Die tieferen Ursachen der atomaren Katastrophe in Japan

16.03.2011

Angesichts der atomaren Katastrophe in Japan hat sich die Bundeskanzlerin zu einer Pause vom Ausstieg vom Ausstieg durchgerungen. Die ARD diskutiert derweil vorsorglich die Frage, welche Tabletten „wir“ denn in welcher Dosierung nehmen müssten, wenn bei uns mal ein Atomkraftwerk hochgeht. Ich weiß nicht mehr, worüber ich mehr bestürzt bin: über das Leid der Menschen, oder über den geistigen Verfall, der diesem zu Grunde liegt. Ich kann im Fernsehen zusehen, wie Japanische Wissenschaftler hilflos vor einer Maschine stehen, welche sich verselbständigt und ein ganzes Volk umzubringen droht, nur weil die Stromversorgung einmal unterbrochen ist. Ich frage mich: Merkt jemand, was los ist, macht jemand jetzt den Mund auf, werden die Menschen vielleicht jetzt endlich mündig?

Das deutsche Forschungsministerium hat in einem Zeitraum, in dem es 6 Milliarden Euro für die Entwicklung regenerativer Energien springen liess, stolze 27 Milliarden Euro in Weiterentwicklung und Ausbau der Atomenergie gesteckt. Und dies ist nur einer der vielen Fördertöpfe für das Sicherheitsrisiko. Jeder von uns hat für die Atomenergie Steuern bezahlt, jeder von uns hat also täglich dafür gearbeitet, damit diese Katastrophe entstehen konnte. Es ist unsere Zeit, unsere Lebenszeit, die da hineingeflossen ist.

Die Atomenergie hat eine dreifache Wurzel. Sie ist einerseits ein Produkt des staatsverwalteten Geisteslebens. Ohne die Staatsgewalt, die hier ein einzelnes Kulturphänomen fördert, und andere dafür erstickt, wäre dieses Risiko nie entstanden. Wir geben unser schwer erarbeitetes Geld dem Staat, und der Staat gibt es in die Forschung – dafür definiert der Staat, was erforscht werden soll. Würde unser Geld bei uns bleiben, würden wir dieses selbst dahin geben, wo wir eine sinnvolle Forschungsarbeit sehen, hätten wir schon längst einen ganz anderen Entwicklungsstand erreicht. Die Atomenergie ist zweitens ein Produkt der Beziehungslosigkeit im Wirtschaftsleben. Denn sie ist für die Volkswirtschaft nicht billiger als andere Energien, im Gegenteil: die massive Steuerlast durch die Förderung im voraus und die massive Steuerlast durch das Sicherheitsrisiko im Nachhinein machen sie zur teuersten nur denkbaren Energieform. Würden die Menschen die Preis- und Wertbildung durch Bildung von Assoziationen bewusst ergreifen, könnte sich ein Atomkraftwerkbetreiber mit seinem Vorhaben niemals durchsetzen. Er ist abhängig davon, dass er wirtschaftlich isoliert ist, darauf beruht seine Möglichkeit, Gewinn zu machen. Und schließlich ist die Atomenergie auch die Konsequenz eines nicht vorhandenen Rechtsstaates. 70% der Deutschen sind gegen die Atomenergie, trotzdem wird die Atomstromproduktion im Schutz der Staatsgewalt von Jahr zu Jahr gesteigert. Die Staatsgewalt liegt also nicht bei der demokratischen Mehrheit, und Deutschland ist demnach keine Demokratie. In einer Demokratie könnte sich die Bedrohung eines ganzen Volkes durch ein paar machthungrige Einzelpersonen etwa so auswirken, dass die Mehrwertsteuer für den Verbrauch einer Kilowattstunde Atomstrom wegen der von der Gemeinschaft zu tragenden Schäden derart steigen würde, dass Atomenergie unerschwinglich werden müsste.

Es geht eben bei der sozialen Dreigliederung nicht darum, Schablonen auf die Wirklichkeit zu münzen, sondern umgekehrt: wer das verworrene Gestammel der Kanzlerin vergessen kann und sich ernsthaft daran macht, die Wurzel des Problems aufzusuchen, stößt auf die Verstrickung von Kultur-, Staats- und Wirtschaftsmacht. Und wenn er die Wurzel des Übels ausreissen will, muss er Wege finden, die Macht jeweils zu brechen, das heisst, überall die Macht zurückzugeben an das Individuum. Die Bildung von Organen der Selbstverwaltung in Geistesleben, Wirtschaftsleben und Rechtsleben sind die drei Antworten auf die Katastrophe von Japan. Und wenn wir mitfühlen mit den Menschen, die jetzt so furchtbar erleiden müssen, was wir alle gemeinsam zusammengebastelt haben, dann wird uns die soziale Dreigliederung vielleicht zu einer Herzensangelegenheit.