Lebendigkeit von Steiners Ideen unter Beweis gestellt

10.04.2006

Frankfurter Anthroposophen feierten 100jähriges Bestehen ihres Zweiges mit Veranstaltungen zu wichtigen Gegenwartsfragen

Von NNA-Korrespondent Ernst-Ullrich Schultz

FRANKFURT (NNA). Der Beitrag der Anthroposophie zur Zukunftsgestaltung unserer Gesellschaft stand im Mittelpunkt eines Festprogramms, mit dem die Anthroposophische Gesellschaft in Frankfurt Anfang April ihr hundertjähriges Bestehen feierte.

Zwölf Menschen hatten sich im Jahre 1906 zur Gründung der damals so genannten Theosophischen Gesellschaft in Frankfurt getroffen. Dieses historische Datum wurde jedoch nicht zum Anlass für einen feierlichen Festakt genommen, sondern den Organisatoren ging es offensichtlich um aktuelle gesellschaftliche Zeitfragen – Waldorfpädagogik, Fragen zur Alterskultur, sowie über die Zukunft der Arbeit. Götz Werner und Benediktus Hardorp stellten die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens in der Frankfurter Waldorfschule zur Diskussion.

Der Festtag am 1.April begann mit einer öffentlichen Monatsfeier in der Waldorfschule, die einen Eindruck von der Lebendigkeit der Ideen Steiners in der Pädagogik verschaffen sollte. Danach lud das Ajar-Textor-Goethe-Haus zu einer Vortragsreihe über sinnerfülltes Alter ein. Claudia Mahs und Dietrich Kumrow vom Institut für Alterskultur an der Universität Paderborn referierten über das Lebensgefühl alter Menschen und welchen Stellenwert dieser Themenkreis heutzutage hat. Dass die Zahl der alten Menschen wachsen wird, ist eine Herausforderung an unsere Gesellschaft.

Besonders beeindruckend war der Beitrag von Claudia Mahs, sie befragte alte Menschen zwischen 75 und 100 Jahren nach ihrer Biografie und ihrem Lebensgefühl. Sie wählte dabei Menschen aus, die in ihrem Altersheim als besonders glückliche Menschen bekannt waren. Die Lebensbilder, aus denen Claudia Mahs stellenweise zitierte, bezeugten eindrücklich die Ähnlichkeiten in der Biografie und in der Einstellung zum Leben dieser Menschen. So berichteten alle befragten Personen von einer glücklichen Kindheit von einem festen halt in Familie und Freundeskreis und davon, dass sie eine vertrauensvolle Zuwendung von Menschen erlebt hatten. Alle befragten alten Menschen waren tief religiös, hatten ein positives Menschenbild und keiner hatte Angst vor dem Sterben.

Nach der Vortragsveranstaltung konnten die Besucher das Ajar-Textor-Goethe-Haus besichtigen und die unterschiedlichen Wohnformen, den Service, die Therapie- und die Kulturangebote, die alle unter einem Dach integriert sind, kennen lernen.

Am Nachmittag dann als Höhepunkt die Festveranstaltung mit Götz Werner, Chef der dm-Firmengruppe und Benediktus Hardorp, Steuerfachmann und Wirtschaftsberater. Die Initiative von Götz Werner, die in der breiten Öffentlichkeit in Deutschland inzwischen Furore gemacht hat, sorgte auch in Frankfurt trotz des hohen Eintrittspreises für einen vollen Saal der Frankfurter Waldorfschule.

Zwei unterschiedliche Arbeitsbegriffe stellte Götz Werner in seinem Referat vor. Zum einen erläuterte er die von der industriellen Revolution geprägte Arbeit, bei der es um Produktivität, Rationalität und um abhängige Beschäftigungsverhältnisse geht. Diese Form der Arbeit wird in Zukunft zurückgehen, so seine These. Die zweite Form, auch soziale Arbeit genannt, beruht auf freiwilliger Initiative, hier geht es um menschliche Zuwendung, diese kann nicht automatisiert und darf nicht rationalisiert werden. Ein Lehrer soll Menschen ausbilden, er produziert nichts, was messbar ist. Für diese neue Arbeit müsse eine andere Form des sozialen Miteinanders gefunden werden. Der archimedische Punkt dazu, so Werner, sei das bedingungslose Grundeinkommen für alle Menschen.

