Der Hunger in Äthiopien und der Pragmatismus der Deutschen

01.01.2010

Vortrag vom 5. Abend des Arbeitskreises Finanzkrise und soziale Dreigliederung (jeden 1. und 3. Montag im Monat, 19:15 Uhr, Sinnewerk gGmbH, Rigaer Str. 104, 10247 Berlin. Kontakt: Andreas Schurack, 030/27496797, oder Johannes Mosmann 030/26305202)

Liegt der Hunger am Wetter?

Äthiopien ist ein fruchtbares Land. In Deutschland denkt man, Äthiopien sei ein karges, vertrocknetes Land mit viel Steppe oder gar Wüste. Das stimmt nicht. Äthiopien ist ein Land voll saftig-grüner Hügel – wenn die Menschen, die dort gewesen sind, nicht gelogen haben. Ich selbst war nie da. Aber ich habe darüber gelesen. Und ich habe mir Reisefotos angesehen. Es muss ein traumhaft schönes Land sein. Auf den Bildern fällt allerdings eines sofort auf: die grünen Hügel werden immer wieder unterbrochen von kleinen, gelb-braunen Flecken, manchmal hängen auch mehrere zusammen, dann sieht es aus wie ein Schachbrett. Das sind die Felder, auf denen die Bauern Getreide anbauen, z.B. Teff, eine uralte Hirseart.

Fas 80 Millionen Menschen leben in Äthiopien. 87% davon sind Bauern. Ein Teil dieser Bauern leistet auf deutschen, israelischen oder saudischen Farmen Sklavenarbeit für die Heimatländer ihrer Besitzer. Der größere Teil ist jedoch selbständig und baut Getreide an, und zwar vor allem für den Eigenbedarf. Das sind also Selbstversorger. Äthiopien ist vor allem eine Selbstversorgerwirtschaft. Das Selbstversorger-System funktioniert natürlich auch in Äthiopien nicht, aber so ist es eben im Augenblick. Daher die vielen kleinen Flecken.

Ein äthiopischer Bauer kann, wenn er Glück hat, und das Wetter gnädig war, gerade genug für sich und seine Familie anbauen. Wenn es ein besonders gutes Jahr war, dann kann er auch Getreide verkaufen und sich dafür Schuhe, Kleider und andere Güter kaufen. Wenn es ein schlechtes Jahr war, muss er Getreide zukaufen. Und wenn es ein besonders schlechtes Jahr war, dann ist sein Leben bedroht. Die Bilder aus Äthiopien nach der Dürre von 1984 kennen Sie ja aus den Boulevard-Zeitschriften. Damals sind in einem Jahr 1 Million Äthiopier verhungert.

49% der Äthiopier sind gegenwärtig unterernährt. Der Zukauf von Getreide gestaltet sich jedoch schwierig, da sich der Getreidepreis durch die Spekulation der westlichen, auch der deutschen Anleger mehr als verdoppelt hat. Ein Kilo Hirse kostet in Äthiopien ca. 1,20 Euro. Pro Kopf verdient ein Äthiopier jedoch am Tag durchschnittlich nur 20 Cent. Dieses Missverhältnis hat viele Ursachen, und die meisten liegen nicht in Äthiopien, sondern in Deutschland. Wir werden dem noch nachgehen, heute will ich aber auf die Ursachen sehen, die nicht offensichtlich mit den Machenschaften von EU und Deutschland zusammenhängen, sondern auch mit den Bauern selber. Ich will von den Ursachen sprechen, mit denen sich die Europäer gerne rausreden wollen, von dem naiven Vorurteil über den Hunger: Die Afrikaner hungerten wegen den schlechten klimatischen Bedingungen, wegen des politischen Systems, oder wegen der unterentwickelten Wirtschaft.

