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Was hat Rudolf Steiner auf sozialem Felde eigentlich gewollt?
Aus dem Heidenheimer Arbeitskreis
Arbeitende und Unternehmende, die in der Praxis des Lebens stehen, sind dauernd in die Notwendigkeit versetzt, zu handeln. Die Situationen erfordern es. Andererseits leben sie, insofern sie Anthroposophen sind, in demjenigen, was sie sich im Studium der Dreigliederung des sozialen Organismus erworben haben. Was liegt näher als der Wunsch oder der Wille, in den praktischen Aufgaben des Tages und des Jahres die Tendenzen zum Offenbarwerden der Dreigliederungsideen zu erkennen und sie so unmittelbar aus den Forderungen der Praxis heraus Wirklichkeit werden zu lassen? Denn die schaffende Ideenwelt sucht ihresgleichen, das in der Materie, in den sozialen Verhältnissen, sich selbst nicht gewahr werdend, verborgen ist. Idee sucht Wirklichkeit, Wirklichkeit sucht Idee, um in dem eigenständigen Mittelreich des Menschen ein Drittes zu offenbaren.
Aber dazu ist notwendig, daß der Mensch mit aller Intensität die Wirklichkeit, die - in Goethes Sinne „unter ihm ist, durch und durch kenne und ebenso, daß er in die Höhe und Tiefe der Ideen, hier der sozialen Ideen, dringe. Es führt ebenso zu Zerrbildern wahren Handelns, wenn die Kraft der „unteren“ Wirklichkeit die Idee überwältigt, wie wenn die Idee, ihr eigenes Wesen entstellend, jene Wirklichkeit zu stark formend, ergreift. Beides führt nicht zur sozialen Gestalt, zum Organismus. Und der im Sozialen wirkende Mensch tut gut, sich mit den Ideen Schillers aus seinen „Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen“ zu durchdringen, die ihn, indem sie nach und nach Instinkt des Handelns werden, in seinem wahren Mittlerwesen zwischen Ideenwelt und unterer Wirklichkeit bestätigen und kräftigen.
In den Jahren nach dem Kriege ist manches geschehen und viel mehr noch gesagt und geschrieben worden, was nicht aus jener Ideentiefe und Kräftigkeit stammt, die für ein Wirken im Sozialen in Betracht kommt. Da erscheint z. B. in einer Zeitschrift, von der man in allen Teilen ein sicheres Stehen in den „Ideen“ erwarten kann, (übri-
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gens ohne Nennung der dahinterstehenden Individualität, wie sie für ein freies Geistesleben selbstverständlich ist), ein Artikel, „Der gerechte Anteil“, der sich mit dem Lohnproblem befaßt. Dabei wird auf eine gewerkschaftliche Denkschrift hingewiesen, in welcher ein Hinausgehen über die kollektiven Lohnabkommen geplant wird. Es wird die Steigerung der Förderleistung im Ruhrbergbau durch ein „Erfolgsanteilsystem“ erwähnt, und es wird gesagt: „Ein tariflich genormter Mindestlohn als Lebensgrundlage für jeden Arbeitenden ist dabei der kollektive soziale Teil, ein an der persönlichen Leistung und an den jeweiligen Betriebsverhältnissen gewonnener individueller Leistungsanteil aber muß heute die zeitgemäße Ergänzung dazu sein.“ Der Berichterstatter, der sich hinter dem Zeichen „gt“ verbirgt, meint sodann: „Die verschiedenen Methoden des Erfolgsanteils sind heute schon Fingerzeige dafür, wohin tatsächlich das Streben des arbeitenden Menschen geht“, und er schließt: „Wird diese innere Seite des Lohnproblems gelöst, dann führt das nicht nur zum sozialen Frieden, sondern auch zu einer Wiederherstellung der Menschenwürde.“
Wenn das wahr und das „Erfolgsanteil-System“ die „innere Seite" und die „Lösung“ des Lohnproblems wäre, ja des Problems der Menschenwürde im Arbeitsprozeß überhaupt, dann brauchten wir nur die Pläne der Gewerkschaften, des Amerikaners Rucker und anderer zu verwirklichen, und das dreißigjährige innere Ringen Rudolf Steiners in diesen Dingen wäre überflüssig.
