Das Grundeinkommen als Instrument zur Trennung von Arbeit und Einkommen

Versuch einer anthroposophischen Untermauerung

01.12.1986

Quelle
Zeitschrift „Info3“
12/1986, S. 5–11
Bibliographische Notiz

«Ein Grundeinkommen an alle Einwohner zu zahlen, nur weil es Menschen sind, und nicht aus einem speziellen Anlaß, das ist so radikal nivellierend wie das politische Prinzip ‹one man, one vote›. Irgendwann einmal wird es auch genauso selbstverständlich sein.» – Mit diesem kernigen Satz schließt Gerd Grözinger seinen Artikel ‹Finanzierungsaspekte eines garantierten Grundeinkommens› (in: Opielka/ Vobruba: Das garantierte Grundeinkommen) ab und trifft damit den Nagel auf den Kopf.

Die Rede ist von einem nach Alter gestaffelten staatlichen Grundeinkommen, daß jedem und jeder von der Wiege bis zum Sarg zustehen soll – als Ersatz für den aufwendigen Sozialklimbim. Rentenversicherung, Arbeitslosenunterstützung, Ausbildungsförderung, Kinder- und Familienzulagen, Sozialhilfe usw. fielen weg zugunsten eines steuerfreien Bürgergehalts, das mit derselben Selbverständlichkeit und ohne jegliche Bittstellung ausgezahlt würde wie einst zum Beispiel das Kindergeld. Allein die Existenz der Person wäre maßgeblich.

In dem hier vorliegenden Artikel soll versucht werden darzulegen, daß die Utopie Grundeinkommen durchaus als eine mögliche (und vermutlich unter den heutigen sozialen Verhältnissen als die sinnvollste) Konsequenz des Sozialimpulses Rudolf Steiners verstanden werden kann. Stärker noch: daß sein Ansatz der Dreigliederung des sozialen Organismus, methodisch betrachtet, eine gedankliche Begründung des Grundeinkommens abzugeben in der Lage ist. Das haben die Herausgeber des eben zitierten Sammelbandes immerhin geahnt, wenn vermutlich auch nicht voll erkannt, als sie in ihrem Vorwort folgenden Satz niederschrieben: «Entscheidend ist bei Marx (– wie im übrigen bei Rudolf Steiner, der ähnliche sozialethische Begründungen formuliert –) daß diese Stufe der Gegenseitigkeit bzw. der ‹freien Assoziation der Produzenten› nicht den ‹altruistischen› Menschen voraussetzt, sondern die Verhältnisse ‹altruistisch› zu sein haben.» Das Stichwort, mit dem wir es hier zu tun haben, heißt bei Steiner und Vobruba gleicherweise Entkopplung (Einflechtung) von Arbeit und Einkommen.

Aber vorab noch ein wenig Utopie. Grözinger geht in seinem anfangs zitierten Aufsatz von einem monatlichen staatlichen Grundeinkommen aus, das 450,– DM für jedes Kind bis 18 Jahre (eventuell nach Alter gestaffelt), 900,– DM für jeden Erwachsenen bis 60 Jahre und 1125,– DM ab 60 Jahre betragen könnte. Wichtiger als die effektive Höhe, die von den verschiedenen Autoren zwischen 600,– und 1600,– DM im Monat angesetzt wird (und die man vom Gesichtspunkt der zu berücksichtigenden Bedürfnisse und der Finanzierbarkeit sicher diskutieren kann), ist der Gedanke, daß mit den monatlichen Zahlungen die Grundbedürfnisse der Menschen, die Existenzgrundlage also, abgedeckt sein sollen und zwar »unabhängig vom Familienstand und auch von der Haushaltssituation». Die Notwendigkeit eines Nachweises oder einer Kontrolle der konkreten Lebensverhältnisse entfällt. «Die garantierte monatliche Überweisung bedeutet weiter, daß Arbeit zu haben oder um welche nachzusuchen, die Höhe des Grundeinkommens nicht verändert» (S. 170). Anstelle komplizierter Haushalts- und Kinderfreibeträge in der Steuergesetzgebung sowie aufwendiger Feststellung eines einkommensabhängigen Kindergeldes, wie es zu Zeit in der Bundesrepublik gehandhabt wird, tritt das Grundeinkommen für Kinder. «Ein solches Nicht-Erwachsenen-Einkommen in realistischer Höhe wird auch nicht gezahlt, um den Eltern ihre ‹Erziehungsarbeit› zu entlohnen, sondern um das Kind oder den Jugendlichen zu ernähren, zu kleiden und mit allen benötigten Dingen zu versorgen.» Die vorgeschlagenen 450,– DM könnten nach Alter gestaffelt sein.

