heute als Mensch bis in seine Leiblichkeit erhalten will, seine Berufstätigkeiten durch künstlerische Tätigkeiten ergänzen muß, seien es bildnerische, seien es musikalische. Und am Schluß stand vor den Zuhörern der Mensch da als Ergebnis des Weltenwortes, und es erschien in ihrer zentralen Bedeutung für die Arbeitswelt der Zukunft die ton- und wortgeborene menschliche Bewegung: die Eurythmie.

Solcherart vorbereitet ging der ganze Teilnehmerkreis am Samstag in die Vorführung der

Betriebs-Eurythmie,

welche in hingebender Weise von Ursula Hartmann und einer ganzen Schar von Mitarbeitern inmitten des Feinseifenwerkes Walter Rau in Stuttgart-Möhringen (Speik) seit Jahren betrieben wird. 24 solcher Eurythmie-Beflissenen, Frauen und Männer, hatten es über sich gebracht, aus der Geborgenheit ihrer heimischen Übungsräume herauszutreten und den Brüdern und Schwestern aus anderen Wirtschaftsbetrieben einmal zu zeigen, was Eurythmie eigentlich ist, und was sie aus dem arbeitenden Menschen machen kann: einen ganzen und heilen, einen wachen und freudigen Menschen, welcher dem, was ihn von dem mechanisierten oder auch vom Sich-nicht-Bewegen, sozusagen „von unten“ her, ergreifen will, die Hilfe „von oben“ entgegensetzt: die Zusammenfassung seines Wesens aus den höheren Prinzipien von Wort und Ton. Von einfachen Stabübungen im Stehen ging die Vorführung zu komplizierteren im rhythmischen Schreiten über, und die Arbeiter und Angestellten aus anderen Betrieben, die noch nie etwas Derartiges gesehen hatten, kamen aus dem ergriffenen Staunen über die Leistungen ihrer Kollegen von der Seife nicht heraus. Und als dann gar Goethes „Heideröslein“ eurythmisch dargestellt vor ihnen auftauchte, gab es warmen und nachhaltigen Beifall. Man sah nur zwei Verse, da – wie die Leiterin sagte – man im Üben noch nicht weiter gekommen sei. Und so war es im ganzen: nicht etwas Ausgetüfteltes, Hingedrilltes vollzog sich da auf den Brettern, sondern ein Stück echten Alltags aus der Fabrik, wenn auch jenes gehobenen Alltags, den die wöchentliche Eurythmie-Stunde darstellt.

Hier ist wohl nun auch einmal der Ort, um ein allgemeines Wort über die Werk- oder Betriebs-Eurythmie zu sagen. Sie hat ja bereits ihre Geschichte. Schon in sehr frühen Jahren holte unser Freund Theodor Bäuerle, wie mir unmittelbar nach seinem Tode berichtet wurde, sich von Frau Marie Steiner einen Eurythmisten, der in seiner Spinnerei am Bodensee den Arbeiterinnen regelmäßig Eurythmie vermittelte. Von Dr. Herbert Hahn hörte ich jüngst, daß Emil Molt auch in der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik Eurythmie machen ließ; und die Arbeiterinnen hätten, als sie gefragt wurden, was ihnen denn von dem vielerlei Unterricht, der ihnen geboten wurde, am besten gefallen hätte, geantwortet: „Die Eurythmie, denn die macht uns immer so frisch, wenn wir müde sind!“ Und um wie vieles wirkt regelmäßige Eurythmie über jene „Erfrischung“ noch hinaus, welche diese Arbeiterinnen empfunden haben! Auch die Weleda macht seit Jahr und Tag während der Arbeitszeit (wie übrigens auch die Firma Rau) Eurythmie; und sie hat wohl am längsten die Erfahrung, daß dies das Gegenteil von Verlust an Produktivität bedeutet, den ein streng wirtschaftlich denkender Unternehmer zuallererst befürchten mag.

