Schengen oder der Tag der geschlossenen Tür

25.03.2001

Alle fünf nordeuropäischen Länder haben heute die Grenzkontrollen für Bürger aus EU-Ländern abgeschafft. Durch den Beitritt von Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden zum Schengen-Abkommen haben Reisende aus den Unionsländern nun freie Fahrt von Spanien bis nach Norwegen. Gleichzeitig werden in Nordeuropa aber auch die Kontrollen bei der Einreise aus angrenzenden Ländern wie Polen und Russland deutlich verschärft.

Angehörige der dänischen Minderheit im deutschen Südschleswig und der deutschen Minderheit im dänischen Nordschleswig teilten heute Blumen im Grenzgebiet aus. Mit der dänischen Mehrheit scheint es aber etwas anders auszusehen. Der Kopenhagener Justizminister Frank Jensen hat es abgelehnt, zusammen mit dem deutschen Bundesinnenminister Otto Schily das Ende der gegenseitigen Grenzkontrollen an der Grenze zu feiern. Wenn schon symbolische Gesten, dann lieber solche, die sich im dänischem Wahlkampf rechnen können. Es gilt der Sorge vor verstärkten Grenzübertritten Krimineller - oder was für viele Dänen fast dasselbe ist - illegal einreisender Asylbewerber entgegenzukommen. Jensen besuchte daher mit Medienbegleitung den Kopenhagener Hafen, um sich die durch Schengen deutlich verschärften Grenzkontrollen für Fähren-Passagiere aus Polen vorführen zu lassen.

Schily blieb nichts anderes übrig, als mit einem Land den Wegfall der Grenzen zu feiern, das mit Deutschland nicht einmal eine gemeinsame Grenze hat, nämlich Schweden. Bei der gemeinsamen Feier sagte er dann, daß das Schengen-Abkommen für alle Reisenden, ob Unionsbürger oder Angehörige von Drittstaaten, einen enormen Gewinn an Freizügigkeit bedeutet. Es mag für Amerikaner stimmen, denen Grenzkontrollen alle Paar hundert Kilometer ziemlich fremd sind. Unerwünschte Polen und Russen werden sich aber fragen, was Schily mit seiner Freizügigkeit gemeint haben könnte.

Sieht man von dem diplomatischen Zwischenfall ab, stehen sich Jensen und Schily eigentlich sehr nah. Wo Schily meint "Das Boot ist voll", heißt es bei Jensen "Die Fähre ist voll". Wo die Instinkte über ihre Landesgenossen herrschen, herrschen beide lieber mit, statt ihren Widerspruch zu erheben. Als Politiker geht man halt nicht so gern in die Opposition.

Dasselbe läßt sich bei einem Europapolitiker - dem EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi - beobachten. Vom deutschen Bundeskanzler mußte er sich in letzter Zeit immer wieder den Wunsch anhören, den westeuropäischen Arbeitsmarkt nach einer Osterweiterung der EU für Osteuropäer noch über Jahre zu sperren. Gerhard Schröder will damit nach eigenen Angaben Lohndumping durch Billigarbeiter verhindern. Als ob Lohnfragen Aufgabe der Politiker sein könnten. Es dürfte Schröder vor allem darum gehen, möglichst viele Billigstimmen für seine Wiederwahl zu gewinnen. Statt diesen Versuch anzuprangern, hat Prodi am 21.03.2001 mit den Worten eingelenkt: "Wenn die öffentliche Meinung in Deutschland und Österreich dieses Anliegen hat, muß man darauf eingehen." Diese Art öffentlicher Meinung braucht aber Leute, die ihr offen die Meinung sagen.