Gentechnik und soziale Viergliederung

18.03.2001

Die neue Vorsitzende des Bundestags-Menschenrechtsausschusses, Christa Nickels (Grüne), hat die Regierung vor einer Kehrtwende bei der Gentechnik gewarnt. Nickels äußerte sich befremdet, dass der Entwurf für das von den Grünen geforderte Fortpflanzungsmedizingesetz "jetzt erst mal in die Schublade" gelegt werden solle. "Wenn ich mir ansehe, dass der neue Kulturstaatssekretär Nida-Rümelin meint, Embryonen genössen nicht in vollem Maße Menschenwürde, und deshalb gebe es kein kategorisches Argument gegen das Klonen, dann habe ich schon die Sorge, hier könnte ein Kurswechsel eingeleitet werden", sagte Nickels. In diesem "Verdacht" sehe sie sich durch erste Äußerungen von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) bestärkt. Nickels war bis zum Wechsel der Spitze des Gesundheitsressorts von Andrea Fischer zu Schmidt im Januar Parlamentarische Staatssekretärin in diesem Ministerium. Nickels wandte sich erneut mit Nachdruck gegen eine Zulassung der umstrittenen Präimplantationsdiagnostik. Dabei werden künstlich befruchtete Eizellen auf Erbkrankheiten untersucht, um sie im Krankheitsfall bereits vor der Einpflanzung in den Mutterleib vernichten zu können. Die Präimplantationsdiagnostik sei nach dem geltenden Embryonenschutzgesetz nicht möglich, betonte Nickels. "Wenn man die Präimplantationsdiagnostik in Deutschland einführen will, muss man das Gesetz ändern." Für die Gentechnik müssten "dringend umfassende rechtliche Regelungen" gefunden werden, forderte die Grünen-Politikerin. Das von Schmidts Vorgängerin Andrea Fischer (Grüne) vorbereitete Fortpflanzungsmedizingesetz müsse noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden. Der Entwurf Fischers sah einen strikteren Schutz für Embryonen vor.

Nida-Rümelin hat es wieder mal auf den Punkt gebracht. Gentechnische Aspekte des Embryonenrechts sind mit den geltenden Rechtsaspekten des Abtreibungsrechts im Zusammenhang zu sehen, und da genießen Embryonen keine Rechte. Ein Zusammenhang ist besonders dann vorhanden, wenn es um Präimplantationsdiagnostik geht; da möchte Christa Nickels aber keine Selektion erlauben. In Wirklichkeit zielt der Affront gegen die Präimplantationsdiagnostik, gegen das Wesen der künstlichen Befruchtung.

Im Gegensatz zu den USA, wo Abtreibung in weiten Kreisen verpönt und das Klonen besser möglich ist als hier, herrscht in Deutschland, und Europa im allgemeinen, eine embryonenfeindliche Gesetzgebung, die Abtreibungen erlauben und künstlicher Befruchtung und Klonen gegenüber negativ eingestellt ist.

Das positive Recht tut sich schwer mit Fragen der Grenzen der Entwicklung von neuen Lebenskräften, und gerade bei der Zeitgrenze für Abtreibungen zeigt sich, wie willkürlich die Grenze gesetzt ist. Dort, wo Gentechnologie eindeutig die ökologische Sicherheit gefährdet, ist der demokratische Entscheidungsprozeß einigermaßen leicht zu gestalten, aber wenn es um Klonen und Abtreibung geht, braucht die Gesetzgebung eine normative Grundlage, zu der die Parlamentsabgeordneten nicht finden können. Die Vertreter des freien Geisteslebens sind nicht gefragt, einen verschlossenen Kommissionsbeschluß zu produzieren, sondern eine öffentliche Debatte zu gestalten und eine Akklamation durch die Bevölkerung zu bekommen. Ohne ein permanentes zweites "Normparlament" ins Leben zu rufen, wäre auch eine verfassungsgebende Versammlung zu begrüßen, die ethische Grundsätze zu verabschieden hat, aber nur von einer begrenzten zeitlichen Gültigkeit ist. Angesichts der globalen Bedeutung von Gentechnologie etc. wäre es noch besser, solche Entscheidungen auf UN-Ebene zu fällen, wohl aber nicht durch die politischen Vertreter der UN-Mitgliedsstaaten.