Aber die „untere Wirklichkeit“, welche Erlösung durch das Klärende und zur lebendigen Gestaltung aufrufende Licht wahrer Ideen sucht, ist völlig anders. Selbstverständlich leugnen wir nicht das Problem des „gerechten Anteils“, und wir wenden uns nicht gegen die charakterisierten Gewerkschaftspläne. Aber wir machen uns keine Illusionen darüber, was sie bedeuten: daß sie weder Lösungen sind, noch daß sie mit dem wahren „Streben des arbeitenden Menschen“ Zusammenhängen und dessen Menschenwürde begründen, noch daß sie das Leiseste mit der „inneren Seite“ des Lohnproblems zu tun haben. Da sagt uns irgend eine Zeitungsnotiz schon etwas grundlegend anderes; z. B. dieses: „Nur einer von je sieben befragten Ruhrkumpels nannte dem Deutschen Gewerkschaftsbund die Erhöhung der Löhne als vordringlichstes Ziel, sechs Siebentel setzten ein besseres menschliches Arbeitsverhältnis an die Spitze ihrer Wunschliste.“ Und selbst die stark von außen her experimentierenden Amerikaner rühren in ihren Bemühungen an eine tiefere Schicht des betrieblichen Lebens. Auch dafür ein Beispiel: „In der Western Electric stieg die Zahl der pro Kopf hergestellten Relais von 2400 auf 3000, ohne zusätzliche Lohnanreize, ohne bessere Arbeitsbedingungen, allein nur aus psychologischen Gründen. Die Arbeitsversäumnisse sanken gleichzeitig um 8O°/o.“
Was aber hat Rudolf Steiner bei der Lösung des Lohnproblems eigentlich gewollt? Welches ist in Wahrheit die „innere Seite“ desselben?
Wir sehen ihn in allem seinen Wirken als den Befreier des Menschenwesens, und er hat diesen seinen geschichtlichen Kampf nicht nur geführt um die Befreiung des menschlichen Geistes aus dem Banne des toten Denkens und den Grenzen der Erkenntnis, sondern des ganzen Menschen aus den Umklammerungen eines in sich selbst gefesselten Geisteslebens aus den Machtansprüchen des politisierten Staates und aus den atemraubenden Wirkungen eines ungebändigten Wirtschaftslebens. In alledem, so wird man sagen dürfen, lag ihm die Befreiung des Arbeiters, der durch sein Schicksal, Enterbter und Entwurzelter zu sein, in besonderem Maße zum Träger der Zukunft bestimmt war, besonders am Herzen. Auf ihn schauend weist er auf die geschichtliche Entwicklungsreihe hin: Sklaverei im Altertum — Leibeigenschaft im Mittelalter Lohnsklaverei in unserer Industrieepoche. Und um nichts Geringeres handelt es sich beim Lohnproblem, als um die Überwindung des Restes menschheitlicher Sklaverei und die Aufrichtung voller menschlicher Würde in den Kreisen der Arbeiter. Zwei Punkte kommen hierbei insbesondere in Betracht:
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1. Die menschliche Arbeitskraft, als ein zum Geistigen, zur Individualität des Menschen Gehöriges darf nicht Ware sein, darf nicht (durch Lohnzahlungen) „gekauft“ werden, wie in der Antike früher ganze Menschen auf dem Sklavenmarkte gekauft wurden (37).')
2. Das Mittel dazu ist die Herausnahme der Arbeitskraft aus dem Wirtschaftsprozeß und die Ausbildung von Verträgen zwischen Arbeitleiter und Arbeitleister auf dem Rechtsboden, „welche ihm den Anteil sichern, an dem Ertrag der Waren“, der aus deren Verkauf erzielt wird (60, 68).
