Götz Werners anthroposophische Steuerreform

01.02.2008

Grundeinkommensdebatte:
Entgegnung auf Philip Kovce und Rahel Uhlenhoff
(Contraste 280, Januar 2008)

Die Idee eines Grundeinkommens ist vor allem durch die Vorschläge des Chefs der Drogeriemarktkette dm, Götz Werner, in der Gesellschaft angekommen. Er bezieht sich dabei auf die Anthroposophie Rudolf Steiners, wie Kovce und Uhlenhoff in der Januarausgabe der CONTRASTE dargelegt haben. Nachdem Waldorfschulen, anthroposophische Medizin und anthroposophisches Bankwesen sich in Nischen etablieren konnten, nun also ein gesamtgesellschaftliches Konzept auf Basis der anthroposophischen Lehre.

Elisabeth Voß, Contraste Redaktion Berlin

Bereits im Frühjahr 1999 fand in Berlin ein Existenzgeld-Kongress statt, organisiert von F.e.l.S. (Für eine linke Strömung). Im Jahr 2000 erschienen zwei Bücher zum Thema: "Existenzgeld. Kontroversen und Positionen", herausgegeben von Hans-Peter Krebs und Harald Rein im Verlag Westfälisches Dampfboot, und im AG SPAK Verlag "Existenzgeld für alle", herausgegeben von der BAG-SHI (Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen). Das BAG-SHI-Konzept "Take half" (nimm die Hälfte), wonach jede Person ein ausreichend hohes, bedingungsloses Existenzgeld bekommen soll, das aus einer 50%igen Steuer auf alle Einkommen finanziert wird, wurde nie in größerem Rahmen diskutiert.

Alleinige Besteuerung des Konsums

Und nun kommt Götz Werner und schlägt vor, alle Steuern auf Einkommen abzuschaffen und stattdessen den Konsum zu besteuern. Er beruft sich dabei auf die Aussage des Wirtschaftsprüfers und Steuerberaters Benediktus Hardorp, eine Einnahmebesteuerung sei staatlich legitimierter Raub. So jammern alle UnternehmerInnen, die zwar gerne ein funktionierendes, steuerfinanziertes gesellschaftliches Umfeld für ihre Firma nutzen, selbst aber möglichst wenig zu dessen Finanzierung beitragen wollen.

Bei dem Grundeinkommensmodell des Unternehmers Götz Werner handelt es sich um ein klar interessengeleitetes Konzept. Was hat Rudolf Steiner (1861 – 1925) damit zu tun? Es klingt einfach naiv, wenn er schreibt: "... das Zeichen für viele Einnahmen (ist) eben, dass man viel ausgeben kann."*, oder man müsse "... das Kapital in dem Augenblick versteuern, in dem es in den Wirtschaftsprozess überführt [sprich: konsumiert, Anm. Kovce, Uhlenhoff] wird."*

Eine Konsumsteuer zahlen Menschen in dem Maße, in dem sie konsumieren, nicht entsprechend ihres Einkommens. Arme müssen ihr gesamtes Einkommen für Konsum zum Lebensunterhalt einsetzen. Reiche konsumieren zwar mehr, aber vor allem investieren sie. Kapital wird nicht in den Wirtschaftsprozess überführt wenn konsumiert wird, sondern es steckt in den Produktionsmitteln und ermöglicht es, aus Geld mehr Geld zu machen, indem der Mehrwert aus der Arbeit anderer angeeignet wird.

Sämtliche Einkommen und Gewinne sollen unversteuert bleiben. Die Argumentation, dass nicht die Leistung besteuert und damit bestraft werden solle, ignoriert vollkommen, dass Gewinne nichts mit Leistung zu tun haben, und dass insbesondere hohe Einkommen in keinem nachvollziehbaren Verhältnis zu den erbrachten Leistungen stehen, insbesondere wenn sie mit schweren Arbeiten im Niedriglohnsektor verglichen werden.

