Vom Heidenheimer Arbeitskreis

01.03.1951

Quelle
Zeitschrift „Mitteilungen aus der anthroposophischen Arbeit in Deutschland“
5. Jahrgang, Ostern 1951, Nr. 15, S. 39–41
Bibliographische Notiz

Der Kreis hat bisher seine Arbeit in der Stille getan. Er wollte nicht mehr sein als ein Ort an dem Arbeitleiter, die Anthroposophen sind, ihre Berufsfragen im Sinne des von Rudolf Steiner Gegebenen miteinander besprechen. In solcher Art hat der Kreis im Laufe der Zeit zehn Arbeitstagungen in Heidenheim abgehalten. Es erwies sich aber als notwendig, über den bisherigen Rahmen hinauszugehen. So waren in der 11. Arbeitstagung, welche vom 12. bis 4. Januar ds. Js. im Goethesaal des Voithwerkes in Heidenheim stattfand, die Mitarbeiter des Kreises mit etwa 50 bis 60 Gasten versammelt, welche teils aus Angehörigen der eigenen Betriebe, teils aus anderen interessierten Arbeitern und Betriebsleitern bestanden. Dabei

[Mitteilungen, Nr. 15, Ostern 1951, Seite 39]

fühlten wir uns verpflichtet, den bisher ausschließlich bewahrten Gesprächscharakter unserer Zusammenkünfte zu verlassen und die ganze Tagung mit Vorträgen zu durchsetzen, welche Grundlagen für die in breitem Maße vorgesehenen Aussprachen darstellen sollten. Es sprachen nacheinander in genügend großen Abständen

  • Hanns Voith: Zur geistigen und wirtschaftlichen Weltsituation.
  • Walther Bühler: Über den Menschen als dreigliedriges Wesen.
  • Emil Leinhas: Über den dreigliedrigen sozialen Organismus.
  • Fritz Götte: Über die Bedeutung von Rudolf Steiners Erkenntnisweg im sozialen Leben, insbesondere im Leben des Betriebes.
  • Theodor Schwenk: Über das Wasser (als Beispiel für die Begründung eines neuen Verhältnisses zwischen Mensch und Substanz).

Auch die Kunst durften wir einbeziehen durch eine öffentliche Eurythmie-Aufführung der Köngener Gruppe mit Else Klink; nicht als „Beigabe“, sondern als unmittelbar zugehörig, da ohne Kunst das Leben ein Torso ist und uns daran lag, einen vollen Akkord des Anthroposophisch-Sozialen erklingen zu lassen.

Wir hatten die Freude, zu sehen, daß das Gespräch, das wir so vielfältig im kleineren Kreise geübt hatten, sich bald auch in der größeren Gemeinschaft entwickelte. Unser Freund Ludwig Fahrländer, der als Arbeiter und Betriebsratsmitglied in einem Stuttgarter Großbetrieb tätig ist und der mit einer gewissen Skepsis der Einladung zur Teilnahme Folge leistete, faßt seine Eindrücke wie folgt zusammen:

An ein Ereignis, das zugleich ein Erreichnis ist, erinnert man sich gerne. Und das ist bei der im Januar stattgefundenen Zusammenkunft der Fall. Ohne Dogmatiker und ohne Schismatiker konnten an drei Tagen Unternehmer und Arbeiter, an sich die größten Gegensätze im Geiste der Dreigliederung Rudolf Steiners sich begegnen. Man will den Ereignissen der chaotischen Weltlage gesundende Kräfte entgegenstellen.

Ich kam zu diesen drei Tagen mit einer Meinung, daß die angekündigten Vorträge eine Art Skelett seien, an das man dann seine eigenen Kleider hängen könnte. Dem war nicht so. Man war mitten im sozialen Geschehen darinnen bei den Vorträgen, und wenn durch die Worte der Arbeiter das Brodeln der arbeitenden Welt sichtbar wurde, in den Aussprachen. Und man war mitten im sozialen Geschehen darinnen, wenn durch die Worte der Unternehmer manchmal noch „Patriarchalitis“ durchklang.

Rudolf Steiner hätte seine helle Freude an der Heidenheimer Zusammenkunft gehabt, denn es wurde das Tor zur Anthroposophie von innen aufgemacht für Menschen, die, wie Rudolf Steiner einmal über Henry Ford bemerkte, mit Fäusten daran pochen.

Ein außenstehender Mitarbeiter der Eisengießerei und Maschinenfabrik Kleemann in Unterturkheim schreibt:

Eine neue Welt offenbarte sich aus dem Gehörten; man glaubte, das Gehen einer hergebrachten Weltordnung zu fühlen und das Kommen von etwas ganz Neuem zu erahnen. Starke Ansätze hierzu waren deutlich spürbar.

Aus den Vorträgen flossen die geisteswissenschaftlichen Erkenntnisse aus reichen Quellen.

