Das Thema Geld im Geschichtsunterricht

01.12.2004

In unserem Leitbild steht unter der Überschrift „Vision“ zum Schluss folgender Satz: die Entfaltung der Individualität, die sich verantwortlich für Mitmensch und Mitwelt engagiert, ist das Ziel unserer Schulgemeinschaft.

Für die Entfaltung der Individualität des Schülers ist es wichtig, dass er so viele Anregungen und Anlässe wie nur möglich erhält, das, was in ihm ruht, zu entwickeln. Was die soziale Verantwortung betrifft, ist das schon schwieriger. Wir gehen davon aus, dass unsere integrative Gemeinschaftsstruktur und der Verzicht auf Selektion zu deren Entstehen beitragen können, es hängt aber auch viel davon ab, auf welche Weise im Unterricht die Begegnung mit „Welt“ erfolgt; ob es gelingt, das Bewusstsein des Schülers nachhaltig über seinen persönlichen Bereich hinaus zu erweitern, im Idealfall über den ganzen Globus, ob er dazu angeregt werden kann, Mitempfinden und Willensimpulse zu entwickeln, ob ein grundlegendes Durchschauen derjenigen Zusammenhänge ermöglicht wird, in denen freies, sozial verantwortliches Handeln erfolgen soll.

Mit Geld geht jeder täglich um. Bis zu welchem Grade es wirklich durchschaut wird, so dass man von sozial verantwortlichem Handeln sprechen kann, das ist eine andere Frage. Die Rolle des Geldes in unserem Leben ist vergleichbar mit der des Wassers: wo es hinströmt entsteht soziales Leben, wo es ausbleibt – soziale Wüste. Vom Ausbleiben des Geldes sind immer mehr Menschen betroffen. Es lohnt sich also, das Thema Geld in den Unterricht einzubeziehen.

Im Folgenden möchte ich kurz umreißen, wie das Thema Geld im Geschichtsunterricht behandelt werden kann (ohne Anspruch auf Vollständigkeit). Die Wirtschaftsepoche in der 6. Klasse zur Vorbereitung des Prozentrechnens ist eine ideale Basis. Hier werden die geschichtliche Entwicklung des menschlichen Wirtschaftens und alle grundlegenden Fragen der Wirtschaft altersgemäß besprochen, so dass alles weitere Wiederholung, Aufbau, Vertiefung ist. Am nachhaltigsten ist der Lerneffekt immer dann, wenn die Schüler zu einem Erlebnis kommen, z.B. wenn sie in kleinen Gruppen überlegen, was alles nötig ist, um ein bestimmtes Produkt, beispielsweise eine Tafel Schokolade kaufen zu können und das auf einem großen Blatt Papier darstellen. In der Regel ist das Blatt hinterher ganz voll und die Schüler erhalten einen tiefen Eindruck von dem vielfältigen engen Geflecht der wirtschaftlichen Beziehungen, welches die ganze Welt miteinander verbindet. Und in einem weiteren Schritt wird ihnen dann auch klar, dass es das Geld ist, was diese unübersehbaren wirtschaftlichen Betätigungen miteinander verknüpft.

In der 7. Klasse beginnt im Geschichtsunterricht der Gang durch die Neuzeit. Etliche Ereignisse bieten die Möglichkeit, an ihnen auch Aspekte der Geldfrage zu verdeutlichen.

