Freiheit! Aber wie nun?

01.03.2014

Vom Freiheitsstreben zwischen Verführung und Zwang

«Öffentliche Erziehung scheint mir ganz außerhalb der Schranken zu liegen, in welchen der Staat seine Wirksamkeit entfalten muss.»
Wilhelm von Humboldt, in: Ideen zu einem Versuch die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen

Ein Kommentar

Letzten September ging eine Erschütterung durch die «freie» Schullandschaft Berlins. Angesichts einer täglichen(!) Schuldzinslast von ca. 5,5 Millionen Euro im Berliner Landeshausalt, hatte die «Bildungs»senatorin Sandra Scheeres (SPD) aufgrund der Sparvorgaben des CDU Finanzsenators, eine geplante Gesetzesänderung vorgestellt. Der zufolge hätten zukünftig neue Schulgründungen auch von bewährten Trägern drei bis fünf Jahre ohne Anschubfinanzierung auskommen müssen. Ihre Begründung: In Berlin gäbe es inzwischen «genügend» freie Schulen. Auch wenn dieser Kürzungsversuch bald wieder vom Tisch war, ist der Vorgang insofern interessant, als dass die wiederum erfolgreiche vom «Omnibus für direkte Demokratie» ausgehende Volksinitiative «Schule in Freiheit» nun zum zweiten Mal vor dem Abgeordnetenhaus u.a. die gleichberechtigte steuerliche Vollfinanzierung von Schulen in freier Trägerschaft fordern wird. Die Begründung: Schulen in freier Trägerschaft erfüllten eine öffentliche Aufgabe, müssten schulgeldfrei zugänglich sein und dürften nicht Reichen vorbehalten bleiben.

Eine Senatorin die staatlich dekretiert, wann es ausreichend zivilgesellschaftliches Engagement gibt und eine Zivilgesellschaft, die von allen guten Geistern verlassen mehr Geld von Deutschlands Schuldenhauptstadt fordert (mal «Welthauptstadt der Schulden» bei Google eingeben! Erster Treffer?). Na danke!

Wirkliche Freiheit ist mit Steuergeldern und Schulpflicht nicht realisierbar

Da hier nicht der Raum ist, die deutsche Schulpflicht etwas ausführlicher zu betrachten, sei nur in Kürze bemerkt, dass sie sich auf das Reichsschulgesetz von 1938 gründet[1]. Den dadurch mit Sanktionen bewehrten Schulanwesenheitszwang gibt es deshalb in den meisten anderen europäischen Staaten nicht[2]. Hätten die Verteidiger des Status Quo Recht, müsste z.B. in Österreich oder Frankreich schon lange das Chaos ausgebrochen sein. Dass es Freiheit (selbstverständlich im Rahmen des Rechts) unter solchen Zwangsbedingungen nicht geben kann, ist eine Selbstverständlichkeit. Nun wird uns aber dieses vormundschaftliche System, wiederum im Vergleich zu den allermeisten Staaten, mit der bereits relativ guten finanziellen Ausstattung der Schulen in freier Trägerschaft versüßt. Denn für diese gibt es fast überall sonst - gar nichts. Wir haben es also mit dem Phänomen Zuckerbrot und Peitsche zu tun. Oder auch mit dem des Sogs und des Drucks. Dadurch ist das deutsche Schulsystem in doppelter Weise stärker auf den Staat bezogen, als anderswo. Dass dies notwendig sei, wird auf der einen Seite damit begründet, dass hierzulande besonders Kinder «bildungsferner» Schichten ihrem sozialen Milieu entzogen werden müssten, um «sozialisiert», «integriert» und zu «verantwortlichen Staatsbürgern» erzogen zu werden. Auf der anderen Seite wird seit Adam Smith propagiert, der Einzelne sei nun mal ein Egoist und könne und solle dies sogar zum Wohle aller in der Wirtschaft auch sein. Damit die schrägen Schlüsse aus diesen Halbwahrheiten in der Breite akzeptiert bleiben, läuft eine beständige Propaganda des guten gerechten «weltanschauungsfreien» Staates gegen die böse meist durch Religion verirrte Parallelgesellschaft und durch Gier verblendete egoistische Wirtschaft. Damit begründet der Staat die Notwendigkeit vom «Kultur»- und «Wirtschafts»politik. Dereinst entstand in Deutschland daraus im Wirtschaftlichen die «soziale Marktwirtschaft», die nun aber bei bestem Willen in Zeiten der sich globalisierenden Wirtschaft nicht mehr aufrecht zu erhalten ist und zur weltweiten Explosion der Staatsverschuldung geführt hat. Gilt heute womöglich das Gleiche für das staatliche Bildungssystem?

Die Kraft des Individuums unter krankmachenden Bedingungen

Individuell schafft uns so ein krankes System die pathologische Tendenz einer idealistischen Willenslähmung und staatsideologischen (auch falsch verstandene direktdemokratische) Überheblichkeit gegenüber dem Individuum. Oder auch die Tendenz des nur egoistischen Willens und eines im Sozialen nur abstrakten Gerechtigkeitsdenkens und somit einen Kreislauf selbstreferentieller Begründung. Oder einfacher gesagt: Dieses System schafft unablässig den Menschentyp, mit Hilfe dessen es sich rechtfertigt. Die Initiatoren von «Schule in Freiheit» befürchten nun bedauerlicherweise ganz im Sinne dieser Ideologie des Mainstreams, «private Beliebigkeit»[3], wenn verantwortliches Handeln wirklich an die Individualität bis in die Organisation der Geldströme überginge. Wäre die Zivilgesellschaft heute wirklich reif, Schule in Freiheit zu gestalten, wie es die Initiative («Schule in Freiheit») richtig feststellt, würde sie bestrebt sein müssen, sich von beiden Ketten der Staatsbezogenheit stückweise zu befreien, vom Prinzip «VEB Schule» Abschied zu nehmen und sich und der Gesellschaft zu zutrauen Gerechtigkeit individuell zu organisieren. Ich habe die Vision einer Gerechtigkeit, die solidarisch aus dem Herzen der Menschen generiert wird und nicht durch Gesetzeszwang nur vorgespielt. Dazu ist es aber notwendig die Illusion abzustreifen, es könne durch «Einrichtungen an und für sich» erreicht werden, was nur durch eine starke ethische Kraft und Liebe zum ganz konkreten Menschen und zur Menschheit als Ganzer entstehen kann. Doch diese Reife traut uns die Initiative «Schule in Freiheit» (noch?) nicht zu.

