Friedensbewegung und Weltinnenpolitik

13.12.2001

Die Bundestagsfraktion der Grünen hat gestern das Papier "Von der Friedensbewegung zur Friedenspolitik - Elemente einer neuen Weltinnenpolitik" beschlossen. Grüne Friedenspolitik heißt nun ausdrücklich, eine Weltinnenpolitik zu entwickeln und eine internationale Rechtsordnung zu schaffen. Internationale und supranationale Strukturen, die diesen Aufgaben gewachsen sind, sollen gestärkt und ausgebaut werden.

Demnach wird der Weltfrieden durch entstaatlichte, privatisierte Gewalt bedroht: durch Terror, Bürgerkriege und regionale und ethnische Konflikte. Gewaltprävention ist das vorrangige Ziel der Friedenspolitik; Krisenprävention und Krisenbewältigung stehen daher im Mittelpunkt. Der Einsatz von Militär als ultima ratio auf der Basis des Völkerrechts wir dabei nicht ausgeschlossen.

Besonderen Wert wird aber auf die Bekämpfung der sozialen und ökonomischen Konflikte in den Krisenregionen um dem Terror seinen sozialen Nährboden zu entziehen. Um das erreichen zu können, soll das Völkerrecht weiterentwickelt und die Verbesserung der Entwicklungszusammenarbeit vorangetrieben werden.

Erste Schritte dahin sind die stufenweise Erhöhung des Entwicklungsetats bis zu 0,7% des Bruttosozialprodukts, der Ausbau der sozialen Friedensdienste, die Förderung des Wiederaufbaus von Afghanistan und die Stärkung der ländlichen Räume in den ärmsten Ländern der Welt durch Unterstützung der Food and Agriculture Organisation (FAO).

Das Konzept einer Weltinnenpolitik ist in den 1990er Jahren durch Dieter Senghaas entwickelt worden. Unter dem Eindruck der ökonomischen Globalisierung hielt er die Außenpolitik immer mehr für einen Teil einer globalen Innenpolitik. Wenn sich die Grünen nun auf Dieter Senghaas berufen, dann meinen sie unter einer "Weiterentwicklung des Völkerrechts" ein Interventionsrecht internationaler Organisationen wie der UNO bei regionalen Konflikten.

Hört man sich die Kritik solcher Länder wie China am Konzept einer Weltinnenpolitik, so spricht es eher für als gegen dieses Konzept. China lehnt jede Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten ab, um freie Hand zu haben und alle Kritiker des sozialistischen Regimes einsperren lassen zu können. Mit ihrer unbeschränkten Herrschaft auf die Medien kann eine solche Diktatur die Massen manipulieren. Es scheint daher nur eine Alternative zu geben: eine Weltinnenpolitik oder Diktaturen als ständige Gefahr für den Weltfrieden.

Sucht man nach den geistigen Wurzeln des Konzeptes einer Weltinnenpolitik, so stößt man auf Woodrow Wilson, der sich nach dem Ersten Weltkrieg mit der Gründung des Völkerbundes gegen die europäischen Nationalstaaten durchsetzen konnte. Bis dahin hatte England immer auf ein Gleichgewicht der Mächte gesetzt. Dieses Gleichgewicht war aber vor dem Ersten Weltkrieg wie ein Kartenhaus zusammengebrochen. Woodrow Wilson wollte daher eine internationale Organisation gründen, die über ein Übergewicht der Macht verfügt. Dies gelang damals nicht, weil die Vereinigten Staaten dem Völkerbund nicht beigetreten sind. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion erfüllt aber die Nachfolgeorganisation des Völkerbundes, die UNO, endlich den Wunsch von Woodrow Wilson. Sie hat genug Macht und muß sich nur noch das Recht nehmen, diese Macht auch auszuüben.

Als Nachfolger von Woodrow Wilson verzichten die Grünen auch auf die absolute Ablehnung des Krieges, die für einen Teil der Friedensbewegung charakteristisch ist. Dies meinen sie mit dem Spruch: "Von der Friedensbewegung zur Friedenspolitik". Dies kann man ihnen kaum vorwerfen, weil sich die Friedensbewegung oft die Welt zu einfach gemacht hat. Dies wäre auch nicht weiter schlimm, wenn die Grünen mit ihrer Weltinnenpolitik wirklich Kriegen vorbeugen könnten. Gerade hier liegt aber das Problem.

Kriege entstehen hauptsächlich durch die Einmischung des Staates in wirtschaftliche und kulturelle Fragen, also durch das was man Wirtschafts- und Kulturpolitik nennt und heute noch ganz selbstverständlich zur Innenpolitik rechnet. Dieser Mißbrauch der staatlichen Macht ist es, und nicht irgendwelche Privatisierung der Gewalt, der zu Bürgerkriegen, zu ethnischen Konflikten und zur Unterstützung von Terrororganisationen durch die Bevölkerung führt. Eine Weltinnenpolitik, ist daher eine Flucht nach vorne. Sie internationalisiert nur den Staatswahn.

Gegen die Verbesserung der Entwicklungszusammenarbeit ist natürlich nichts einzuwenden, wenn sie nur nicht vom Staat ausgeht. Und die Gründung internationaler Strukturen ist eine Wohltat, wenn damit nicht nur Staatenbündnisse, sondern eine von diesen Staaten unabhängige globale Zivilgesellschaft gemeint ist. Die Friedensbewegung soll nicht durch eine Friedenspolitik - im Sinne einer Weltinnenpolitik - ersetzt werden, sondern durch eine nichtstaatliche Weltbewegung, die den staatlichen und wirtschaftlichen Interessen das Fürchten lernt.

Wer sich wirklich für den Weltfrieden einsetzen will, muß nicht nur die alte nationale Souveränität, sondern auch die neue Weltinnenpolitik ablehnen. Die bisherige Innenpolitik taugt nicht zum Vorbild für die Außenpolitik, sondern höchstens das Gegenteil. Die Innenpolitik sollte nämlich von der alten Diplomatie lernen, die mit unabhängigen Staaten zu tun hatte. Geistesleben und Wirtschaftsleben brauchen gegenüber der Politik dieselbe Unabhängigkeit, wie früher Staaten. Dies stellt alles auf den Kopf, was ausgebildete Politiker bisher an Theorien serviert bekommen haben. Es ist aber eine konsequente Fortführung des heutigen Rufs nach Menschenrechten. Mit ihrer Forderung nach einer Weltinnenpolitik machen die Grünen klar, daß sie mit ihrem Denken den eigenen Wünschen nicht gewachsen sind.