Das veränderte Bewusstsein der Neuzeit führt dazu, dass die bestehenden Weltbilder revolutioniert werden, dass im weiteren einzelne „unternehmungslustige“ Persönlichkeiten so auf ihr eigenes Denken vertrauen, dass sie es wagen, in See zu stechen, um den Wahrheitsgehalt ihrer Gedanken in der Realität zu erproben. Erkenntnisstreben ist der Ausgangspunkt vieler Entdeckungsfahrten. Dabei müssen diese Fahrten mit ungewissem Ausgang vorfinanziert werden, bevor sie etwa durch erwartete vereinfachte Handelswege wiederum Einnahmen ermöglichen. In diesem Zusammenhang kann man den Kredit (von lat. credere – glauben) erörtern, der zwischen dem Besitzer einer Idee oder einer Fähigkeit und einem Kapitalbesitzer die Brücke schlägt. Für den Kredit wird in der Regel ein Zins fällig, den der Kreditnehmer bezahlen kann, wenn er aus dem zur Verfügung gestellten Geld etwas Produktives gemacht hat. Bei dieser Gelegenheit kann man auch auf die unterschiedliche Wirkung von Produktions- und Konsumkrediten hinweisen. Beim Konsumkredit ist der Zins nicht durch zunehmende Produktion gedeckt und es entsteht langfristige Verarmung. Vom Zins ist dann der Zinseszins zu unterscheiden. Hätte Joseph zur Geburt seines Sohnes um die Zeitenwende einen Pfennig zu 3% angelegt und die Zinsen stehen lassen, so hätte sein Vermögen heute einen Umfang von mehr als der gesamten vorhandenen Geldmenge. Wären die Zinsen stets verbraucht worden, wären bis heute ca. 60 Cent bezahlt worden. Im Zinseszins wird das Geld von der sozialen Realität abgelöst und selbst zur Ware gemacht. Es wird nur noch für das Geld selbst eine Leistung erbracht, nicht mehr für die Leistung des Sparers, der seine eigenen durch Leistung erworbenen Ansprüche an den Kreditnehmer abtritt.

Aus den Entdeckungsfahrten entwickeln sich rasch Eroberungsfahrten, dem Erkenntnisstreben weicht die Gier. Die Eroberer haben es vornehmlich auf das Gold abgesehen, das mit dem neuen Kontinent gleich mitentdeckt wird. Dabei geht es ihnen nicht um das Gold an sich, sondern um das Gold als Geld, d.h. um die erwartete Möglichkeit, mit diesem Gold alle möglichen Waren eintauschen zu können. Geld ist hier also noch Warengeld, d.h. der Rechtsanspruch des Geldbesitzers auf entsprechende Waren wird durch den Metallwert des Geldes gewissermaßen gestützt. Für das Gold wird unvorstellbar viel Blut vergossen. Die Söldner, die im Auftrag der Fugger Venezuela heimsuchen, dezimieren die indianische Bevölkerung innerhalb von 80 Jahren (bis 1595) von 25 auf 1,3 Millionen. Der Spanier Pizarro lockt den Inka-König Atahuallpa in eine Falle und nimmt ihn gefangen, um möglichst alles Gold aus seinem Volk heraus zu pressen. Für die Inkas, die noch in einem theokratischen Gemeinwesen leben, hat das Gold überhaupt keinen Wert als Geld, es wird von ihnen als Symbol für die Sonne, für die Gottheit verehrt. Atahuallpa kann die Gier der Spanier nicht begreifen, für die er schließlich sein Leben lassen muss. In ungeheuren Mengen kommt das geraubte Gold dann nach Europa, wo man aber bald feststellen muss, dass sein Wert zerrinnt, weil den Goldmengen nicht die entsprechenden Gütermengen gegenüber stehen. Hier kommt also der Begriff der Inflation ins Spiel, wobei vorerst nur einer der verschiedenen Faktoren für Inflation betrachtet wird. Die Schüler können dabei erkennen, dass Geld im Grunde nur durch reale Leistungen des sozialen Organismus gedeckt werden kann. Sind diese nicht vorhanden, nützt auch Goldbesitz rein gar nichts.

Im Zusammenhang mit Absolutismus und Französischer Revolution kann dann die Steuer als eine Art Zwangsschenkung von Geld besprochen werden. Es kann diskutiert werden, für wen und wofür Schenkungen sinnvoll und notwendig sind (Schulen, Universitäten, Krankenhäuser), wo und wann sie wirtschaftlich schaden (Luxus des Hofes, Verarmung der Bauern) etc.

