Ordnungspolitische Wende in der Schulpolitik
Zwischen Vergangenheit und Zukunft

01.07.2000

Die Zeit des bildungspolitischen Konsenses
Fehlender Konsens
Neue Reformstrategie
Privatisierung aller Schüler
Prüfungsvielfalt
Weitere Freiheiten
Subjektförderung
Konsens in der einzelnen Schule
Wende zum ordnungspolitischen Politikansatz

Die Bildungspolitik braucht neue Ideen. Zwar gibt es einen großen Reichtum an pädagogischen Reformvorschlägen, aber er bleibt ungenutzt, solange ordnungspolitisch ein vereinheitlichtes Bildungswesen angestrebt wird. In ihm kann immer nur ein einziges Konzept verwirklicht werden. Woher soll dies kommen?

Die Zeit des bildungspolitischen Konsenses

Nach dem Zweiten Weltkrieg erschien es lange realistisch, die Weiterentwicklung des deutschen Schulwesens auf der Basis eines alle Parteien und Verbände umfassenden bildungspolitischen Konsenses voranzutreiben. Der Deutsche Ausschuß für das Erziehungs- und Bildungswesen und später der Deutsche Bildungsrat (1965 bis 1975) bemühten sich um den Konsens für zeitgemäße Schulreformen. Ihre Gutachten gaben der praktischen Bildungspolitik viel beachtete Orientierungen und zeitweise einen kräftigen Aufschwung im Sinne rationaler Bildungsplanung, an der auch prominente Liberale wie Hildegard Hamm-Brücher engagiert und erfolgreich mitarbeiteten. Seit Mitte der Siebziger Jahre ist ein pädagogischer Konsens bundesweit nicht mehr herstellbar; der Deutsche Bildungsrat wurde konsequenterweise aufgelöst. Alle Wiederbelebungsversuche blieben bedeutungslos. Die Schulpolitik der Bundesländer driftete immer weiter auseinander.

Die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder, die immer als Garant einer bundesweiten Vereinheitlichung des deutschen Bildungswesens galt und auftrat, hat jüngstens die Spielräume für eigene Wege der einzelnen Bundesländer wesentlich erweitert. Bemerkenswerterweise wurde dies kaum kritisiert, sondern eher wie die Überwindung einer gegenseitigen Lähmung empfunden. Die Maximen des Konsensföderalismus weichen zurück vor den Maximen des Wettbewerbsföderalismus: im Wettbewerb der Bundesländer soll sich zeigen, welche Bildungspolitik zu den besten Ergebnissen führt. Damit steigen die Realisierungschancen für pädagogische Ideen erheblich und ein Schulminister kann nicht mehr geltend machen, die Kollegen aus den anderen Bundesländern würden ihn hindern, seine eigenen guten pädagogischen Ideen zu verwirklichen.

Wird ein einziges der beteiligten Länder auf die traditionell zentralistische, vereinheitlichende Politik im Innern verzichten und die Freiheit weitergeben an die einzelne Schule? Bleibt die neue Freiheit eine Freiheit des Schulministers und seiner Ministerialbürokratie oder wird sie eine Freiheit der Lehrerkollegien und der ihnen vertrauenden Eltern? Die Vereinheitlichung im einzelnen Land stellen noch nicht einmal die privaten Schulen ernstlich in Frage; die meisten von ihnen machen jede Kurve der Landesbildungspolitik unverzüglich mit. Das hat Gründe, auf die noch zurückzukommen sein wird.

