Nach welcher Organisationsform strebt die Wirtschaft?

01.02.2010

Vortrag am 3. Abend des Arbeitskreises Finanzkrise und soziale Dreigliederung (jeden 1. und 3. Montag im Monat, 19:15 Uhr, Sinnewerk gGmbH, Rigaer Str. 104, 10247 Berlin. Kontakt: Andreas Schurack, 030/27496797, oder Johannes Mosmann 030/26305202)

I. Kredit und Sicherheit

Liebe Freunde, Bei unserem letzten Treffen haben wir gesehen, dass Kredit im volkswirtschaftlichen Prozess immer vorhanden ist, auch wenn es keine Bank gibt. Wenn einer einem anderen Waren liefert, dieser aber nicht unmittelbar bezahlt, nicht unmittelbar etwas zurückgibt, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt Warenwerte erzeugt, dann ist das ein Kredit. Der Kaufvorgang, das normale Tauschen von Leistung und Gegenleistung, wird unterbrochen. Und wir hatten gesehen, dass das insbesondere immer dann der Fall ist, wenn die Produktionsweise aus irgendeinem Grund durch Technik verbessert werden soll. Wer seine Arbeitskraft nicht zur Herstellung von Waren verwendet, sondern für die Herstellung eines Produktionsmittels, der nimmt sich Kredit. Ich sage nicht: der muss sich Kredit nehmen, sondern ich sage: der nimmt sich Kredit. Sie können hier den Umkehrschluss machen, der ist ausnahmsweise einmal richtig: wenn Sie irgendwo ein Produktionsmittel sehen, dann hat auch jemand Kredit genommen. Anders geht es nicht, anders können Produktionsmittel nicht da sein, und zwar einfach aus dem Grund nicht, weil der, der ein Produktionsmittel baut, Waren konsumieren muss, selber jedoch nichts vergleichbares für die Waren geben kann. Das Produktionsmittel selber kann ja nicht konsumiert werden. Einen positiven Wert bekommt das Produktionsmittel erst, wenn es tatsächlich Waren erzeugt, und zwar billiger als vorher, bis dahin ist es nur ein Kostenfaktor.

Es gab dann eine interessante Frage. Jemand sagte, wenn der Unternehmer das Produktionsmittel kaufe, dann ginge er doch ein Tauschgeschäft mit dem Produktionsmittelhersteller ein, das sei also ein ganz normaler Kaufvorgang. Das ist richtig. Was ich meine, ist dann aber trotzdem noch vorhanden, es verschiebt sich nur an eine andere Stelle. Woher hat der Unternehmer nämlich das Geld für den Kauf des Produktionsmittels? Und was gibt er dafür? Das Produktionsmittel kann er nicht geben, er kann erst etwas geben, wenn er damit Waren erzeugt und diese verkauft. Vorher muss der Unternehmer erst einmal konsumieren, ohne unmittelbar etwas konsumerables zurückgeben zu können, bzw., er muss den Produktionsmittelhersteller in die Lage versetzen, konsumieren zu können. Sogar dann, wenn der Unternehmer das Geld für den Kauf des Produktionsmittels nicht leiht, sondern es aus seinem eigenen Besitz nimmt, ist es immer noch der selbe Vorgang. Auch das ist ein Kreditvorgang. Dann gibt nämlich der Unternehmer sich selber Kredit. Denn welchen Wert hat das Produktionsmittel für den Unternehmer? Es hat eben zunächst keinen Wert, erst die Waren, die damit hergestellt werden, haben einen Wert. Erst die Waren können konsumiert werden, und das strahlt dann sozusagen zurück auf das Produktionsmittel und gibt auch ihm einen Wert.

Wo Produktionsmittel zum Einsatz kommen, ist notwendig immer ein Kredit vorausgegangen. Das Entscheidende dabei ist, das wir auf das sehen, was real gegeben wurde, was real konsumiert wurde, ohne dass eine Gegenleistung erbracht werden musste, nicht auf das Geld. Das Geld ist nur das Mittel für den Kredit. Kredit, so sagte ich deshalb, bekommt man niemals von der Bank, sondern immer von den Menschen, deren Waren man konsumiert, deren Arbeitsleistung man in Anspruch nimmt, ohne selbst unmittelbar etwas zurückzugeben. Die Bank kann gar keinen Kredit geben, sie hat ja nichts, sie stellt nichts her. Die Bank entscheidet lediglich, wer Kredit nehmen darf, wer konsumieren darf, ohne sofort eine Gegenleistung erbringen zu müssen. Und das, sagte ich, ist das große Problem der Gegenwart. Denn die Banken denken irrational.

Was hieße hier nämlich rational denken? Rational denken hieße hier, auf zwei Dinge zu achten: Einerseits auf die Fähigkeit desjenigen, der das Produktionsmittel verwalten und dafür Kredit nehmen will, und andererseits auf das Bedürfnis der Menschen, die nachher die Waren kaufen sollen. Denn nur, wenn einerseits die Produktion fähig geleitet wird, und andererseits überhaupt ein Absatzmarkt für die Produkte besteht, kann der Kreditnehmer den Kredit zurückbezahlen. Wenn nicht, ist das Geld futsch, und das heisst auf der Seite der „Realwirtschaft“: wenn nicht, haben Menschen Waren für den Kreditnehmer und seine Angestellten produziert, aber nichts dafür bekommen.

Die Banken interessieren sich nun weder für die Fähigkeit des Produzenten, noch dafür, ob ein Bedürfnis für die zu produzierenden Waren vorhanden ist. Die Banken haben nämlich einen vermeintlichen Ersatz für Fähigkeit und Bedarf gefunden: das so genannte Eigenkapital, also das Vermögen des Kreditnehmers, im wesentlichen das Eigentum des Kreditnehmers an Grund und Boden und schon vorhandenen Produktionsmitteln. Dafür geben die Banken Geld, dafür geben sie die Berechtigung aus, von den Menschen Waren zu nehmen, ohne vorerst etwas zurückgeben zu müssen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist das freilich nicht ganz dumm, die Frage ist dann allerdings, ob eine Bank überhaupt eine betriebswirtschaftliche Sicht haben kann. Denn wenn die Rechnung aus betriebswirtschaftlicher Sicht für die Banken aufgeht, dann geht sie für die Volkswirtschaft gerade nicht auf.