Die vorgeschlagene Regelung heißt nicht weniger als die Ermöglichung der Emanzipierung des Menschen. Die bisherigen Zahlungen staatlicher und halbstaatlicher Instanzen sind auf den Ersatz für Erwerbsarbeit gemünzt: die Rente als (sauer verdienter) Alterslohn, Arbeitslosengeld und -hilfe als Lohnersatz für den Fall, daß keine Stelle zur Verfügung steht und Krankengeld, wenn der Betreffende diese nicht antreten kann. Ausbildungsförderung ist gekoppelt an den Erwerb von Scheinen oder dient, zum Beispiel im Falle einer Umschulungsmaßnahme, der Flexibilität am Arbeitsmarkt. Fällt man durch alle Maschen durch, bleibt letztlich die Sozialhilfe, die auch nur dann gewährt wird, wenn der Bedürftige nachgewiesenermaßen mehr oder weniger schuldlos keiner Erwerbsarbeit nachgehen kann. Ein Anspruch auf Lebensunterhalt für jede und jeden, der, aus welchen Gründen auch immer, keine Erwerbsarbeit hat oder haben will, gibt es bis heute nicht. Hier setzt das Grundeinkommen an. Es befreit die ledigen Mütter ebenso von den Unterhaltszahlungen des Kindesvaters wie das unterdrückte Eheweib vom Portemonnaie des allzu despotischen Mannes. Es befreit den Familienvater von dem Zwang, der gestiegenen Bedürfnisse seiner Kinder wegen, Karriere oder, mangels Möglichkeit dazu, Überstunden machen zu müssen. Es entlastet unbürokratisch die Familie und ermöglicht ebenso jede andere Form der menschlichen Lebensgemeinschaft. Es befähigt jeden einzelnen Menschen, das zu tun, was er in der jeweiligen Phase seiner Biographie für sinnvoll hält: Kinder- und Altenpflege, Nachbarschaftshilfe, Umweltschutz, einen Kindergarten gründen, mal 'ne Weile im Garten arbeiten, wirtschaftlich nicht (mehr) tragfähiges Handwerk auszuüben, eine ökologische aber arbeitsintensive Landwirtschaft, kurz: alle die Tätigkeiten, die heute, trotz hoher Arbeitslosenrate mangels Arbeitskräften liegenbleiben, weil, angeblich, kein Geld für sie da ist. (Im Grunde gibt es keine Arbeitslosigkeit – es ist noch genug zu tun –, sondern Stellenlosigkeit). Und es ermöglicht jederzeit eine Phase der Aus- und Weiterbildung, nicht etwa nur um beruflich weiterzukommen, sondern zum Beispiel auch, wenn der Betreffende das für seine geistige Entwicklung braucht – kurz: die education permanente.

[Zeitschrift Info3, 12/1986, S. 5]

Ein neues Bild der Gesellschaft sowie der Rolle der Arbeit im Leben entsteht, und es dürfte eher dieses ungewöhnliche Bild sein, das uns glauben machen will, das Grundeinkommen verleite, wäre es eingeführt, den Großteil der Bevölkerung zur Faulheit (und damit die Gesellschaft zur Verarmung), als daß man wirklich Gegenargumente geltend machen kann. Da heißt es natürlich erstens, das Grundeinkommen sei nicht finanzierbar (obwohl wir wissen, daß heute nur ca. 40% der Bevölkerung erwerbstätig ist und der große Rest – Kinder, Rentner, Studenten, Hausfrauen, Arbeitslose etc. – sowieso schon Einkommen beziehen, das nicht durch eine unmittelbare Gegenleistung verdient wird). Darauf gehe ich am Schluß dieses Artikels noch ein. Und da heißt es zweitens, die Menschen würden keine Motivation zur Arbeit mehr finden. Gemeint sind natürlich immer die anderen Menschen, denn man weiß ja von sich, daß man selbst so oder so arbeiten möchte, wenn man den Sinn dieser Arbeit nur einsehen könnte. Warum regen wir uns denn über die hohe Zahl der Arbeitslosen so auf, wenn der Mensch tatsächlich faul wäre und nur das eine Ziel vor Augen hätte, nämlich nichts zu tun? Das haben die doch erreicht, die Arbeitslosen?