Die Industrielle Revolution ist der Schwerpunkt in der 8. Klasse. Die daraus entstehende Soziale Frage sollte – auch im Hinblick auf das Auftreten des Kommunismus – in der 9. Klasse unbedingt noch einmal thematisiert werden. Zentral dabei ist die Lohnfrage. Was ist ein gerechter Lohn? Darf man die Höhe des Lohnes – wie damals üblich und heute wieder im Kommen – rein von Angebot und Nachfrage, abhängig machen? (Auf den Lohn angewendet kann einen das Auspendeln des Preises zwischen Angebot und Nachfrage an Sklavenmarkt erinnern). Wie groß kann der Unterschied zwischen dem Wert der Arbeit eines Menschen und dem eines anderen überhaupt sein? Was bedeutet es für die Würde des Menschen, wenn Lohn als reiner Kostenfaktor gesehen wird, der möglichst weit nach unten gesenkt werden soll, und der in den Kostenübersichten der Firmen an gleicher Stelle rangiert wie die Kosten für Putzmittel und Müllentsorgung? Kann Arbeit überhaupt gekauft werden? Man wird dabei auch auf die Eigentumsrechte zu sprechen kommen, die so gestaltet sind, dass der Eigentümer die Arbeitsergebnisse seiner Belegschaft auf eigene Rechnung weiterverkaufen und die Differenz (Mehrwert) als Gewinn für sich beanspruchen kann. Auf diese Weise wird ein prinzipieller Unterschied zwischen der Leistung des Mitarbeiters und der des Eigentümers suggeriert, was die Arbeit des Mitarbeiters zur Ware macht. Das wäre nicht der Fall, wenn aus der gemeinsam erarbeiteten Wertschöpfung je nach Leistung Anteile unter allen Leistenden vertragsmäßig verteilt würden, einschließlich den Managern, Eigentümern etc. Arbeitsmaß und ein gewisser Mindestlohn könnten auch als Frage des Rechts betrachtet und damit – unter Berücksichtigung der allgemeinen Lage - politisch-demokratisch geregelt werden.

Eng verbunden mit dieser Frage ist die der Preisbildung, die auch heute noch weitgehend anonymen Marktkräften überlassen wird. Entspricht es dem Entwicklungsstand der Menschen, eine so wichtige, über Lebensverhältnisse von Menschen entscheidende Frage nicht bewusst zu gestalten, sondern den Marktmechanismen zu überlassen? Wie sinnvoll Kommunikation der Beteiligten auf diesem Gebiet ist, zeigt das Beispiel Fair Trade: wir Menschen sind zwar Egoisten, aber wenn wir wissen, was ein bestimmter Kaffeepreis beispielsweise für die Lebensqualität der Kaffeebauern bedeutet, sind wir u. U. doch bereit, einen höheren Preis zu bezahlen.

Nach den Stationen Imperialismus und Erster Weltkrieg ist die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen bezüglich der Geldthematik besonders interessant: die dramatische Inflation von 1923 in Deutschland, insbesondere aber der „Schwarze Freitag“, der 24. Oktober des Jahres 1929, der spektakulärste Börsenkrach von New York, Auslöser für eine gewaltige Weltwirtschaftskrise. Hier lassen sich weitere Begriffe zum Thema Geld besprechen: Aktie, Börse, Spekulation. Wichtig ist mir dabei, dass die Schüler erkennen, wie dramatisch sich die Vorgänge auf der „unwirklichen“ Ebene der Spekulation auf die „wirkliche“ Ebene des sozialen Lebens auswirken und Konkurse, Bankenzusammenbrüche, Massenarbeitslosigkeit, Hunger und Elend hervorrufen, und wie dies mit ein Faktor für den zweiten Weltkrieg wird. Unter dem Eindruck dieser Katastrophe hat man sich nach 45 um eine internationale Geldordnung bemüht, wobei - wie so oft - leider Machtfragen die sachlich beste Lösung verhindert haben. Sie wurde in den Siebziger Jahren wieder aufgegeben, ohne eine neue Ordnung zu beschließen. Dies wird aber erst in der 12. Klasse behandelt.