Beim Lohnsystem hört zwangsläufig die innere und äußere Beteiligung des Arbeiters mit der Herstellung des Produktes und mit dem Empfang der Lohntüte auf. Der „Kauf der Arbeit ist beendet und damit ist demjenigen Genüge getan, — meint der Unternehmer — was der Arbeiter als Teilinteresse am Wirtschaftsprozeß haben darf. Der Arbeiter wird in einer 1 cilfunktion gehalten und sein Interesse am Gesamtgeschehen zurückgestaucht. Dennoch ist er ein Vollmensch, und aller Konflikt zwischen Unternehmer und Arbeiter geht im Grunde darauf zurück, daß dem letzteren seine Teilnahme am ganzen Unternehmen und am Gesamtwirtschaftsprozeß bestritten und die Abfindung dieses gesamtmenschlichen Bestrebens durch die Lohnzahlung postuliert worden ist. „Ein wirklich freies Vertragsverhältnis zwischen Arbeitleiter und Arbeitleister (68) hat Wirken und Ergebnis des Gesamtunternehmens nicht nur in der Produktion, sondern bis zum Verkauf und Erlös hin im Auge. Und „die Festsetzung des Anteiles, den eine jede der beiden Personen hat, welche die Ware gemeinsam zustandebringen durch solche freien Verträge, macht den Arbeiter als ganzen Menschen zum echten Mitunternehmer, der nicht prinzipiell, sondern nur graduell und funktionell von dem leitenden Unternehmer verschieden ist. „Innere Seite“ des Lohnproblems, das heißt real dazu beitragen, die Würde des Menschen herzustellen, im Gegensatz zum besten und ergiebigsten „Erfolgsanteil-System“, welches das Prinzip des Lohnes beibehält, und dadurch den Arbeiter unentwegt weiter zum Produktionsmittel degradiert und im partiellen Sklavenzustand hält.
Es gibt aber noch eine innerlichere Seite des Lohnproblems. „Die Arbeitsteilung drängt den sozialen Organismus dazu, daß der einzelne Mensch in ihm lebt nach den Verhältnissen des Gesamtorganismus; sie schließt wirtschaftlich den Egoismus aus“ (93). Niemand in der arbeitsteiligen Wirtschaft arbeitet für sich selbst; er lebt nur dadurch, daß er das Ergebnis dieser Arbeit andern zur Verfügung stellt. Aber diesem modernen Struktur-Prinzip entsprechen in keiner Weise noch die Gesinnungen der Menschen und das daraus hervorgehende Lebensverhalten. „Im Grunde genommen“, sagt Rudolf Steiner (im Nationalökonomischen Kurs S. 37), „ist jeder Lohnempfänger im gewöhnlichen Sinn heute noch ein Selbstversorger.“ So sehr die äußeren Verhältnisse bereits darauf veranlagt sind, den Altruismus zum leitenden Prinzip zu machen, der Egoismus, das selbstversorgerische Für-sich-haben-wollen, und zwar soviel als möglich ist, dennoch das Beherrschende geblieben.
Der wirtschaftliche Altruismus, der aus den schon gewordenen Verhältnissen heraus an das Menschendenken und Menschenwollen pocht, weil er als gestaltende Gesinnung zum Aufleben kommen will, wird aber das Wirtschaftsprinzip der Zukunft sein. Im Erfolgsanteil des Heute, in der Gewinnbeteiligung usw., leben, tief verschüttet, richtige, aber eben perhorreszierte Impulse. Unsere Aufgabe wäre es, an der Ausgrabung und Sichtbarmachung dessen, was eigentlich gewollt wird, zu arbeiten, bas ist beim Lohnproblem umso erreichbarer, als Modellskizzen kommender Ordnungen von Rudolf Steiner vorliegen, ohne deren Verarbeitung man niemals zu der „inneren
*) Die eingeklammerten Zahlen weisen in der Folge auf die entsprechenden Seitenzahlen in den „Kernpunkten“ hin.