Dazu Thomas Schmid: «Wer mit der Faulheit argumentiert, macht keine besonders gute Figur. Denn zum einen nimmt er nicht zur Kenntnis, daß die heute schon zu hoher Form gediehene Schattenwirtschaft ein deutlicher Beweis dafür ist, daß es den Leuten an energetischen, auf Tätigkeit drängenden Impulsen keineswegs fehlt. Und zum anderen legt, wer vor der drohenden Faulheit warnt, ein seltsam verkehrtes Verständnis vom Wesen der Menschen an den Tag: er glaubt ganz offensichtlich, der Mensch sei – wenn niemand die Knute der Arbeit schwingt – ein nichtstuender Minusman. In der Logik dieser Philosophie läge der Arbeitszwang – eine Lösung, die mit Emanzipation ganz sicher nichts zu tun hat. Zudem übersehen die, die vor der drohenden Furie der Faulheit warnen, gerne, daß der Hang zu ihr in aller Regel nichts anderes ist, als die überaus berechtigte Reaktion der Leute auf Arbeitsbedingungen, die mit Selbstverwirklichung ganz sicher nichts zu tun haben» (Befreiung von falscher Arbeit, S. 13/14).

Gewiß, die Industriebosse werden sich schwer tun müssen, ihre Produktionsweise umzuorganisieren, weil – tendenziell – die Leute aus Freude an der Arbeit und nicht länger aus purer Existenznot am Arbeitsplatz erscheinen. Darin kann ich aber keinen Nachteil sehen: die Folge wird ein größeres Angebot an Teilzeitarbeitsplätzen, (viel) bessere Arbeitsbedingungen und vielleicht auch bessere Bezahlung für schwere bzw. unangenehme Arbeit sein. Kleine Betriebe, die eine Identifikation der Mitarbeiter mit ihrer Arbeit eher ermöglichen, bekommen wieder eine Chance. Das erwogene Grundeinkommen provoziert uns zur Frage, ob die Menschen – die anderen Menschen – die Abhängigkeit von einem jeweiligen Ernährer (Familienvater, Arbeitgeber, etc.) brauchen, um gesellschaftlich sinnvoll zu leben und arbeiten zu können. Oder: Braucht der Mensch Zwang oder verträgt er Freiheit?

Damit kommen wir zum Freiheitssoziologen: Rudolf Steiner. 1898 formulierte er sein soziologisches Grundgesetz: «Die Menschheit strebt am Anfang der Kulturzustände nach Entstehung sozialer Verbände; dem Interesse dieser Verbände wird zunächst das Interesse des Individuums geopfert; die weitere Entwicklung führt zur Befreiung des Individuums von den Interessen der Verbände und zur freien Entfaltung der Bedürfnisse und Kräfte des Einzelnen» (aus: Gesammelte Aufsätze zur Kutur- und Zeitgeschichte, GA 31, 1966, S. 247 ff). Das soziologische Grundgesetz deutet auf die Utopie einer Gesellschaft hin, in der die Menschen aus freien Stücken arbeiten, weil die Bedürfnisse und Kräfte des Menschen so veranlagt sind. Dies entspricht übrigens auch der kommunistischen Phase der marxistischen Soziallehre. Fragt sich nur, wie kommt man dahin? Ist das Grundeinkommen eine adäquate und zeitgemäße Maßnahme, die der Entwicklung des Menschen der menschlichen Gesellschaft (zunächst in Europa) angemessen ist?

Mit dem Fernziel des freien Menschen haben ‹Rudi› (Rudolf Steiner) und ‹Charly› (Karl Marx) mehr gemeinsam, als ihre unterschiedliche Strategien und Erkenntnismethoden vermuten lassen.

