Valentin Wember „Dreigliederung“

Eine Rezension von Albrecht Kiedaisch

22.03.2023

Das Buch von Valentin Wember ist sehr zu empfehlen. Man wird freilassend und anregend angesprochen, und wer noch nichts von der Dreigliederung gehört hat, wird Lust bekommen, sich eingehender mit der Sache zu beschäftigen. Für den Kenner sind die aktuellen Bezüge interessant und er wird sich an der an allen Stellen durchscheinenden Leidenschaft neu erwärmen können.

Albrecht Kiedaisch

Seit den letzten drei Jahren wird immer deutlicher, dass wir uns nicht mehr auf die gesellschaftlichen Strukturen verlassen können. Wie konnte es geschehen, dass Wissenschaft und Presse derart fremdbestimmt werden konnten; bis hin zur Zensur? Wie kam es zur Aushöhlung rechtsstaatlicher Prinzipien? Und die alten Probleme stehen immer noch an: Warum nimmt die Ungleichverteilung von Vermögen nach wie vor zu, warum gibt es weiterhin unsinnige Arbeit, die zu Überproduktion und Naturzerstörung führt, warum sind unsere Demokratien immer noch nicht in der Lage, Kriege zu vermeiden?

Mit solchen Fragen knüpft Valentin Wember mit seinem Buch „Dreigliederung“ an die gegenwärtigen stürmischen Zeitereignisse an. Es ist so geschrieben, dass jeder nach Lösungen Suchende ohne Vorkenntnisse einsteigen kann. Und es ist ein Appell an furchtlose Leser, sich einmal versuchsweise auf diesen ungewöhnlich umfassend angelegten, das Zusammenspiel der Kräfte und gleichzeitig das Ganze überschauenden Ausblick einzulassen. Denn aufs Ganze gehe ansonsten der „Great Reset“.

Zu Beginn wird der Blick darauf gelenkt, dass die Brandung der Ereignisse mit tiefer liegenden Ursachen zu tun hat: Zunächst trifft man im menschlichen Zusammenleben auf Grundphänomene. Das sind die Bedürfnisse, Fähigkeiten und Gefühle der Menschen. Daraus ergeben sich ganz natürlich die Lebensbereiche der Wirtschaft, des Geisteslebens und des Rechtslebens. Was sind aber die Lebensbedingungen dieser Organsysteme? Das kann man zu verstehen versuchen, und ein Verständnis ist dringend notwendig, deshalb: „Erkenntnis zuerst“!

Rudolf Steiners Entdeckungen zu diesen drei Bereichen bilden den Hauptteil des Buches:
Warum er das Geistesleben aus den Händen des Staates befreit sehen will, wird sehr deutlich. Bei Erziehung und Unterricht muss es um Menschenkenntnis und Fachkenntnis gehen, und die Pädagogen und Fachleute können nur Ratschläge geben, denen man dann aus Einsicht folgen wird. Vorgaben und Anordnungen, staatliche und wirtschaftliche Zwänge, führen am Ende zu Human-Kapital; zu Menschen, die einem gesellschaftlichen Zweck angepasst sind. Das verstösst gegen die Menschenwürde. Würden die Menschen etwa die weltweite Vermögensverteilung weiter hinnehmen, wenn sie zu Freien erzogen worden wären? Wer selber als Mittel zum Zweck aufgewachsen ist, hat zu wenig Mitgefühl und benutzt wieder andere Menschen als Mittel zum Zweck. Er denkt als Einzelner und nicht vom Ganzen her. Die ökonomische Lage ist eben ein Ergebnis davon, wie die Menschen sich durch ihre geistigen Fähigkeiten zueinander stellen. Von der Wirtschaft her kann man kein Interesse für andere erwarten, weil man in der Wirtschaft zunächst nur den eigenen Bedarf bewusst wahrnimmt.
Auch die Forschung ist aus den Händen von Wirtschaft und Politik zu befreien. Wember zeigt an Beispielen aus der Lebensmittel- und Impfstoff-Industrie , was bei korrupter Forschung schief läuft und bringt es in einen Zusammenhang mit der trotz der offensichtlichen Abhängigkeit der Wissenschaftler ungebrochenen allgemeinen Wissenschaftsgläubigkeit. Als eindrückliches Beispiel wird die Entmündigung der Medizin durch Wirtschaft und Politik in der Zeit der Covid-Krise beschrieben. Die Steuerung der Ereignisse kam nicht aus dem konkreten Sachverstand und war auch nicht demokratisch legitimiert. Die staatlichen Behörden hingen an der Beurteilung überstaatlicher Organisationen und diese wiederum an den Kapitalinteressen von Stiftungen.