Ich weiß nicht, ob das klar geworden ist: Wenn ich Kredit für Fähigkeiten und den Bedarf gebe, und es stellt sich nachher heraus, dass ich mich geirrt habe, dann ist zwar ein volkswirtschaftlicher Schaden entstanden, dergestalt, dass der Kreditnehmer und sein Umfeld konsumiert haben, aber dafür dem Wirtschaftskreislauf nichts zugefügt haben. Das war dann geschenkt. Wenn ich jetzt aber Kredit für eine Sicherheit gebe, zum Beispiel für Grund und Boden, und es stellt sich wieder heraus, dass der Kreditnehmer nur konsumiert hat, dann ist der Schaden doppelt so groß, denn dann wird das, was der Kreditnehmer hätte leisten sollen, als Preis auf die Sicherheit draufgerechnet, und das müssen dann wieder die Menschen bezahlen. Die müssen dann zweimal zahlen, ohne etwas zu bekommen, anstatt nur einmal. Dann wird mehr verschenkt, unfreiwillig und sinnlos verschenkt. Der Geldgeber kann auf die Art sogar dann ordentliche Gewinne machen, wenn durch den Kredit das volkswirtschaftliche Vermögen tatsächlich verringert wurde. Das ist das Grundschema der Immobilienspekulation in den USA, das ist aber überhaupt das Grundschema unseres gegenwärtigen Wirtschaftssystems.

Wir haben dann gesehen, dass in dieser Art der Kreditierung, in dem so genannten Realkredit, nicht nur unsere Finanzkrise wurzelt, sondern auf der anderen Seite auch so etwas scheinbar Entlegenes wie der Hunger in Afrika. Es ist falsch, wenn man sagt, die Finanzspekulation sei schuld am Hunger in Afrika. Man muss es anders formulieren: Finanzspekulation und Hunger haben die selbe Wurzel, nämlich die Korruption des Kredit- und Geldwesens durch das Eigentum. Am Beispiel von Äthiopien haben wir uns das veranschaulicht. Wir haben gesehen, dass die Äthiopier aus der Selbstversorgung herauskommen und für den heimischen Markt, vielleicht sogar irgendwann für den Weltmarkt produzieren müssen, wenn sie die nächste Dürreperiode überleben wollen. Um aus der Selbstversorgung heraus- und in die arbeitsteilige Wirtschaft hineinzukommen, brauchen die äthiopischen Bauern aber Produktionsmittel. Sie brauchen Bewässerungsanlagen, Traktoren usw. Daran müsste sich eine Verabeitende Industrie schließen, Mühlen, Bäckereien usw. Und für solche Produktionsmittel brauchen die Äthiopier Kredit. Das hat auch die Weltbank ganz richtig erkannt. Aber was macht die Weltbank, was machen die Deutschen, was machen die Banken? Sie geben nicht den Äthiopiern Kredit, sondern deutschen Unternehmen. Und die deutschen Unternehmen, die stellen dann die Äthiopier auf ihren Plantagen an, für einen Lohn von weniger als 1 Euro am Tag, damit sie für den deutschen Markt Schnittblumen produzieren. Das Kilo Hirse kostet in Äthiopien 1,20 Euro.

Die Banken geben den deutschen Unternehmen deshalb Kredit, weil diese Eigentum, Eigenkapital haben. Sie interessieren sich nicht dafür, ob der äthiopische Bauer fähig ist, größere Mengen Getreide anzubauen, und ob ein Bedarf für dieses Getreide vorhanden ist. Sie interessieren sich für den äthiopischen Bauern erst in dem Augenblick, da der äthiopische Bauer selber zum Sklaventreiber avanciert. Das ist dann nämlich eine Sicherheit, genau das nennt man Eigenkapital.

Es wäre auch denkbar, dass die Äthiopier Schnittblumen für den Weltmarkt produzieren, warum nicht, auch damit könnten sie die Dürreperiode überleben – vorausgesetzt, dass weltweit genug Getreide produziert wird, und vorausgesetzt, die Äthiopier nehmen für ihre Blumen wenigstens so viel, dass sie sich Getreide kaufen können. Sie können nicht so viel nehmen, und das liegt wiederum an der Sicherheit, an dem Eigenkapital selber, an dem Sklavenhaltertum, das die Bank sehen will, bevor sie Kredit gibt. Da kommen wir in noch ganz andere Fragen hinein, das sind rechtliche Fragen. Wir werden über diese sprechen, wenn wir uns mit dem Eigentum an Produktionsmitteln befassen. Aber von solchen Fragen ist die Wirtschaft gegenwärtig abhängig. Und so kommt es dann auch, dass die Hunger-Hilfe für Äthiopien so aussieht, dass man nicht mit dem äthiopischen Bauern redet, sondern mit dem äthiopischen Staat. Diesem Staat gibt man Kredit, und der Staat muss im Gegenzug dafür die Käuflichkeit von Grund und Boden, die Bewertung der unbearbeiteten Natur und die Ausbeutung der Äthiopier zulassen.

Die Banken können aber auch gar nicht anders. Sie können keinen Personalkredit geben. Denn die Banken können nie und nimmer feststellen, wer fähig ist, das Produktionsmittel produktiv einzusetzen, und ob bei einer genügend großen Anzahl von Menschen ein Bedürfnis für das zu produzierende Gut vorhanden ist. Um wirklich bedarfsorientiert zu produzieren, um die Kreditvergabe wirklich effektiv zu machen, so dass Kredit möglichst häufig nicht bloß Kosten verursacht, sondern möglichst häufig die Weltwirtschaft bereichert, oder was das selbe ist: verbilligt, bedarf es Strukturen, mit denen eine Bank nicht dienen kann.

Was bedarf es für Strukturen? Sie erinnern sich, wir haben auf unseren eigenen Geldbeutel gesehen, um uns das zu verdeutlichen. Es hat sich herausgestellt, dass die Frau X hier im Raum einen Kredit für ihre Gärtnerei braucht. Wir haben dann überlegt, was nötig wäre, damit wir ihr unser Geld anvertrauen könnten. Wir haben festgestellt, dass wir verschiedene Informationen bräuchten: Wir müssten ihre Fähigkeiten einschätzen können, und wir müssten wissen, wie viele Menschen Bedarf für ihre Leistungen haben und außerdem diesen Bedarf auch bei einem bestimmten Preis noch haben. Wenn wir diese Informationen zusammenbringen könnten, dann könnten wir abschätzen, ob wir Kredit geben können oder nicht. Das ist die beste denkbare Sicherheit, wenn wir im Vorfeld bereits wissen, dass die Waren aus der Produktion, die wir kreditieren, zu einem bestimmten Preis restlos verkauft werden. Ein Risiko gibt es immer, aber wenn Bedarf und Fähigkeit vorhanden sind, dann gibt es auch eine gewisse Sicherheit. Diese Sicherheit dient nicht nur unserer persönlichen Absicherung, sondern sie ist eine Absicherung für die Volkswirtschaft. Denn indem wir unser Geld durch den Verkauf der Waren wiederbekommen, ist gleichzeitig bewiesen, dass wirtschaftliche Werte entstanden sind, dass Waren produziert wurden. Wenn wir dagegen unser Geld nur dank einer Spekulation auf den Preis der Gärtnerei als solcher wiederbekommen, dann ist ein mehrfacher volkswirtschaftlicher Verlust entstanden.

