Ulrich Wickert und die intoleranten Denkstrukturen

04.10.2001

Tagesthemen-Moderator Ulrich Wickert hat mit kritischen Äußerungen, in der Illustrierten "Max" zu den Ursachen der Terroranschläge in den USA, bundesweit heftigen Wirbel verursacht. Der Artikel trägt die Überschrift "Was haben George W. Bush und Osama Bin Laden gemeinsam?" Intolerante Denkstrukturen, meint der Tagesthemen-Moderator.

Ulrich Wickert wirft Bush und Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi darin vor, gleichermaßen "intolerant" wie der saudische Top-Terrorist zu sein, dem die USA die Urheberschaft der Anschläge von New York und Washington zurechnen. Berlusconi hatte im Vergleich zum Islam von der "Überlegenheit" der westlichen Welt gesprochen. Davon hätten sich die europäischen Staats- und Regierungschefs nicht ausreichend distanziert, beklagte Ulrich Wickert. Nach Ansicht des Moderators hat der Westen die "tiefere Ursache für die Terroranschläge, die von Intellektuellen und nicht von Unterprivilegierten begangen wurden, anscheinend noch nicht verstanden". Die Angriffe hätten nicht auf die ethischen Werte des Westens gezielt, "sondern auf dessen Überheblichkeit und Materialismus", schrieb er. Dabei zitierte der Moderator die indische Schriftstellerin Arundhati Roy mit den Worten: "Osama bin Laden ist das amerikanische Familiengeheimnis, der dunkle Doppelgänger des amerikanischen Präsidenten." Mit eigenen Worten fuhr der TV-Mann fort: "Bush ist kein Mörder und Terrorist. Aber die Denkstrukturen sind die gleichen."

Nach der öffentlichen Kritik an diesen Äußerungen erklärte der 58-jährige Ulrich Wickert, er habe nicht seine eigene Meinung geäußert, sondern lediglich einen Satz der indischen Autorin aus der "Frankfurter Allgemeinen" interpretiert. "Der Präsident der vereinigten Staaten George Bush ist nicht vergleichbar mit dem Terroristen Osama bin Laden", heißt es in einer der "WELT" vorliegenden Erklärung von Ulrich Wickert. "Hiermit stelle ich noch einmal ganz eindeutig fest: Ich vergleiche den Führer der freien Welt nicht mit dem Drahtzieher des internationalen Terrorismus." Die Union reagierte mit scharfem Protest auf Wickerts Artikel. CDU-Chefin Angela Merkel sagte der "Bild"-Zeitung, ein Vergleich Bushs mit Bin Laden könne nicht ohne Konsequenzen bleiben. Sollten die Äußerungen Wickerts zutreffen, "dann ist er absolut nicht mehr tragbar als Nachrichtenmoderator im öffentlich-rechtlichen Fernsehen". Der CDU-Abgeordnete Friedbert Pflüger forderte von Wickert eine Entschuldigung. Ansonsten "hat er auf dem Bildschirm nichts mehr zu suchen", sagte auch Pflüger der "Bild"-Zeitung. Außerdem müsse sich der NDR-Rundfunkrat mit den Äußerungen befassen. Der Leiter der bayerischen Staatskanzlei, Erwin Huber (CSU), forderte in "Focus" die ARD und den für die "Tagesthemen" zuständigen NDR auf, Ulrich Wickert vom Bildschirm zu nehmen, da er nicht mehr glaubwürdig über Maßnahmen der USA gegen Terrorismus berichten könne.

Wie ist es mit der Presse und Meinungsfreiheit in Deutschland bestellt?

Jeglicher kritischer Journalismus ist unerwünscht und durch die staatliche Kontrolle im Rundfunkrat unterbunden. Herr Pflüger und Herr Huber brauchen nicht so zu tun, als ob es allein Sache des Rundfunkrates ist, unpolitisch über Ulrich Wickerts Äußerungen zu entscheiden. Der Rundfunkrat ist zu 100% Ländersache, und wären die "Tagesthemen" beim Bayrischen Rundfunk angesiedelt, würde Erwin Huber Ulrich Wickerts Kopf auf einem Silbertablett serviert bekommen können.

Ulrich Wickert weiß, wie es damit bestellt ist, und kuscht.

Für die rechte Presse war Ulrich Wickert schon lange das "Enfant Terrible", jetzt aber kann "die Welt" triumphieren: "Wickerts Wirklichkeitsverlust eskaliert offenbar (hier wird Bezug genommen zu der in der "WELT" breitgetretenen Hascherfahrung Wickerts vor 30 Jahren) - und provoziert zu Recht die Forderung nach dienstaufsichtlichen Maßnahmen".

Ulrich Wickert beugt sich dem Druck und demontiert sich selbst als eine dringend gebrauchte kritisch-intellektuelle Stimme, die die strukturelle Gewalt des amerikanischen Präsidenten mit dem Terrorismus vergleicht.

Es muß möglich sein, die strukturelle Gewalt anzuprangern, sowohl die in New York, als auch die von Washington ausgehende. Nicht das amerikanische Volk ist auf der Anklagebank (es sollte der Ankläger sein), sondern die machtpolitische Logik der US-Präsidialsystems, das über Leichen geht.

Nicht erst der 11.09.2001 bedrohte die freie, offene Gesellschaft, sondern schon immer die Politiker und die rechte Presse, weil die "Führer" der "freien und offenen westlichen Zivilisation" die intellektuellen-aufklärerischen Zivilisationsvertreter, wie Ulrich Wickert und Arundhati Roy, wegen ihres Freidenkertums verurteilen und kontrollieren.