Akin Birdal und der Völkermord an den Armeniern

24.10.2000

Die türkische Justiz ermittelt nun erneut gegen Akin Birdal, den prominentesten Menschenrechtler des Landes. Birdal soll bei einer Veranstaltung eine Entschuldigung der Türkei für den Völkermord an den Armeniern gefordert haben. Die Staatsanwaltschaft am Istanbuler Staatssicherheitsgericht sieht durch diese Forderung den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt.

Birdal ist erst vor genau einem Monat nach einer einjährigen Haftstrafe aus dem Gefängnis entlassen worden. Damals ist Birdal ebenfalls wegen Volksverhetzung verurteilt worden: Er hatte in einer Rede öffentlich ein Ende des Kurdenkonflikts verlangt und damit nach Auffassung des Gerichts eine rassische Unterscheidung zwischen verschiedenen Gruppen türkischer Staatsbürger getroffen.

Die Frage, wer für den Tod mehrerer hunderttausend Armenier im Osten der Türkei im Ersten Weltkrieg verantwortlich ist, bleibt noch heute in der Türkei ein sensibles Thema. Armenien spricht von einem gezielten Völkermord, Ankara vertritt dagegen den Standpunkt, daß es sich um eine Tragödie in Kriegszeiten handelt.

Will man die Auffassung des Gerichts wenigstens nachvollziehen können, dann muß man wissen, daß die türkische Nation streng über die gemeinsame Staatsbürgerschaft definiert wird. Dies ist an sich kein Problem, sondern wird es erst, wenn jeder Unterschied der Religion, der Sprache, oder allgemeiner der Kultur, für eine Bedrohung gehalten wird. Wer wie Birdal solche kulturelle Unterschiede respektieren will, ohne deswegen neue Staaten zu gründen, wird dann zum Rassisten und Separatisten abgestempelt und hier sogar eingesperrt.

Was Birdal so glaubwürdig macht, ist sein freier Geist. Wenn er von einem Völkermord an den Armeniern spricht, dann zeigt er, daß er sich nicht so weit mit der Türkei identifiziert, daß er sie über die Wahrheit stellen würde. In diesem Sinne ist er kein Nationalist, sondern ist bereit allein zu stehen. Solche unbequeme Individuen braucht jeder Staat, um ihn in seine Schranken zu weisen.