Alldeutsche Hetze des Prof. Fuchs in Göttingen gegen die Dreigliederung

08.03.1921

Quelle
Zeitschrift „Dreigliederung des Sozialen Organismus“
2. Jahrgang, Nr. 36, 08.03.1921, S. 3–4
Bibliographische Notiz

Am 18. Februar veranstaltete der Bund für Dreigliederung in Göttingen einen öffentlichen Vortrag. Dr. jur. Roman Boos aus Dornach sprach über „Die großen Fragen der Gegenwart, die Anthroposophie und die Dreigliederung des sozialen Organismus“. Der Vortrag von Dr. Boos hinterließ bei dem ernst zu nehmenden Teil des Publikums einen bedeutenden Eindruck, und Professor Fuchs, welcher mit seiner Leibgarde erschienen war, trug durch sein Auftreten in der Diskussion und die packende Verteidigung des Dr. Boos eine empfindliche Schlappe davon.

In der folgenden Woche erhielten wir Kenntnis, daß in Göttingen auf Freitag, den 25. Februar, eine Protestversammlung gegen den Bund geplant sei. In den zu dieser Protestversammlung einladenden Inseraten in der Göttinger Presse wurden alle Stände und Parteien zur Vereinigung einer Abwehr der gegen Deutschlands Bestand gerichteten Umtriebe des Bundes für Dreigliederung aufgefordert, welche zur Abtrennung Oberschlesiens vom Deutschen Reich führen können. Der Hauptredner war Professor F. Göppert. Als Einberufer zeichneten: „Vereinigte Verbände heimattreuer Oberschlesier, Ortsgruppe Göttingen“, nach Rücksprache und mit Zustimmung der großen politischen Parteien von links bis rechts.

Den Ausgangspunkt der Protestversammlung bildete die Tätigkeit der Breslauer Ortsgruppe des Bundes, welche in einer großen Anzahl von oberschlesischen Städten Vorträge über die Dreigliederung veranstaltet hatte und ein Flugblatt zur Verbreitung brachte, welches die Einwohner Oberschlesiens aufforderte, zur Rettung Oberschlesiens die Dreigliederung einzuführen als die einzige Möglichkeit, die verwickelte oberschlesische Frage in einer von den Verhältnissen geforderten Weise zu lösen.

Herr Regierungsbaumeister Alwes aus Breslau, welcher an der Tätigkeit der Breslauer Ortsgruppe in Oberschlesien mitbeteiligt ist, versuchte zu Wort zu kommen und die Versammlung über den wahren Sachverhalt aufzuklären. Studentengruppen versuchten ihn daran zu verhindern, und nur durch das Eingreifen von Schriftleiter Schiller (Volksblatt) und von Prof. Hippel, welcher die Studenten an die Regeln des Anstandes erinnern mußte, konnte Herr Alwes u. a. sein Befremden darüber aussprechen, daß kein Vertreter der vereinigten Verbände heimattreuer Oberschlesier in der Versammlung gesprochen hätte, obwohl sie in der Anzeige als Einberufer genannt waren. Lehrer Munderloh als Vertreter dieses Verbandes mußte erklären, daß er nicht zu den Einberufern der Versammlung gehöre.

Die Versammlung nahm eine Entschließung an, in welcher gegen die Stellungnahme des Bundes für Dreigliederung protestiert wird, die zur Abtrennung Oberschlesiens vom Deutschen Reiche führen soll. Es wurde beschlossen, diese Entschließung dem Auswärtigen Amt zu übermitteln. Ein Antrag eines Gegners der Dreigliederung, Herrn cand. chem. König, die Abstimmung über die Entschließung zu vertagen bis zu der von Herrn Alwes angekündigten Gegenversammlung am Samstag, um erst eine Klärung der Sachlage herbeizuführen, wurde mit starker Stimmenmehrheit abgelehnt. Die auf Sonnabend, den 26. Februar, geplante Gegenversammlung, in welcher Herr Alwes und Herr Mayen aus Breslau den wahren Sachverhalt öffentlich darlegen wollten, wurde von Herrn Polizeidirektor Warmbold, einem Freunde von Prof. Fuchs und Gegner der Anthroposophie und Dreigliederung, im „Interesse der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung“ verboten unter Berufung auf die Bestimmung des allgem. Landrechtes (a. d. 18. Jahrhundert), Teil II, Tit. 17, § 10.