Diese Behauptungen sind nicht ganz falsch. Das Vorurteil besteht aber auch nicht darin, dass man überhaupt diese Faktoren als Ursachen für den Hunger anführt. Das Vorurteil besteht vielmehr darin, dass man sie für gewöhnlich dann anführt, wenn man Europas Schuld leugnen will. Denn weder die Natur, noch die wirtschaftliche Entwicklung, noch die äthiopische Politik sind ohne Zusammenhang zur Weltwirtschaft und zur europäischen und deutschen Wirtschaftspolitik. Der Fehler ist also einfach, dass man mit diesen Faktoren den Bereich benennen will, wo die Äthiopier angeblich „selber schuld“ seien, während ausgerechnet diese Faktoren zu Europa führen. Wir haben nicht auf der einen Seite die Spekulation, wo die Europäer schuld sind, und auf der anderen Seite die äthiopische Politik, das Klima oder die wirtschaftliche Entwicklung, wo die Äthiopier selber schuld sind. Und wenn wir jetzt auf den Punkt sehen, bei dem man für gewöhnlich denkt, dass die Europäer damit am allerwenigsten zu schaffen haben, nämlich auf das Klima in Äthiopien, dann werden Sie sehen, dass gerade dieser Faktor direkt zu Europa führt. Ich denke dabei allerdings nicht an die Umweltsünden der Europäer, sondern an die natürliche Beschaffenheit Äthiopiens.

Äthiopien war einst die Kornkammer Afrikas, denn Äthiopien ist fruchtbar. Gleichwohl ist natürlich auch in Äthiopien das Wetter wechselhaft. Und deshalb zittert der äthiopische Bauer einmal bei der Aussaat, denn da muss es regnen, es darf aber auch nicht zu viel regnen. Und dann zittert er vor der Ernte, denn da muss es erst regnen, und dann darf es wieder eine Zeit nicht mehr regnen, denn sonst ist das Getreide kaputt. Sie können sich also denken, dass die Natur die Frage, ob der Bauer etwas zu essen hat oder nicht, jedes Jahr anders entscheidet. Ob der Bauer satt wird, das hängt also auf der einen Seite von der Natur ab.

Auf der anderen Seite hängt es jedoch von der Arbeit des Bauern ab. Der Bauer bearbeitet die Erde. Und die Effektivität der Arbeit des Bauern, die hängt wiederum davon ab, wie der Geist die Arbeit organisiert. Die Natur können wir nicht ändern, das stimmt. Aber wir können das Verhältnis des Menschen zur Natur ändern, wir können die Arbeit an der Natur organisieren. Das günstige Klima, das gute Jahr, kann besser ausgenutzt werden. Es muss besser ausgenutzt werden. Es muss so gut ausgenutzt werden, dass der Bauer in dem guten Jahr nicht nur für sich selbst, sondern für viele andere Menschen Getreide erntet. Der Geist muss die Arbeit so ergreifen, dass der Bauer nicht für den Eigenbedarf arbeiten muss, sondern für den Bedarf anderer Menschen arbeiten kann. Dann kann er das Getreide verkaufen, und das schlechte Jahr dadurch ausgleichen, dass er Getreide von den Menschen kauft, die dann ein gutes Jahr haben.

Wie ergreift der Geist die Arbeit? Nun, zum Beispiel, indem er eine Hacke erfindet. Davon hängt die Effektivität der Arbeit ab. Die Effektivität hängt davon ab, ob der Boden bewässert werden kann, welche Werkzeuge zur Verfügung stehen, ob es gar Maschinen gibt – kurz, von den Ideen der Menschen, von den als Produktionsmittel materialisierten Erfindungen menschlicher Geister.

Die äthiopischen Bauern können die Launen der Natur nicht beeinflussen, aber sie können sich von diesen Launen unabhängig machen, wenn sie die Selbstversorgerwirtschaft aufgeben, und an dem arbeitseiligen Wirtschaftsprozess teilnehmen. Das Schachbrett-Muster, das man bei einem Blick von oben auf die äthiopische Landschaft sieht, muss verschwinden, bzw., die Felder dürfen nicht nur dem Bedarf des Bauern dienen. Es muss möglich sein, einen höheren Ertrag zu erzielen, und es muss möglich sein, den höheren Ertrag mit weniger Menschen zu erzielen. Dann können auch andere Arbeitsgebiete entstehen, z.B. eine verarbeitende Industrie. Und das wiederum ermöglicht erst eine Unabhängigkeit von Europa.