Seite“ der Dinge kommen, sondern im Oberflächlichen bleiben wird. „Es ist nötig“, sagt Rudolf Steiner am 27. Januar 1919 in einer Diskussion,2) „in Zukunft jede Art Entlohnung von der Arbeit loszulösen.“ Und dann folgt das für unser Problem bedeutungsschwere Wort: „Entschädigt werden muß die Position, der Ort, wo einer steht.“ Dieses Wort findet sodann eine Konkretisierung durch das, was schon am 24. November 19183) ausgesprochen worden ist, nachdem auf das soziale Schein-Axiom hingewiesen wurde, daß der Mensch, „für seine unmittelbare Arbeit“ entlohnt werden könne: „Soll eine gedeihliche soziale Struktur herauskommen . . ., so darf das nicht sein, daß der Mensch bezahlt wird für seine Arbeit . . . Die Arbeit gehört der Menschheit, und die Existenzmittel müssen auf anderem Wege den Menschen geschaffen werden, als durch Bezahlung seiner Arbeit . . . Der Soldat bekommt seine Existenzmittel; darum muß er arbeiten; aber er wird nicht unmittelbar für seine Arbeit entlohnt, sondern dafür, daß er als Mensch an einer bestimmten Stelle steht.“ — „Der Beamte, wenn er nicht durch den Mangel an Ideen Büreaukrat würde, der Soldat, wenn er nicht durch den Mangel an Ideen Militarist würde, ist in gewisser Beziehung — in ,gewisser Beziehung', mißverstehen Sie mich nicht! — das Ideal des sozialen Zusammenhanges. Und kein Ideal des sozialen Zusammenhanges, sondern der Widerpart des sozialen Zusammenhanges ist, wenn dieser so ist, daß der Mensch nicht arbeitet für die Gesellschaft, sondern für sich!“
Und wir haben (dies sei unter bestimmten Aspekten gesagt) Urbilder dieses idealen sozialen Zusammenhanges mitten unter uns: In unseren Schulen und in unseren heilpädagogischen Instituten, die ja geistige Institutionen sind mit einem notwendigen wirtschaftlichen „Anhang“. Neuartige wirtschaftliche Institutionen, in denen (auch unter Einschränkung sei es gesagt) das Wirtschaften im Vordergründe steht, während das Geistige ein notwendiger, sogar lebensnotwendiger „Anhang“ ist, werden in Zukunft erstehen müssen, indem sie dankbar hinschauen auf das Musterhafte, im Geistesleben schon Vorgelebte.
Wenn wir solcherart das Lohnproblem betrachten (und das kann hier nur äußerst skizzenhaft geschehen), dann werden wir, in der praktischen Arbeit stehend, nicht in Ideenschwäche den Fragen der „unteren Wirklichkeit“ verfallen und in Scheingebilden und Scheinlösungen schon ein Erreichnis sehen. Wir werden Kompromisse machen, vielleicht an „Erfolgsanteil-Systemen“ uns beteiligen, oder Gewinnbeteiligung einführen. Aber wir werden wissen, was wir tun, wir werden wissen, daß es Kompromisse sind, bestenfalls Etappen auf dem Wege zu Zielen, die der Geistesforscher, als heute schon im sozialen Leben verborgen und ans Licht drängend, enthüllt hat. Aber nur, wenn wir mit aller Kraft, die wir aufbringen können, uns unablässig an diesen Zielen orientieren, die in Büchern, Vortragsreihen und Gesprächen von Rudolf Steiner gegeben sind, d. h., kraft- und lebensvoll in der Gestalt der sozialen Ideen leben, andererseits in der Fülle dessen, was „untere Wirklichkeit“ genannt wurde, dürfen wir uns als Schüler des sozialen Baumeisters fühlen.