Das Wissen um Fähigkeiten und Bedürfnisse muss erfasst und kommuniziert werden. Und wir wollen heute Abend ergründen, was das bedeutet. Da können wir nicht bei vagen Andeutungen stehen bleiben.

II. Mein Geldbeutel und die Weltbilanz

Sehen Sie, was ich eben ausgeführt habe, die Frage der Sicherheit, die Frage der Verteuerung der Wirtschaft, das ist nur eine Einzelfrage. Es ist eine wichtige Frage, aber es ist eben nur eine Einzelfrage. In dieser Einzelfrage muss man sagen, Kommunikation von Fähigkeit und Bedarf ist die Antwort. Was das jedoch konkret bedeutet, das verstehen Sie, wenn ich Ihnen jetzt schildere, wie noch etwas ganz anderes davon abhängt, dass Bedarf und Fähigkeit in einer bestimmten Weise erfasst und kommuniziert werden.

Denken Sie sich, was ich eben verlangt habe, wird auf einem Umweg erfüllt, mit Hilfe der Statistik. Ein Unternehmer erfasst den vergangenen Umsatz in einem bestimmten Bereich und schätzt, dass der noch steigen wird. Sagen wir, er hat sogar den richtigen Riecher, seine Rechnung geht auf. Blumen, sagen wir, er produziert Blumen, weil wir dieses Bild ja schon einmal bemüht hatten. Die Menschen kaufen die Blumen wie wild, und unser Blumenproduzent kommt gar nicht in Bedrängnis, jetzt seine Immobilien verkaufen zu müssen, er kann seine Schulden locker aus dem Verkauf der Blumen begleichen. Also, da sind Werte entstanden, und meine bisherige Kritik ist hinfällig, wenigstens für einen Moment. Es wurden Warenwerte erzeugt, Menschen haben sie konsumiert, und erst daraus wurde der Kredit zurückbezahlt. Der Kredit hat, zumindest auf den ersten Blick, zu einer Vermehrung der wirtschaftlichen Werte beigetragen. Aber eben nur auf den ersten Blick.

Sehen Sie, die Menschen, die da jetzt Blumen anbauen, die essen doch etwas. Die essen Getreide, Fleisch, Gemüse und so weiter. Und sie tragen Kleider und Schuhe. Sie nutzen Tische, Stühle, Betten usw. Das bekommen sie für die Blumen, denn das kaufen sich die Blumenproduzenten ja mit dem, was wir für die Blumen bezahlen. Für die Blumenproduktion werden andere Werte verbraucht. Der Kredit, so muss man sagen, ermöglicht, dass in einem bestimmten Bereich gesaugt werden kann, er gibt den Anstoß für die Einkommensbildung in einem bestimmten Bereich, für die Konzentration von Werten für eine bestimmte Ware.

Die große Frage ist nun: welche Bedeutung hat es, weltwirtschaftlich gesehen, dass ausgerechnet in diesem Bereich Waren verbraucht wurden, dass ausgerechnet hier Einkommen gebildet wurde? Wie sieht die Gesamtbilanz nach Ablauf einer gewissen Zeit aus? Und wie sähe sie aus, wenn die selben Waren in einem anderen Bereich verbraucht worden wären, z.B. in der Getreideproduktion? Erscheint es nach Ablauf einer gewissen Zeit im Hinblick auf die Gesamtbilanz als richtig, dass Blumen produziert wurden, oder wäre es besser gewesen, wenn die Menschen die bestehenden Vorräte für die Getreideproduktion verbraucht hätten?

Auch wenn der Kreditnehmer offensichtlich ein Bedürfnis getroffen hat, indem er die Blumenproduktion anregen konnte, ist damit noch nicht entschieden, ob die Weltwirtschaft etwas gewonnen oder verloren hat. Denn der Mensch hat nicht nur einzelne Bedürfnisse, sondern verschiedene Bedürfnisse. Und diese Bedürfnisse bewerten sich gegenseitig. Die große Frage ist: welchen Wert haben die Blumen im Vergleich zu einer anderen Ware, für die nicht gearbeitet wurde, weil man in der Blumenproduktion gearbeitet hat? Und ist die Entscheidung, ausgerechnet die Blumenproduktion anzuregen, im Hinblick auf dieses Wertverhältnis richtig gewesen?

Jeder Mensch haushaltet. Ich will Brot kaufen, ich will auch Blumen kaufen. Dann sehe ich, was ich habe, was ich geben kann, und muss die richtige Entscheidung treffen. Wenn ich weiß, dass ich mir dadurch kein Brot mehr leisten kann, kaufe ich keine Blumen. Jeder Mensch muss den Wert der Waren an seinen Bedürfnissen messen. Er schaut zuerst, in welchem Wertverhältnis die Waren zueinander stehen, und dann schaut er, was er geben kann. Wenn er wenig zu geben hat, dann kauft er zunächst die Ware, die gemessen an seinen Bedürfnissen höherwertig ist, also z.B. Brot. Wenn er mehr Geld hat, als er zur Befriedigung dieses Bedürfnisses geben muss, dann befriedigt er noch ein anderes Bedürfnis, das nicht so dringend ist. Vielleicht kauft er sich dann noch Blumen. Die Blumen sind also, gemessen an den Bedürfnissen, weniger Wert.

