BSE-Krise und das Diktat des Politischen

22.01.2001

Zwischen der rot-grünen Regierung Deutschlands und der bislang mächtigen Agrar-Lobby bahnt sich eine Zerreißprobe um die künftige Landwirtschaftspolitik an.

Die Zeiten, in denen das meist von überzeugten Landwirten geführte Ministerium zu sehr Klientel-Politik betrieben habe, sollen vorüber sein. Über Jahrzehnte verstand es die vom Bauernverband geführte Agrar-Lobby, das Ministerium als Interessenverwalter zu nutzen. Das Wehklagen des DBV über Nachteile gehörte zum politischen Geschäft in der Bundesrepublik. Um die Versorgung der Bevölkerung geht es längst nicht mehr allein, sondern um Absatz und Marktanteile, die wiederum mit kostspieliger Mengensteuerung, zu Lasten der Steuerzahler, reguliert werden mussten.

Bundeskanzler Gerhard Schröder sagte am Mittwoch in Berlin, es sei "höchste Zeit" umzusteuern. Dies habe "von der Ladentheke auszugehen". Die Landwirte müssten produzieren, was an gesunden Nahrungsmitteln verlangt werde, und nicht, was sie verkaufen wollten. Die Regierung wirft dem Deutschen Bauernverband (DBV) vor, für eine unsichere Nahrungsmittel-Erzeugung mitverantwortlich zu sein, und Schröder wies den DBV offen in die Schranken: "Das Geschrei von Verbandsfunktionären ist nicht mein Problem." Mit der Umorientierung der Landwirtschaft werde auch weniger Einfluss der herkömmlichen Landwirtschaft und des Bauernverbandes verbunden sein. Er setze auf "redliche Landwirte", die "ordnungsgemäß" produzieren. Die grundsätzliche Kritik will der Bauernpräsident Gerd Sonnleitner für sich und seine Landwirte nicht akzeptieren. Er drehte den Spieß um, und forderte u.a. schärfere staatliche Qualitätskontrollen bei der Nahrungsmittel- und Futtermittelherstellung. "Hier haben wir uns in falscher Sicherheit gewogen." Sonnleitner warnte weiter vor gegenseitigen Schuldzuweisungen, und der rot-grünen Bundesregierung warf Sonnleitner vor, die Belange der deutschen Bauern international und bei der Europäischen Union nicht ausreichend zu verteidigen.

Ab jetzt soll im Landwirtschaftsministerium Verbraucherschutz groß geschrieben werden. Die gleichsam Landwirtschafts- und Verbraucherschutzministerin Renate Künast erhält die Zuständigkeit für das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) und wird federführend für den Einsatz der Gentechnik in der Landwirtschaft. Damit werden innerhalb der Bundesregierung die Zuständigkeiten für den Verbraucherschutz neu geregelt und weitgehend dem neu gebildeten Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft zugeordnet. Das von Künast geleitete Ministerium erhält demnach neben den Kompetenzen des früheren Landwirtschaftsministeriums zusätzlich aus dem Geschäftsbereich des Gesundheitsministeriums die Zuständigkeiten für Verbraucherschutz und Veterinärmedizin. Dazu kommt aus dem Geschäftsbereich des Wirtschaftsministeriums die Zuständigkeit für Verbraucherpolitik einschließlich der Zuwendungen an die Stiftung Warentest. Die Zuständigkeit für die sog. rote Gentechnik, also den Einsatz der Gentechnik in der Medizin, verbleibt beim Gesundheitsministerium.

Der Regierung ist mit dem BSE-Skandal ein politischer Coup gelungen. Sie haben die bisherige "Mitregenten" aus der Wirtschaft ausgeschaltet, und es herrscht jetzt das Diktat des Politischen. Desweiteren ist die Politik expandiert und umfaßt auch die Wahrnehmung der unmittelbaren Verbraucherinteressen.

Verbraucherinteressen müssen auch dann vertreten werden, wenn sie nicht die Mehrheit darstellen. Die Regierung muß einsehen, dass das Problem schon damit anfängt, dass die Käufer von ökologischen Produkten, die die Regierung fördern möchte, in der Minderheit sind. Verbraucherinteressen sind nicht Mehrheitskonsensfähig, sondern brauchen viele Nischen und unterschiedliche Rücksichtsnahmen, die keine Demokratie, sondern nur Assoziationen wahrnehmen können. Aber an Assoziationen ist nicht zu denken, wenn sich die Regierung als Repräsentant von Verbrauchern aufdrängt, und gleichzeitig verhindern will, dass sich die Produzenten organisieren, und ihre Interessen artikulieren und vertreten. Ein Landwirtschafts-Verbraucher-Ministerium ist eine interessante Schöpfung, sie hat aber nur Daseinsberechtigung, wenn sich das Ministerium und Frau Künast als Vermittlerin in die Verhandlungen zwischen organisierten Produzenten- und Verbraucherverbänden verstehen.