Wir haben der „Göttinger Zeitung“ zur Aufklärung der Göttinger Bevölkerung die nachfolgende Erklärung abgegeben:

[Dreigliederung des Sozialen Organismus, 2. Jahrgang, Nr. 36, 08.03.1921, Seite 3]

Die Dreigliederung des sozialen Organismus und die oberschlesische Frage

Antwort auf die Protestversammlung

Nachdem wir von dem Verlauf der Protestversammlung im Stadtpark am 25. Febr. Kenntnis genommen haben und sich unsere Vertreter durch das von Herrn Polizeidirektor Warmbold erlassene Verbot einer von uns beabsichtigten Gegenversammlung in die Unmöglichkeit versetzt sahen, uns an Ort und Stelle gegen die unerhörte und völlig gegenstandslose Anklage des Landesverrates zu verteidigen und durch eine sachliche Darlegung der Gesichtspunkte, welche die Breslauer Ortsgruppe des Bundes veranlaßt hat, in der oberschlesischen Frage die Dreigliederungsvorschläge zur Geltung zu bringen, die Bevölkerung Göttingens aufzuklären, sehen wir uns vorläufig zu der folgenden Erklärung veranlaßt:

Die Vertreter der Dreigliederung waren bei den Vorschlägen, welche sie zu einer möglichen Lösung der oberschlesischen Frage zu machen hatten, von keinen anderen Wünschen geleitet, als von solchen, mit denen sie sich mit dem ganzen deutschen Volk in Übereinstimmung wußten. Ihren Absichten liegt nichts anderes zugrunde, als für die oberschlesischen Gebiete eine Lösung zu finden, durch welche verwirklicht werden kann, was nicht nur im wirtschaftlichen Interesse des Stammlandes liegt, sondern auch von der geistig kulturellen Seite her als eine Selbstverständlichkeit erscheinen muß. Dem Bund für Dreigliederung andere Absichten unterzuschieben, muß als eine den Tatsachen ins Gesicht schlagende Behauptung bezeichnet werden. Der Bund weiß sich in voller Übereinstimmung mit allem, was aus wahrhaft deutschem Geist heraus gewollt werden muß. Er ist jedoch der Meinung, daß auf dem eingeschlagenen Wege das Gewollte nicht erreicht wird, daß aber durch die von ihm vorgeschlagene Lösung einer Dreigliederung des oberschlesischen Gebietes alles, was im deutschen und europäischen Interesse liegen muß, erreicht werden kann.

Das Aufbauprogramm des Bundes für Dreigliederung wird sich jedem vorurteilslos Denkenden gerade unter Berücksichtigung der furchtbaren Lage Mitteleuropas und bei sachlicher Prüfung der tatsächlichen Verhältnisse notwendig als diejenige Möglichkeit ergeben, welche für Deutschland einen Ausweg aus der westlichen Erdrosselung bedeutet und ihm seine geschichtliche Geltung wieder verschaffen wird.

Die oberschlesische Wirtschaft mit den für die deutsche Wirtschaft unerläßlichen Rohstoffen kann gerade aus der gegebenen Sachlage heraus für das deutsche Wirtschaftsleben nur gerettet werden, wenn sie von den politischen Faktoren abgelöst und auf sich selbst gestellt wird. Die von den politischen Faktoren unabhängig gemachten oberschlesischen Wirtschaftsassoziationen können dadurch, ohne fortwährenden Erschütterungen ausgesetzt zu sein, mit deutschen und anderen Wirtschaftsgebieten in den sich aus der wirtschaftlichen Notwendigkeit ergebenden geregelten Güterverkehr treten.

Die Befreiung und Verselbständigung des Geisteslebens wird bewirken, daß das deutsche und das polnische Volkselement ungehindert und friedlich sich nebeneinander entwickeln können, ohne in irgendwelche Abhängigkeit voneinander zu kommen. Es ist leicht einzusehen, daß gerade darin die Gewähr für die Erfüllung dessen liegt, was aus deutschem Geist heraus gewollt und erstrebt werden muß.