Im später formulierten sozialen Hauptgesetz (1905/1906) präzisiert Steiner das Verhältnis von Arbeit und Einkommen: «Das Heil einer Gesamtheit von zusammenarbeitenden Menschen ist umso größer, je weniger der einzelne die Erträgnisse seiner Leistungen für sich beansprucht, das heißt, je mehr er von diesen Erträgnissen an seine Mitarbeiter abgibt, und je mehr seine eigenen Bedürfnisse nicht aus seinen Leistungen, sondern aus den Leistungen der anderen befriedigt werden» (Geisteswissenschaft und soziale Frage, S. 34). Steiner führt dann aus, daß es sich bei der Wirksamkeit des sozialen Hauptgesetzes nicht um eine Gesinnung handele, sondern darum, «Einrichtungen zu schaffen» die gewährleisten, «daß niemals jemand die Früchte seiner eigenen Arbeit für sich selber in Anspruch nehmen kann». Worauf es ankäme, wenn man das Heil einer Gesamtheit von zusammenarbeitenden Menschen anstrebt, wäre «daß für die Mitmenschen arbeiten und ein gewisses Einkommen zu erzielen zwei voneinander ganz getrennte Dinge» sind (S. 35). Es handelt sich hier um ein soziales Gesetz, das vergleichbar ist mit Naturgesetzen (je mehr ... , umso weniger, etc.), das also unerbittlich Wirkung zeitigt. Soll wirtschaftlicher Wohlstand sowie ein friedliches Neben- und Miteinander angestrebt werden – Steiner drückt es mit dem heute etwas altmodisch klingenden Begriff ‹Heil› aus – dann müßten also Einrichtungen geschaffen werden, die noch radikaler sind als alles das, was in der bisherigen Diskussion um das Grundeinkommen vorgeschlagen worden ist. In seiner Terminologie ermöglicht das Grundeinkommen nur, daß ein jeder (indirekt) «durch die Arbeit seiner Mitmenschen erhalten» wird, während Steiner soweit geht, das Einstecken des Ertrages der eigenen Arbeit gar nicht mehr zu ermöglichen.

Das stellt alle bisherigen Denkgewohnheiten auf den Kopf, wonach es der normalste Vorgang der Welt ist, daß der Mensch arbeitet, um ein Einkommen zu erzielen, d.h. ein Einkommen bezieht, weil er arbeitet (und von dem, für den er arbeitet). Auch die anthroposophischen Autoren tun sich damit schwer. Umstritten ist vor allem die Frage, ob Steiner mit der «Gesamtheit von zusammenarbeitenden Menschen» die Erdbevölkerung als weltwirtschaftlich arbeitsteilige Entität oder die überschaubare Mitarbeiterschaft eines einzelnen Betriebes (der auch eine Schule oder ein Heim sein kann), in dem jeder einzelne die Zusammenarbeit nicht nur erkennen, sondern auch erleben kann, gemeint haben mag. In einem erst kürzlich erschienenen Sammelband zum sozialen Hauptgesetz, herausgegeben von Stefan Leber, werden die zu schaffenden Einrichtungen von den verschiedenen Autoren folgerichtig einmal als gesamtgesellschaftliche Strukturen, ein andermal als verbindliche Abmachung einer kleinen Gemeinschaft beschrieben. (Eine dritte Variante, die den gesellschaftlichen status quo mit Steinerschen Begriffen darstellt, scheint mir nur als Versuch verständlich zu sein, die bestehenden Herrschaftsverhältnisse «anthroposophisch» zu

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rechtfertigen. Sie ist in dem genannten Band ebenfalls vertreten, soll hier aber nicht näher besprochen werden, weil sie an den Intentionen Steiners vorbeiargumentiert.)