Fehlender Konsens

Ministerielle Reformbemühungen können sich aber auch nicht mehr auf einen pädagogischen Konsens in ihrem eigenen Bundesland, sondern nur noch auf Mehrheitsentscheidungen stützen, die von den unterlegenen Minderheiten nur schwer ertragen werden. Je entschiedener die Reformbemühungen, umso sicherer ein Aufstand von Eltern und Lehrern, die am bestehenden pädagogischen Konzept festhalten, sich ihre gewohnte Schule nicht nehmen lassen wollen und sich nicht selten mit Hilfe von Volksbegehren oder Gerichten durchsetzen. Spätestens bei der nächsten Landtagswahl erscheinen Reformentscheidungen in vielen Bundesländern wieder gefährdet, weil die Opposition nicht versäumt, sich an die Spitze des Protestes zu stellen. Damit mobilisiert man Wähler, aber meist lassen neue Mehrheiten vorsichtshalber fast alles beim Alten, auch wenn es vor der Wahl heftig kritisiert wurde; sie befürchten ebenso heftigen Protest, wie sie ihn selbst entfacht haben, von der anderen Seite. Die Korrekturen haben daher häufig nur kosmetischen Charakter.

Die genauere politische Analyse zeigt, dass die pädagogischen Meinungsverschiedenheiten fast immer quer durch jede politische Partei gehen. Daher enden die meisten Reformbemühungen in hartnäckigen gegenseitigen Blockaden verschiedener pädagogischer Richtungen oder in verwässernden Kompromissen. Die unübersehbare Folge ist ein Reformstau aus politischer Resignation. Die von der Kultusministerkonferenz gewährte neue Freiheit für die Schulminister der Länder wird wegen der absehbaren Schwierigkeiten der Konsensbildung auch nicht viel bringen.

Neue Reformstrategie

Wir brauchen daher eine neue Reformstrategie. Sie muss von der Erkenntnis ausgehen, dass zwar die einzelne Schule auf einem pädagogischen Konsens ihrer Lehrer und Eltern gründen kann, nicht aber eine Einheitspädagogik für alle Schulen einer kommunalen Gebietskörperschaft oder gar eines Bundeslandes. Die Meinungsvielfalt in der Gesellschaft ist zu groß geworden, als dass ein pädagogischer Konsens noch unüberschaubare Gemeinschaften umfassen könnte. In Wissenschaft, Kunst und Religion kann man um Konsens ringen, man kann Gleichgesinnte suchen und finden und man kann sich mit ihnen zur gemeinsamen Tat verbünden - mit Mehrheitsentscheidungen lassen sich Meinungsverschiedenheiten im Geistesleben nicht überbrücken. In geistigen Dingen stehe jeder Mensch auf seinen eigenen Füßen, ist die moderne Einstellung. Deshalb ist auch in der Pädagogik niemand mehr bereit, sich fremden Entscheidungen zu beugen - auch keinen Mehrheitsentscheidungen, an denen er mitwirken durfte. Wer andere pädagogisch unterwerfen will, provoziert "pädagogische Religionskriege". Daher wird die neue Reformstrategie nicht nur die Vielfalt pädagogischer Forschung und Lehre erlauben - wie überhaupt die Vielfalt der Meinungsäußerungen zu pädagogischen Fragen -, sondern auch die Vielfalt der Verwirklichungen . Wo sich in einer Schule unter Lehrern und Eltern ein Konsens bilden lässt für einen anderen pädagogischen Weg, dort sollen die Beteiligten ihre eigenen Wege gehen dürfen. Es genügt, wenn die neuen pädagogischen Wege dem traditionellen Weg gleichwertig sind, gleich artig brauchen sie nicht zu sein.