Jeder Mensch verrechnet sich dabei. Denn unser Haushalt hat eine Entsprechung in der Weltwirtschaft. Es gibt einen Welthaushalt. Und beide Haushalte stehen in einer Wechselwirkung. Und deshalb kann man so eigentlich gar nicht rechnen. Angenommen etwa, es reicht für mich, wenn ich mir Blumen kaufe. Ich sehe in meinen Geldbeutel. Nach den gegenwärtigen Preisen zu urteilen, kann ich heute Blumen kaufen und morgen trotzdem noch Brot essen. Also kaufe ich Blumen. Da mache ich die Rechnung aber ohne mich. Denn meine Entscheidung beeinflusst den Preis, den das Brot morgen haben wird. Der morgige Preis für Brot hängt davon ab, ob ich heute Brot kaufe oder Blumen. Denn wenn ich Brot kaufe, kann ein Mensch davon leben, dass er Bäcker ist. Der backt dann wieder Brot. Wenn ich Blumen kaufe, dann muss er davon leben, dass er Blumen anpflanzt. Der isst zwar Brot, backt aber kein Brot, sondern pflanzt Blumen an. Und dann ist möglicherweise nach einer gewissen Zeit weniger Brot da als Blumen. Dann kann ich mir mit dem, was ich im Geldbeutel habe, eben kein Brot kaufen, dann ist es zu teuer.

Im kleinen mag das nicht ins Gewicht fallen. Aber der Mensch steht ja nicht isoliert da mit seinen Bedürfnissen. Erstens teilt er seine Bedürfnisse mit anderen Menschen. Zweitens ist die Befriedigung seiner speziellen Bedürfnisse davon abhängig, dass derjenige, der für die Befriedigung dieser Bedürfnisse arbeitet, auch seine eigenen, speziellen Bedürfnisse befriedigen kann.

Jeder Mensch hat Bedarf an Brot. Viele Menschen wollen aber auch Blumen kaufen. Dazwischen gilt es eine Balance zu finden, denn das eine Bedürfnis geht auf Kosten des anderen. Wenn Kredit in die Blumenproduktion geht, dann wird in dem Bereich der Blumenproduktion konsumiert. Ein Entsprechendes wird in einem anderen Bereich nicht konsumiert, das heisst aber, dann wird in diesem Bereich weniger produziert. Es wird zum Beispiel weniger Getreide angebaut. Und danach bestimmt sich das Preisverhältnis zwischen Brot und Blumen. Das Brot wird gegenüber den Blumen teurer. Und die Frage ist jetzt: ist diese Verschiebung, gemessen daran, wie viel ich geben kann, und was ich dringender brauche, richtig, bzw., überhaupt möglich?

Wirtschaften heisst immer, aus den gegenwärtigen Preisverhältnissen heraus die zukünftigen Preisverhältnisse gestalten. Die vorhandenen Werte werden ergriffen und in die Zukunft hinein so umgelagert, dass sich dann zu einem späteren Zeitpunkt ein neues Preisverhältnis ergibt. Real ist das so, auch wenn wir es nicht wahr haben wollen. Wird in dem Bereich der Blumenproduktion konsumiert, dann wird ein Entsprechendes eben z.B. in dem Bereich der Getreideproduktion nicht konsumiert. Das definiert das Preisverhältnis zwischen Blumen und Getreide von morgen. Und unabhängig von der Eigentumsfrage, unabhängig davon, ob die Äthiopier den richtigen Lohn nehmen, und unabhängig davon, ob sie Kredit bekommen, stellt sich deshalb die Frage: ist es besser, wenn sie Blumen anbauen, oder ist es besser, wenn sie Getreide anbauen? Das ist jetzt eine rein wirtschaftliche Frage, wie man sie aber eben heute noch gar nicht stellt. Die Realität stellt diese Frage, aber die Menschen formulieren sie nicht.

III. Assoziation versus Markt

An dieser Frage hängt Leben und Tod. Ich will sie einmal klar formulieren: entspricht das Preisverhältnis dem Wertverhältnis der Waren? Und was ist nötig, um eine Entsprechung herbeizuführen?

Auf diese Frage gibt es keine theoretische Antwort, sondern nur eine praktische. Wenn genügend Menschen an der richtigen Stelle arbeiten, dann stimmen die Preise, wenn viele Menschen an der falschen Stelle arbeiten, dann stimmen die Preise nicht. Das ist ein notwendiger Zusammenhang. Aus dieser Notwendigkeit heraus ergibt sich eine einzige, logische Handlung: Konsumenten, Händler und Produzenten schließen Verträge darüber ab, was wo produziert werden soll.

Ein solches Vertragsgeflecht wäre allerdings völlig blind, wenn ihm nicht ein ideelles, theoretisches Moment vorangehen würde. Dieses theoretische Moment, das der Produktion vorangehen muss, ist jedoch nicht eines, das sich ein Einzelner ausdenken kann, sondern es ist eines, das nur in einer Beziehung zwischen Menschen existiert. Ich alleine kann sagen, dass dieses mehr Ideelle da sein muss, aber ich kann es nicht denken. Das können wir nur zusammen denken. In der Wirtschaft sind wir auch auf der wissenschaftlichen Seite schon in der Praxis. Was muss nämlich zunächst geschehen, wenn sich die Produktion an dem Wertverhältnis der Waren orientieren soll, wenn wir Verträge über die Produktion und Konsumtion so abschließen wollen, dass wir damit gezielt die Preise der Zukunft bestimmen?

Wir müssen erstens die Sachkenntnis der Produzenten hören. Die Produzenten müssen sich z.B. darüber äußern, ob sie eine Verschlechterung oder Verbesserung der natürlichen und geistigen Bedingungen für ihre Produktion erwarten. Hat es irgendwo eine Naturkatastrophe gegeben, dann muss mehr Kapital für den gewünschten Ertrag aufgebracht werden, ist ein neues Produktionsverfahren entwickelt worden, dann ist für den selben Ertrag weniger Kapital nötig.

Dann müssen die Händler gehört werden. Die Geheimniskrämerei auf dem Gebiet des Handels muss aufhören. Wie viel wovon wo zu welchem Preis eingekauft und verkauft wurde, dass ist das, was in Zukunft von den Händlern öffentlich gemacht werden muss, damit man damit arbeiten kann.

Der Blick des Händlers ist zunächst rückwärts gerichtet. Er hat Erfahrungen über den Absatz bestimmter Waren gemacht. Daran entwickelt er aber ein Gespür für das Zukünftige. Er merkt zum Beispiel, dass in einem bestimmten Bereich die Nachfrage nach einem Gut steigt. Diese Informationen geben aber nur eine grobe Orientierung. Um den wirklichen Bedarf festzustellen, muss zu den Händlerstatistiken noch etwas anderes treten: die Konsumenten müssen ihren Bedarf artikulieren. Beides darf nicht verwechselt werden. Das Händlerurteil, dass irgendwo die Nachfrage steigt, berechtigt alleine noch nicht, von dem betreffenden Gut mehr zu produzieren. Denn es muss berücksichtigt werden, was die Produktion in diesem Gebiet für eine Auswirkung auf das Preisverhältnis insgesamt hat. Und mit dieser Rücksicht müssen dann die Konsumenten gefragt werden, ob sie auch unter diesen Bedingungen noch die selbe Nachfrage haben. Das ist erst das Konsumentenurteil, sie müssen äußern welches Bedürfnis sie zu welchem Preis haben. Das muss real artikuliert werden.