Steiner selbst schreibt schlicht, das soziale Hauptgesetz gelte für das soziale Leben. Daher dürfen wir annehmen, daß er die Wirksamkeit weder auf die Makroebene noch auf die innerbetriebliche Zusammenarbeit eingeschränkt verstanden wissen möchte. Dafür sprechen auch seine Ausführungen in seinem politischen Manifest, Die Kernpunkte der sozialen Frage (1919), in dem er in großen Zügen die Idee der Dreigliederung des sozialen Organismus dartut. Unter Dreigliederung werden der Zusammenhang von drei Funktionen, Geistesleben, Rechtsleben, Wirtschaftsleben, und deren Organe in der Gesellschaft verstanden. Anders als in der Dialektik werden zusätzlich zur Polarität (in diesem Fall: Geistesleben – Wirtschaftsleben) im Steinerschen Denken dem dritten Bereich (Rechtsleben) Eigenqualität und Eigengesetzmäßigkeiten zuerkannt, statt ihn als Folgeprodukt (Synthese) aus den beiden ersten zu erklären. Bei der Lösung jeder einzelnen sozialen Frage oder der sozialen Frage schlechthin können wir die drei Qualitäten, die sich scharf unterscheiden und dennoch durchdringen, gleichsam analytisch aufspüren. Steiner entwickelt diese Methode in den «Kernpunkten» anhand der konkreten historischen Situation im Revolutionsjahr 1919. Arbeit wird beschrieben als der Einsatz von Fähigkeiten (die aus dem Geistesleben stammen) zum Zwecke der Bedürfnisbefriedigung anderer Menschen (die eigentliche Aufgabe der Wirtschaft). Sie selbst, die Arbeit, gehört da nicht hinein. Lohnarbeit ist nichts anderes als die Fortsetzung des Sklaventums. Sie ist, laut Steiner, nicht durch eine Reform nur des Wirtschaftslebens zu befreien. Denn es liegt in der Eigendynamik des Wirtschaftslebens, «daß alles ihm Eingegliederte zur Ware werden muß». Nicht darauf könne also das Bestreben gerichtet sein, «daß in ihm die menschliche Arbeitskraft zu ihrem Rechte kommt, sondern darauf: wie bringt man diese Arbeitskraft aus dem Wirtschaftsprozeß heraus, um sie von sozialen Kräften bestimmen zu lassen, die ihr den Warencharakter nehmen?» (In der Ausgabe von 1920: S. 37).

Das wirft auch ein Licht auf das Einkommen, das solange zur Arbeit verpflichtet, das heißt, diese zur Ware macht, solange es in Form von Lohn ausbezahlt wird. Einkommen ist, qualitativ betrachtet, Ausdruck eines gesellschaftlichen Verteilungvorganges, der das Verhältnis von Menschen untereinander regelt und insofern eher dem Rechts- als dem Wirtschaftsleben zuzuordnen ist. «Zur Herstellung des Produktes ist ein Rechtsverhältnis zwischen Arbeiter und Unternehmer notwendig. Dieses kann aber durch die kapitalistische Wirtschaftsart in ein solches verwandelt werden, welches durch die wirtschaftliche Übermacht des Arbeitgebers über den Arbeiter bedingt ist. Im gesunden sozialen Organismus muß zutage treten, daß die Arbeit nicht bezahlt werden kann». Und weiter: «Die Art, wie, und das Maß, in dem ein Mensch für den Bestand des sozialen Organismus zu arbeiten hat, müssen aus seiner Fähigkeit heraus und aus den Bedingungen eines menschenwürdigen Daseins geregelt werden. Das kann nur geschehen, wenn diese Regelung von dem politischen Staate aus in Unabhängigkeit von den Verwaltungen des Wirtschaftslebens geschieht» (S. 54).

