Derry Irvine und seine politische Verantwortung

26.02.2001

Der britische Lordkanzler Derry Irvine der als der arroganteste im hochmütigen House of Lords gilt, ist von Seiten der Opposition und sogar aus Reihen seiner eigenen Partei unter heftige Kritik geraten und es werden Forderungen nach seinem Rücktritt vorgebracht.

In Großbritanien geht es diesmal auch um Parteispenden, die zwar nicht schwarz verbucht sind, aber dem ideellen Prinzip der unparteilichkeit der Justiz wiedersprechen. Lordkanzler Irvine schrieb nämlich Anfang des Monats einen Einladungsbrief an Rechtsanwälte und Juristen für ein Nobelrestaurant. Er fügte aber hinzu, jeder Teilnehmer sollte "mindestens" 200 Pfund für die Parteikasse mitbringen.

Der Lordkanzler ist eine Mischung aus Oberstem Richter und Justizminister: Er schiebt die mit ihm zusammen im Oberhaus sitzenden Lordrichter hin und her. Er befördert die Apellationsrichter und macht normale Rechtsanwälte zu "Queens Councillors" an den oberen Gerichten. Er entscheidet über das Schicksal jedes einzelnen Juristen im Land. Sich mit ihm gut zu stellen, fördert die Karriere. Sich mit ihm zu überwerfen, blockiert sie. Dem Lordkanzler kann man also keine Einladung und Spendeaufforderung abschlagen. Die Opposition, und auch Labourmitglieder, wollen nun die Gewaltenteilung zwischen Regierung, Parlament und Justiz einführen, die Befugnisse des Lordkanzlers auf die eines Obersten Richters beschränken und ihm einen Justizminister mit parlementarischer Verantwortung zur Seite stellen.

Es ist ein ehrrühriges Anliegen der englischen Opposition, die politische Unabhängigkeit der Justiz zu sichern, ob aber die Institionalisierung eines Justizministers dies herbeiführen wird, ist zweifelhaft. Der arrogante Lordkanzler und ehemalige Professor Derry Irvine hat sich einmal mit dem Kardinal Wolsey verglichen, einem seiner Amtsvorgänger aus dem 16. Jahrhundert, der so mächtig war, dass er von König Heinrich VIII. abgesetzt wurde.

Man braucht ihn nur anzusehen, mit Perücke und Talar, und diesen Hintergrund vor Augen haben, um ihn sofort voll und ganz zum Geistesleben zu rechnen; genauer gesagt zum halb theokratischen Geistesleben. Dieser Mann ist weniger politisch als ein Justizminister.

In Großbritanien liegt eine andere Gesellschaftsgliederung vor, als in Deutschland: In Deutschland hat man das Gefühl, das geistige Leben steckt so im staatlichen Leben, dass man ihm erst auf die Beine helfen muß, dass es selbständig stehen kann. In Großbritannien hat man das Gefühl, das geistige Leben steht so selbständig da, dass es sich überhaupt nicht um die anderen Glieder kümmert. Dem Geistesleben in Großbritannien muß man gesellschaftliche und politische Aktivität gewähren und das Geistesleben verstärkt einbringen. So wird sich das universitätsgebackene, halbtheokratische Geistesleben in England modernisieren, durch die Verbindung mit den sozialen Impulsen.