An der Nachkriegszeit kann man betrachten, was passiert, wenn in Notzeiten versucht wird, Preise ohne Rücksicht auf die sozialen Realitäten festzulegen. Es entsteht ein Schwarzmarkt, eine inoffizielle Parallelwirtschaft. In Notzeiten entsteht oft auch eine Komplementärwährung, wie z.B. die Zigarettenwährung, z.T. weil das offizielle Geld aus Angst gehortet wird. Teilweise wird auch wieder zum Tauschhandel ohne Geld übergegangen. Es ist faszinierend, zu verfolgen, was in Deutschland dann alles durch die Währungsreform von 1948 (Einführung der DM) und die Kredite von außen in Bewegung gesetzt wurde.

Im zweiten Durchgang durch die Geschichte (ab Mitte 10. Klasse) kann der Entstehung des Geldes nachgegangen werden. In der mesopotamischen Hochkultur wird alles, also auch die ganze Wirtschaft, und so auch der Handel vom Tempel aus geleitet (Theokratie). Benötigt ein Priesterfürst Holz als Baumaterial und führt es aus dem Libanon ein, das Getreide, mit dem er das Holz eintauschen will, ist aber noch nicht reif, so schickt er mit der Handelskarawane ein Pfand mit, eine Edelmetall-Münze mit dem Bild des Stadtgottes. Dieses Pfand, ein vom Tempel garantierter Rechtsanspruch, kann vom Handelspartner zur Erntezeit wieder eingelöst werden. Aus dem Pfand wird dann im weiteren das Geld, das gängige und überaus praktische, mobile, haltbare Tauschmittel, mit dem man unterschiedliche Waren in ihrem Wert miteinander vergleichen kann. Die Entsehungsgeschichte des Geldes verdeutlicht noch mal seine eigentliche Funktion, nämlich die, zwischen aus menschlicher Arbeit entstandenen Waren, d.h. zwischen Leistungen zu vermitteln. Die allgemeine Verwendung des Geldes in dieser Funktion geht einher mit der Emanzipation des Menschen und der Entwicklung eigenverantwortlicherer Gemeinwesen, wie z.B. der Demokratie in Griechenland. Der Preis wird Sache der miteinander Handelnden. In der Landwirtschaft, wo die Selbstversorgungsrate noch sehr hoch ist und wo daher chronischer Geldmangel herrscht, entsteht eine schwere Krise. Die Bauern können den Geldforderungen durch Obrigkeit oder Grundbesitzer nicht nachkommen, sie verschulden sich und verlieren im schlimmsten Fall ihre persönliche Freiheit.

In der Epoche über das Mittelalter kann man im Zusammenhang mit den Kreuzzügen darstellen, wie die Templer die Funktion einer Bank übernehmen. Die Kreuzfahrer können ihr für den Kreuzzug bestimmtes Geld im Heimatland in einem Ordenshaus einzahlen und bei Bedarf in einem anderen, z.B. in Jerusalem wieder abheben, und es können Überweisungen getätigt werden. Eine interessante Frage ist auch die, wie verhältnismäßig sehr kleine Gemeinden in der Lage waren, riesige Kathedralen zu errichten, während heute die Instandhaltung derselben trotz technischer Hochleistungswirtschaft eine um ein vielfaches größere Stadtbevölkerung schier überfordert. Man kommt dann auf das sog. Brakteatensystem der Stauferzeit. Die Geltung der mittelalterlichen Münzen ist in dieser Zeit räumlich und zeitlich begrenzt. Bei einem Regierungswechsel oder bei anderen Anlässen wird die umlaufende Münze „verrufen“, d.h. sie wird ungültig, eingezogen und umgeprägt, wobei für 12 alte Pfennige beispielsweise nur noch 9 neue ausgegeben werden. Die Verrufung erfolgt mit der Zeit immer häufiger, unter Erzbischof Wichmann von Magdeburg (1154 – 1192) sogar zwei mal pro Jahr. Die Folge ist, dass jeder versucht, sein Geld noch vor der Verrufung auszugeben, also eine beschleunigte Zirkulation. Da mit dem Geld nur vergängliche Waren aber keine Rechte wie Grund und Boden etc. erworben werden können, fließt auch viel Geld in die soziale und in die Kultursphäre. Dieses Geldsystem besteht ca. 300 Jahre und ist mit ein Faktor für die Entstehung reicher Städte mit ihren herrlichen Bauwerken.

