Studiengebühren und Bildungsgutscheine

07.08.2001

Der Fraktionschef der deutschen Liberalen, Wolfgang Gerhardt, hat sich dafür ausgesprochen, einen kostenlosen Besuch des Kindergartens zu ermöglichen. Was schon für die Schule gelte, müsse auch auf den Kindergarten übertragen werden. "Das Aufwachsen eines Kindes ist genauso prägend wie der Schulbesuch", meint Gerhardt. Die Bildungspolitik müsse "aus einem Guß" sein. Allerdings nur bis zum Abitur. Universitäten sollen sich nämlich aussuchen können, ob sie für ihre Studierenden Gebühren erheben. Für Einkommensschwache soll es nach seiner Ansicht Stipendien oder Bildungsgutscheine geben. Unter Bildungsgutscheine werden Gutscheine verstanden, die vom Staat erteilt werden und von den Einzelnen bei Bildungseinrichtungen eingelöst werden.

Man kann sich natürlich fragen, warum überhaupt Studiengebühren, wenn sie doch letztendlich durch den Staat in Form von Stipendien oder Bildungsgutscheinen bezahlt werden. Einkommensstarke Eltern werden beim liberalen Modell zwar unter Umständen tief in die Taschen greifen müssen. Wolfgang Gerhardt geht es aber kaum um diese - eher geringe - Einsparmöglichkeit. Von Bildungsgutscheinen erwartet er viel mehr, nämlich einen stärkeren Wettbewerb zwischen den Universitäten. Andere Liberalen sind da noch konsequenter und fordern Bildungsgutscheine auch für den Schulbesuch. Die Idee dahinter: Die Eltern und nicht die Parteien sollen entscheiden, welche Schularten förderungswürdig sind.

Die Idee ist lobenswert. Nur bleiben die Liberalen eine Partei und dementsprechend hinter der Idee zurück. Schulen gehören für sie zur Wirtschaft und müssen daher, genauso wie die Wirtschaft, dem Prinzip des Wettbewerbs unterliegen. Dies heißt aber: Schulen sollen auf das richtige - liberale - Leben vorbereiten. Freie Schulen verkommen dadurch zur Wahlkampfshilfe für eine Partei, welche die Wirtschaft in ihr Verderben führt. Im richtigen - sozialen - Leben verträgt nämlich die Wirtschaft nicht nur keine Verstaatlichung - das haben die Liberalen schon eingesehen - sondern auch keine Freiheit. Anders gesagt: Schulen gehören nicht zur Wirtschaft und müssen gerade deswegen, anders als die Wirtschaft, dem Prinzip des Wettbewerbs unterliegen. In liberal geschulte Köpfe kommt das nicht herein. Um die anderen Parteien steht es nicht besser. Mit solchen Karikaturen läßt sich keine soziale Dreigliederung machen.

Aber vielleicht würden freie Schulen eine neue Generation bringen, die in komplexen Zusammenhängen denken kann. Liberale Schulpolitik mag auf einer falschen Theorie beruhen. Es könnte aber zu einer Praxis führen, die besser ist als die Theorie. Das deutsche Kaiserreich hat die Schulpflicht vor allem deswegen eingeführt, weil das Militär wegen der maßlosen Kinderarbeit kaum brauchbare Rekruten finden konnte. Durch die Schulpflicht ist aber eine Generation herangezogen worden, die nicht nur lesen und schreiben konnte, sondern ein demokratisches Rechtsbewußtsein ausgebildet hat. Dieser demokratische Sinn hat dann nach dem Ersten Weltkrieg das Kaiserreich weggefegt.

Könnte den Liberalen vielleicht dasselbe passieren? Abgesehen davon, daß die Liberalen für ihre Bildungspolitik bisher kaum Verbundeten gefunden haben, muß man leider sehen, daß sie durch ihre Wirtschaftshörigkeit diese Bildungspolitik selber in Frage stellen. Es gibt keine fanatischeren Anhänger der Reduzierung der Schulzeit auf zwölf Jahre als die Liberalen. Als ob es nicht den Lehrern überlassen werden sollte einzuschätzen, wieviel Zeit Schüler bis zur Hochschulreife brauchen! Sie sollen doch entscheiden, wieviele Jahre gebraucht werden, um von der Realität mehr zu verstehen als unsere bisherigen Parteien. Hier zeigt sich, daß die Liberalen sofort kuschen, sobald Wirtschaftsvertreter irgendwelche Forderungen stellen. Sie wollen die Schulen dem Staat nur wegnehmen, um sie wirtschaftlichen Gesichtspunkten unterzuordnen. Freie Schulen im eigentlichen Sinne wird es daher auch mit den Liberalen nicht geben. Schulfreiheit ist parteilos.

Nachtrag vom 07.09.2001