Uniprofessoren stellen Abitur in Frage

11.01.2002

Die meisten Professoren sehen im Abitur keine volle Gewähr für die Studierfähigkeit. Sie stellen zwar nicht den Einfluß der Politik auf das Abitur überhaupt in Frage. Würde man sie aber machen lassen, würden 80 Prozent von ihnen fünf Abi-Fächer verbindlich festlegen wollen. Auf einheitliche Prüfungsfragen - so wie in Bayern üblich - legen dagegen nur die Hälfte der Professoren wert. Dies ergab eine Umfrage des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW).

Nur jeder zehnte Professor hält das derzeitige Abitur für einen sicheren Nachweis dafür, dass Schüler das nötige Rüstzeug fürs Studium mitbringen. Etwa genauso viele sind vom Gegenteil überzeugt. Die große Mehrheit sieht das Abi nur teilweise als einen Nachweis der Studierfähigkeit an, wie das IW durch die Befragung von 1435 Professoren ermittelte.

Grund für das mangelnde Vertrauen in das Abitur ist laut IW die Möglichkeit, ungeliebte Disziplinen wie Mathematik oder Deutsch auf ein Minimum zu reduzieren. Zwar müssten Deutsch, Mathe und eine Fremdsprache in der Oberstufe belegt werden, das schwächste der drei Fächer könne aber im Abi links liegen gelassen werden. Damit fehle es den Uni-Neulingen häufig an Basiswissen in vielen Fächern.

Deutsch und Englisch werden der Umfrage zufolge von allen Fakultäten als besonders wichtig angesehen. Ginge es nach den Professoren, müsste auch Mathematik Pflichtteil der Abiturprüfung werden. Von da an scheiden sich aber die Geister. Physik und Chemie werden von Naturwissenschaftlern als viertes und fünftes Abi-Pflichtfach befürwortet, ein historisches und wirtschaftliches Unterrichtsfach dagegen von den rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten angestrebt.

Umfragen dieser Art sind natürlich wertvoll. Irgendwie fragt man sich aber, wieso denn Professoren dazu gezwungen werden, auf einem Fundament zu bauen, von dem sie nichts halten. Autohersteller können ihren Zulieferanten kündigen, wenn die gelieferten Teile nicht brauchbar sind. Professoren müssen dagegen schlucken. Mit einem solchen Vergleich sollen Studenten nicht zu Autoteilen degradiert werden, sondern an etwas angeknüpft werden, was die meisten Deutschen um einiges lieber haben, als ihre Universitäten, nämlich ihre heiligen Autos.

Bei einer solchen Diskrepanz zwischen dem politisch verfügten Abitur und den Erwartungen der Professoren, kann man sich nur die Auflösung unserer Schulbehörden wünschen. Dies bedeutet natürlich nicht, daß die Professoren viel besser liegen als ihre politischen Vorgesetzten. Würden aber solche Entscheidungen ihnen und ihren Kollegen aus der Sekundarstufe überlassen, könnten sie wenigstens aus den eigenen Fehlern lernen. Sie würden zum Beispiel schnell darauf kommen, daß es bei den angehenden Studenten angesichts hoher Abbrecherquoten nicht nur um Grundwissen in drei - beziehungsweise fünf - Fächern geht, sondern um Durchhaltevermögen bei dem, wofür man sich selber entschieden hat. Nicht umsonst legt die Waldorfpädagogik Wert auf das Durchtragen einer vom einzelnen Schüler selbstgewählten Jahresarbeit. Politikern fallen hier höchstens Strafgebühren für Langzeitstudierende ein. Mag sinnvoll sein bei Überschreitung des Tempolimits auf der Straße. Hat aber nichts mit Pädagogik zu tun.