Das Ende Jugoslawiens?

06.07.2000

Am 06.07.2000 beschloß die jugoslawische Föderation eine Verfassungsänderung, die eine Stärkung des Präsidentialsystems bedeuten wird. Fortan soll der Präsident nicht von der Republikskammer (Bundesrat) gewählt werden, sondern in Direktwahl vom Volk. Auch die Abgeordneten der Republikskammer sollen in Zukunft direkt gewählt werden und nicht von den Teilrepubliken besetzt werden. Die Verfassungsänderung stößt an harte Kritik von seiten der serbischen Opposition und der Teilrepublik Montenegro. Milosevic wurde im Juli 1997 vom Parlament auf vier Jahre und ohne Recht auf Wiederwahl zum Präsident gewählt. Die Opposition warnt, daß die Türen für seine unbegrenzte Wiederwahl nun offen stehen: Milosevic kann jetzt wieder kandidieren und er steht immer noch hoch in der Gunst der Wähler. Bei einer direkten Präsidentschaftswahl kann er auf die Zustimmung des Volkes bauen und ist nicht von der montenegrinischen Regierung abhängig, die eine "Reformpolitik" verfolgt, und sich Milosevic gegenüber kritisch verhält. Die montenegrinische Regierung stellt sich nun als Milosevic-Gegner und geschmälerte Präsidentenmacher auch deshalb quer zur Verfassungsänderung, weil die Regierungen der Teilrepubliken jetzt nicht länger den Föderalismus Jugoslawiens repräsentieren sollen durch paritätische Besetzung der Republikskammer (Bundesratsmodel). Infolge der Verfassungsänderung soll die Besetzung allein durch direkte Wahlen der Bevölkerung der Teilrepubliken geschehen (Senatsmodel). Die Reaktionen aus Montenegro waren entsprechend resolut: "Die Änderungen, die verfassungswidrig hinter dem Rücken der anderen Teilrepublik verabschiedet wurden, werden Schritte zur Selbstständigkeit Montenegro beschleunigen, denn sie vernichten das Wesen eines Bundesstaates und führen zu einem Staat unter der Alleinherrschaft von Slobodan Milosevic", sagte Miodrag Vukovic, Berater des montenegrinischen Präsidenten Milo Djukanovic.

In einer Dringlichkeitssitzung des Parlaments Montenegros am 08.07.2000 warf der montenegrinische Ministerpräsident Filip Vujanovic in der achtstündigen Parlamentsdebatte, die im Staatsfernsehen übertragen wurde, dem "Belgrader Regime" vor, ein "Großserbien" errichten zu wollen. Das Parlament verabschiedete eine "Resolution zum Schutze Montenegros und seiner Bürger" nach der alle Entscheidungen der Bundesorgane in Belgrad, die ohne die Vertreter der kleineren Teilrepublik gefasst werden, nicht anerkannt werden. Für die Resolution stimmten 36, dagegen die 18 proserbischen Abgeordneten. Die jugoslawische Armee wurde aufgerufen, sich nicht durch einen Einsatz gegen Montenegro und seine Bürger "missbrauchen" zu lassen.

Die Jugoslawiensezession Teil IV. spielt sich wieder nach gewöhnlichem Muster ab. Während Milosevic versucht, föderale Strukturen abzubauen um ein starkes Präsidentialsystem zu etablieren, steuert die Teilrepublik Montenegro gegen, und wirft ihm als Hüter der Föderalismusrechte vor, ein Großserbien errichten zu wollen. Eine Föderation war für Montenegros Regierung solange erträglich, als sie faktisches Vetorecht im Bund besaß, durch die Besetzung von 1/2 der Sitze in der Republikskammer. Die montenegrinische Regierung hat sich in den letzten Jahren durch ein "westliches", ökonomisches und "demokratisches" Reformprogramm gezielt in einen Gegensatz zu Milosevic gebracht, um sich den zentralistischen Kräften in Belgrad zu entziehen. Obwohl nun Milosevic allein für die Desintegration hinhalten muß, bemüht sich der Regierungssprecher Miodrag Vukovic nicht, Montenegros Streben nach Unabhängigkeit zu verbergen, indem er sagt, daß die Selbständigkeit Montenegros nun bloß beschleunigt würde.

Weil es schwer ist, den Montenegrinern klar zu machen, daß sie sich kulturell von den Serben unterscheiden und deshalb die Unabhängigkeit suchen müssen, hat die bewußte Abgrenzung Montenegros gegenüber Serbien auf der ökonomischen und "demokratischen" Schiene stattgefunden. Als Jugoslawiens Meeresverbindung hat Montenegro sein ökonomisches Potential ausgenutzt und sich als "demokratische" Republik durch Abstandnahme zu Serbien von NATO-Bomben freigehalten. Die ökonomische Prosperität beflügelt die Unabhängigkeitsträume, wie 9 Jahre zuvor in Slowenien und Kroatien, aber die Sezession wird im Namen der Demokratie geführt.

Schwer ist es für uns nun zu erkennen, wer wahre Helden und wahre Demokraten sind.

Sind es die "Guten", wie der Oppositionsführer in Serbien, Vuk Draskovic, der ehrliche Nationalist mit mystischen Volksvisionen. Vuk Draskovic, der geistige Geburtshelfer für Milosevics rein machtpolitisch-motivierten Nationalismus, oder die demokratische montenegrinische Regierung, die ein Konzept von föderaler Demokratie hat, das nicht auf dem Prinzip des Volkswillen, sondern auf Balance of Powers baut, wo die Mehrheit in einer kleinen Republik mit realem Vetorecht über eine Bundesrepublik mit fast 20 Mal so vielen Bürgern ohne ökonomischen Ausgleich regiert?

Und was ist mit dem bösen Milosevic? Kann man zulassen, daß er Direktwahlen einführt, und womöglich in einer demokratischen Wahl wiedergewählt wird?

Es ist geistige Aufräumungsarbeit für Politiker, Politologen und Journalisten angesagt. Dies wird besonders deutlich in der chaotischen Vermengung von politischen und ökonomischen Interessen in der Frage nach einem fragwürdigen, kulturell begründeten Föderalismus.