Alle Vortrage, besonders auch diejenigen, welche die Dreigliederung zum Gegenstand hatten, hinterließen einen tiefen Eindruck und öffneten ein bisher ungeahntes Blickfeld. Mit einem Schlage, möchte man sagen, ist vieles ganz klar und erkennbar geworden. Die Quellen, aus denen wir schöpfen, sind geistige, schöpferische Kräfte. Aus dieser Erkenntnis heraus sind auch die großen Gegensätze erklärbar, auf die wir heute stoßen und die ihren Niederschlag in der sozialen Frage gefunden haben ....

Die große Kluft, welche die Menschen in „Unternehmer“ und „Arbeitnehmer“ trennt, ist eine Folge der Geldherrschaft. Inwieweit die Geisterkenntnisse die Menschheit zu durchdringen vermögen, hängt von den Taten, und zwar den guten Taten jedes einzelnen ab. An die Stelle der „Arbeitnehmer“ sollten „Mitarbeiter“ treten, welche im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit die Möglichkeit des Mitwirkens haben sollten. Im Verfolg dieser Auffassung ist das Teilhaben an den Erträgnissen des Werkes im Rahmen der ausgeubten Tätigkeit eines jeden Mitarbeiters selbstverständlich.

Aber sehen wir denn nicht, wo wir hinblicken, die „Anbetung des goldenen Kalbs?“ Welche Betriebsgemeinschaft könnte fur sich in Anspruch nehmen, die Gedanken des dreigliedrigen sozialen Organismus verwirklicht zu haben?

[Mitteilungen, Nr. 15, Ostern 1951, Seite 40]

Aber der Schreiber dieser Zeilen denkt bereits weiter und rührt damit an eine gar nicht bedeutend genug zu sehende Aufgabe: die Durchdringung von Betrieben, in denen sich genügend Menschen dafür finden, mit dem lebenweckenden Denken der Anthroposophie, die letzten Endes allein die Quelle sein kann für die Bildung neuer menschlicher Gemeinschaft, gerade auch im Wirtschaftsleben:

Die ersten Schritte, welche getan werden müßten, wären solche der Aufklärung, des Vertrautmachens mit der Anthroposophie – der Dreigliederung. Man könnte sich denken, daß sich innerhalb einer Betriebsgemeinschaft ein kleiner, ausgewählter Kreis bildet, der sich zunächst einmal mit geisteswissenschaftlichen Fragen beschäftigt und die Möglichkeit erhält, Aufklärungsvorträge besuchen zu können. Dieser kleine Kreis einer Betriebsgemeinschaft könnte die Quelle werden für die spätere praktische Verwirklichung dieses Gedankenguts innerhalb der einzelnen Arbeitsstätten.

Für die Bildung von anthroposophischen Interessenkreisen in vorerwähntem Sinne ist indessen die fördernde Einstellung der Führung der betreffenden Betriebsgemeinschaften Voraussetzung. Auch für die Tätigkeit dieser Arbeitskreise innerhalb der Betriebsgemeinschaften mit dem Ziele einer Verwirklichung des Dreiglfederungsgedankens und der sozialen Frage in dem schon berührten Sinne ist wiederum die Initiative und das Wollen des Unternehmertums ausschlaggebend.

Diese Tagung war zweifellos ein Beginn, hineingestellt in eine Zeit, in der gerade auch im Wirtschaftsleben überall Aufgangskräfte mit Niedergangskräften ringen, und von der gesagt werden muß, daß die Niedergangselemente auf das Entschiedenste am Werke sind, das jung Aufstrebende zu unterdrücken oder – fast schlimmer noch – von innen her abzufangen, zu mißleiten und zu verfälschen. (Besonders ist dies im Kampf um die „Mitbestimmung“ der Fall.) Als solcher Anfang war das Unternehmen gelungen, was u. a. sich auch darin zeigte, daß ein vorher nicht zu denkender Zusammenklang in den Vorträgen sich zeigte; es war ein immer wieder überraschendes geistiges Eimer-Weiterreichen. Aber allen Einsichtigen ist klar: das Wichtigste ist das Weiterarbeiten, sowohl im eigenen Betrieb, in der Sphäre der Erfahrung und der Werktätigkeit, wie auch in erneuten Tagungen, in der Sphäre der Erkenntnis und Besinnung.

Anfrage

Den Mitarbeitern im Heidenheimer Kreise ist klar, was soeben ausgesprochen worden ist. Es soll darum kurz nach Johanni eine zweite Tagung im erweiterten Rahmen durchgeführt werden. Es werden darum alle anthroposophischen Freunde in Deutschland, welche als Arbeiter, Ingenieure, Kaufleute, Leiter in der praktischen Betriebsarbeit stehen und die ein Interesse daran haben, in Gemeinschaft mit Gleichstrebenden die sie bewegenden Probleme anthroposophisch zu durchdringen, gebeten, ihre Anschrift dem Unterzeichneten bis Ende April mitzuteilen, damit eine Übersicht gewonnen werden und zu gegebener Zeit auch eine Einladung erfolgen kann. Dabei ist auch die Angabe des Berufs, der Stellung im Betriebe (auch ob Betriebsratsmitglied) und des Unternehmens, dem der Betreffende angehört, erwünscht. Zuschriften erbeten an Fritz Götte, Schwäb. Gmünd, Weleda A.G.

[Mitteilungen, Nr. 15, Ostern 1951, Seite 41]