In diesem Punkt liegt übrigens auch einer der gröbsten Fehler unserer Neoklassischen Wirtschaftslehre, und insbesondere der Gleichgewichtstheorie. Die Gleichgewichtstheorie will herausfinden, wann Angebot und Nachfrage in einem Gleichgewicht stehen. Sie fasst aber die Nachfrage statisch, sie begreift nicht, dass die Nachfrage variabel ist und auch von dem Preis anhängt. Sie formuliert es zwar an einer Stelle, aber an der falschen Stelle, denn wenn Sie sich ansehen, was mit „Gleichgewichtspreis“ gemeint ist, dann sehen Sie, dass da dieser Faktor wieder unberücksichtigt bleibt, und darum ist der Gleichgewichtspreis unserer Wirtschaftswissenschaft eine Schimäre. Unter Gleichgewichtspreis stellt sie sich vor: Die Nachfrage nach einem Gut steigt. Der Produzent kann den Preis erhöhen, und findet immer noch genug Nachfrager. Aus Gier auf die hohen Preise stellen nun andere das selbe Produkt her. Bei einem bestimmten Preis würden sich dann Angebot und Nachfrage entsprechen.

Nur – erstens ist das bloß die Nachfrage der Menschen, die eine Nachfrage zu dem entsprechenden Preis entwickeln. Andere entwickeln erst bei einem niedrigeren Preis eine Nachfrage. Ist der Bedarf der anderen deshalb nicht vorhanden? Das sieht unsere Wirtschaftswissenschaft nicht. Und sie sieht noch etwas anderes nicht. Sie sieht nicht, dass, wenn die Nachfrage nach einem Gut zu einem bestimmten Preis befriedigt werden kann, genau dieser Preis dann der Grund ist, warum eine andere Nachfrage nicht zu dem Preis befriedigt werden kann, denn sich die Menschen wünschen. Man kann im Hinblick auf ein einzelnes Gut niemals von einem „Gleichgewichtspreis“ sprechen. Man muss - und das geht unserer Wirtschaftswissenschaft nun völlig ab – nicht nur den Preis der jeweiligen Ware, sondern auch die Preise berücksichtigen, die durch die eigene Kaufentscheidung erzeugt werden. Kaufe ich Blumen zu dem und dem Preis, dann verändere ich den Preis von meinetwegen Brot.

Deshalb kann man aber auch für das einzelne Gut gar nicht behaupten, dass, wenn dieses Gut zu einem bestimmten Preis weggeht, dass sich dann Angebot und Nachfrage entsprechen. Denn das Entscheidende ist ja: Fragen die Konsumenten dieses Gut auch dann zu diesem „Gleichgewichtspreis“ nach, wenn sie wissen, dass dafür ein anderes Gut teurer wird, und sie dieses andere Gut weniger nachfragen können? Mit Rücksicht darauf, dass etwas anderes dafür teurer wird, ändert sich in Wahrheit der „Gleichgewichtspreis“. Die Konsumenten sind mit dieser Rücksicht eigentlich eher bereit, weniger von dem betreffenden Gut nachzufragen, oder es zu einem höheren Preis nachzufragen, weil sie lieber ein anderes Gut nachfragen wollen, billiger haben wollen.

Die verschiedenen Bedürfnisse eines Menschen sind ja nicht ohne Zusammenhang, sie bewerten sich gegenseitig, bilden eine Hierarchie. Und an dieser Hierarchie messen sie die Preise der Güter. Die Preise wiederum bedingen sich gegenseitig. Der Preis des einen Gutes hängt von dem Preis des anderen Gutes ab. Das muss man zusammen nehmen, erst dann sieht man, bei welchem Preis Angebot und Nachfrage ins Gleichgewicht kommen.

Die Nachfrage nach Tulpen ist groß, ebenso die Nachfrage nach Biosprit. Ist diese Nachfrage nach Biosprit aber noch genau so groß, wenn die Kunden vorher wissen, dass sie dafür das Brot, die Pizza, und weil jeder Mensch diese Dinge isst, letztendlich alles teurer bezahlen müssen? Das ist eigentlich erst die Frage des Gleichgewichts. Das kann der Händler nicht wissen, da kann man mit Statistik nichts machen. Um das zu entscheiden, müssen die Menschen ihre verschiedenen Bedürfnisse artikulieren, und dann müssen diese aneinander gehalten werden. Die verschiedenen Interessen müssen sich aneinander abschleifen, wie Rudolf Steiner das nennt. Das Konsumenteninteresse A lautet beispielsweise: wir wollen Biosprit zu einem günstigen Preis. Das Konsumenteninteresse B lautet: wir wollen Brot zu einem günstigen Preis.

Jetzt müssen die Produzenten gehört werden. Die sagen: Um Biosprit zu dem gewünschten Preis zu produzieren, müssen wir so und so viel Land dafür in Anspruch nehmen, müssen wir so und so viel Getreide zu Sprit verarbeiten. Dann müssen die Bäcker gehört werden. Die sagen: wenn so und so viel Getreide zu Sprit verarbeitet wird, dann können wir nur so und so viel Brot produzieren. Das Sachurteil der Produzenten muss mit den real geäußerten Bedürfnissen zusammenkommen. Und dann stellt sich die Frage: entspricht das real mögliche Preisverhältnis dem an der Hierarchie der Bedürfnisse gemessenen Wertverhältnis der Waren? Oder sind wir vielleicht doch bereit, Bedürfnis A erst bei einem höheren Preis befriedigen können, weil wir eher Bedürfnis B billiger befriedigen wollen?

