Ein neues Eigentumsrecht statt Grundeinkommen

01.10.2008

Grundeinkommensdebatte:
Entgegnung auf den Artikel Götz Werners anthroposophische Steuerreform
(Contraste 281, Februar 2008)

In den Contraste-Ausgaben von Januar, Februar, Juni und Sommer 2008 lieferten sich Rahel Uhlenhof, Philip Kovce und Elisabeth Voß eine Auseinandersetzung über die Frage der Finanzierung des Grundeinkommens. Uhlenhof und Kovce favorisieren eine Finanzierung über eine Ausgabensteuer, Voß eine Finanzierung über eine Einkommensteuer. Da Uhlenhof und Kovce wohl Anthroposophen sind, und offenbar die Thesen von Götz Werner in einen Zusammenhang zur Anthroposophie bringen wollen, rückten Rudolf Steiners Ideen über eine Neugestaltung der Beziehungen zwischen Staat, Wirtschaft und Kultur in den Fokus der Auseinandersetzung. Dadurch entstand der Eindruck, das ausgabensteuer-finanzierte Grundeinkommens-Modell habe etwas mit der Sozialwissenschaft Rudolf Steiners oder mit der von ihm initiierten Bewegung der sozialen Dreigliederung zu tun. Das soll an dieser Stelle richtig gestellt werden.

Das Grundeinkommen, egal mit welcher Finanzierungsform, hat mit Rudolf Steiner und seiner Idee einer Dreigliederung des sozialen Organismus nicht das geringste zu tun. Das weiß auch Götz Werner:

Wo wollen Sie sich beim Grundeinkommen auf Rudolf Steiner beziehen? ... Rudolf Steiner wollte, dass wir seine Methode übernehmen, aber nicht seine Aussagen in die Welt bringen.
(Götz Werner in Das Goetheanum 24/2008)

Das ist natürlich sehr löblich, dass Götz Werner, trotzdem er bekennender Anthroposoph ist, nicht an den Worten Rudolf Steiners klebt. Er hat aber auch seine ganz persönlichen Gründe dafür, denn so klingt Rudolf Steiner im Wortlaut:

Der Begriff des Arbeitgebers - Sie können es meinen früheren Vorträgen und auch meinem Buch über die soziale Frage entnehmen -, der Begriff des Arbeitgebers, der muss eigentlich als solcher bei einer wirklichen Sozialisierung verschwinden. Denn einen Arbeitgeber kann es nur geben, wenn er ein Arbeitbesitzer ist, und Arbeitbesitzer darf es eben nicht geben ... Darauf ist der größte Wert zu legen, dass man endlich einmal den wirklichen Begriff der Arbeit fasst, denn ein Arbeitgeber, der nicht selbst mitarbeitet, gehört in Wirklichkeit gar nicht zum Betrieb, sondern ist ein Parasit der Arbeit.
(Rudolf Steiner in Betriebsräte und Sozialisierung, GA 331, S.114)

Oder:

Das sind die Krebsschäden der heutigen sozialen Ordnung, dass man innerhalb des Wirtschaftsprozesses nicht bloß Waren kaufen kann, sondern auch Arbeit und Rechte kaufen kann. Indem man Arbeit kaufen kann, erwirbt man die Möglichkeit, diese Arbeit in den Wirtschaftsprozess hineinzuziehen, das heißt zu vergewaltigen. Und indem man das Nutzungsrecht an Grund und Boden kaufen kann, erwirbt man Macht. Man muss sich klar darüber sein, dass man aus dieser Kalamität überhaupt nicht herauskommt, wenn man der Sache nicht radikal zu Leibe rückt.
(Rudolf Steiner in Betriebsräte und Sozialisierung, GA 331, S.62).

Rudolf Steiner ist der Sache radikal zu Leibe gerückt. Ihm genügte es nicht, den Eigentümern bloß etwas von dem Geld, das sie den arbeitenden Menschen abpressen, abzunehmen und umzuverteilen. Er wollte vielmehr erreichen, dass überhaupt ausgeschlossen wird, dass irgendjemand den Ertrag anderer Leute Arbeit für sich beanspruchen kann, weil er sich Eigentümer des Bodens oder der Produktionsmittel nennen darf. Ab 1918 beteiligte sich Steiner aktiv an der Betriebsrätebewegung und forderte die Arbeiter öffentlich dazu auf, die Fabriken zu besetzen und die Leitung selbst in die Hand zu nehmen. Er lavierte also nicht, wie Uhlenhof und Kovce behaupten, zwischen den Interessen der Arbeiter und denen der Unternehmer herum, sondern bezog Stellung für die Arbeiter, und zwar so eindeutig, dass er damit sogar den Gewerkschaften zu weit ging. Denn Steiner wollte, dass sich die Arbeiter wirklich ihrer Herren entledigten:

Man muss sich eben durchaus darüber klar sein, dass der Betriebsrat als solcher so gedacht ist, dass er der wirkliche Leiter eines Betriebes sein wird, so das alles Unternehmertum im heutigen Sinne neben diesem Betriebsrat verschwindet.
(Rudolf Steiner in Betriebsräte und Sozialisierung, GA 331, S. 222)

Die Betriebsräte sollten freilich etwas ganz anderes sein, als das, was man sich heute unter ihnen vorstellt: Nicht die Arbeiter innerhalb eines Betriebes, sondern alle Arbeiter sollten sich überbetrieblich zusammenschließen (Über die Betriebsräte: Sylvain Coiplet, Anarchismus und soziale Dreigliederung – Ein Vergleich). Das passte den Gewerkschaften natürlich gar nicht, denn diese brauchten die alten Machtverhältnisse, um selbst gebraucht zu werden. Steiner machte indes keinen Hehl daraus, was er von Kompromissen mit Wirtschaftsbossen und Politikern hielt:

Das heißt in diesem Falle nämlich nichts anderes, als die Leute darauf hin zu dressieren, dass sie sich im Dienst des Kapitalismus wohlfühlen.
(Rudolf Steiner in Betriebsräte und Sozialisierung, GA 331, S.116)

Am Widerstand der Gewerkschaften ist die Betriebsrätebewegung von 1919 dann gescheitert, und die Dreigliederungsbewegung erlitt einen herben Rückschlag (Vergl.: Albert Schmelzer, Die Dreigliederungsbewegung 1919).

Elisabeth Voß schrieb über den Steinerschen Ansatz:

Das ist klassische liberale Wirtschaftstheorie, als gäbe es keine unterschiedliche Anfangsbasis, von der aus die Beteiligten in solche Verhandlungen eintreten. Interessengegensätze aufgrund von Machtverhältnissen, Privateigentum an Produktionsmitteln und Unterschieden in der sozio-ökonomischen Situation kommen in diesem Weltbild nicht vor.
(Elisabeth Voß Contraste, Ausgabe 281, Februar 2008, Originalzusammenhang siehe hier.)

Man kann Voß keinen Vorwurf machen. Ihre Kritik bringt in der Tat das Weltbild von Götz Werner auf den Punkt. Das steht aber eben in einem krassen Gegensatz zu dem von Rudolf Steiner, der sich klar zum Anarchismus bekannt hat (siehe hier). Das konnte Elisabeth Voß nicht wissen - wieso hätte sie nämlich Uhlenhof und Kovce misstrauen sollen? Schließlich sind diese nicht die einzigen Anthroposophen, die das Wernersche Grundeinkommens-Modells propagieren. Das erklärt sich aber eben nicht aus der Weltsicht Rudolf Steiners, sondern wohl eher daraus, dass die Anhänger Steiners selbst Nutznießer der bestehenden Verhältnisse sind.

Das Werk Rudolf Steiners umfasst über 350 Bände, und es ist also ein leichtes, irgendwo ein Zitat zu finden, um die eigene Ideologie mit Steiner zu rechtfertigen, wenn man das nötig hat. Und so entspricht es z.B. auch ganz der Wahrheit, wenn Uhlenhof und Kovce behaupten, dass sich Rudolf Steiner für eine Ausgabensteuer ausgesprochen habe. Verständlich wird das aber erst, wenn man weiß, dass Steiner eine Einkommensgerechtigkeit dadurch herstellen wollte, dass niemand mehr in den Verhandlungen um sein Einkommen irgendein Eigentumsrecht geltend machen kann. Über das Verhältnis zwischen „Arbeitgeber“ und „Arbeitnehmer“ schrieb Steiner in seinem Hauptwerk zur sozialen Frage, in Die Kernpunkte der sozialen Frage, dass in Wahrheit der Arbeitnehmer den Arbeitgeber bezahle, in dem er für ihn die Waren produziere. Dadurch, dass der Arbeitgeber aber Eigentümer der Produktionsmittel und damit von vorne herein auch Eigentümer der produzierten Waren ist, interpretiere er sein Verhältnis zu den Arbeitern so, als würde er die Arbeiter aus dem Erlös der Waren bezahlen. Durch das Eigentum an den Produktionsmitteln könne der sog. Arbeitgeber einfach alleine das Verhältnis bestimmen, in dem der Gegenwert der gemeinsam produzierten Waren aufgeteilt werde, und sich selbst besser abfinden.

Dieses Eigentum muss deshalb laut Steiner verschwinden, und an seine Stelle muss das Eigentum der Arbeiter an ihrem Arbeitsplatz treten. Freilich kann es dann noch erfinderische Köpfe geben, die die Arbeitsprozesse zusammenführen. Ein Eigentum am Arbeitsplatz der Arbeiter, über das sie den Arbeitern irgendwelche Gewinne abpressen können, haben sie deswegen nicht. Vielmehr treten, wenn das Eigentum neutralisiert ist, und die Betriebe „sozialisiert“ sind, die wahren Verhältnisse zum Vorschein, und die Arbeitsleiter müssen dann ihrerseits ihr Einkommen mit den Arbeitern aushandeln. Sie können den Preis der Waren, die Ihnen die Arbeiter liefern, nicht mehr drücken, sondern müssen jetzt ihren wahren Wert bezahlen. Das sind die Verhandlungen, von denen Rudolf Steiner spricht, und von denen Elisabeth Voß annimmt, sie entsprächen der klassischen liberalen Wirtschaftstheorie.

Wenn aus irgendwelchen Eigentumsrechten überhaupt kein „Mehrwert“ mehr entstehen kann, dann macht eine Einkommenssteuer keinen Sinn mehr, eine Anpassung der Steuer an die Art der Ausgaben dagegen sehr wohl. Das ist der Hintergrund der Steinerschen Ausgabensteuer. Die Anhänger Werners isolieren Aussagen Steiners und lassen den Zusammenhang, in dem sie stehen, unter den Tisch fallen. Das nennen sie dann „ergebnisoffenes“ Denken. Im Ergebnis wird einfach einer protektionistischen Wirtschaftstheorie mit Hilfe Rudolf Steiners eine esoterische Aura verliehen, wodurch diese dann eine magische Anziehungskraft auf viele ausübt, die sich sicher aus ganzem Herzen nach einer menschenwürdigeren Gesellschaft sehnen.

Rudolf Steiner benennt den Gegenstand seiner Schrift Die Kernpunkte der sozialen Frage, in welcher er die Idee einer sozialen Dreigliederung als Gegenbild zum nationalistischen Einheitsstaat entwickelt, aber wie folgt:

Diese Schrift stellt eine Form des sozialen Organismus dar, in dem der Begriff des Arbeitslohnes ebenso eine Umformung erfährt wie der alte Eigentumsbegriff
(Rudolf Steiner in Die Kernpunkte der sozialen Frage, GA 23, S.108).

Heute setzen sich wieder in der ganzen Welt Menschen für die in dieser Schrift vertretenen Idee einer Auflösung des alten Eigentums ein. Wer sich ein Bild davon machen will, um was es dabei geht, der sollte nicht Götz Werner fragen, sondern einen Blick auf die Webseite www.dreigliederung.de werfen. Die Seite ist das meistgelesene Medium zum Thema und bietet neben vielen anderen Texten auch Die Kernpunkte der sozialen Frage zum kostenlosen download an.

Johannes Mosmann


Dieser Artikel ist eine Replik auf den Artikel Götz Werners anthroposophische Steuerreform von Elisabeth Voß.


Erschienen in Contraste, Monatszeitung für Selbstorganisation, Nr. 289, Oktober 2008.