Schulpflicht als Waffe gegen die Zwölf Stämme

30.04.2002

Die Anhänger der Glaubensgemeinschaft Zwölf Stämme im bayerisch-schwäbischen Donau-Ries müssen ihre Kinder nach einem Gerichtsurteil in eine öffentliche Schule schicken. Die Eltern dürfen den 17 Jungen und Mädchen nicht aus Gewissensgründen die Möglichkeit nehmen, durch den Schulbesuch an der Gesellschaft teilzunehmen, begründete das Verwaltungsgericht in Augsburg sein Urteil.

Es fragt sich nur, ob es nach einem solchen Urteil überhaupt noch Sinn macht, an dieser selbsternannten "Gesellschaft" teilzunehmen. Eine Gesellschaft, welche die von der Entwicklung völlig überholte Schulpflicht als Mittel zur Disziplinierung benutzt. Im Namen der Sozialität wird gegen eine Grundregel des Sozialen verstoßen, gegen die Freiheit des Einzelnen, nach seinen Überzeugungen zu leben und zu erziehen. Diese Gesellschaft fürchtet sich genauso vor der Freiheit, wie die Zwölf Stämme vor der Außenwelt.

Die Zwölf Stämme haben die Urchristen zum Vorbild und wollen Kinder nach biblischen Grundsätzen erziehen. Bislang unterrichten sie die Kinder selbst. Genauer gesagt: Eins ihrer Mitglieder hat die Aufgabe des Lehrers übernommen. Man braucht ihn nur persönlich zu kennen, um zu wissen, daß er diese Aufgabe ernster nimmt als manchen Staatslehrer. Ihm geht es nämlich mehr um die Kinder als um die sichere Beamtenrente.

Es ist an der Zeit, sich von der Fixierung auf die Schulpflicht zu befreien und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Was Kinder brauchen, ist nicht irgendwelche Schulpflicht, sondern ein Recht auf Erziehung. Die Entscheidung über Inhalt und Form der Erziehung steht nicht dem demokratischen Staat, sondern den einzelnen Eltern, Lehrern und Kindern zu. Eindeutig ist, daß unsere sympathischen Frommen gegen das Recht ihrer Kinder auf Erziehung nie verstoßen haben. Ganz im Gegenteil. Sie machen hier weit mehr Aufwand als ein Land wie Bayern.

Die Zwölf Stämme erwägen jetzt, in die Berufung zu gehen. Die Eltern zeigten sich nach dem Urteil enttäuscht. Vor Gericht hatten sie bemängelt, dass ihre Kinder in Schulen nicht vor seelischen und körperlichen Verletzungen geschützt seien.

Diese Sorgen sind berechtigt. Die anderen Schüler werden sich wahrscheinlich über die Kinder lustig machen. Sie tragen nämlich keine Markenkleidung. Sie gehören keiner von den Schülern anerkannten Sekte wie "esprit" oder "Nike", sondern tragen einfache - zum Teil traditionelle - Kleider. An der Konfrontation mit den "Zwölf Stämmen" könnten die Schüler natürlich erkennen, daß sie sich durch die Werbung auch zu Stämmen degradieren lassen. Fremdenhaß fällt aber leichter als Selbsterkenntnis. Beleidigungen aller Art sind daher vorprogrammiert. Dies wird nicht gerade dazu beitragen, den Kindern der Zwölf Stämme die Gesellschaft schmackhaft zu machen.