Von der Phrase zur Lüge - Eine Replik

01.03.2012

Beim folgenden Text handelt es sich um eine Replik von Henning Kullak-Ublick auf den Beitrag von Stefan Böhme Von der Phrase zur Lüge auf unserer Webseite. Dieser Beitrag ist selber eine Kritik an den Standpunkt von Henning Kullak-Ublick in der Juli/August-Ausgabe der "Erziehungskunst"
Die Redaktion

"Von der Phrase zur Lüge" nennt Stefan Böhme seine Abrechnung mit meinem "Standpunkt". Das macht es nicht einfacher, eine Antwort zu verfassen. Einen Versuch mache ich trotzdem, beschränke mich dabei aber auf einige zentrale Aussagen von Böhme und von mir. Ein Urteil über die Wahrhaftigkeit mag sich jeder Leser selber bilden.

Die Erziehungskunst war schon vor dem Beschluss der Mitgliederversammlung (nicht Delegiertentagung) 2009 das offizielle Organ des Bundes der Freien Waldorfschulen (BdFWS), der Vereinigung der Waldorfkindergärten, der Pädagogischen Forschungsstelle im BdFWS und der "Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners".

Bei der Umstellung auf ein anderes Vertriebssystem ging es uns darum, allen MitarbeiterInnen und Eltern eine kostengünstige Möglichkeit zu bieten, unsere seit 1923 bestehende Zeitschrift regelmäßig zu erhalten. Es ging nicht darum, eine zentrale Verbandsmeinung unters Volk zu bringen, wie Herr Böhme das wortreich unterstellt, sondern darum, gegenseitige Verständigung zu befördern, der Waldorfpädagogik eine starke öffentliche Stimme zu verleihen und auch darum, die Vielfalt ihrer Möglichkeiten zu transportieren. Ein ganz zentrales Anliegen war es, öffentlich für ein freies Geistesleben einzutreten. Um jede Vereinnahmung durch das Verbandsleben, den Vorstand oder irgendwelche anderen starken Gruppen innerhalb des BdFWS von vornherein zu unterbinden, legten wir von Anfang an größten Wert auf die Unabhängigkeit der Redaktion. Diese zu erhalten, halte ich für eine der vornehmsten Pflichten des Herausgebers. Um hier nicht zu viele Worte über unsere Absichten zu machen, verweise ich auf meinen aktuellen Standpunkt (www.erziehungskunst.de/artikel/standpunkt/erziehungskunst-die-entscheidung/), in welchem ich sie noch einmal aufgeschrieben habe, weil bei der Mitgliederversammlung des BdFWS im März eine erneute Beschlussfassung darüber ansteht, ob wir in dem begonnen Sinne weitermachen wollen oder nicht.

Da Herr Böhme seine Argumente überwiegend aus dem Umstand ableitet, dass die Erziehungskunst über ein Umlageverfahren finanziert wird, möchte ich hier vor allem darauf eingehen - allerdings mit Bezug auf den tatsächlichen Anlass: Der von ihm kritisierte "Standpunkt" bezog sich auf die von ihm zitierte Anfrage einer Mutter, die sich wunderte, dass die Erziehungskunst den Eltern ihrer Schule mit dem Argument vorenthalten wird, die Zeitschrift enthalte Beiträge, mit denen das Kollegium inhaltlich nicht übereinstimme. Ganz abgesehen davon, dass ich das für eine wirklich haarsträubende Bevormundung von Eltern halte, hat das auch eine rechtliche Dimension:

Es sind nämlich die Eltern, die über ihre Schulbeiträge unter anderem auch die Erziehungskunst finanzieren. Das ist das Ergebnis des Beschlusses der erwähnten Mitgliederversammlung, die Zeitschrift über eine Umlage zu finanzieren. Niemand muss diese Zeitschrift aber lesen! Auch keine Schule wird gezwungen, eine bestimmte Anzahl von Heften abzunehmen. Es steht jeder Schule frei, wesentlich weniger Hefte als die ihnen zustehende Anzahl zu beziehen. Über die Umlagefinanzierung erwirbt sie aber einen Anspruch auf so viele Hefte, wie sie Familien und MitarbeiterInnen an der Schule hat. Entscheidend ist allerdings, WER über die Anzahl der bezogenen Hefte entscheidet: eine zentrale Zensurinstanz oder die Eltern selbst? Es ist ziemlich absurd, dass sich Herr Böhme ausgerechnet über mein Eintreten dafür aufregt, dass diejenigen, die die Zeitschrift finanzieren - also die Eltern - selbst darüber entscheiden können, ob sie sie auch ausgehändigt bekommen oder nicht. Nur darum ging es in meinem Beitrag. Ich kann mir kaum vorstellen, dass Herr Böhme die eine Zensur durch das Lehrerkollegium gutheißt. Oder steht das "freie Geistesleben" nur Lehrern zu?

