22-Stunden-Woche statt Grundeinkommen

01.09.2010

Übersicht über die Kontroverse Bedingungsloses Grundeinkommen?
zwischen Götz Werner, Sylvain Coiplet, Stephan Eisenhut, Ingo Hagel, Ulrich Piel, Thomas Brunner, Heidjer Reetz, Franz Ackermann und Marc Desaules


 

Wenn es um die Propagierung des bedingungslosen Grundeinkommens für alle geht, entstehen zuweilen Texte mit Flügeln. Man ahnt da eine freundliche Welt, in der die Menschen zu sich kommen, um dann, so sie wollen, in Freiheit füreinander arbeiten zu können. Gewisse bodennahe Einwände haben es demgegenüber schwer, sich zu behaupten und gelten hier und da sogar als Miesmacherei. Wie soll aber die beschworene neue Welt unsere alte verändern, wenn sie sich von vornherein von deren kranken Strukturen abhängig macht? Das ist beim Grundeinkommen der Fall: Seine Befürworter denken zum Beispiel weder an eine andere Geldordnung noch an eine zeitgemässe Form des Eigentums. Die freundliche Grundeinkommen-Welt und die uns heute bekannte würden sich also in eigenartiger Weise ergänzen und stützen, sodass eine grundsätzliche gesellschaftliche Erneuerung, um die es in Wirklichkeit geht, noch schwerer herbeizuführen wäre.

Der Mensch sei ein Ausdruckswesen, wird gesagt. Schön. Der Drang, tätig zu sein, könnte ja schlicht dazu führen, dass jeder jetzt gleich loslegt und sieht, wo er gebraucht wird. Zuletzt würde er auf diese Art selber versorgt sein. Aber nein, so simpel ist es nicht gemeint! Man winkt eher mit der möglichen Kreativität und fordert schon einmal einen Vorschuss! Aber wie wäre das denn, wenn ich „einfach so“ jeden Monat diverse Geldscheine meine erwarten zu können, und zwar in jedem Lebensalter und jeder Lebenssituation? Dann gehe ich doch davon aus, dass da draussen irgendwie die grosse Maschine ohne mich läuft und laufen wird. Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde mir sagen: „Bediene dich!“, und wenn ich das mache, ist die entsprechende Ware weg aus dem Regal. Was bedeutet mein Geld aber für den Lieferanten, beziehungsweise die ganze Kette von Leuten, die hinter ihm stehen? Nichts anderes als: „Stellt wieder so eine Ware ins Regal!“ Mein Einkommen ist deren Arbeit. Das ist zunächst das einzig Sichere an der Sache.

Es sei einmal versucht, das Feld des Zusammenwirtschaftens der Menschen auf die Frage der Sinnhaftigkeit eines bedingungslosen Grundeinkommens hin anzusehen. Dafür eignet sich das Bild einer geschlossenen Dorfwirtschaft, das Rudolf Steiner in seinem Nationalökonomischen Kurs verwendet. Dieses Bild – wie eine Miniaturausgabe der Weltwirtschaft – ist ein Kraftkorn, das zu kauen sich lohnt.

Es gibt da die an der Natur Arbeitenden, die Bauern. Sie haben neben ihrer Arbeit geistige Bedürfnisse, leisten sich also mit Pfarrer und Lehrer ihr „freies Geistesleben“. Sie arbeiten deshalb körperlich über ihren eigenen Bedarf hinaus und ersparen dies den „Honoratioren“. Die Geistesleute bekommen von ihnen Zettel, auf denen steht soundsoviel Weizen oder soundsoviel Rindfleisch. Sie können bei Bedarf diese Zettel an die Bauern zurückgeben und sich das Versprochene abholen. Der ganze Sinn der Zettel hängt nun davon ab, dass sie in die Hand derjenigen kommen, die tatsächlich die erwünschte geistige Leistung erbringen können. Dann kann man sagen: Geld ist Geist. Wenn sie wieder an die Bauern zurückkommen, haben sie ihren Zweck erfüllt und können vernichtet werden. Wenn neuerdings Zettel herausgegeben werden, dann stehen diese wiederum in einem Verhältnis zu den in diesem Zeitpunkt möglichen Überschüssen. Der Bezug des Geldes zur Naturbasis darf nie verloren gehen. Darin besteht der Wert der Währung. Geld an sich hat ja keinen dinglichen Wert. Es hat für den Geist, dem es letztlich dienen muss, nur einen Wert, wenn etwas im weitesten Sinne von der Naturseite her real Produziertes dahintersteckt. In einer Selbstversorger-Wirtschaft ist dieses real zu Produzierende einfach da; hier geht es zur Not auch ohne Zettel. In seinem weiterführenden Charakter taucht das Geld aber dann auf, wenn bestimmte Menschen keine Selbstversorger mehr sind, sondern von den anderen für geistige Leistung freigestellt werden.