Ich weiß, dass manche Hilfsorganisationen das anders sehen. Die haben eine ganz romantische Vorstellung von der Selbstversorgung. Insofern sie sich die Selbstversorgung als Gegenbild zur Kolonisation durch die Europäer ausmalen, habe ich Verständnis dafür. Es ist trotzdem falsch. Ich rede ja nicht davon, dass die Äthiopier kostenlos für Europa arbeiten sollen. Sie können nur dann für Europa arbeiten, wenn sie das Land selber besitzen, und wenn sie höhere Preise nehmen. Zunächst sollten sie aber wenigstens für den lokalen Markt arbeiten, anstatt für sich selber. Davon rede ich. Ich rede davon, dass die Menschen aufhören müssen, für sich selber zu arbeiten, wenn sie einen Puffer erzeugen wollen, der eine Dürre aushalten kann. Sie müssen für einander arbeiten, anstatt für sich selber. Denn die Arbeitsteilung spart Arbeitszeit, und erhöht die Produktivität.

Die Menschen in Äthiopien wollen das auch. Es gibt einen eindrucksvollen Dokumentarfilm, er heisst Wenn der Regen ausbleibt, da sieht man, dass die Menschen das wollen, und man sieht auch, woran es scheitert. Da ist zum Beispiel ein Kaufmann, der hat einen kleinen Laden eingerichtet. Um die Bedürfnisse seiner Kunden befriedigen zu können, bräuchte er einen LKW, denn er müsste die Waren in größeren Mengen in der Stadt einkaufen. Deshalb spart er jetzt. Vielleicht wird er irgendwann genug Geld zusammen haben, aber es wird lange dauern bis dahin. Und wenn eine größere Hungersnot dazwischen kommt, dann wird es nichts.

Was wäre aber, wenn man diesem Mann den LKW gleich geben würde? Er könnte die Effektivität seiner Arbeit erhöhen, mehr Waren verkaufen, und aus dem Erlös den LKW bezahlen. Dann wäre aber der gleich LKW da, und man könnte allmählich in die Arbeitsteilung hineinkommen!

Das nennt man Kredit. Der Mann braucht also einen Kredit. Woher bekommt man Kredit? Kredit bekommt man von der Bank, so denken die meisten. Das ist aber nur zum Teil richtig. Denn obzwar die Entscheidung darüber, ob ich Kredit bekomme, bei den Bankhäusern liegt, so sind es nicht die Banken, die den Kredit geben, sondern die Menschen, bei denen ich das Geld ausgebe. Kredit bekommt man niemals von der Bank, sondern immer bei den Menschen, bei denen man das Geld ausgibt. Ich will versuchen, das zu erklären.

Was ist ein Kredit?

Angenommen, wir hätten hier ein geschlossenes Wirtschaftssystem. Jeder von uns bearbeitet ein Stück des Bodens. Nach getaner Arbeit gibt jeder von uns die Früchte seiner Arbeit in einen gemeinsamen Topf, und nimmt dafür etwas anderes heraus.

Jetzt hat einer von uns eine Idee für eine neue Unternehmung. Er glaubt, dass diese Idee für alle von Wert sein wird, wenn er sie umsetzen kann. Aber um seine Idee zu verwirklichen, muss er aufhören, das zu arbeiten, was er bisher gearbeitet hat, und erst mal ein Gerät bauen. Mit diesem Gerät will er dann später die Arbeit am Boden vereinfachen. Von dem Gerätebauen haben wir aber erstmal nichts, das Gerät können wir nicht konsumieren. Trotzdem muss der Gerätebauer etwas aus dem gemeinsamen Topf nehmen, um zu überleben. Das macht er auch. Und anstelle der Waren, die er bisher erzeugt hatte, legt er jetzt in den gemeinsamen Topf einen Zettel. Auf den Zettel schreibt er, was er aus dem Topf genommen hat.

Wir anderen, wir müssen jetzt mehr arbeiten als vorher, um den Gerätebau zu ermöglichen. Der Gerätebauer gibt uns dafür nur Zettel. Etwas anderes führt er unserer kleinen Wirtschaft erstmal gar nicht zu, nur diese Zettel, auf denen drauf steht, was er von uns genommen hat. Ausgeglichen wird unsere Mehrleistung erst dann, wenn unser Unternehmer das Gerät so verwenden kann, dass es Warenwerte erzeugt und sie in den gemeinsamen Topf gibt. Dann bekommen die Zettel einen Wert. Mit den Zetteln können wir dann etwas kaufen, denn in ihnen haben wir den Nachweis, das wir unseren Teil schon hineingegeben haben, und deshalb etwas von dem nehmen können, was der Unternehmer jetzt erzeugt hat.