Der Vortrag von Dr. Walther Bühler, die Erfahrungen in der Firma Rau und in der Weleda weisen darauf hin, daß in Deutschland – in diesem Lande wenigstens einmal beginnend – in der industriellen Arbeitswelt der Gegenwart und Zukunft der Eurythmie eine den Menschen gesundende und ihn in seinem Menschentum erhaltende Rolle zukommt, wie sie die sogenenannte Ausgleichs-Gymnastik nie in diesem Maße spielen kann. Die Eurythmie ist die Hilfe für den arbeitenden Menschen in der Epoche der Mechanisierung und Automatisierung! Aber – so muß man hinzufügen – unter zwei Bedingungen: Die erste ist, daß der Eurythmist oder die Eurythmistin nicht in den Betrieb gehen, um den Arbeiter von der Maschine weg in eine „Kunst“-Ausübung hineinzureißen, die den Menschen so hoch und unerreichbar erscheint, daß sie, resigniert oder atemlos geworden, sich wieder zurückziehen und Eurythmie Eurythmie sein lassen. Die arbeitenden Menschen brauchen andererseits in den weitaus meisten Fällen nicht etwa Heil-Eurythmie, sondern elementare Eurythmie, die sie in keiner Weise überfordert, sondern sie in zurückhaltender, fast möchte man sagen in meditativer Weise sich ihrer selbst und ihres Leibes-Instrumentes als eines Geistträgers Schritt für Schritt wieder gewiß werden läßt. – Ein Zweites, was tief mit dem Ersten zusammenhängt, ist: der Eurythmist oder die Eurythmistin muß menschlich für diesen

[Mitteilungen, Nr. 53, Michaeli 1960, Seite 151]

Dienst unter arbeitenden Menschen geeignet sein. Sie kann sich natürlich auch zu dieser Aufgabe schulen und geeignet machen, wenn unsere Eurythmeen in der Zukunft – etwa das in Stuttgart neu entstehende – auch diesen Zweig der Eurythmie, den ich einen neuen selbständigen neben Kunst- und Heileurythmie nennen möchte, in besonderer Weise pflegen, eben als „Werk-Eurythmie“! Ich habe eigentlich keinen Zweifel: der Werk-Eurythmist wird einen neuen Beruf erfüllen und zwar einen, dessen Möglichkeiten so unübersehbar und unbegrenzt sind wie die Welt unserer wirtschaftlichen Arbeitsstätten. – Diesen Aspekt ließ diese Löhrer Tagung des Heidenheimer Arbeitskreises aufleuchten. Wenn einer der mitwirkenden Seifen-Fachleute sagte: „Die Frauen, die an der Werk-Eurythmie teilnehmen, sind Pioniere, die Männer aber sind wahre Helden!“ dann darf man vielleicht sagen: Nun, mögen die Arbeiter und Arbeiterinnen ebenso wie die Angestellten in den Betrieben in diesem Sinne stille und ungenannte „Helden“ werden! Sie werden bald empfinden lernen, daß Eurythmie-Machen nichts Extravagantes, sondern etwas selbstverständlich Menschengemäßes ist, ein Quell echter Lebensfreude. Aber mögen andererseits die deutschen Betriebsleiter nicht gerade das Gegenteil von Heldentum auf diesem Felde beweisen! Immerhin sind Eurythmie-Initiativen in den Betrieben noch immer „rentabler“ als die unaufhaltsam zunehmende Frühinvalidität unter den arbeitenden Menschen, die man als „Werkzeuge“ im Produktionsprozeß vorzeitig „verbraucht“, statt daß sie in ihrem Menschentum bis in die Gesundheit hinein geachtet werden!

Am Sonntag-Morgen rückte Dr. Klaus Fintelmann, der Leiter der Berufsgrundschule „Hibernia“ in Wanne-Eickel, ein ernstes Motiv in das Bewußtsein:

„Junge Menschen im Betrieb – eine Verpflichtung“.

Er zeigte, wie diese Verpflichtung heute durchaus erlebt wird, aber nur aus einer menschenkundlich begründeten Erkenntnis des Jugendalters heraus in einer zeitgemäßen Weise erfüllt werden kann. Weil ihm die pädagogischen Hilfen, die er zu seinem inneren Wachstum im Jugendalter braucht, in einer handwerklich gestalteten Arbeitswelt gegeben werden konnten, war es früher berechtigt, daß der junge Mensch schon zu Beginn des Jugendalters in den Betrieb aufgenommen wurde. Heute muß ihm das Nötige in einer verlängerten Schulzeit gegeben werden, und zwar sowohl die Schulung der erwachenden Urteilskräfte in einem betrachtenden Unterricht, die Pflege der freigewordenen Gestaltungskräfte durch künstlerisches Tun, als auch insbesondere das Hindurchführen durch eine handwerkliche Grundschulung. Wir dürfen nicht nur, wie das heute ganz allgemein in der beruflichen Ausbildung geschieht, den Leib geschickt machen, sondern müssen das seelisch-geistige Wesen des jungen Menschen in das praktische Tun mit hineinnehmen. Im Durchseelen der Glieder des jungen Menschen, erbildet sich individuelle Moralität.