Im Vergleich mit meinem Hunger ist Biosprit wertlos. Wenn ich das jedoch erst bemerke, nachdem ich Tulpen produziert habe anstatt Brot, dann ist es zu spät. Dann hungern Menschen. Daran zeigt sich aber, dass das Wertverhältnis der Waren real ist. Ein Stück Brot hat real einen anderen Wert als eine Blume. Die Bedürfnisse bewerten sich gegenseitig. Der Vorschlag von Rudolf ist nun, dieses sich gegenseitig Bewerten der Bedürfnisse vorher geschehen zu lassen, vor der Produktion, und das dann zusammenzubringen mit der Sachkenntnis von Produzenten und Händlern. Das ist die Idee der Assoziation. Die Idee ist nicht, die Werte zu bestimmen. Das wäre Planwirtschaft. Die Werte sind objektiv da, durch die Bedürfnisse der Menschen. Das kann nicht definiert werden. Es geht darum, dass diese Bedürfnisse vor der Produktion so kommuniziert werden, dass die objektiven Wertverhältnisse sichtbar werden. Und dann gilt es, in den verschiedenen Produktions-Bereichen jeweils so viel und so wenig zu produzieren, dass sich das Preisverhältnis einstellt, das dem Wertverhältnis der Waren am ehesten entspricht. Das regeln die Menschen dadurch, dass sie miteinander Verträge über Leistung und Gegenleistung schließen. Wieder ist das also nicht planwirtschaftlich gedacht, kein Zentralorgan, keine Behörde, keine Spitze bestimmt irgendetwas.

Die Waren haben, gemessen an den Bedürfnissen, einen objektiven Wert, und andererseits einen objektiven Preis, bei dem dieser Wert realisiert werden kann. Wenn wir das auseinandergehen lassen, dann korrigiert sich das, aber eben auf grausame Weise. Wenn etwa Blumen billiger werden als Getreide, dann verdienen die Blumenproduzenten über kurz oder lang nicht mehr genug, um Getreide kaufen zu können, und hungern. Denn weil es da diese Blumenproduktion an Stelle der Getreideproduktion gibt, hungern ja zunächst die anderen Menschen. Dann reagieren sie auf das Missverhältnis und fragen eher Getreide nach als Blumen. Dann geht der Blumenpreis noch weiter runter, und der Getreidepreis noch höher. Das ist die Weltwirtschaftskrise, ganz unabhängig von Eigentumsfragen, von der Lohndrückerei, von der Finanzspekulation, die alle eigentlich rechtliche Faktoren sind. Rein wirtschaftlich gesehen ist das die Wirtschaftskrise: Die objektiven Wertverhältnisse werden nicht erfasst, die Handlungen nicht nach den objektiven Wertverhältnissen bestimmt, und deshalb korrigiert die Realität die Handlungen der Menschen auf grausame Weise.

Die Idee der Assoziation ist nun, dafür zu sorgen, dass unsere Fehleinschätzungen in Bezug auf die Wertverhältnisse nicht erst grausam von der Realität korrigiert werden müssen, sondern dass wir sie vorher richtig einschätzen. Und dafür braucht es die Assoziation, die Kommunikation von Bedürfnissen, Händlererfahrungen und Sachurteilen der Produzenten. Es geht nicht darum, dass die zukünftigen Preise von unseren jetzigen Kauf- und Arbeitsentscheidungen bestimmt werden. Das ist ohnehin Fakt, ob unsere Mitmenschen das wahr haben wollen oder nicht. Es geht darum, mit dem Bewusstsein dabei zu sein. Es geht zuerst um eine gegenseitige Bewertung der Bedürfnisse, und dann geht es darum, das Angebot danach zu orientieren. Daraus ergibt sich erst ein Preis, den man mit vollem Recht einen Gleichgewichtspreis nennen könnte. Das ist unsere Gleichgewichtstheorie.

Uns geht darum, an der richtigen Stelle zu stehen, immer da zu arbeiten, wo wir wirklich die Bedürfnisse des anderen Menschen treffen. Gegenwärtig stehen die Menschen nicht an den richtigen Stellen. Wir haben eine gigantische Überproduktion. Bei den Autos 25%, bei der Milch 20% usw. Denken Sie, was das bedeutet, dass Menschen gegessen haben, konsumiert haben, während sie etwas produziert haben, dass dann nachher keiner brauchen kann! Da arbeiten zuerst Menschen hart, am Boden, ernten Getreide, für hunderttausende andere, und diese, was machen die? Die essen das auf und machen dafür Scheiße! Das bringt alles aus dem Gleichgewicht. Ich will niemanden beleidigen. Die Menschen, die etwas arbeiten müssen, was nachher keiner braucht, tun mir genau so Leid wie die Menschen, die das mit ihrer Arbeit wiederum ermöglichen. Ich wollte nur ein Bild für unseren Systemfehler finden.

Rudolf Steiner hat ein besseres Bild gefunden, er hat diese systemimanente Überproduktion als Krebsbildung beschrieben. Nicht wahr, das stimmt, indem an einem Ort Einkommen generiert wird für etwas, das der Wirtschaftsorganismus nachher nicht gebrauchen kann, und dafür etwas von einem lebenswichtigen Bereich absaugt, hat das Parallelen zu der Krebsbildung im Menschlichen Organismus.

Die Überproduktion, so Steiner, sei die Ursache des 1. Weltkrieges gewesen. Denn wenn auf der einen Seite Unsinn produziert wird, und dadurch auf der anderen Seite nicht mehr genug zum Leben bleibt, dann kann sich eine Volkswirtschaft nur erhalten, wenn sie auf das Recht übergreift, wenn sie andere Länder ausbeutet, ihnen das Lebensnotwendige abnimmt, und irgendwo ihren Schrott los wird. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, dass dieser Krieg nicht vorbei ist, Sie brauchen nur die Zeitungen aufzuschlagen. Afrika, Südamerika, Irak, Afghanistan, und wahrscheinlich bald Pakistan oder Iran.

Mit Überproduktion meint Steiner freilich noch etwas ganz anderes. Er meint nicht, dass ein Produkt nicht gekauft wird. Wir haben nämlich auch da eine Überproduktion, wo alles restlos aufgekauft wird. Ob es eine Überproduktion gibt oder nicht, das entscheidet sich nicht daran, ob überhaupt etwas gekauft wird, sondern daran, ob man nicht lieber etwas anderes gekauft hätte. Wenn Sie riesige Mengen Blumen produzieren, und alle werden restlos aufgekauft, dann kann es trotzdem noch eine Überproduktion sein. Eine Überproduktion ist es dann, wenn dadurch etwas anderes, das den Menschen aber wichtiger ist, weniger produziert wurde. Den Begriff der Überproduktion können Sie nur aus der Verhältnismäßigkeit heraus bestimmen. Wenn Sie Cola produzieren, und die Menschen haben Hunger, dann trinken die Menschen auch die Cola. Das ist kein Beweis. Denn vielleicht hätten sie Brot der Cola vorgezogen. Dass etwas verkauft wird, ist kein Beweis dafür, dass ein entsprechender Bedarf vorhanden ist. Um etwas von den Bedürfnissen der Menschen zu erfahren, müssen Sie die Menschen nach seinen Bedürfnissen fragen!