Mit dieser Regel wird für das gesamte Schulwesen nur nachvollzogen, was für den Bereich der Schulen in freier Trägerschaft schon in der Weimarer Verfassung formuliert war. In bewusster Absetzung vom pädagogischen Machtanspruch des nationalsozialistischen Staates folgten die Väter des Grundgesetzes darüber hinaus dem Vorschlag von Theodor Heuss, die Privatschulfreiheit zu einem Grundrecht zu erheben (Artikel 7 Abs. 4 Satz 1 GG). Jedermann darf durch die Gründung von Schulen in den Wettbewerb um Schüler eintreten, die das staatlich gelenkte Schulwesen als seine Klientel ansieht. Die Schule, die das staatliche Schulwesen ersetzt, muss ihm nicht gleichartig, sondern nur gleichwertig sein. Unter diesen Voraussetzungen legt sie ihre Lehrziele in freier Selbstbestimmung fest und hat Anspruch auf staatliche Genehmigung. Eine Bedürfnisprüfung darf nicht stattfinden. Wenn private Schulen dem staatlichen Schulwesen Schüler entziehen, muss der Staat seine Kapazitäten einschränken. Wenn die minimale Betriebsgröße unterschritten wird, kann er genötigt sein, Schulen zu schließen. Das Grundgesetz enthält keine Schutzvorschrift zugunsten eines flächendeckenden staatlich-kommunalen Schulangebots.

"Privatisierung aller Schüler"

Aber obwohl dies seit Jahrzehnten geltendes Verfassungsrecht ist, ist das staatliche Schulmonopol de facto noch nirgends gefährdet. Drängen die vielfältig vorhandenen pädagogischen Ideen nicht zur Realisierung? Sind sie zu schwach zur pädagogischen Tat? Was behindert die „Privatisierung aller Schüler“ durch Vermehrung der Schulen in freier Trägerschaft? Sie haben doch in aller Regel einen guten Ruf!

Bisher sind die staatlich-kommunalen Schulen im Wettbewerb um Schüler gegenüber den privaten im Nachteil, weil ihre Freiheit geringer ist, auf Änderungen der pädagogischen Vorstellungen in der Gesellschaft kreativ zu reagieren. Pädagogische Freiheit und pädagogischer Wettbewerb sind die Wege zu Vielfalt und Effizienz im Interesse von Schülern unterschiedlicher Herkunft und Begabung. Wenn pädagogische Freiheit auch den staatlich-kommunalen Schulen gewährt wird, werden sie ebenfalls eine größere Vielfalt entwickeln und auch untereinander in pädagogischen Wettbewerb um dieselben Schüler geraten. Das wird sie im pädagogischen Wettbewerb mit den Schulen in freier Trägerschaft stärken. Zur "Privatisierung aller Schüler" wird es dann nicht kommen. Aber es wird die Frage aufbrechen, welches Verhalten einer Schule im Wettbewerb erlaubt ist und welches nicht. Da werden die Schulminister vor ganz neuen Problemen stehen.

Prüfungsvielfalt

Unterschiedlicher Unterricht ist bei gleichartigen Prüfungsanforderungen unmöglich. Vielfalt der Lehrpläne bedeutet daher auch Vielfalt einander gleichwertiger Abschlussprüfungen , die zu den traditionellen Berechtigungen führen, auf deren Erwerb kein Schüler verzichten kann. Das ist an sich nichts Neues; man bedenke nur, wieviele unterschiedliche Wege zur allgemeinen Hochschulreife die Schulminister schon ersonnen haben. Sie haben nicht nur die von ihnen selbst erfundenen Wege mit den gleichen Berechtigungen (z.B. für den Hochschulzugang) ausgestattet, sondern über die Kultusministerkonferenz auch die von ihren Kollegen in den anderen Bundesländern eingerichteten Wege bundesweit als voll berechtigend anerkannt.

Künftig dürfen sich die Schulen daran beteiligen, neue Wege zu den alten Berechtigungen zu erfinden. Jedenfalls dürfen die Schüler nur geprüft werden, was sie mit staatlicher Genehmigung unterrichtet wurden. Die Prüfungsan-forderungen müssen sich nach den als gleichwertig genehmigten Lehrplänen richten, sonst werden sie zum heimlichen Lehrplan, weil jeder verantwortungsbewußte Lehrer seinen Unterricht an den vorhersehbaren Prüfungsanforderungen orientieren wird. Er wird seine Schüler bei der Prüfungsvorbereitung nicht im Stich lassen; ihr Prüfungserfolg ist sein Lehrerfolg. Deshalb steht die Lehrplanfreiheit auf dem Papier, solange die Prüfungsanforderungen für alle Schüler gleich sind. Man darf eben Ungleiches nicht gleich behandeln; wer das tut, verstößt gegen den Gleichheitssatz.