Steiner deutet hier erstens auf das Rechtsleben innerhalb der Unternehmen und zweitens auf die Rolle des Staates hin. Ein Beispiel, wie ersteres vor sich gehen kann, beschreibt Dieter Brüll in dem übrigens empfehlenswerten Kapitel über das soziale Hauptgesetz (Der anthroposophische Sozialimpuls, S. 117 ff). Dort ist von den Camphill-Heimen die Rede, Lebensgemeinschaften, die sich um die heilpädagogische Erziehung behinderter Kinder und die Betreuung behinderter Erwachsenen kümmern, in denen, idealiter, niemand «verdient», sondern jedem nach Bedarf und gegebenenfalls Absprache der Zugriff in die gemeinsame Kasse zusteht. Etwas ähnliches machen wir im «Info3»-Verlag, wenn auch die Tatsache, daß wir keine Lebens-, sondern nur eine Arbeitsgemeinschaft und außerdem ein Wirtschaftsbetrieb sind, zu Sozialstrukturen führt, die in wesentlichen Details von dem Camphill-Modell abweichen: Nachdem eine zuverlässige Schätzung über den vermutlichen Ertrag (was nichts anderes ist als das gemeinsam Erwirtschaftete, nämlich Einnahmen weniger Sachkosten) vorliegt, setzen sich die Mitarbeiter zusammen und besprechen sich in mehreren Sitzungen solange, bis ein für alle befriedigendes Monatseinkommen abgesprochen werden kann. Dabei sind zwei Dinge zu beachten: Wir können nicht die Bedürfnisse des anderen beurteilen, sondern nur den zum Monatsbetrag abstrahierten Teil des Gesamtvolumens festlegen. Und: Wir können nicht mehr verteilen als das, was vorhanden ist (Vergleiche die ausführliche Darstellung in «Info3», 1/1986). Wo sonst der Unternehmer die Arbeit durch Lohnzahlungen den Mitarbeitern abkauft und damit eine Hierarchie schafft, bringen wir durch unsere Gehaltsstruktur zum Ausdruck, daß wir es selbst sind, die die (gemeinsame) Arbeit wollen. Es ist daher ganz selbstverständlich, daß wir in dieser Situation keine Angestellten sein wollen – nicht einmal unsere eigenen. Denn der Arbeits- oder Anstellungsvertrag birgt die Geste Lohn für Arbeit in sich, auch dann, wie es z.B. von vielen Waldorfschulen behauptet wird, wenn die Anstellung nur eine Formalität wäre. Der Glaubwürdigkeit wegen teilen wir uns, trotz steuerlicher Nachteile, als «Unternehmer» den «Gewinn». (Dadurch lauert der Kapitalismus wieder von einer anderen Seite: der des Kapitaleigentums. Auch hierfür sind wir einer Lösung auf der Spur, auf die an dieser Stelle aber nicht eingegangen werden kann.) Bisher waren die erwünschten Monatsbeiträge höher als der Etat hergab. Das Verteilenmüssen

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und die wirtschaftliche Realität, daß der Teil des gemeinsam-erwirtschafteten Ertrages, das der eine für sich in Anspruch nimmt, für den anderen nicht mehr da ist, wurde erlebbar. Die Einkommen sollen aber, auch bei guten Betriebsergebnissen, nicht ins Unermeßliche steigen, sondern sich an dem orientieren, was sonst in der Branche üblich ist. Damit sind wir beim zweiten Punkt. Die Einkommensverhältnisse sind gesellschaftlicher Natur und als solche allgemeinen Regelungen unterworfen. Als Instrumente für die Begrenzung nach oben steht das Steuerwesen zur Verfügung, für die nach unten zum Beispiel – das Grundeinkommen. Letzteres kann, mit vielen Einschränkungen, vielleicht der Anfang dessen sein, was Steiner als Trennung von Arbeit und Einkommen darstellt. Als erster Schritt, den Menschen unabhängig von jeder Arbeitsverpflichtung eine Existenzgrundlage zu geben, ist das Grundeinkommen sicher geeignet. Es wäre ein Mittel, den durch Industrialisierung und Automatisierung errungenen Wohlstand gerechter auf die Menschen zu verteilen, als es die Erwerbsarbeit vermag. Wichtiger erscheint es mir noch als (Finanzierungs-)Instrument, welches es den Menschen ermöglicht, der Arbeit nachzugehen, deren Sinn er einsieht und sich mit jenen anderen Menschen zu verbinden, mit denen er gemeinsam Sinnvolles unternehmen kann.

Das ist nicht nur für den einzelnen von Bedeutung, sondern könnte eine gesellschaftliche Umwälzung großen Stils einleiten. Noch einmal Thomas Schmid: «Das Mindesteinkommen will ganz wenig und doch sehr viel. Wenig: es will die Arbeitslosigkeit nicht mehr – wie bisher – bestraft und stigmatisiert sehen. Viel: es will Räume schaffen, die es den Einzelnen ermöglichen (nicht vorschreiben!), auf Distanz zur Arbeitsgesellschaft zu gehen und die Abhängigkeit von den Großorganisationen zu mindern. Seine nicht zu unterschätzende subversive Bedeutung liegt vor allem darin, daß es die Hegemonie der Institutionen über die Menschen zurückdrängt. Das garantierte Mindesteinkommen würde also einen bedeutsamen kulturellen Umbruchprozeß einläuten: es würde Unternehmer, Gewerkschaften und Staat als primäre Sinngebungsinstanzen verabschieden und die Zukunft ein wenig mehr als bisher in die Hände der Leute legen» (Befreiung von falscher Arbeit, S. 12).

