Embryonenforschung im Dialog der Religionen

23.04.2002

Der katholische Moraltheologe Prof. Dietmar Mieth von der Universität Tübingen hat sich für einen Lebensschutz von Anfang an ausgesprochen. Vom Augenblick der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle an handele es sich um eigenständiges menschliches Leben, das schon alle genetischen Merkmale des künftigen Menschen beinhalte, hob Mieth am Montagabend bei einem interreligiösen Gespräch zur umstrittenen Embryonenforschung in Frankfurt hervor.

Dagegen setzten sich jüdische und muslimische Ärzte für eine Forschung an embryonalen Stammzellen ein. Die Ärzte Schimon Staszewski (Neu-Isenburg) und Yasar Bilgin (Gießen) betonten, Judentum und Islam erlaubten - wenn auch theologisch unterschiedlich begründet - die Forschung an embryonalen Stammzellen. Da das Judentum davon ausgeht, dass die "Beseelung" des Embryos erst im späteren Schwangerschaftsverlauf eintritt, gelte der Embryo in den ersten Monaten nicht als vollwertiger Mensch. Deshalb ist in Israel die Forschung an übrig gebliebenen Embryonen unstrittig. Der Koran erlaube Forschung, wenn sie dem Dienst am Menschen zugute komme, unterstrich Bilgin. Er sehe die Menschwerdung erst von der achten Schwangerschaftswoche an, so dass eine Forschung an embryonalen Stammzellen, die sonst vernichtet würden, erlaubt sei.

Es treten hier zwei Religionsgruppen auf das Parket: Die Religionen aus dem Morgenland und die christliche Religion des Abendlandes. Während letztere, aus Mangel an Bibelstellen, Abstraktionen anstellt und versucht, die Menschenschöpfung auf ihren frühesten materiellen Ursprung zurückzuführen und hier dogmatisch zu schützen, schöpfen die Mondreligionen, als echte Schöpfungsreligionen, aus ihrem Urwissen über Tod und Geburt und gehen hier dem Geisteskeim des Lebens auf den Grund. Das Ergebnis der morgenländischen Religionen ist, dass die Menschengeist-Befruchtung nicht mit der materiellen/physischen Befruchtung zusammenfällt.

Man braucht nicht Muslim oder Jude sein, um ihre Vorzüge vor der christlichen Kirche in der Schöpfungsfrage zu sehen. Dennoch sitzen keine Vertreter dieser Religionen im Nationalen Ethikrat, dafür viele christliche Theologen und sonst nur materialistische Wissenschaftler, die vom Lebensgeist keine Ahnung haben. Damit ist der Nationale Ethikrat eine Totgeburt. Die christliche Kirche meint, gesellschaftlich eine wichtige Rolle für den Schutz der Menschenwürde zu spielen, und hierunter fällt für die Kirche auch der Lebensschutz. Zweifelsohne sind in Fragen der Menschenwürde die Vorzüge der christlichen Religion zu sehen, zumal das Christentum, als eine zwischenmenschliche Liebesreligion, die Würde des Menschen im Sozialen wahrt und mehr oder weniger als Mutter der Menschenrechte und der Demokratie gelten kann. Das vorgeburtliche Leben kann aber nicht eine Frage der Menschenwürde sein, weil der Foetus in noch keine soziale Beziehung eingebunden ist. Würde ist nur eine zwischenmenschliche Anerkennung und Achtung.

Wenn die Kirchen es mit Dialogen der Religionen ernst meinen, sollte es mehr als Friedenspfeife rauchen sein. Dialog muß geistige Befruchtung sein, und da gilt es, die eigenen Vorzüge und Grenzen, sowie die des anderen hervorzukehren und synthetisieren.