Die pädagogische Gleichmacherei mit Hilfe staatlicher Prüfungsanforderungen ist seit Jahrzehnten das probate Mittel aller Schulverwaltungen, die Lehrplanfreiheit von Schulen in freier Trägerschaft, die das Grundgesetz garantieren will, auszuhebeln. Wenn der Staat seine Lehrpläne ändert, ändert er selbstverständlich auch seine Prüfungsanforderungen und deshalb bleibt Schulen in freier Trägerschaft nichts anderes übrig, als die staatliche Lehrplanreform mitzuvollziehen, ob sie sie für sinnvoll halten oder nicht.

Eine Schulpolitik, die der einzelnen Schule im Rahmen der Gleichwertigkeit Lehrplanfreiheit zugestehen will, muss auf zentrale Prüfungen verzichten und den Satz gelten lassen, dass die Prüfungsanforderungen immer dem als gleichwertig genehmigten Lehrplan zu entnehmen sind. Dann werden alle Schüler nur geprüft, was sie von Rechts wegen unterrichtet werden sollten.

Weitere Freiheiten

Die Schulen können nur dann eine eigene pädagogische Prägung entwickeln, wenn sie ihre Lehrer grundsätzlich selbst auswählen können, um den pädagogischen Konsens im Kollegium zu sichern. Zumindest muss der Wechsel von Schule zu Schule frei vereinbar sein. Der Wettbewerb der Schulen um gute Lehrer ist auch im Rahmen des Beamtenrechts organisierbar, wenn man ihn nur will.

Außerdem müssen schrittweise die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden, dass die Schulen über ihre Ausgaben im Rahmen eines Globalhaushalts frei verfügen können. Auch die Kosten der Stellen von Landesbeamten können in Globalhaushalten veranschlagt und abgerechnet werden. Im Hochschulbereich wird das zur Zeit gerade vorexerziert. Globalhaushalte ermöglichen nicht nur pädagogische Freiheit, sondern geben zugleich die Chance, ersparte Mittel für pädagogische Verbesserungen zu verwenden. Die Regelung der Einnahmenseite der Globalhaushalte ist entscheidend dafür, ob pädagogischer Wettbewerb angeregt oder unterdrückt wird. Den Wettbewerb der Schulen zu fördern, muss im Interesse höherer pädagogischer Effizienz das oberste bildungspolitische Ziel werden.

Subjektförderung

Dieses Ziel kann mit jährlichen Kopfbeträgen pro Schüler verwirklicht werden, wenn sie die durchschnittlichen Kosten voll decken. Das ist der Fall, wenn der Staat die bisher für das Schulwesen aufgewendeten Mittel restlos nach der Schülerzahl auf die Schulen verteilt. Wenn man will, kann dieses Ziel zusätzlich mit der Ausgabe von Bildungsschecks (Bildungsgutscheinen) veranschaulicht und noch wirksamer gemacht werden. Bildungsschecks sind Wertpapiere, die der Staat (und/oder die Kommune) den Schülern (oder ihren Eltern) aushändigt, damit sie mit Schulen Verträge abschließen und deren Leistungen mit dem Bildungsscheck bezahlen können. Die Schule löst die Bildungsschecks bei der Staatskasse ein und finanziert sich aus den Erlösen. Die staatliche Bildungsfinanzierung wird mit Hilfe der Bildungsschecks von der traditionellen Objektförderung auf eine Subjektförderung umgestellt. - Kopfbeträge zwingen die Schulen zur Sparsamkeit und Optimierung. Unausgelastete Einrichtungen können durch die Aufnahme zusätzlicher Schüler zusätzliche Einnahmen erzielen, ohne dass sich ihre Kosten wesentlich erhöhen. So werden die Kopfbeträge pädagogischen Wettbewerb hervorrufen, der die Qualität des Angebots nach und nach verbessert.