In der 11. Klasse gibt es statt der zweiten Geschichtsepoche eine Sozialkunde-Epoche. In deren Rahmen wird das Geld als einer der Wirtschaftsfaktoren noch einmal systematisch betrachtet: der Unterschied zwischen Geld und Ware, seine eigentliche Funktion, zwischen Leistungen zu vermitteln, die es verliert, wenn es selbst als Ware behandelt wird, das Geld als Rechtsdokument, das Recht auf Leistungen anderer garantierend, das man für sich selbst in Anspruch nehmen („kaufen“), oder vorübergehend an andere übertragen („leihen“) oder endgültig an andere abtreten kann („schenken“). Es werden auch Fehlentwicklungen bezüglich des Geldes reflektiert, die Tatsache, dass Geld die Bindung an die sozialen Prozesse zum großen Teil völlig verloren hat, dass inzwischen 95% aller Geldtransfers nichts mehr mit dem Austausch von Gütern oder Dienstleistungen zu tun haben, sondern ausschließlich der Suche nach Rendite dienen. Man kann von der Entfesselung der Geldkräfte sprechen, und davon, dass ein großer Teil der Finanz- und Wirtschaftspolitik heute darin besteht, diesen unkontrollierbaren Geldmarkt bei Laune zu halten. Der Geld- und Kapitalanlagemarkt (Grund und Boden, Aktien, Derivate u.ä.) saugt das Geld aus dem Tauschkreislauf, es wird knapp.

Dieses Jahr wollte ich die Schüler einmal erleben lassen, was Geldzirkulation bewirken kann, unabhängig von der vorhandenen absoluten Geldmenge. Ich ließ sie zwei Staaten bilden mit der Aufgabe, in einer bestimmten Zeit ein möglichst hohes Sozialprodukt zu erreichen. Jeder „Bürger“ erhielt 2000 € Buchgeld, durfte ein beliebiges Unternehmen eröffnen und war verpflichtet, jede Einnahme und Ausgabe unter Angabe der Uhrzeit und des Geschäftspartners schriftlich festzuhalten. Nach 45 Minuten wurden in beiden Staaten die Einnahmen aller Bürger zusammengezählt. Das Ergebnis war äußerst unterschiedlich. Staat 1 hatte ein Sozialprodukt von 4410,80 € erwirtschaftet, das Sozialprodukt von Staat 2 betrug dagegen 80 960,- €. Es war interessant, zu beobachten, wie unterschiedlich die beiden Schülergruppen an die Sache heran gingen. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor war die Kommunikation. In Staat 1 dauerte es ziemlich lange, bis überhaupt jeder wusste, worum es ging und sich zu einem bestimmten Unternehmen entschlossen hatte. Auch handelte es sich offensichtlich um ziemlich sparsame Zeitgenossen, die nur vergleichsweise kleine Beträge ausgaben, und das auch erst nach einigen Verhandlungen. In Staat 2 wurde dagegen von einigen wenigen Schülern schnell durchschaut, worauf es ankam, und dann allen „Bürgern“ geschickt kommuniziert. Überhaupt wurde das Vorgehen gemeinsam abgesprochen und koordiniert. Man vereinbarte, dass Bürger x zunächst an alle anderen sein Produkt verkaufen und dafür von jedem 200 € beziehen sollte. Dann kam der nächste dran, der wiederum jedem sein Produkt für 200 € verkaufte usw. als die Runde beendet war, wurden die vorhandenen Unternehmen um neue, teurere Produkte erweitert, und die Runde fing von neuem an. In der gleichen Zeit, in der in Staat 1 die Tankstelle 200€ für Benzin einnahm, diese für Alkohol und süße Snacks an den Lebensmittelhändler weitergab, der damit seine Speditionsrechnung bezahlte, woraufhin der Spediteur Getränke für eine Party orderte, womit insgesamt ein Umsatz von 800,- € entstanden war, hatte die gleiche Summe in Staat 2 schon viel öfter den Besitzer gewechselt, das Zwischen-Sozialprodukt war bereits doppelt so hoch: es war ein Fernseher verkauft worden, dafür waren Designerschuhe erstanden worden, die Besitzerin des Schuhgeschäfts hatte sich mit der Einnahme ein neues Fahrrad gekauft, der Fahrradhändler daraufhin die letzte Rate für eine Tiefkühltruhe beglichen, was die Auszahlung eines Lohnes ermöglichte, der in Carving-Skiern angelegt wurde, was wiederum die Anschaffung eines DVD-Players nach sich zog, woraufhin eine fällige Beitragszahlung bei einem Versicherungsunternehmen einging.