Die Produktion muss sich nach den Bedürfnissen richten, statt umgekehrt. Wenn ich das laut sage, dann bekomme ich immer die selbe Antwort: Das tut sie doch automatisch. Das geschieht in der Marktwirtschaft automatisch, das macht der Markt. Das Kapital geht dahin, wo ein Gut knapp und teuer wird, dadurch verbilligt sich das wieder. Ein Gut wird knapp, dadurch wird es teuer, deshalb wollen alle damit Geld verdienen und gehen dahin, dadurch wird es vermehrt und entsprechend billiger. Das stimmt auch – manchmal wenigstens, wir werden noch darauf zurückkommen, wieso es manchmal auch nicht stimmt - aber angenommen, es stimmt. Was heisst das dann? Was heisst es denn konkret, dass sich die Produktion automatisch nach den Bedürfnissen richtet? Zuerst ist das Gut ja knapp, es muss ja knapp geworden sein, damit die Produktion reagieren kann. Aber das bedeutet doch etwas. Das bedeutet doch, da fehlt etwas, da hungern Menschen! Gut, dann geht das Kapital dahin, weil alle an den hohen Preisen verdienen wollen. Viele Unternehmen entstehen und produzieren das. Dann wird es wieder billiger. Das ist aber schon das nächste Problem: wer sagt, wann Stop ist? Wann ist es zu billig? Zu billig ist es in dem Augenblick, da zu viele Menschen jetzt wegen ihrer Gier in diese Branche gegangen sind, wenn Arbeitskräfte aus anderen Branchen in diese Branche abgewandert sind, und die Waren aus anderen Branchen dafür jetzt knapp und teuer werden. Dann herrscht da wieder Mangel und Not. Zu billig ist es auch dann, wenn jetzt 3 Konzerne einen Markt bedienen, für den einer gereicht hätte, und alle 3 ihren Mitarbeitern deshalb keinen gerechten Preis bezahlen können. Es stimmt, dann funktioniert der Automat wieder, denn was passiert letztendlich, wenn zu viele in einem Bereich arbeiten? Dann gehen zwei der drei Konzerne pleite. Das heisst aber, die Arbeiter landen auf der Straße, haben kein Einkommen und hungern. Dann ist da wieder Mangel. Also, der Automat funktioniert, ohne Zweifel. Er funktioniert aber so, dass dabei Menschen umkommen.

Deshalb verweise ich auf Rudolf Steiner und seine Sozialwissenschaft, auch wenn ich mir damit keine Freunde mache. Rudolf Steiner hatte nämlich die geniale wie schlichte Idee, dasjenige, was hier automatisch geschieht, nicht automatisch geschehen zu lassen, sondern es bewusst herbeizuführen. Wenn ein Gut knapp zu werden droht, dann lenken wir Kapital in diesen Bereich, damit es nicht erst knapp wird. Wenn ein Gut zu billig zu werden droht, so dass niemand mehr richtig davon leben kann, dann legen wir einen der Betriebe still und arbeiten etwas anderes, bevor wir auf der Straße landen. So versuchen wir jederzeit, die Preisverhältnisse mit den Wertverhältnissen zur Deckung zu bringen. Das ist die Idee der Assoziation. Dafür braucht es aber zuvorderst ein Wahrnehmungsorgan, eine gesellschaftliches Wahrnehmungsorgan, in dem die sachlichen Urteile der Produzenten, die Erfahrungen der Händler und die Bedürfnisse der Menschen zusammengeführt werden, so dass man ein Gesamturteil, ein wirtschaftliches Gesamturteil fällen kann.

IV. Ein praktisches Beispiel

Bedürfnisse, Erfahrungen und Sachkenntnisse müssen kommuniziert werden – nach diesem Vortrag klingt das immer noch etwas vage. Wir werden es gemeinsam immer klarer fassen in den nächsten Monaten. Ich kann Ihnen jetzt nicht gleich eine fertige Organisationsstruktur hinstellen, da müssen Sie mir schon helfen. Es geht eben nicht darum, sich Utopien auszumalen, sondern es geht darum, dass wir an der realen Notwendigkeit lernen. Aus der Not heraus stellen wir die Frage: wie kann auf der einen Seite das Wissen um die Fähigkeit, und auf der anderen Seite das Wissen um Bedürfnis, Sachkenntnis und Erfahrung so zusammenkommen, das beides zusammen Grundlage für das Vertrauen, und letztendlich Grundlage für die reale Produktion werden kann? Diese Frage ist nicht etwas ausgedachtes, sondern die Ereignisse zwängen uns diese Frage auf. Und die Beantwortung ist darum auch keine theoretische, sondern eine praktische. In der Praxis werden wir uns dann vor verschiedene Probleme gestellt sehen, und darauf kann es dann verschiedene Antworten geben. Aber wir müssen irgendwo anfangen.

Letzten Montag kam der Georg mit einem interessanten Vorschlag zu mir. Er will eine Produktion in Gang bringen. Ich sage jetzt nicht, was er produzieren will, denn der Georg hat mich darum gebeten, das noch nicht zu verraten. Er will davon erst reden, wenn er sicher ist, dass es keine Schnapsidee ist, und dass es funktionieren kann. Sagen wir, er will Möbel produzieren, denn er hat das selbe Problem wie ich: er sucht schlichte Möbel aus echtem Holz, sie sollen fair gehandelt und außerdem günstig sein. Man kriegt so was ja nicht, man kriegt nur noch diese Plastik-Scheiße. Wir haben dann gemeinsam überlegt, wie man so etwas richtig machen könne, damit wir eben nicht ins Blaue hineinproduzieren müssen. Und wir sind zu folgendem Schluss gekommen: Wir machen umgekehrte Werbung. Wir werben, bevor es das Produkt gibt. Wir suchen Menschen, denen es ähnlich geht. Dann versuchen wir ein Design zu finden, entweder selber, oder wir gehen mit unseren Ideen zu einem Designer. Und dann machen wir Werbung, das heisst, wir suchen andere Menschen, die das Produkt ebenfalls kaufen wollen. Wir fragen sie, welchen Preis sie bezahlen können, und wir fragen den Produzenten, welchen Preis er nehmen muss. Wenn es zu teuer ist, dann kann man es möglicherweise durch die Menge verbilligen, dann müssen wir mehr Menschen finden. Vielleicht brauchen wir 2.000, keine Ahnung. 2.000 Menschen bekunden ihr Interesse an dem Produkt, zu einem bestimmten Preis. Das alles, bevor irgendetwas produziert wurde. Mit dieser Information bitten wir um Kredit. Vielleicht bei der GLS-Bank, vielleicht auf dem selben Weg, öffentlich. Menschen gehen auf die Webseite und sehen, 2.000 Leute wollen das Produkt kaufen, wenn es da ist. Risiko gibt es immer, aber es gibt keine bessere Sicherheit. Der eine oder andere versteht das und gibt Kredit. Wenn wir genug zusammen haben, lassen wir das produzieren.