Götz Werner kritisierte in seiner Rede die heutige Politik heftig und nannte das neue Arbeitslosengeld Hartz IV einen Skandal, die Durchführung dieser Gesetze verglich er mit einem offenen Strafvollzug. Nur ein auf Freiwilligkeit beruhendes Wirtschaftssystem werde auf Dauer dem Wohlergehen der Menschen dienen. Werner bezeichnete unsere Zeit als Zeitalter der Fremdversorgung, das Bewusstsein hinke dem jedoch hinterher, meist werde noch in den Kategorien der Selbstversorgung gedacht. Dank der Überproduktion seien wir in der Lage, auch in Zukunft alle Menschen mit Gütern zu versorgen. Trotzdem glaubten viele Menschen, so eine von Götz Werners provozierenden Thesen, unsere Rente sei nicht sicher, und wir müssten für das Alter genügend Spargroschen zurücklegen.

Benediktus Hardorp stellte im zweiten Teil der Veranstaltung sein revolutionäres Steuermodell vor, die Abschaffung aller Lohn-, Einkommens- und Unternehmenssteuern zugunsten einer einzigen, der Konsumsteuer. Alle Steuern, die in einem Unternehmen anfallen, werden letztendlich immer auf die Verbraucherpreise aufgeschlagen. Deshalb sei es ehrlicher und auch effektiver, so Hardorps These, ausschließlich Konsumsteuer für den gemeinschaftlichen Bereich und für die staatlichen Aufgaben zu erheben. Das bisherige Steuersystem hemme die Initiativkraft des Einzelnen, bestrafe Arbeit und behinderte Innovationen. Außerdem würden die Steuern in dem Land bezahlt, wo sie verwendet werden. Produkte, die exportiert werden, seien mit unseren Sozialkosten belastet, was gegenüber Entwicklungsländern ungerecht sei. Importwaren dagegen würden heutzutage viel zu billig verkauft.

Auch Benediktus Hardorp plädierte für ein bedingungsloses Grundeinkommen, dessen grundsätzliche Ansätze sich schon im Nationalökonomischen Kurs von Rudolf Steiner und im sozialen Hauptgesetz finden lassen. Dieses Gesetz, das vor hundert Jahren von Steiner formuliert wurde, sei oft als moralisches Prinzip missverstanden worden. Es müsse jedoch wie ein physikalisches Gesetz gelten, mahnte Benediktus Hardorp. Das Heil aller Menschen im Wirtschaftprozess vergrößere sich, je weniger der einzelne Mensch die Erträgnisse seiner Leistungen für sich beanspruche und je mehr er von diesen Erträgnissen abgebe. Das bedeute im Umkehrschluss, je egoistischer gewirtschaftet werde, umso mehr Unheil entstehe in der Gesellschaft.

Im Schlusspodium standen Fragen aus dem Publikum im Vordergrund, insbesondere zur Finanzierung des Grundeinkommens. Schließlich forderte Benediktus Hardorp die Anwesenden dazu auf, sich für eine andere Welt zu engagieren. Es seien die jetzigen Menschen, die sie so geschaffen hätten, wie sie ist und an ihnen liege es auch, sie zu verändern. Beide Vortragenden plädierten nicht für kurzfristige Veränderungen oder etwa die Gründung einer Partei, sondern ihnen geht es um eine langfristige gesellschaftliche Perspektive, die von der demokratischen Mehrheit gewollt wird. Götz Werner mahnte die Anhänger dieser Ideen, sich weder dafür nur zu begeistern noch gleich neue Dogmen aufzustellen, sondern – ganz im Sinne der Philosophie der Freiheit – sich denkend diesen neuen Ideen entgegenzustellen.

Die rege Diskussion zu diesem Thema in der Pause und nach der Veranstaltung bestätigte, was Götz Werner gleich zu Beginn der Veranstaltung meinte, das Thema Grundeinkommen sei „in“ und er wünschte sich, dass es keine kurze Modeerscheinung bleibe.

Quelle: NNA