Wenn das dagegen ausbliebe, wenn der Unternehmer nichts produziert hätte, dann wäre gesamtwirtschaftlich einfach weniger da. Das, was er am Anfang auf die Zettel geschrieben hat, wäre ja nicht drin, sondern das würde fehlen. Was bedeutet das, wenn einer viele Zettel in den Topf geben kann? Der kann dann ja auch viele Menschen von anderer Arbeit abziehen und für sein Projekt arbeiten lassen. In dieser Zeit versorgen dann immer weniger Menschen immer mehr Menschen, weil ja immer mehr Menschen etwas arbeiten, was nicht unmittelbar konsumiert werden kann. Das ist der Kreditvorgang, das geschieht, wenn sich einer Geld von der Bank ausleiht und das Geld ausgibt. Solange dabei keine neuen Werte entstehen, ist die Last dann für diejenigen, die nicht an dem Projekt beteiligt sind, groß, und entsprechend groß ist die Verantwortung des Kreditnehmers, dass seine Idee fruchtbar ist.

Kredit bekommt man in Wahrheit nie von der Bank. Die Bank gibt nur die Zettel (heute in Form von Bits) aus. Von der Bank bekommt man Geld. Und solange man das Geld bloß ausgibt, bekommt man Kredit von den Menschen, bei denen man es ausgibt. Das Geld, das der Kreditnehmer diesen Menschen für ihre Waren gibt, ist ein Schuldversprechen. Und wenn er in der Zeit, in der er die Waren konsumiert, selbst etwas erzeugt, das später die Warenwerte vermehrt beziehungsweise die Warenproduktion insgesamt verbilligt, dann hält er damit sein Versprechen. Er fügt dem Wirtschaftskreislauf einen entsprechenden Wert hinzu. Das Geld hat dann eine Deckung bekommen.

Kredit muss man immer dann geben, wenn ein Produktionsmittel gebaut werden soll, bzw., wenn sich jemand ein Produktionsmittel kaufen will. Denn wer ein Produktionsmittel baut, kann keinen Warenwert anbieten, das Produktionsmittel selbst kann ja nicht konsumiert werden. Der Erbauer muss aber seinerseits konsumieren. Das ist also zunächst ein einseitiges Geschäft: für das Produktionsmittel müssen Werte hingegeben werden. Es kommt zunächst aber nichts zurück. Denn das Produktionsmittel selber hat zunächst keinen wirtschaftlicher Wert, erst die Waren haben einen Wert, und das gibt dann auch dem Produktionsmittel einen Wert. Ob wieder etwas zurückkommt, das hängt deshalb davon ab, ob das Produktionsmittel richtig eingesetzt wird, ob der Nutzer des Produktionsmittels die Fähigkeiten hat, mit diesem in richtiger Weise in die Arbeitsprozesse einzugreifen. Und es hängt natürlich davon ab, ob ein Bedarf für das besteht, was er produziert.

Der Kredit ist eine Tatsache, er ist immer da, auch wenn es keine Banken gibt. Der Kredit ist immer da, wo sich ein Produktionsmittel zwischen die Arbeit und die Natur schiebt. Da, wo der Mensch die Selbstversorgung aufgibt, sich mit Hilfe der Produktionsmittel die Arbeit teilt, sich spezialisiert um insgesamt die Produktivität zu erhöhen, da geht notwendig immer der Kredit voran. Wenn das Kreditwesen Bankenmäßig organisiert ist, dann erkennt man ihn natürlich am Geld, aber er ist auch sonst da, einfach dadurch, dass der Produktionsmittelhersteller konsumiert, ohne eine unmittelbare Gegenleistung zu erbringen, bzw. der Produktionsmittelkäufer.

Der Kreditvorgang geschieht real zwischen den Menschen. Die Banken geben keinen Kredit, sondern die Menschen geben sich Kredit. Die Banken entscheiden aber heute, wer Kredit bei den Menschen nehmen darf. Und das ist das Problem. Denn die Banken handeln irrational. Rational denken hieße hier: Ich schaue, ob der Kreditnehmer die Fähigkeit hat, das Produktionsmittel zu nutzen, und ob ein Bedürfnis für die Waren besteht, die er erzeugen will. Wenn er die Fähigkeit hat, und wenn ein Bedürfnis für seine Waren besteht, dann kann er den Kredit auch tilgen und den Zins bezahlen.