Konsens in der einzelnen Schule

Jede Schule wird ihre optimale Betriebsgröße suchen und dabei ihren Einzugsbereich, ihre Räume und alle anderen örtlichen Gegebenheiten sorgfältig aufeinander abstimmen. Nimmt sie zu viele Schüler auf, wird ihre Qualität leiden. Bewerben sich zu wenige Schüler um Aufnahme, wird sie ihr pädagogisches Konzept überprüfen oder sich freiwillig mit Nachbarschulen zusammenschließen, bevor die Schüler einzeln den Weg dorthin finden. Die leidigen politischen Auseinandersetzungen um erzwungene Schließungen oder Zusammenlegungen von Schulen wird es nicht mehr geben, weil die Schulen rechtzeitig von sich aus handeln und ihre Eltern überzeugen werden.

Diese ordnungspolitische Strategie führt über den Konsens der vor Ort Betroffenen Schritt für Schritt zu pädagogischen Reformen. Ohne einen pädagogischen Grundkonsens ist keine Schule im Wettbewerb um Schüler und um Mitarbeiter überlebensfähig. Der Konsens muss in jeder Schule durch ein fruchtbares Konferenzleben ständig gepflegt werden. Er kann nicht verordnet werden; er kann nur in einem Klima vertrauensvoller Zusammenarbeit wachsen und gedeihen.

Ausgangspunkt der künftigen Entwicklung sind die an der jeweiligen Schule geltenden staatlichen Lehrpläne. Ihre Änderung bedarf wie bei Schulen in freier Trägerschaft der staatlichen Genehmigung unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der Gleichwertigkeit. Reformen werden nur umgesetzt werden, wenn die vor Ort Beteiligten sie wollen und überzeugt sind, dass die personellen, räumlichen und sächlichen Voraussetzungen an ihrer Schule gegeben sind oder rechtzeitig geschaffen werden können; sonst werden zu viele Mitarbeiter und Schüler die Schule verlassen. Ebenso kann die Verschleppung notwendiger Reformen die Abwanderung von Mitarbeitern und Schülern zur Folge haben. Jede Schule muss in Bewegung bleiben. Stillstand ist Rückschritt.

Unsere Bürger sind zu einem selbständigen pädagogischen Urteil und zur Selbstgestaltung ihrer Schule fähig. Die neue Gestaltungsfreiheit wird sie motivieren, sich für ihre Schule viel stärker als bisher zu engagieren. Die Lehrer haben wir seit Jahrzehnten akademisch ausgebildet, also zu einem eigenen Urteil und selbstverantwortlicher Berufsausübung befähigt. Sie haben gelernt, im Diskurs mit Fachkollegen pädagogische Fragen zu klären und einer Entscheidung zuzuführen. Geben wir ihnen mehr Verantwortung! Die Eltern werden die Chance ergreifen, sich im Interesse ihrer Kinder über ein nach und nach vielfältiger werdendes pädagogisches Angebot, für das aufklärend geworben werden wird, sachgerecht zu orientieren, sich für eine Schule zu entscheiden und diese dann auch mit Rat und Tat zu unterstützen, wo ihnen dieses möglich ist. Das Erlebnis der vertrauensvollen Zusammenarbeit von Eltern und Lehrern festigt den Lernwillen der Schüler .