Wenn also in dieser ersten Phase des Jugendalters der junge Mensch eigentlich noch durch die Schule geführt werden sollte, so müssen doch alle Betriebe, in die der junge Mensch heute zu früh aufgenommen wird, die Verpflichtung empfinden, ihm stellvertretend das zu geben, was er zu seiner Entwicklung braucht. Denn es muß gesehen werden, daß seine Kräfte, wenn sie nicht in gesunder Weise gefördert werden, sondern brachliegen, sich in ihr Gegenbild verkehren und statt Weltverständnis und Aufgeschlossenheit sich Skepsis einstellt, statt innere Beweglichkeit Konformismus und statt Verantwortungsfreude und Zuverlässigkeit der Trieb zum Außergewöhnlichen, in welchem die zunehmende Jugendkriminalität ihre Ursache hat.

Auch die zweite Phase des Jugendalters, die frühere Wanderzeit, muß ganz neu verstanden und gestaltet werden. Hier liegt auch für die Zukunft eine bleibende Aufgabe der Betriebe. Es muß gewollt werden, daß der junge Mensch sich in seiner Selbständigkeit, die ihm jetzt Bedürfnis ist wie in keinem anderen Lebensalter, erleben kann, daß er sieht, daß es Aufgaben für ihn gibt, in denen er seine Tüchtigkeit und sein erworbenes Können voll einsetzen kann.

Ob das Jugendalter, also die Zeit vor und nach dem 21. Lebensjahr, pädagogisch bewältigt wird, ist entscheidend dafür, ob einmal Menschen vorhanden sind, die am sozialen Organismus einer Gemeinschaft, wie zum Beispiel eines Betriebes, mitbauen können. Das ist der ernste Aspekt der Verpflichtung, die der Betrieb dem jungen Menschen gegenüber hat.

Mit der Tagung verbunden war auch eine eindrucksvolle Ausstellung von Schülerarbeiten der „Hibernia“-Schule, welche auch von anderen als den Tagungsteilnehmern besucht wurde. Ferner fand eine ausgiebige Sonderbesprechung der einschlägigen Fragen statt, da die Leiter und Berufsausbilder in zunehmendem Maße jene Verpflichtungen fühlen, welche aus der Anwesenheit von jungen Menschen in ihren Betrieben hervorgehen. Sie suchen Anregungen bei der für die Betriebs-

[Mitteilungen, Nr. 53, Michaeli 1960, Seite 152]

arbeit modifizierten Waldorfschul-Pädagogik, für welche Dr. Klaus Fintelmann neben Dr. Emil Kühn und Hellmut Blume Bahnbrecher sind.

An den Rundgesprächen, die mehrmals stattfanden, haben sich viele Teilnehmer lebhaft beteiligt. Da sprachen sich Großindustrieller wie Arbeiter – wenn ich es einmal so ausdrücken darf – gleichermaßen rückhaltlos und ungeniert aus. Dabei blieb es nicht aus, daß ein Schulungsleiter aus einem Riesenwerk darauf hinwies, wie sehr doch alles Sprechen und Handeln auf diesem Felde von einem „Menschenbild“ inspiriert sei. Und um den Abstand in der Qualität des Sprechens hier in unserer Tagung gegenüber anderen Bestrebungen zu charakterisieren, erwähnte er, daß es auch jene „Schule“ gäbe, deren Ausgangsanschauung sei: „Wenn man den Menschen verstehen will, so muß man ihn erfassen als konstituiert aus drei Trieben: dem Sexualtrieb, dem Selbsterhaltungs- und dem Geltungs-Trieb!“ – Später rief der Vorsitzende des Betriebsrates eines beteiligten Werkes aus: „Uns fehlt hier im Westen, was der Osten wirksam hat: eine leitende Idee!“ Das gab dem Versammlungsleiter dann Anlaß, die Tagung zu schließen mit den Worten: „Und doch haben wir eine Idee, die denkbar umfassendste sogar – die Idee des Menschen, der nach Leib, Seele und Geist dreigegliedert ist. Und wir haben den Willen, daß dieses Wesen Mensch weiter erforscht werde, damit alle sozialen Institutionen, bis in alle Verzweigungen hinein, vermenschlicht werden können, und auch unsere Betriebe in Wahrheit und Wirklichkeit dem dreigliedrigen Menschen gerecht werdende, das heißt menschenwürdige Stätten zu sein vermögen! Der Mensch muß bis ins letzte hinein aufhören als ‚Werkzeug‘ in den Betrieben benutzt zu werden; hingegen muß der Betrieb selber zum Werkzeug werden, zum Werkzeug in den Händen freier und in Freiheit assoziierter Menschen!“

[Mitteilungen, Nr. 53, Michaeli 1960, Seite 153]