Die äthiopischen Bauern brauchen Produktionsmittel, sie brauchen Bewässerungssysteme, Traktoren, etc. Sie brauchen also Kredit. Ich rede nicht vom Wucher, die selben Hilfsorganisationen, die von der Selbstversorgung träumen, haben auch etwas gegen den Kredit, weil sich die Bauern bei der gegenwärtigen Art der Kreditierung verschulden und ihr Land verlieren. Genau das meine ich aber nicht. Indem die Hilfsorganisationen deshalb etwas gegen den Kredit als solchen vorbringen, schütten sie das Kind mit dem Bade aus. Wucher und Verpfändung des Landes haben mit dem Kredit als solchen gar nichts zu tun. Genau das gilt es ja zu bekämpfen, dass man Wucher treiben kann, oder das man sein Land verpfänden kann. Das hat mit dem Kredit als solchen aber gar nichts zu tun, und die hilflosen Hilfsorganisationen beweisen mit ihrer pauschalen Ablehnung des Kredits eben nur, dass sie die sachlichen, differenzierten Begriffe noch nicht bilden können, die wir jetzt zusammen bilden wollen.

Wenn sie aus der Selbstversorgung herauskommen wollen, brauchen die äthiopischen Bauern Kredit. Sind sie kreditwürdig? Sie sind kreditwürdig. Sie kennen das Land, sie sind mit dem Land verwachsen, wenn einer weiß, wie man es bebauen muss, dann sie. Und dass sie ihre Produkte loswerden würden, daran besteht wohl kaum ein Zweifel. Kleine Kredite, wenigstens für Traktoren oder Bewässerungsanlagen, wären also denkbar. Aber so denken die Menschen nicht, die über die Kreditvergabe entscheiden. Und da sind wir mitten in Europa, da berühren wir das, aus dem auf der einen Seite die Unmöglichkeit entspringt, den äthiopischen Boden besser zu bearbeiten, und auf der anderen Seite das Finanzkapital.

Wie der Realkredit die Wirtschaft verteuert

Die Kreditvergabe wird gegenwärtig nicht davon abhängig gemacht, ob der Kreditnehmer die Fähigkeit hat, Warenwerte zu erzeugen, und ob für die erzeugten Warenwerte ein Absatzmarkt besteht. In das internationale Finanzwesen hat sich eine Krankheit eingenistet, die ihre Wurzeln im europäischen Mittelalter hat. Wir haben uns etwas angewöhnt, das völlig unerklärlich ist, wenn man nicht die Entstehung unseres Eigentumsdenkens aus der Verquickung des römischen Rechts mit den mittelalterlichen Wirtschaftsverhältnissen studiert hat. Ich habe das in Herrschaft eines toten Geistes ja entwickelt. Mit diesem Eigentumsdenken, das völlig Wirklichkeitsfremd ist, rechnet man heute, aber man rechnet nicht mit der Wirklichkeit. Wir sehen bei der Kreditvergabe nicht auf die fähige Produktion und das reale Bedürfnis, sondern auf was anderes, das uns sicherer zu sein scheint als die Produktion selber, nämlich das Eigentum an dem Produktionsmittel. Wer aufmerksam zugehört hat, der merkt schon, wo sich da die Katze in den Schwanz beisst.

Wir haben uns an die Vorstellung gewöhnt, dass man einen Kredit nur für Sicherheiten bekommt, dass man also schon ein Produktionsmittel haben muss, wenn man Kredit bekommen will, dass man ein Eigenkapital haben muss. Denn falls der Kreditnehmer unfähig sein sollte, mit dem geliehenen Geld Werte zu erzeugen, und daher den Kredit nicht zurückbezahlen kann, dann ist es doch gut, wenn man auf einen bereits vorhandenen Wert zurückgreifen kann. So denkt man. Und darum haben wir Realkredite, Kredite also, für die Sicherheiten genommen werden, wie z.B. eine Hypothek oder eine Grundschuld. Stimmt die Rechnung aber, kann man sich überhaupt in dieser Weise absichern?