Hinzu kommt, dass durch eine alleinige Konsumbesteuerung von jetzt 19 auf dann etwa 50 Prozent die Preise für Waren und Leistungen erhöht würden. Nur in sehr arbeitsintensiven Bereichen könnte dies durch die wegfallenden Sozialabgaben und Lohnsteuern kompensiert, evtl. sogar mit der Folge sinkender Preise überkompensiert werden, und das auch nur dann, wenn diese Einsparungen wirklich in die Preise eingerechnet würden. Während also auch höchste Einkommen unversteuert blieben, würde eine Konsumsteuer als einzig verbleibende Steuerart zu einer Verschiebung der Preisgefüge führen: menschliche Arbeit (z.B. Betreuung und Pflege) würde immer billiger, je mehr Investitionen und Materialkosten in ein Produkt eingehen, desto höher würden die Preise steigen (z.B. für technische Geräte, aber auch für technikbasierte ärztliche Leistungen). Die in diesen Konsumsegmenten steigenden Preise träfen vor allem Geringverdienende, auch wenn diese neue Einfachsteuer gestaffelt wäre.

Gefährdung der Demokratie

Eine Konsumsteuer bevorteilt also diejenigen, die große Teile ihres – nun unversteuert bleibenden - Einkommens investieren können, um daraus Gewinne zu ziehen, die sie wiederum investieren. Wenn Einkommensunterschiede bei der Besteuerung keine Rolle mehr spielen, öffnet sich die Schere zwischen denen da oben und uns hier unten noch mehr, als sie es ohnehin schon tut. Viel Geld führt nicht nur zu noch mehr Geld, sondern auch zu immer mehr Macht und Einfluss, und je größer die Unterschiede zwischen Arm und Reich, je gefährdeter ist die Demokratie.

Die Steinersche Begriffsverwirrung setzt sich fort in den Äußerungen von Götz Werner. Sowohl Einkommen als auch die Ausübung von Macht wird mit Konsum gleichgesetzt (vgl. Interview Steuerberater Magazin). Diese Reduzierung wirtschaftlicher Prozesse auf den Konsum ignoriert vollständig die Produktionsverhältnisse und die Produktionsprozesse. Die Arbeit, um deren Befreiung es doch mit dem Grundeinkommen auch gehen soll, kommt nicht mehr vor.

Abschaffung des Sozialstaats

Wenn zugunsten eines Grundeinkommens alle Sozialleistungen abgeschafft würden, wie sich das Werner und Hardorp vorstellen, würden die bereits heute nicht mehr vollständig paritätisch aufgeteilten Kosten der sozialen Sicherung zwischen Arbeitenden und Unternehmen endgültig auf die Arbeitenden abgewälzt. Damit wären wir in einer offen sozialdarwinistischen Gesellschaft angekommen. Unter dem Deckmäntelchen von Freiheit (vom Zwang zur Erwerbsarbeit) und Gleichheit (in der Verhandlung um den Anteil am Ergebnis der Wertschöpfung) würde die soziale Verantwortung der Gesellschaft gegenüber ihren Mitgliedern weitgehend aufgegeben. Jede und jeder müsste dann individuell mit dem Grundeinkommen in Höhe von 800 Euro – von dem dann auch noch Kranken- und Pflegekassenbeiträge zu zahlen wären - über die Runden kommen.

Steiner kritisierte sowohl Gewerkschaften als auch Genossenschaften, erfahren wir von Kovce und Uhlenhoff, und seine "... Idee vom dreigliedrigen sozialen Organismus stellt sich auf den Boden der Wirklichkeit und im Wirtschaftsleben auf den des Assoziationsprinzips..."*. Mit der Wirklichkeit sind wohl die Gegensätze von Kapital und Arbeit gemeint, die nicht überwunden, sondern gestaltet werden sollen. Nach Steiners Vorstellungen sollen ArbeiterInnen als Gleichberechtigte den UnternehmerInnen ihre Leistung anbieten, mit diesen Assoziationen bilden und ihre Anteile am Ergebnis fair aushandeln. Das ist klassische liberale Wirtschaftstheorie, als gäbe es keine unterschiedliche Ausgangsbasis, von der aus die Beteiligten in solche Verhandlungen eintreten. Interessengegensätze aufgrund von Machtverhältnissen, Privateigentum an Produktionsmitteln und Unterschieden in der sozio-ökonomischen Situation kommen in diesem Weltbild nicht vor.