Das Kapitel über die Wirtschaft beginnt mit der Schilderung des Zusammenspiels von Leitung und Belegschaft bei einem Familienbetrieb. Das gemeinsame Arbeitsethos entsteht durch die möglichste Einsicht in die Zusammenhänge. Das Vertrauen der Belegschaft hängt zusammen mit der Anerkennung der Fähigkeiten des Unternehmers. Der Betrieb wird dann an einen Investor verkauft, was zu innerbetrieblichen Folgen führt und letztlich auch zu höheren Preisen. Dazu kommt das Beispiel eines geerbten und längst abbezahlten Hauses, das nur Instandhaltung und Verwaltung kostet im Vergleich zu einem, das Kapitalrendite bringt. Es wird deutlich, warum in der Dreigliederung Kapital und Boden unverkäuflich sein müssen, und auch, dass das Kapital in die Hände der Fähigsten gehört. Die weitsichtigen Modelle der Carl Zeiss AG oder der Firma Bosch, die zu einer Unverkäuflichkeit der Unternehmen geführt haben, werden dem Marx-Leninschen Modell der staatskapitalistischen Wirtschaft gegenübergestellt, wo die Unterschätzung der Unternehmer-Fähigkeiten zu schlimmen Folgen geführt hat.
Wie auch immer die konkreten Regelungen aussehen könnten; es muss eine Art Verantwortungseigentum, einen Verantwortungskapitalismus und am Ende einen Gemeinwohlkapitalismus geben. Und weil Fähigkeiten die Domäne des Geisteslebens sind, kann Kapitalverwaltung nur Sache des Geisteslebens sein. Die Wirtschaft braucht freie, selbstverantwortliche Menschen, die nur durch ein freies Geistesleben kommen können.
Der Gewinn wurde über seine Funktion als wichtiger Indikator hinaus zum alleinigen Antrieb des Wirtschaftslebens. Durch ein anderes Verständnis des sozialen Organismus kann es mit der Zeit zu anderen Antrieben kommen. Die Dreigliederung argumentiert dabei nicht ethisch. Den Egoismus kann man als eine System-Folge erkennen und man ahnt, dass er der Freude am Herstellen sinnvoller Dinge für andere weichen könnte. Das kann nur in einer assoziativen, einer „Kommunikationswirtschaft“ gelöst werden, denn der Markt bedeutet Kampf und erzeugt Verschwendung. Planwirtschaft andererseits bedeutet Mangel. Das Geld schliesslich ist nichts anderes als ein Mittel für die Wirtschaft. Es muss der Produktion von Gütern dienen und darf keine Ware im Sinne der Finanzwirtschaft werden. Geld ist der Anspruch, andere für sich arbeiten zu lassen, und dieser Anspruch kann nicht ins Unermessliche gehen. Man kann diesen Anspruch auch nicht „aus dem Nichts“ schaffen, sondern Geldschöpfung muss mit dem Vertrauen auf zukünftige Leistungen zusammenhängen.

Das Rechtsleben braucht Demokratie. Sowohl im Westen als auch im Osten ist „Demokratie“ ein Begriff, aber keine Wirklichkeit. „Das Volk wird nicht ernst genommen“. In der Finanzkrise 2008/9 hat Island sich mittels eines beispielhaften Bürgerkonvents gegen die geplante Schuldenübernahme gewehrt. Wember beschreibt als vorstellbare Lösungsmöglichkeit eine Form der aleatorischen Demokratie. - Die Arbeit, etwa Arbeitszeit und Arbeitsbelastung, sind in der Dreigliederung Sache des Rechtslebens, nicht der Wirtschaft. Auch nach den UNO-Menschenrechten ist gerechte Arbeit vor einem internationalen Gerichtshof einklagbar. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat man berechnet, dass bei gleichmässig verteilter Arbeit jeder Mensch auf der Welt nur noch 2 bis 3 Stunden am Tag arbeiten müsste. Je mehr man aber die Arbeit Ware sein lässt, umso mehr macht man den Menschen zum Sklaven. Firmen mitsamt allen Arbeitern zu verkaufen ist wie Sklavenverkauf, denn der Mensch hängt mit der Arbeit zusammen. Und die Arbeitsmotivation hat etwas mit Würde zu tun. Beim Ersetzen der Arbeit durch Roboter muss jeder von der Arbeitsentlastung profitieren, nicht nur irgendwelche Anteilseigner. Die Frage, ob man Zeit vor der Spielkonsole verbringen oder produktiv für das Ganze sein will, muss man selber mitentscheiden können. Das Kernproblem ist: „Die technischen Fähigkeiten des modernen Menschen sind gewaltig, seine solidarischen Fähigkeiten hinken noch hinterher.“

Gegen Ende des Buches gibt es eine praktische Zusammenfassung der wichtigsten Aspekte und zusätzlich auch weiterführende Anmerkungen. Bei der Frage nach der Umsetzung der sozialen Dreigliederung empfiehlt Wember, sich zunächst und immer wieder einen Blick für das Ganze zu schaffen. Es gibt grundlegende soziale Gesetze, aber keine festen Rezepte. Alle konkreten Schritte sind der Fantasie der Menschen überlassen. Jeder alternative Versuch ist dabei wertvoll und steigert die kritische Masse, die zum Wandel drängt, aber er unterliegt auch einem starken Anpassungsdruck, wie man etwa am Beispiel einer alternativen Bank sehen kann. Eine partielle Dreigliederung, etwa in Schulen, kann es nicht geben. Sie ist „ein Gemeinschaftskunstwerk für Jahrhunderte“.

Mein Kommentar dazu: Besonders gut ist das Kapitel Geistesleben gelungen. Es geht bei allem um den individuellen Menschen. In diesem Sinn wird richtigerweise auch die Arbeit als eine Frage der Menschenwürde im Rechtsleben behandelt. Beim Thema Demokratie fehlt die Notwendigkeit ihrer Einschränkung auf Sicherheit, Eigentumsrecht und Arbeit; die angewandten Verfahren sind dabei zweitrangig. Für die Wirtschaft wird sehr gut gezeigt, wie ein freies Unternehmertum in einen Verantwortungskapitalismus übergehen kann, ebenso, dass das Geld zur Wirtschaft gehört. Wichtiger als das schwierige Geldschöpfungs-Thema wäre aber Steiners Alterndes Geld im Zusammenhang mit dem Zins gewesen.
Gemessen an allem anderen zählen die kritischen Anmerkungen aber wenig: Das Buch ist sehr zu empfehlen. Man wird freilassend und anregend angesprochen, und wer noch nichts von der Dreigliederung gehört hat, wird Lust bekommen, sich eingehender mit der Sache zu beschäftigen. Für den Kenner sind die aktuellen Bezüge interessant und er wird sich an der an allen Stellen durchscheinenden Leidenschaft neu erwärmen können.