Was geschieht zunächst, wenn derjenige, der einen Zettel in den Topf legt und sich dafür Waren herausnimmt, selbst keine Waren erzeugt? Dann ist er eine Belastung für die anderen. Was passiert aber, wenn er zwar keine Waren erzeugt, aber zum Ersatz dafür den Boden verkauft, auf dem er arbeiten sollte? Er hat ja, wenn er das Geld nur ausgegeben hat, bis dahin auch Waren in Anspruch genommen, ohne eine Gegenleistung zu erbringen. Jetzt will er zum Ausgleich für seine fehlende Leistung, dass seine Mitmenschen auch noch den unbearbeiteten Boden bezahlen. Ist da irgendeine Logik drin? Der nächste, der jetzt den Boden bearbeiten soll, der vielleicht sogar fähig wäre, ihn zu bearbeiten, der muss sich nicht nur einen Kredit für seinen Verbrauch aufnehmen, sondern darüber hinaus noch einen zusätzlichen Kredit für den Boden, den sein Vorgänger an Stelle von Waren verkaufen will. Die unnötige Mehrleistung der Menschen, die tatsächlich wirtschaftliche Werte erzeugen, vervielfältigt sich. Das ist verrückt. Dadurch, dass die Bank eine Sicherheit für die Ausgabe von Geld bekommt, vergrößert sich der wirtschaftliche Schaden.

Durch den Verkauf von Grund und Boden kann der Kreditnehmer seine Geldschulden zurückbezahlen und ist aus dem Schneider. Die Schulden gegenüber den Menschen, bei denen er seinen Geld-Kredit ausgegeben hat, sind dann aber noch offen. Für diese Waren-Schulden muss jetzt der neue Nutzer des Bodens aufkommen, er muss Werte erzeugen, die sowohl seinen eigenen Ausgaben, als auch denen seines Vorgängers entsprechen. Durch die Bewertung von Grund und Boden kann ein Kreditnehmer also seine Schulden schieben. Dadurch verteuert sich die Wirtschaft insgesamt. Sogen. Realkredit verteuert die Wirtschaft. Und das ist der Grund unserer Finanzkrise.

Sie erinnern sich, den Ausgang nahm die Finanzkrise in der Immobilienkrise. Die Banken haben Kredite für den Kauf von Grund und Boden gegeben. Die mit den Krediten gekauften Grundstücke dienten gleichzeitig als Sicherheiten für die Kredite. Ob die Kreditnehmer imstande waren, dem Boden einen Wert zu geben oder sonst wie einen Wert zu erzeugen, das blieb unberücksichtigt. An den Böden, die in den USA wie Waren gehandelt wurden, wurde nicht gearbeitet, zumindest nicht entsprechend der Höhe der Kredite. Es entstanden keine Waren, aus deren Verkauf die Schuldner das Geld zum Ausgleich ihrer Kreditschulden hätten nehmen können. Stattdessen gab man dem Boden als solchem einen Wert, und konnte so die Schulden schieben. Ich brauche es nicht weiter auszuführen, sie wissen ja, was dann kam. Der Realkredit ist ein ökonomischer Firlefanz, aber der Firlefanz ist die Realität. Das ist die Lehre aus der Finanzkrise.

Die Deutschen machen den Hunger

Das Schachbrett-Muster in den äthiopischen Bergen verschwindet langsam, die Felder wachsen zusammen zu großen Anbauflächen. Aber sie wachsen nicht deshalb zusammen, weil man den äthiopischen Bauern Kredit gegeben hat. Man hat deutsche, israelische und saudische Unternehmen kreditiert. Denn die hatten vorher schon was. Und weil sie vorher schon was hatten, weil sie Eigenkapital hatten, konnten sich die reichen Leute Bewässerungsanlagen für ihre Plantagen bauen lassen. Und auf die Plantagen haben sie Traktoren gestellt. Die Äthiopier dürfen jetzt tatsächlich Traktor fahren – für maximal 1 Euro Tagesgehalt. Das Kilo Hirse kostet 1,20. Und wissen Sie, was die Äthiopier auf diesen Plantagen für 1 Euro die Stunde anbauen müssen? Rosen. Natürlich nicht für Äthiopien. So weit sind die Äthiopier nicht, wenn sie erst noch für ein Kilo Hirse sparen müssen, dass sie sich Rosen kaufen würden. Das wäre glatter Selbstmord. Nein, die Äthiopier bauen Schnittblumen für Europa an, in ganz großem Stil. Hauptabnehmer sind Sie, die Deutschen. 4/3 der Blumen in unseren Blumenläden kommen aus dem Ausland, ein großer Teil davon aus Kenia und Äthiopien.