Wenn von Geist die Rede ist, denkt man gerne unendlich, unbewertbar usw. Aber wirtschaftlich gesehen ist die Kanzelrede ein Produkt des Geisteslebens, und sie hat sogar einen Preis. Sie ist nämlich soviel wert, wie man dafür dem Pfarrer Arbeit auf dem Feld erspart. Man leistet eine angemessene materielle Arbeit für ihn, vielleicht weil sich seine Tätigkeit sinngebend und befriedend auf die Dorfgemeinschaft auswirkt. Auch was der Lehrer macht, hat auf die Dauer wirtschaftliche Auswirkung. Auch er erfordert zunächst die Investition zusätzlicher Arbeit an der Natur von den anderen, weil er ernährt werden muss. Als Empfänger von „geschenktem“ Geld unterscheiden sich die geistig Leistenden als Konsumenten in der Gegenwart übrigens nicht zum Beispiel von Kranken. Anders in der Zukunft. Da macht ein Schüler dieses Lehrers eine Erfindung, die die Landarbeit erleichtert, sodass die jetzt für den Lehrer zusätzlich geleistete Arbeit später weit mehr Arbeit für alle anderen erspart. Das Geist-Kapital drängt somit die Natur-Arbeit zurück; die Produktivität nimmt zu.

Geist bedeutet Differenzierung. Entwicklung und Produktivität hängen davon ab, wieweit ein „senkrechter“ Geldstrom zu konkreten einzelnen Menschen mit den entsprechenden Fähigkeiten fliesst. Ohne diese Menschen wäre das Geld immerhin ein Tauschmittel, aber auch nicht mehr. „Jeder Mensch ein Künstler“, kann man lesen: „Jeder Mensch werde ein Künstler im Sozialen“, aber niemals: „Jeder Mensch ist bereits ein Maler, Wissenschaftler, Lehrer.“ Das Wirtschaftsleben muss eben mit den geistigen Pfunden wuchern, die tatsächlich da sind.

Selbstverwirklichungswünsche sind dabei Privatsache. Geld an alle würde heissen, dass die wirklichen Maler, Wissenschaftler oder Lehrer nicht genügend hätten.

Die zunehmende Wertschöpfung, das anzustrebende und berechtigte Wachstum der Wirtschaft als „senkrechter“ Vorgang zwischen den Polen Natur und Geist kommt durch Leihgeld an Unternehmer oder Schenkungsgeld an das Geistesleben in Gang, sofern die Bauern nicht alles selber gegessen haben. Daneben gibt es nun einen waagerechten Vorgang ganz anderer Art, der aber von der geleisteten Wertschöpfung abhängt, nämlich die soziale Umverteilung. Während es dort auf den unterschiedlichen Geist der Einzelnen ankommt, zählt hier, dass jeder Mensch als Seele dem anderen gleich anzusehen ist. Weil aber die Seelen unterschiedlich gebrauchbare Körper bewohnen und die Körper in unterschiedlichen Lebenslagen sind, kann die Gemeinschaft beschliessen, dass die Arbeitsfähigen mehr zu leisten haben, als sie es nur für sich selber tun müssten, um Kinder, Alte und Kranke mittragen zu können. Auch bei dieser horizontalen Weitergabe des Geldes können, ähnlich wie bei der vertikalen, nur bestimmte Menschen beschenkt werden. Wenn das Geld an alle ginge, wäre für die, die es brauchen, zu wenig da.

Unsere Dorf-Wirtschaft ist das Prinzip der globalisierten Wirtschaft. Diese ist nur komplexer. Viele Schichten des Verarbeitens und der Dienstleistungen haben sich für unseren Blick insbesondere vor die materielle Produktion – die Arbeit der „Bauern“ im weitesten Sinn – geschoben. Wir leben inmitten von Tätigkeiten, bei denen es schwer ist, ihren Beitrag zur wirtschaftlichen Wertschöpfung auszumachen. Was taugt eigentlich die Arbeit eines Steuerberaters, Werbefachmanns, Datenspezialisten? Da gehen die Geldscheine x-mal für alles Mögliche und Unmögliche hin und her, aber nur eines ist sicher: All diese Schichten in der Volkswirtschaft, wo umverteilt und verbraucht wird, leben von nichts anderem als eben aus dem Hintergrund der Natur-Produktion. Ohne Bergwerke, Äcker und Energie läuft nichts. Wir leben hier in den entwickelten Volkswirtschaften wie die Nachkommen von Dorf-Honoratioren, die sich daran gewöhnt haben, dass irgendwoher Geld hereinkommt, mit dem man sich versorgen kann. Von dieser Vorstellung sollten wir uns verabschieden. Denn entweder ich arbeite, oder es muss einen von anderen anerkannten Grund geben, wenn ich versorgt sein will. Nur der Student, der Kranke, der Lehrer fordern zu Recht, die Übrigen sind gefordert.

Durch das bedingungslose Grundeinkommen bleibt die Fiktion eines von der Wertschöpfung unabhängigen Geldes bestehen. Auch unterscheidet man nicht, wenn man es fordert, dessen „horizontale“ Umverteilung, das Sozialgeld, von der „vertikalen“ Weitergabe des Geldes für geistige Leistungen. Die gängige Aussage „heute reichen wenige aus, um alles zu versorgen“ muss man einmal auf die Ebene des Dorfes zurückverlagert denken. Man käme doch dort, zum Beispiel nach einer Produktivitätssteigerung durch die Einführung einer neuen Technik, etwa den Bau einer Mühle, nicht auf die Idee, nun die Leute wie früher 12 oder 15 Stunden am Tag weiter arbeiten zu lassen, während einige wenige ihre Freizeit geniessen oder sich bestenfalls um ihr kreatives Potenzial kümmern würden, dessen soziale Bedeutung überdies fragwürdig wäre. Nein, man würde doch als erstes feststellen, dass bei derselben Produktionsmenge nun für jeden viel weniger Arbeit anfällt!

Vollbeschäftigung muss ja nicht der Zustand sein, wo alle 12 oder 8 Stunden arbeiten, sondern vielleicht 4 Stunden oder noch weniger am Tag, und selbstverständlich mit demselben Einkommen wie früher. Vollbeschäftigung ist immer möglich. Alles andere sollte als Unrecht empfunden werden. Auch auf dem damit erreichten Niveau kürzerer Arbeitszeiten würde die Verteilung der körperlichen Arbeit und der geistigen Leistungen allerdings nach wie vor von den unterschiedlichen Fähigkeiten abhängen.

Es geht zur Lösung unserer gesellschaftlichen Probleme nicht um das Verteilen von Geld im Sinne eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle, sondern es geht um die gerechte Verteilung der Arbeit. Dies sieht im Bild des Dorfes zwar relativ einfach aus, steht in der für uns jetzt vorhandenen Wirklichkeit aber vor einer gewaltigen Hürde. Denn wer eine brauchbare Idee hat, kann ja nicht einfach loslegen, sondern jeder Arbeitsplatz kostet zuerst einmal viel Geld. Es geht dabei schnell um hunderttausende Franken oder Euro, selbst in der Landwirtschaft. Ob ein Arbeitsplatz eingerichtet wird oder nicht, ist aber derzeitig weniger eine Frage der wirtschaftlichen Vernunft. Es hängt vielmehr vor allem davon ab, welche Rendite sich durch ihn erzielen lässt, und zwar für an den realen Vorgängen unbeteiligte Dritte. Die sind in unserem Dorfbeispiel noch gar nicht aufgetaucht. Sie erwarten „einfach so“ und damit in punkto Nicht-Verpflichtetsein dem Grundeinkommen nicht unähnlich, ein „freies“ Einkommen. Im Gegensatz zum Grundeinkommen haben sie allerdings ein Pfand in der Hand in Form des Eigentumsrechtes, egal ob es sich dabei um Eigentum an Boden, Maschinen, Patenten oder einfach ein Eigentum an überproportional hohem Geldvermögen handelt. Bei unserem gewohnten Geldsystem akkumulieren sich ja sowohl die Gläubiger-, als auch die Schuldnerpositionen über Generationen. Es geht dabei immer um die Relationen, das heisst: Wer nicht viel hat, und das sind die meisten von uns, bleibt dabei über die Preise, die er zahlen muss, ewig Schuldner, selbst wenn er sich durch eigenes Sparen schon als Investor fühlen mag. Denn Unternehmen und Staat sind in hohem Masse Schuldner und müssen ihre „Geldkosten“ auf ihre Preise umlegen. Alle Preisen enthalten also Zinskosten, und das sind die leistungslosen Einkommen der Eigentümer. Von ihrer Gunst wären in einem Grundeinkommens-Staat die Einkommen der Geistesarbeiter letztlich abhängig, denn die Grundeinkömmler selber wären zu arm, um sich ihr Geistesleben finanzieren zu können.

In unserem Dorf-Beispiel kam die zusätzliche Arbeit für den Lehrer nur deshalb später als Arbeitsersparnis allen zugute, weil es im Dorf nur Einkommen entweder aus körperlicher oder geistiger Leistung gab oder eben aus den von der Gemeinschaft beschlossenen Gründen. Die Preise wurden nicht verteuert durch indirekte Kosten für die jetzt ins Blickfeld kommenden Unbeteiligten. Die Mühle im Dorf ist nur Mühle und muss nicht gleichzeitig Gelddruckmaschine sein. Diese anzustrebenden sinnvollen Bedingungen beschreibt Steiner nicht zuletzt im vierzehnten Vortrag seines Nationalökonomischen Kurses. Nachdem er von dem alternden Geld gesprochen hat – Geld kann so nicht im obigen Sinne jemandem dauernd gehören, womit die inzwischen allzu bekannte Blasenbildung und das „Stauen“ in Grund und Boden (Steiner) nicht zugelassen ist –, sagt er da: Die richtigen Preise entstehen dann, wenn die ganze Bodenfläche und ähnlich der bewirtschaftbaren Bodenfläche auch alle anderen Produktionsmittel, wenn sie einmal fertiggestellt sind, tatsächlich auf jeden Einzelnen verteilt gedacht werden müssen. In einem erweiterten Sinn steht in der Weltwirtschaft jedem von uns ein bestimmter Anteil an den Ressourcen, der Technik, der Infrastruktur, den Patenten zu. Er muss uns zustehen, wenn wir an der Wirtschaft teilhaben wollen, wie uns sonst unser „eigener“ Leib zur Verfügung steht. Wir brauchen im Grunde ein „fliessendes“ Eigentum an Produktionsmitteln, allerdings ein persönliches, kein vergesellschaftetes. „Wenn dann nach einiger Zeit [nach einer ursprünglich gerechten Verteilung] andere Preise da sind, dann muss der eine dem anderen die Sache weggenommen haben.“ Früher gab es die Leibeigenschaft – mein Leib gehört einem anderen – heute gibt es immer noch das Vorenthalten des „erweiterten Leibes“, des zum Arbeiten nötigen Kapitals. Und das bedeutet in der arbeitsteiligen Wirtschaft alles, denn der Mensch ist in ihr, wenn er nur mit dem eigenen Leib ausgestattet ist, nicht sozial inkarniert. Man hat das bedingungslose Grundeinkommen einmal mit der Vorstellung zu verbinden versucht, dass sich mit ihm jedermann als gekröntes Haupt fühlen könne, nach dem Motto: „Sind wir nicht alle schon ein bisschen Geistesmenschen?“ In Wirklichkeit gehört aber dem die Krone, der Zugang zur Quelle hat und nicht demjenigen, der hofft, etwas vom Wasser zugeteilt zu bekommen. Der Warenkorb aus Diskounterkost und das Spirituell-sein-Wollen zwischen Ikea-Möbeln werden es auf Dauer nicht bringen. Gerade wenn man die Kostenschwelle zu den kapitalisierten Arbeitsplätzen und unseren Lebensbedingungen überhaupt bedenkt, muss man sich nicht wundern, mit welcher Naivität eine neue Arbeitswelt mittels dem bedingungslosen Grundeinkommen erhofft wird. Zuerst einmal muss dabei der naheliegende Selbstbezug des Arbeitens der Frage weichen, ob die Art und auch die Quantität der Ergebnisse meiner Arbeit für andere überhaupt etwas taugen könnten. Von vornherein klar sein dürfte, dass Arbeit als solche ja wenig oder keinen Wert hat, weshalb es auch wenig Sinn macht, sie als solche zu bezahlen. Dann: Welche Werkzeuge habe ich zur freien Verfügung? Ohne Werkzeuge gibt es kein wirksames, gestaltungsfähiges Geistesleben. Ich als Mensch habe mit meinen Fähigkeiten und Einfällen schliesslich das eigentliche und jeweils ganz spezielle Kapital zur Verfügung und muss mit dem nötigen Werkzeug bis in die „äussere“ Welt hinaus eingreifen können: Bauen, Wohnen, Ernährung etc. – nicht nur Nischenkultur und Haareschneiden.

Das bedingungslose Grundeinkommen, so es einführbar wäre, würde uns seiner Tendenz nach mit einem Freizeit-Seelen-Traum abspeisen und von der Welt trennen. Die Wirtschaft würde dadurch noch unabhängiger vom Menschen und sie würde noch mehr den Interessen des über das Eigentumsrecht in die äusseren Dinge projizierten Kapitals folgen.

Dieser Artikel ist erstmals erschienen in GEGENWART, Ausgabe 3/2010.

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