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Erika Steinbach und der Bund der Vertriebenen
Flucht und Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg müssen nach Auffassung des deutschen Bundes der Vertriebenen in die Lehrpläne der Schulen aufgenommen werden. Mit Ausnahme einiger Unions-geführter Länder wird dieses Thema im Schulunterricht nicht behandelt, kritisiert die Verbandsvorsitzende und CDU-Bundestagsabgeordnete, Erika Steinbach. Der Bund der Vertriebenen hat sich deshalb mit der Vorsitzenden der Kultusministerkonferenz in Verbindung gesetzt.
Erika Steinbach hält es für falsch, die 15 Millionen Vertriebenen aus Ostdeutschland, Polen, der Tschechoslowakei und ganz Südosteuropa allein als Opfer Hitlers zu bezeichnen. Die Vertreibungen seien von langer Hand systematisch vorbereitet worden, um sich ethnischer Minderheiten zu entledigen. Sie seien daher keine naturgesetzliche Folge des Krieges und der NS-Besatzungsherrschaft gewesen. Sie seien dadurch zwar ermöglicht, aber keineswegs zwingend verursacht worden.
Von den Halbwahrheiten zu den berechtigten Fragen
Es spricht einiges für diese historische These von Erika Steinbach. Mitteleuropäische Länder wie Polen waren vor dem zweiten Weltkrieg in der Tat Vorreiter bei der Unterdrückung von Minderheiten. Ihre vorläufige Duldung verdankten die Minderheiten Woodrow Wilson. Da sich aber dieser - getäuscht durch seine amerikanische Erfahrung - nicht vorstellen konnte, daß sich die kulturellen Minderheiten in Mitteleuropa erhalten würden, wurde diese Duldung auf 15 Jahre befristet und von Polen gleich nach Ablauf dieser Frist gekündigt. Ähnliches läßt sich in den Nachbarstaaten in den folgenden Jahren beobachten.
Wäre es nicht auch ohne deutsche Besatzung in diesen Ländern zu einer dem Nationalsozialismus ähnlichen Übersteigerung des Nationalismus gekommen? Diese Frage ist berechtigt, wenn man nicht damit versucht, irgendwelche Verantwortung abzuwälzen, sondern nur darauf aus ist, die Wurzeln des Nationalismus zu erkennen und zu beseitigen. Ob Erika Steinbach diese Voraussetzung erfüllt, ist mehr als zweifelhaft.
Von den deutschen Grenzen zu den Grenzen der Politik
Eine der Wurzel des Nationalismus liegt in der Überzeugung, daß sich kulturelle Minderheiten assimilieren müssen. Dieses Staatsverständnis hat das 20. Jahrhundert vergiftet und ist heute immer noch mehrheitsfähig. Solange dieses Mißverständnis nicht überwunden wird, ist die Gefahr einer Eskalation nocht nicht gebannt.
Würde sich Erika Steinbach darauf beschränken zu sagen, daß die Vertreibungen der Deutschen mit dieser Logik nicht gebrochen hat, könnte ihr Recht gegeben werden. Es wurden damals viele Nationalisten vertrieben, der Nationalismus ist aber geblieben. Da es aber Erika Steinbach nur um ihre eigene Minderheit geht, wird sie selber Teil des Problems. Sie zeigt keinen Ausweg aus der Haßspirale, sondern läßt sie ihren naturgesetzlichen Lauf weiter gehen.
Dem Bund der Vertriebenen kann man zugute halten, daß er relativ früh die Nachkriegsgrenzen anerkannt hat. Das Problem von Erika Steinbach ist, daß sie zwar die deutschen Grenzen, aber nicht die Grenzen der Politik anerkannt hat. Sie hält es für selbstverständlich, daß Politiker den Lehrern zu sagen haben, was sie zu sagen haben, nur weil sie jetzt gerade eine Mehrheit haben. Sie fordert Respekt für die damalige deutsche Minderheit, kennt aber keinen Respekt vor pädagogischen Minderheiten. Dabei ist gerade die Gleichschaltung der Pädagogen das Haupthindernis für einen Frieden zwischen den Kulturen.
Wenn Erika Steinbach das Thema Vertreibung im Schulunterricht wichtig erscheint, warum wird sie dann nicht Geschichtslehrerin? Warum setzt sie sich nicht mit den Geschichtslehrern, sondern mit der Kultusministerkonferenz in Verbindung? Hält sie ihre Argumente für so schwach, daß sie nur durch Dekrete zur Geltung kommen können?
Erika Steinbach sollte lieber kritisieren, daß die Vertreibung der Deutschen für politische Zwecke mißbraucht wird, sei es von den christlichen Parteien als Anlaß zum Selbstmitleid oder von der sozialistischen Partei als Abschreckung vor dem Nationalsozialismus. Sie müßte sich dafür einsetzen, daß das Schicksal der Vertriebenen nicht mehr auf diese Weise instrumentalisiert wird. Dann hätte ihr Verband eine Daseinsberechtigung. Bis dahin zeigt dieser deutsche Bund der Vertriebenen nur, daß das Ausland an ihnen nichts verloren hat.