Man hat den Plantagenbetreiber übrigens nicht nur Kredit gegeben. Die Weltbank hat ihnen 70% der Kosten für die Bewässerungsanlagen bezahlt. Denn, so die Argumentation der Weltbank, durch die Öffnung Äthiopiens für das internationale Finanzkapital würde Äthiopien in die Weltwirtschaft einbezogen werden. Und das ist nicht einmal gelogen. Die äthiopischen Bauern nehmen auf diese Weise tatsächlich noch Teil an der weltweiten Arbeitsteilung – als Sklaven, für Muttertag in Deutschland. Und damit bin ich bei dem letzten der 3 Faktoren angekommen, an denen die Äthiopier angeblich selber Schuld sind: die äthiopische Politik. Dass nämlich äthiopische Bauern für uns Schnittblumen anbauen, anstatt Getreide für ihre hungernden Kinder, das hat die deutsche Regierung, darunter auch eine rot-grüne, in mehreren Verträgen mit der äthiopischen Regierung ausgehandelt. Ich habe Ihnen einen solchen Vertrag mitgebracht, da dreht sich Ihnen alles um, wenn Sie das lesen.

Äthiopien wird wieder eine Kornkammer werden, allerdings für Europa. Die Investoren strömen derzeit nach Äthiopien, nicht nur um Blumen, sondern auch um Getreide anzubauen. Die Saudis machen vor, wie es geht: in riesigen Mengen produzieren sie in Äthiopien Getreide für Saudi Arabien. Von wegen schlechtes Klima! Die Äthiopier sehen von dem Gewinn aus diesem Geschäft nichts, auch wenn selbstverständlich sie auf den saudischen Feldern stehen, und nicht die Saudis.

Das Getreide, das die Äthiopier für weniger als 1 Euro Tageslohn anbauen, können sie sich nur leisten, wenn sie europäische Entwicklungshilfe beanspruchen. Die Entwicklungshilfe ist jedoch an die Bedingung geknüpft, dass die Äthiopier das Land für die Investoren freigeben, sprich: die Produktionsmittel an die Investoren abtreten. Gelegentlich bekommen zwar auch einmal ein Äthiopier Kredit für den Landbau – aber nur dann, wenn er es den Europäern gleich tun konnte, wenn er seine Mitmenschen mit Hilfe der Eigentumsmacht ausbeutet. Denn das will die Bank sehen, bevor sie Kredit gibt. Die Bank will einfach sehen, dass sie bei einem Kreditausfall auf eine Machtstruktur zugreifen und so leistungsloses Einkommen beziehen kann. Kurz gesagt: Die Wirtschaft Äthiopiens soll auf die Feudalstrukturen des europäischen Mittelalters gebaut werden, davon macht Europa Kredit und Entwicklungshilfe abhängig. Das ist der Inhalt der Verträge zwischen der deutschen und der äthiopischen Regierung. Obwohl er wirtschaftlich ein völliger Unfug ist, und gegenwärtig auch die deutsche Wirtschaft ruiniert, wollen die Deutschen den Afrikanern den mittelalterlichen Kapital- und Investitionsbegriff aufzwängen. Und deshalb sind derzeit 6 Millionen afrikanische Kinder vom Hungertod bedroht.

Also, man muss ganz anders denken. Ein Kreditwesen, das mit der Eigentumsmacht verquickt wird, treibt uns in den Ruin, und andere in den Tod. Wirtschaftlich gedacht ist nur ein Kredit, bei dem ausschließlich auf Fähigkeit und Bedarf gesehen wird. Wie das denkbar ist, das wird jetzt der Andreas entwickeln.

Literaturempfehlung:

*Rudolf Steiner: Die Kernpunkte der sozialen Frage, GA 23, Rudolf Steiner: Nationalökonomischer Kurs, GA 340. Ab 10 Euro neu, ab 7 Euro beim Bücherkabinett, ab 2 Euro bei booklooker, und kostenlos unter www.dreigliederung.de.

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