Mein Vergleich mit dem Eisbecher setzte die Aufwendungen für die Erziehungskunst in ein Verhältnis zu den Gesamtaufwendungen, welche die Eltern für den Schulbesuch ihrer Kinder aufbringen müssen. (Tatsächlich liegen die Produktionskosten bei etwa zehn Euro pro Heft und Jahr, aber da die Umlagefinanzierung sich an der Schülerzahl und nicht an der Anzahl der Familien und Mitarbeiter orientiert, stimmt die Rechnung mit dem Eisbecher trotzdem. Einzelabonnements kosten wegen der damit verbundenen Vertriebskosten weiterhin 40 Euro.)

Interessant ist, dass viele Schulen inzwischen mehr Hefte als die ihnen zustehenden bestellt haben, obwohl sie für diese einen höheren Beitrag bezahlen müssen. Unsere derzeitige Umfrage unter den Eltern hat außerdem ergeben, dass sich die überwältigende Mehrheit der Eltern für eine Fortführung dieses Verfahrens ausspricht - der Bedarf ist also gegeben und wird nicht künstlich erzeugt!

Ein paar Sätze noch zum Prinzipiellen: Die Tatsache, dass die Erziehungskunst über eine Umlagefinanzierung wesentlich günstiger produziert werden kann, gibt vielen Eltern die Möglichkeit, sie trotz eines knappen Familienbudgets zu lesen. Auch die LehrerInnen profitieren aus dem gleichen Grund davon. Entscheidend für die Qualität der Zeitschrift - und für unser eigenes Selbstverständnis - ist, ob die Redaktion tatsächlich unabhängig arbeiten kann. Über die Fortsetzung wird in gewissen Zeitabständen abgestimmt - es handelt sich also keineswegs um eine vom Vorstand verordnete Zwangsbeglückung, sondern um ein Verfahren zur Finanzierung einer von einer unabhängigen Redaktion produzierten Zeitschrift.

Die Umlagefinanzierung ist nicht mehr und nicht weniger als ein Instrument, das eine größere Auflage bei niedrigeren Kosten ermöglicht. Aus diesem demokratischen Abstimmungsverfahren abzuleiten, die Freiheit des Geisteslebens werde beschnitten, ist, sofern es nicht an konkreten redaktionellen oder herausgeberischen Entscheidungen belegt werden kann, reine Ideologie - Dreigliederungsideologie, leider!

Entsprechendes gilt für die Behauptung, dieser "Verrat" spiegele sich auch darin, dass die Zeitschrift nicht mehr für ein von staatlichen und wirtschaftlichen Einflussnahmen unabhängiges Geistesleben eintrete. Da ich in dem Beitrag von Herrn Böhme persönlich angesprochen werde, möchte ich die LeserInnen dieser Antwort bitten, einfach mal ein bisschen in den bereits erschienenen "Standpunkten" herumzublättern: Es geht mir bei dieser Rubrik ganz entscheidend darum, an konkreten gesellschaftlichen Entwicklungen Verständnis für die Lebensnotwendigkeiten eines freien Schulwesens herbeizuführen - allerdings voraussetzungslos und unter weitgehendem Verzicht auf allzu szenetypisches Vokabular. Das gilt aber keineswegs nicht nur für diese Rubrik: Die Editorials von Mathias Maurer treten immer wieder und sehr deutlich für ein freies Schulwesen ein.

Henning Kullak-Ublick

Übersicht über den Diskussionsverlauf

  1. Henning Kullak-Ublick: Standpunkt in der Juli/August-Ausgabe der "Erziehungskunst"
  2. Stefan Böhme: Von der Phrase zur Lüge
  3. Henning Kullak-Ublick: Von der Phrase zur Lüge - Eine Replik

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