Die Überwindung von systemtragenden Denkgewohnheiten und die Grenze der Demokratie

Man setzt opportunistisch in ganz üblicher Weise das Geld im Staatstopf voraus, um nun daran «gerechter» beteiligt zu werden. Angesichts grassierender Steuerverschwendung nur allzu verständlich. Aber es wird damit die Gewohnheit der organisierten Verantwortungslosigkeit, den Staat und nicht sich selber für zuständig zu erklären, wieder einmal zementiert und darüber ausgeblendet, dass man so die «Deutungshoheit» der Behörden darüber, wer ein Lehrer ist und wer nicht, niemals an das Individuum als mündige Lehrerkollegen, Eltern, Schüler wird übergehen lassen können. Denn der Staat muss allgemeine und eben nicht individuelle («Qualitäts»)Kriterien in Anschlag bringen, um Steuergelder wieder auszuzahlen. Solcherart «versorgte» und vordefinierte Schulen werden auch zukünftig keine initiativen Menschen in großer Zahl hervorbringen, die die Kraft und Lust in sich spüren sich individuell für allgemeine Ziele unternehmerisch zu engagieren. Mögen sie nun Montessori- oder Waldorfschulen heißen.

Ich habe Verständnis, wenn man solche scheinbar unzeitgemäßen Anschauungen als vollkommen utopisch ansieht. Aber ohne den Mut, Gedanken, auch wenn es unangenehm wird, zu Ende zu denken, sind selbst gute Kompromisse, also solche, die in die richtige Richtung deuten, nicht zu machen. «Schule in Freiheit» ist in Teilen ein Beispiel für diesen fehlenden Denkmut.

Dass der Initiative im Praktischen der Biss nicht fehlt, ist m.E. erfreuliche Bestätigung meiner These: Sie hat sich auf wirklich freiem Boden durch die (Überzeugungs)Kraft Einzelner tapfer von unten organisiert. Liebe Freunde, so muss alles Kulturleben gebaut sein!

Stefan Böhme, kritisches Mitglied von Omnibus für direkte Demokratie und freier Bildungsstiftung

Anmerkungen

  • [1] Der Begriff Schulpflicht muss von dem der Unterrichtspflicht unterschieden werden. Das gängige Vorurteil "in Preussen" sei die "Schulpflicht" eingeführt worden ist nicht korrekt, siehe z.B. hier. Eben dort heisst es richtig: "Erst in den Beratungen der Weimarer Verfassung und im Grundschulgesetz wurden seit 1919 die neuen und bis heute unveränderten Vorgaben formuliert und anstelle der Unterrichtspflicht für ganz Deutschland erstmals die Schulpflicht gesetzt. In Art. 145 der Verfassung von 1919 heißt es: "Es besteht allgemeine Schulpflicht. Ihrer Erfüllung dient grundsätzlich die Volksschule mit mindestens acht Schuljahren und die anschließende Fortbildungsschule bis zum vollendeten achtzehnten Lebensjahre." Trotz der allgemeinen Schulpflicht hat es in der Weimarer Republik jedoch zumindest für bürgerliche Kreise noch die Möglichkeit gegeben, ihre Kinder im Hause unterrichten zu lassen, und somit der Schulpflicht zu entziehen. Diese letzte Möglichkeit wurde durch das Reichsschulgesetz 1938 im Rahmen der fortschreitenden Gleichschaltung eliminiert. Dort heisst es: "§ 12. Schulzwang. Kinder und Jugendliche, welche die Pflicht zum Besuch der Volks- oder Berufsschule nicht erfüllen werden der Schule zwangsweise zugeführt. Hierbei kann die Hilfe der Polizei in Anspruch genommen werden." Durch Gesetz vom 16. Mai 1941 erhielt der § 12 Satz 1 folgende Fassung: "Kinder und Jugendliche, welche die Pflicht zum Besuch der Volks-, Haupt- und Berufsschule nicht erfüllen, werden der Schule zwangsweise zugeführt."
  • [2] Wikipedia: "Als Schulpflicht bezeichnet man die gesetzliche Verpflichtung für Kinder, ab einem bestimmten Alter, für Jugendliche und Heranwachsende bis zu einem bestimmten Alter, eine Schule zu besuchen. Diese muss im Fall der Minderjährigkeit der Schulpflichtigen durch die Erziehungsberechtigten (meist die Eltern) umgesetzt werden. In den meisten europäischen Ländern besteht keine Schulpflicht, sondern Unterrichtspflicht, oder Bildungspflicht, das heißt, die Vermittlung von Wissen ist für das Kind nicht an den Besuch einer Schule (Schulpflicht im eigentlichen Sinne) gebunden. Das Wie und Wo der Bildung steht frei und wird staatlich nicht vorgegeben."
  • [3] Siehe z.B.: http://www.schule-in-freiheit.de/774.html