Bleibt die Frage der Finanzierbarkeit. Neben einigen weniger seriösen Vorschlägen, die z.B. Kürzungen im Verteidigungshaushalt zugunsten des Grundeinkommens durchführen wollen (– den vorgeschlagenen Kürzungen ist zwar voll zuzustimmen, sie sollten aber nicht dazu herangezogen werden, die Machbarkeit einer Umwälzung des sozialen Systems zu begründen –), liegt der Beitrag von Gerd Grözinger vor. Er beziffert für die BRD den jährlichen Aufwand eines Grundeinkommens in der eingangs erwähnten Höhe auf 651 Mrd. DM. Des weiteren schlägt er einen integrierten Steuer- und Sozialversicherungssatz vor, der auf alle Löhne (ohne Freibetrag und ohne Progression) sowie auf alle Unternehmergewinne und Kapitalerträge erhoben werden soll. Nach seinen Berechnungen müßte diese Steuer 54% betragen, um die Mehrkosten des Grundeinkommens gegenüber der jetzigen Situation aufzubringen. Im übrigen macht er einige interessante Vorschläge zur Reform der Krankenkassen. –

Eine bedenkswerte Variante brachte unlängst Dieter Brüll ins Spiel (‹Arbeid op de tweesprong› in Triodos-Bericht Nr. 39). In Anlehnung an die Grundreformmodelle von Henry George könnte man den gesamten Mehrwert aus Grund und Boden, der nicht durch Arbeitsleistung, sondern durch die Marktmechanismen zustandekommt, absahnen und für die Grundeinkommen verwenden. Henry George (1839-1897) wollte den gesamten Mehrwert von jedem Grundbesitz durch eine pachtähnliche Steuer (nicht aber den Grundbesitz selbst) enteignen.

Das Thema Grundeinkommen wird, wie Winfried Tauer in dem Leitartikel dieses Heftes darlegt, vorläufig noch die Gemüter bewegen. Befürworter und Gegner findet man quer durch alle Parteien. Ein niederländischer Unternehmerverband befürwortete die Maßnahme mit der Erwartung, endlich mal nur richtig motivierte Arbeiter zu bekommen, ebenso wie ihn bestimmte Feministinnen ablehnen, weil die Haus- und Erziehungsarbeit immer noch unbezahlt bliebe. Bei den undogmatischen Linken geistert die Idee seit einiger Zeit herum, während bei den Gewerkschaften genausowenig Sympathie für das Grundeinkommen zu erwarten ist wie für den Selbstverwaltungsgedanken. Letzlich leben die Arbeitnehmerverbände davon, daß die Mehrheit der Menschen (Lohn-)abhängig ist. Es bleibt der Kernsatz von Opielka und Vobruba in ihrem Vorwort zu erwähnen. «Die Forderung (nach einem Grundeinkommen) erweist sich auch heute als das, was sie schon immer war: weltanschaulich uneindeutig». Ich hoffe, wenn in diesem Artikel auch einiges zu pauschal dargestellt werden mußte, wenigstens nachgewiesen zu haben, daß dieser Satz so nicht stimmt. Ob die Forderung, anthroposophisch untermauert, annehmbarer wird, ist noch eine andere Frage.

Verwendete Bücher

Michael Opielka / Georg Vobruba (Hrsg.): Das garantierte Grundeinkommen. Entwicklung und Perspektiven einer Forderung. Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt 1986

Thomas Schmid (Hrsg.): Befreiung von falscher Arbeit. Thesen zum garantierten Mindesteinkommen. Wagenbach- Verlag, Berlin 1984

Rudolf Steiner: Die Kernpunkte der sozialen Frage in den Lebensnotwendigkeiten der Gegenwart und Zukunft (1919). Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1976 (Auch als Taschenbuch erhältlich).

Ders.: Geisteswissenschaft und soziale Frage. Drei Aufsätze (1905106). Sonderdruck aus GA 34. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1977

Ders.: Gesammelte Aufsätze zur Kultur- und Zeitgeschichte (1887-1901). GA 31. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1966

Dieter Brüll: Der anthroposophische Sozialimpuls. Ein Versuch seiner Erfassung. Novalis-Verlag, Schaffhausen 1984

Stefan Leber (Hrsg.): Das soziale Hauptgesetz. Beiträge zum Verhältnis von Arbeit und Einkommen. Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 1986

[Zeitschrift Info3, 12/1986, S. 11]