Der in Oberschlesien verbreitete Aufruf der Ortsgruppe Breslau enthält in seiner Zielsetzung nichts, was sich nicht in voller Übereinstimmung weiß mit allem, was Deutschland aus seinen vitalsten Interessen heraus erstreben muß und was der deutsche Geist zur Erfüllung seiner Aufgaben nötig hat. Dagegen sind diejenigen Mittel und Wege vorgeschlagen, die eine gesunde und den tatsächlichen Verhältnissen Rechnung tragende Lösung der oberschlesischen Frage geben können.

Indem die Lösung der oberschlesischen Frage auf dem einzig möglichen Wege der großen europäischen Frage gesucht wird, sollte man erwarten können, daß zum mindesten eine sachliche Diskussion der oberschlesischen Frage, welche von europäischem Interesse ist und deswegen auch eine entsprechende Beachtung erfahren würde, im Interesse der Öffentlichkeit liegt. In diesem Lichte betrachtet, ist das von Herrn Polizeidirektor Warmbold erlassene Versammlungsverbot ein mehr als sonderbar anmutender Akt von Unterdrückung der freien Meinungsäußerung, besonders wenn berücksichtigt wird, daß in dem heutigen demokratischen Deutschland zu diesem Zwecke eine Bestimmung zu Hilfe genommen werden mußte, die aus dem allgemeinen Landrecht des 18. Jahrhunderts stammt.

Nachdem einwandfrei festgestellt ist, daß die Einberufung der Protestversammlung durch die Ortsgruppe heimattreuer Oberschlesier mit den Tatsachen nicht übereinstimmt, sind wir berechtigt, von den wirklichen Veranstaltern öffentliche Aufklärung zu verlangen, zumal nach den uns zugegangenen Nachrichten auch die Parteien zum Teil erst vor die vollendete Tatsache gestellt worden sind.

Es handelt sich also bei dieser Protestversammlung um einen Überrumpelungsversuch, dessen Ursachen man erkennt, wenn man hört, daß Prof. Fuchs die Verdächtigung des Landesverrates bereits bei dem Vortrag des Dr. Boos ausgesprochen hat. Persönliche Gegnerschaft des Prof. Fuchs hat ihn auch wohl dazu gebracht, die öffentliche Meinung irre zu führen. Daraus ist die folgende Meinung zweifellos berechtigt. Nicht der Bund für Dreigliederung hat sich zu verantworten, sondern Professor Fuchs, der in einer unerhörten Weise die Öffentlichkeit für seine Zwecke mißbrauchte und mit seinem Vorgehen unter Zuhilfenahme seiner Helfershelfer sich auf ein moralisches Niveau gestellt hat, das uns wenig geeignet erscheinen muß, die Repräsentanz wahren deutschen Wesens und Geistes zu sein.

Bund f. Dreigliederung d. sozialen Organismus

Ernst Uehli

Zusammenfassend stellen wir fest:

Zu der Protestversammlung ist die Göttinger Ortsgruppe heimattreuer Oberschlesier als Einberufer mißbraucht worden zur persönlichen Deckung des wirklichen Einberufers. Die absurde und leichtfertige Anklage des Landesverrates, welche das „Göttinger Tageblatt“, das Blatt des Professors Fuchs, verbreitet, ist erstmals von Professor Fuchs bei dem Vortrag von Dr. Boos erhoben worden. Die Absendung der Entschließung an das Auswärtige Amt ist eine Mache, weil als selbstverständlich anzunehmen ist, daß das Auswärtige Amt von der Tätigkeit des Bundes in Oberschlesien von Anfang an unterrichtet worden ist. Das Versammlungsverbot des Herrn Warmbold erweist sich als eine Tragikomödie, da die Ruhestörungen der Göttinger Versammlungen ausschließlich durch die Leibgarde des Prof. Fuchs besorgt worden sind.

Wir werden nötigenfalls in der nächsten Nummer auf die alldeutsche Aktion des Professors Fuchs zurückkommen.

Die Schriftleitung.

[Dreigliederung des Sozialen Organismus, 2. Jahrgang, Nr. 36, 08.03.1921, Seite 4]