Die Schüler waren nicht nur über die Differenz der Ergebnisse erstaunt, sondern eben auch über den Zirkulationseffekt als solchen. Es dämmerte ihnen, dass eine schlechte wirtschaftliche Lage auch damit zusammenhängen kann, dass sich das Geld an bestimmten Stellen „staut“ und nicht weiter fließt.

In der 12. Klasse werden in allen Fächern sog. Überblicksepochen unterrichtet. Das bedeutet, dass an Hand eines oder mehrerer Themen noch einmal in großen Linien die Entwicklung der Menschheit bis in die Gegenwart nachgezeichnet wird. In den letzten Jahren habe ich dafür das Thema Wirtschaft gewählt.

Was die Globalisierung betrifft, so ist mir wichtig, den Schülern begreiflich zu machen, dass zwar das wirtschaftliche Zusammenrücken der Welt zu einer Weltwirtschaft eine Jahrhunderte währende Entwicklung ist, die nicht aufgehalten werden kann und soll, dass aber die konkrete Ausgestaltung der Globalisierung, so wie sie uns heute vorliegt, kein Naturgesetz oder Schicksal darstellt, sondern auf politischen Entscheidungen auf internationaler Ebene beruht. Diese Entscheidungen wurden in der Regel ganz ohne öffentliche Diskussion getroffen. Bezüglich des Geldes ist hier vor allem das GATS-Abkommen (General Agreement on Trade in Services) relevant, denn mit ihm wurde u.a. auch der Geldmarkt liberalisiert. Seither werden gigantische Kapitalmassen auf der Suche nach gewinnbringender Anlage pausenlos um den Globus gejagt, ohne soziale Bindung und damit ohne soziale Verantwortung, durch seine enorme Mobilität im Wettbewerb dem Sachkapital zwangsläufig immer überlegen. Die Zirkulation des Geldes zwischen Anlageplätzen geht auf Kosten der Zirkulation in der eigentlichen Wirtschaftssphäre. Während immer mehr Menschen unter die Armutsgrenze sinken, steigt die Zahl der Milliardäre. Aktiengesellschaften schwimmen im Geld, aber anstatt zu investieren, schütten sie das Geld an ihre Aktionäre aus – entweder direkt in Form von Sonderdividenden, oder indirekt, indem sie eigene Aktien zurückkaufen und auf diese Weise den Börsenkurs nach oben treiben.

Leiden wir an einem sozialen Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, wie es Stephan Eisenhut in einem Artikel für „die Drei“ formulierte? Hans Peter Dürr, Träger des Friedensnobelpreises und des alternativen Nobelpreises charakterisierte die aktuelle Situation kürzlich bei einem Vortrag in Augsburg durch folgendes Bild: wir befinden uns auf einer schiefen Ebene. Aber anstatt uns darum zu bemühen, die Ebene wieder gerade zu bekommen, fragen wir uns lediglich, wie die Sohlen unserer Schuhe beschaffen sein müssen, damit wir nicht so schnell abrutschen. Die unsachgemäße Behandlung des Geldes macht einen Teil der Schiefheit aus. Rudolf Steiner gehört zu denen, die uns zukunftsweisende Anregungen und Initiativen hinterlassen haben, die uns helfen können, am Richten der Ebene selbst zu arbeiten, auch bezüglich des Geldes. Man findet sie u.a. in seinen „Kernpunkten zur sozialen Frage“ und in seinem „nationalökonomischen Kurs“.

Isabella Geier (Französisch, Geschichte und Sozialkunde an der FWS Augsburg) Erschienen in: "Mitteilungen" Winter 2004, Freie Waldorfschule Augsburg


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