Grundeinkommen als Kombilohn

In freien Vereinbarungen, ohne die Einführung eines Mindestlohns, würde sich nicht eine gerechte Entlohnung für die Leistung der Arbeitenden durchsetzen, sondern statt dessen der Niedriglohnsektor weiter ausgedehnt werden, weil ja das Grundeinkommen nur noch aufgestockt werden bräuchte. Es würde also als flächendeckender Kombilohn wirken und die von den Unternehmen aufzubringenden Lohnkosten weiter senken. Da aber die Preise durch die Konsumsteuer teilweise steigen würden und es gleichzeitig keinerlei öffentliche soziale Leistungen mehr gäbe, würde der ökonomische Zwang zur Erwerbsarbeit zunehmen.

Ein ausreichend hohes Grundeinkommen, das aus einer Einkommensbesteuerung finanziert würde, in ein sozialstaatliches Umfeld eingebettet wäre und durch wirksame Mindestlohnregelungen nicht als Kombilohn missbraucht werden könnte, wäre eine gute Grundlage für eine Solidarische Ökonomie, die nicht nach Gewinnmaximierung, sondern nach größtmöglichem Nutzen für die Beteiligten strebt. Ohne Zwang zur Erwerbsarbeit könnten sich kreative Potentiale und menschliches Arbeitsvermögen entfalten. Die Ergebnisse würden sicher auch der kapitalistischen Produktion zugute kommen, zum einen durch Produkt- und Wissensentwicklungen, zum anderen durch bessere Leistungen aufgrund einer höheren Arbeitsmotivation bei freiwilliger Erwerbsarbeit. Einen Systembruch würde auch ein linkes Grundeinkommen nicht darstellen, aber die Entkoppelung von Lohn und Leistung wäre immerhin ein Ansatz einer Keimform für eine andere, nichtkapitalistische Welt. Und es könnte die Lebensverhältnisse vieler Menschen deutlich verbessern.

Wo bleibt der kritische Blick?

Eine Reform des Steuerwesens zur Konsum- statt Einkommensbesteuerung mit gleichzeitiger Abschaffung des Sozialstaats würde bestehende Ungleichheiten verschärfen. Im Modell von Werner und Hardorp scheint das Grundeinkommen nur noch eine flankierende Maßnahme zu sein, die vielleicht erst einmal die KritikerInnen ruhig stellen würde, aber es hätte nichts zu tun mit sozialer Gerechtigkeit oder solidarischer Ökonomie, oder mit dem, was sich linke Existenzgeld-AktivistInnen einmal vorgestellt haben.

Es sagt viel aus über den Zustand einer Gesellschaft und ihrer Medien, wenn in einer Situation von zunehmender Armut und sozialer Ausgrenzung ausgerechnet so eine unsoziale Variante eines Grundeinkommens Verbreitung und zunehmende Akzeptanz findet. Das ist für mich ein Beispiel für die heute so typische politische Naivität. Weder wird die Interessenlage von Götz Werner reflektiert, noch der eigene Klassenstandpunkt wahrgenommen. Alle Menschen werden zu UnternehmerInnen, und wo es keine Interessengegensätze mehr gibt, geht es scheinbar nur noch darum, Sachfragen zu klären.

Hardorp sagt es ganz deutlich: "Wir wollen die Welt ja nicht auf den Kopf stellen – im Gegenteil. Wir wollen die bestehende Welt verständlich und transparent machen..." (Steuerberater Magazin). Auch wenn es etwas altmodisch ist, möchte ich dem ein schönes Zitat von Karl Marx entgegen setzen: "Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern". Ich hoffe, dass sich nicht zu viele Menschen vom Drogisten einseifen lassen.

* Zitiert nach Kovce / Uhlenhoff

Elisabeth Voß



Erschienen in CONTRASTE, Monatszeitung für Selbstorganisation, Ausgabe 281, Februar 2008.