Das wäre ein Ansatz. Wir müssen solche Ansätze suchen, und sie auch umsetzen. Nur dürfen wir dann nicht den Fehler machen, dass wir solche Ansätze schon für das Ganze halten. Unsere Idee mit der Möbel-Konsumgenossenschaft – es ist keine Konsumgenossenschaft, aber so etwas ähnliches - hat nämlich einen Haken. Denken Sie sich, die Menschen gründen in dieser Art Konsumgenossenschaften. Dann hat die Tatsache, dass in diesem Bereich konsumiert wird und nicht eine einem anderen, eine Auswirkung auf die Preise der übrigen Waren. Um so mehr, je größer diese Konsumgenossenschaften sind. Das ist bei den großen Konsumgenossenschaften, die es ja gegeben hat, auch so passiert. Da besteht also wieder die Notwendigkeit, die eigenen Bedürfnisse mit denen anderer in das richtige Verhältnis zu bringen, den eigenen Konsumentenverein mit einem anderen zu assoziieren. Eine richtige Assoziation haben wir erst, wenn wir verschiedene Konsumentenverbände assoziieren, und diese wieder mit verschiedenen Produzentenverbänden aus verschiedenen Branchen assoziieren.

Wenn ich Produzent sage, dann meine ich niemals den Eigentümer eines Unternehmens, sondern ich meine immer den Arbeiter. Der Eigentümer ist kein Produzent, sondern der ist ein Schmarotzer der Arbeit. Mit den Eigentümern können wir nicht rechnen. Stellen Sie sich vor, die Assoziation will in einem Bereich die Arbeit vermehren, in einem anderen Bereich die Arbeit verringern. Das geht natürlich nicht, wenn sich einer mit seinem Eigentumsrecht dazwischenstellt. Rudolf Steiner hat deshalb die Assoziation von zwei Punkten angepackt: Er hat einerseits Konsumentenvereine gebildet. Auf der anderen Seite hat er die Arbeiter dazu aufgerufen, sich zu Betriebsräten zusammenzuschließen, aber zu überbetrieblichen. Die Betriebsräte sollten je nach Branche verschiedene Ausschüsse bilden. Diese Ausschüsse hätten sich dann assoziiert. Und diese Assoziationen hätten sich wieder mit den Konsumentenverbänden assoziiert. Diese Assoziation hätte wieder Ausschüsse gebildet, und die hätten sich wieder mit anderen assoziiert usw. Das Ganze wäre schließlich in einer Spitze zusammengelaufen, hätte in einem Rat gemündet, bei dem sich das Wissen um die Bedürfnislage und die realen Produktionsbedingungen gebündelt hätte. Und dieser Rat, diese oberste Spitze, die hätte dann überhaupt gar nichts zu entscheiden gehabt! Der hätte gar nichts, rein gar nichts anzuordnen gehabt!

Der Rat hätte nur die Konzentration der verschiedenen Urteile und Erfahrungen bewirkt, er wäre sozusagen ein Knotenpunkt des Informations-Netzwerkes gewesen. Über diesen Knotenpunkt wäre die Kommunikation gelaufen, über ihn hätte jeder den anderen mit seinen Bedürfnissen und Fähigkeiten wahrnehmen können. Die Entscheidungen aber, die hätten dann die Menschen selber treffen müssen, nur eben bei vollem Bewusstsein, im Hinblick auf das Wissen um die Gesamtlage der Bedürfnisse und im Hinblick auf die realen Möglichkeiten.

Die Arbeiter haben in einer solchen Assoziation, anders als der Unternehmer, kein Interesse daran, einen Betrieb zu erhalten, wenn es keinen Sinn mehr macht, denn sie haben ja das gesamte Geflecht aus Betrieben unter sich. Wenn in einem Bereich weniger gearbeitet werden soll, dann entsteht dafür Arbeit in einem anderen Bereich. Das Phänomen Arbeitslosigkeit verschwindet. Das war die Idee der Betriebsrätebewegung, die Rudolf Steiner ins Leben gerufen hatte, die dann aber an den Gewerkschaften gescheitert ist, die für ihren „Lohnkampf“ ja stets Eigentümer zum Kämpfen brauchen, und auf gar keinen Fall eine Selbstverwaltung durch einen überbetrieblichen Zusammenschluss der Arbeiter haben wollen, denn der hätte sie ja selber überflüssig gemacht.

Ein Interesse daran, sinnlose Arbeit zu verrichten, einen Betrieb gegen seinen Sinn zu erhalten, hat nur derjenige, der sein Einkommen nicht seiner Arbeit, sondern dem Eigentum an dem Produktionsmittel verdankt. Die Arbeiter kämpfen heutzutage nur scheinbar um den Erhalt ihres Betriebes. Sie kämpfen deshalb für den Erhalt des Betriebes, weil die Eigentümer auch die Arbeitsplätze besitzen, und sie von den Eigentümern der Produktionsmittel abhängig sind. Sobald dieses Arbeitsplatz-Eigentum verschwunden ist, macht das keinen Sinn mehr, dann kann die Arbeit nach dem Bedarf zirkulieren, dann kann jeder da arbeiten, wo er einen Bedarf erkennt und seine Fähigkeiten einbringen will. An einem der kommenden Abende wollen wir deshalb über das Eigentum an Produktionsmitteln sprechen, denn von dieser Frage hängt die Möglichkeit ab, ob es uns gelingen kann, Assoziationen zu bilden.

Literaturempfehlung:

*Rudolf Steiner: Die Kernpunkte der sozialen Frage, GA 23, Rudolf Steiner: Nationalökonomischer Kurs, GA 340. Ab 10 Euro neu, ab 7 Euro beim Bücherkabinett, ab 2 Euro bei booklooker, und kostenlos unter www.dreigliederung.de.

Weiterführende Texte: