Atomkraft macht das Unmögliche möglich

19.05.2011

Im März diesen Jahres zeigte sich der Kolumnist Harald Martenstein im Tagesspiegel vollkommen verwundert, nachdem er erfahren hatte, dass zwar Hundehalter haftpflichtversichert sein müssen, Kernkraftwerke jedoch nicht.[1] Nun könnte man meinen, dass das „Restrisiko“ einer Kernschmelze zumindest für ein ordentliche Versicherungsprämie herhalten könnte, aber es fand und findet sich schlicht keine Versicherungsgesellschaft, die in dieses Geschäft einsteigen möchte. Martenstein zitierte dann eine Aussage der Versicherungen, welche lange vor Fukushima getätigt wurde: „Das Risiko ist uns einfach zu groß. Wir sind doch nicht verrückt.“ Für den Kolumnisten war damit die Kernkraft als Energiequelle erledigt.

Nun gab es ja schon lange vor diesem, der bürgerlichen Klugheitsmoral entstammenden Argument genügend Gründe die Durchsetzung der Kernkraft für eine kriminelle Verantwortungslosigkeit zu halten, aber reizvoll ist es sicher, einmal die Kosten einer etwaigen Versicherung gegen das Risiko eines nuklearen Katastrophenfalls zu ermitteln. Im April haben sich die Versicherungsforen Leipzig dieser Aufgabe angenommen und eine Studie[2] dazu erstellt. Die Versicherungsforen Leipzig sind eine Ausgründung aus der Universität Leipzig[3] und arbeiten in einem Netzwerk mit und für rund hundert Versicherungsunternehmen. Das Fazit dieser Studie ist: Atomkraftwerke sind nicht versicherbar.

Die Deckungssumme bezüglich der zu erwartenden Schäden wären 6000 Milliarden Euro. Diese müsste im Schadensfalle auch zur Verfügung stehen. Doch wer könnte diese gewaltige Summe bereitstellen, bzw. angesammelt haben? Da eine „Aufteilung der Versicherungsprämie über die gesamte Zeitspanne der vermuteten Eintrittswahrscheinlichkeit“ aus mehreren Gründen nicht möglich ist, so die Studie, müsste diese Summe in einem Zeitraum bereitgestellt werden, der sich in etwa an der Laufzeit eines AKW orientiert. „So muss bspw. für jedes betriebene KKW eine jährliche Prämie von 19,5 Milliarden Euro über den gesamten Zeitraum hinweg bezahlt werden, wenn die Deckungssumme bereits nach 100 Jahren zur Verfügung stehen soll.[4] Bei 50 Jahren wären es dann laut Studie 72 Milliarden Euro, jährlich! Abgesehen von der Tatsache, dass sich kein Versicherer trotz offensichtlich ungeheurer Prämien auf dieses Risiko einlässt, wäre der Preis für eine Kilowattstunde damit konkurrenzlos teuer. Dass es dennoch möglich war Kernkraftwerke laufen zu lassen und dabei enorme Gewinne zu erzielen, entspricht der Logik des real existierenden Kapitalismus: Gewinne individualisieren, Verluste und Risiken sozialisieren.

„Bislang halten die Inhaber entsprechend der gesetzlichen Vorschriften 2,5 Mrd. Euro für mögliche Entschädigungsleistungen, die sich aus Schadenersatzansprüchen aus Stör- und Unfällen eines Kernkraftwerkes ergeben, vor.“[5] Angesichts der realen Risiken natürlich lächerlich. Tepco benötigt allein für das laufende Geschäftsjahr 8,6 Milliarden Euro für die Katastrophe. Die Kosten trägt im wesentlichen die Bevölkerung. Diese wurde nie über das finanzielle Risiko aufgeklärt, welches man ihr ungefragt auferlegt hatte. Weder in Japan noch in Deutschland oder anderswo. Ein typisches Kennzeichen für einen Zustand des Gemeinwesens, den Colin Crouch Postdemokratie nennt: Herrschaft privilegierter Eliten bei formal intakten demokratischen Institutionen und Ohnmacht des egalitären Projekts. Hätte es vor der Einführung der Kernenergie einen wahrhaft demokratischen Prozess gegeben, hätte sich die Mehrheit sicher wie Harald Martenstein besonnen: „Atomstrom gibt es überhaupt nur deswegen, weil er nicht versichert ist und weil Sie und ich unsere Beerdigungskosten selber tragen,“ und damit dankend abgelehnt.

Ach ja, Martenstein wollte noch wissen, wie sich die Atomwirtschaft zum Thema „Versicherung im Falle einer Kernschmelze“ positioniert.
Die Antwort: „Ereignisse mit so niedriger Eintrittswahrscheinlichkeit betrachten wir als unmöglich.“

Anmerkungen:

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