Wende zum ordnungspolitischen Politikansatz

Die Bildungspolitiker sollten aufhören, miteinander über pädagogische Konzepte zu streiten sowie Lehrer und Eltern pädagogisch zu bevormunden, und stattdessen jeden Bürger nach seiner eigenen pädagogischen Fasson seelig werden lassen. Toleranz dient nicht nur dem Religionsfrieden, sondern auch dem Schulfrieden. Es ist daher Bildungspolitikern dringend anzuraten, in der Öffentlichkeit ihre eigenen pädagogischen Ansichten - und mögen sie noch so gut begründet sein - zurückzuhalten und für die pädagogische Freiheit des Andersdenkenden einzutreten. In jeder bildungspolitischen Veranstaltung kommen von den Teilnehmern pädagogische Äußerungen, die weit auseinandergehen, und fast jedem kann man versichern, dass es Schulen geben kann, die seine Auffassung in die Tat umsetzen - wenn er mit ihr nicht alleine steht. Niemand muss warten, bis er Politiker und Mehrheiten überzeugt hat; er kann in einem freiheitlichen Schulwesen mit der Realisierung an seiner Schule beginnen, sobald er genügend Mitstreiter gefunden hat - und die werden sein Konzept mit eigenen pädagogischen Ideen bereichern.

Dem Staat und damit auch den Parteien fehlt jede Legitimation, sich die künftigen Wahlbürger nach ihrem Bilde zu erziehen. Aber es ist kein Zufall, dass die großen Parteien bei der Bildung von Koalitionsregierungen in den Ländern den kleinen allenfalls das Wissenschaftsministerium, aber grundsätzlich nicht das Schulministerium überlassen. Das wird wie selbstverständlich immer noch hingenommen. Aber der Zugriff auf die Erziehung der nachfolgenden Generationen ist ein Kennzeichen totalitärer Staaten. Nach dem Grundgesetz ist sie die "zuvörderst den Eltern obliegende Pflicht" (Art. 6 GG). Historisch war es notwendig, dass der Staat die Kirchen aus der Schulaufsicht verdrängte; nur er hatte die Macht dazu, sich an deren Stelle zu setzen. Jetzt geht es darum, den Begriff der Schulaufsicht (Art. 7 Abs. 1 GG) zurückzuschrauben von der umfassenden Planung und Lenkung der Schulen auf eine echte Aufsicht über selbstverwaltete Schulen; das Privatschulrecht liefert dafür die Vorlagen; die Aufsicht über Privatschulen beschränkt sich auf die Einhaltung der Genehmigungsbedingungen. Neue gesellschaftliche Machtkonstellationen sind durch ein Kartell- und Antimonopolrecht für das Bildungswesen zu verhindern. Der Wettbewerb der Schulen ist zu fördern und zu schützen.

Bildungspolitik soll Ordnungspolitik werden. Sie soll sich vom Streben nach Einheitlichkeit und staatlicher Lenkung des Schulwesens verabschieden und pädagogische Effizienz durch wachsende Vielfalt und Wettbewerb erreichen. Chancengleichheit der Schüler gewährleistet die liberale Bildungspolitik als Bürgerrecht in einem vielfältigen Schulwesen wettbewerbsgerecht durch staatliche Finanzierung mittels Bildungsschecks. -

Als liberale Ordnungspolitik kann Bildungspolitik wieder richtig spannend werden.


Dieser Aufsatz erschien unter dem Titel "Auch die Schule braucht Wettbewerb. Vielfalt durch Lehrplanfreiheit und Bildungsschecks" in liberal - Vierteljahrshefte der Friedrich-Naumann-Stiftung für Politik und Kultur - Heft 3/August 2000, Seite 38ff. Danach wurde er mit wenigen Änderungen unter obigem Titel abgedruckt in der Zeitschrift Fragen der Freiheit , Heft 255, Seite 3-10, des Seminars für freiheitliche Ordnung e.V., Badstraße 35, 73087 Bad Boll - www.sffo.de -, zu dessen Vorstandsmitgliedern der Verfasser gehört. Gegen die Verbreitung unveränderter und unentgeltlicher Kopien wird der Verfasser keine Einwendungen erheben.


Quelle: Schriftenreihe Fragen der Freiheit
Auszug aus Heft 255 Juli/September 2000, von der Zeitschrift genehmigter Nachdruck.