Das Pflichtteilsrecht reformieren?

18.09.2002

Wer kennt sie nicht, diese verlogene Trauer um den Tod der eigenen Eltern? Das gegenwärtige Erbrecht sorgt für den süß-sauren Geschmack. Die Eltern hat man verloren und dafür das Erbe gewonnen. Manchmal kein schlechter Tausch.

Sucht man nach etwas Ehrlichkeit, tut man besser sich nach den Enkelkindern umzuschauen. Sie gehen in diesem Geschäft leer aus und können sich daher die Hintergedanken sparen. Das wissen manche Großeltern zu schätzen, weil sie deren Zuneigung - wenn es sie überhaupt gibt - eher für echt halten können.

Bei einer Reform des Eigentumsrechts im Sinne einer sozialen Dreigliederung würde das Erbrecht - sobald es um größere Beträge geht - restlos wegfallen. Nicht nur die Nachkommen, sondern auch der Staat würden nichts kriegen. Stattdessen müßte jeder selber nach einem Nachfolger suchen, nach einem Menschen der im Stande ist, zum Beispiel den Betrieb weiterzuführen und ihn deswegen geschenkt bekommen soll. Nicht mehr das Blut soll entscheiden, sondern der Geist, die individuellen Fähigkeiten.

Ein harter Brocken, der auch manche Anthroposophen davon abhält, sich mit der sozialen Dreigliederung näher auseinanderzusetzen. Mit Standardsprüchen wie Freiheit im Geistesleben, Gleichheit im Rechtsleben und Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben läßt sich noch gut leben. Zu konkret darf es aber nicht werden.

Wie unsinnig das heutige Erbrecht ist, fällt sogar dem 64. Deutschen Juristentag auf, der sich am 18.09.2002 ausführlich mit dem Thema beschäftigt hat. Stein des Anstosses war das sogenannte Pflichtteilsrecht, das bis heute daran hindert, wenigstens für sich selber das Erbrecht auszuhebeln. Will man alles jemand ganz anderem schenken, hat die Familie doch weiter Anrecht auf ein Pflichtteil. Die Experten empfehlen, die Höhe des Pflichtteils - bei Kindern in der Regel ein Viertel des Erbes - herabzusetzen und dessen völligen Entzug zu erleichtern.

Den Juristen geht es aber nicht darum, das Erbrecht grundsätzlich in Frage zu stellen. Professor Dieter Martiny regt vielmehr eine Pflichtteilentziehung bei einer "gänzlichen Zerrüttung der Beziehungen" an, wenn kein "Näheverhältnis" mehr zwischen Eltern und Kind bestand. Also als eine Art Strafe, wenn die Kinder nicht so viel Wert auf die Blutsverwandschaft geben. Sie sollen angeregt werden, sich mehr um ihre Eltern zu kümmern. Es lebe hoch die Heuchelei!

In einem solchen Fall fragt man sich, ob eine radikale Umkehr nicht besser wäre. Statt die Kinder so in der Unsicherheit zu lassen, sollten sie sich lieber darauf verlassen können, daß sie nichts bekommen werden. Soziale Dreigliederung ist gut für die Sicherheit!