II.
In der Soziallehre Rudolf Steiners gibt es für den ernsthaften Sucher eine Führung, die ihn mit Sicherheit vor Schwäche und Ungenüge der Ideen, d. h. vor dem Herausfallen aus ihrem Kraftbereich bewahrt. Das sind die Ausführungen in den Aufsätzen, welche schon 1905 in der Zeitschrift „Luzifer-Gnosis“ unter dem Titel „Theosophie und soziale Frage“ erschienen sind. Wir glauben sagen zu können, daß Rudolf Steiner, so „radikal“ er auch in der Volksbewegung für Dreigliederung nach dem ersten Welt-
2) Entnommen der Ausgabe „Sozialwissenschaftliche Texte“, Heft I, herausgegeben von Roman Boos.
3) Zyklus „Entwicklungsgeschichtliche Unterlagen zur Bildung eines sozialen Urteils“.
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krieg, besonders in Betriebszusammenkünften, gesprochen hat, nie etwas Radikaleres auf sozialem Gebiet formuliert hat. Das sind Keimgedanken; mit einer Spreng-, Wachstums- und Formungskraft, denen gegenüber die Gewalt eines Keimes in der Natur nur ein schwaches Gleichnis ist. In diese spärlichen Aufsatzzeilen ist der Gang eingebannt, auf dem Anthroposophie einmal die ganze Menschheit verwandeln wird. Es wird kein Zweifel darüber gelassen, daß diese Anthroposophie von Anfang an nicht da war, um die Gemüter einiger Bevorzugten in Feierstunden zu erbauen. „Man zieht sich nicht aus bloßer Neugierde zurück in ,geisteswissenschaftliche Zirkel', um da allerlei interessante' Aufschlüsse über jenseitige Welten zu erhalten, sondern man trainiert da sein Denken, Fühlen und Wollen an den ,ewigen Gesetzen des Daseins', um herauszutreten in das Leben und mit hellem klarem Blick dieses Lebenzuverstehen.“ (Sperrung von mir. D. V.) Und unmißverständlich: „Durch die geisteswissenschaftlichen Ideen hindurch sich arbeiten, bedeutet Steigerung der Fähigkeiten zu sozialem Wirken.“
Man trifft hin und wieder auf die Meinung, daß mit der Sozialerkenntnis, mit der Idee der Dreigliederung, etwas gegeben sei, was, abgelöst vom Baume der Anthroposophie, vertreten werden könne. Jene früheren Aufsätze Rudolf Steiners aber machen deutlich, daß die Überführung der sozialen Strudel und Wirbel in einen gesetzmäßigen Entwicklungsfluß nur dann möglich ist, wenn Menschen sich dem geisteswissenschaftlichen Studium unterziehen. Ja, für das „Soziale Hauptgesetz'' (siehe den Wortlaut desselben S. 73) selbst heißt es: „Das volle Verständnis der Sache kann nur derjenige gewinnen, welcher sich eine auf die Geisteswissenschaft begründete Weltauffassung erwirbt.“ Es gibt keine isoliert zu vertretende Sozialerkenntnis; denn was das soziale Leben bis in alle Verzweigungen allein tragen und speisen kann, das sind die Ströme lebendigen Wassers, die aus dem Quellorte der Anthroposophie selber fließen.
„Es ist klar“, heißt es nach der Verkündung des Sozialen Hauptgesetzes, „daß dieses Gesetz nichts geringeres besagt als dieses: die Menschenwohlfahrt ist umso größer, je geringer der Egoismus ist. Man ist also bei der Umsetzung in die Wirklichkeit darauf angewiesen, daß man es mit Menschen zu tun habe, die den Weg aus dem Egoismus herausfinden.“ Die Menschheit, welche soeben den Schritt aus dem finsteren in das lichte Zeitalter vollzogen hat, steht vor der Aufgabe, die nicht durch Schönreden verschleiert werden darf, sondern, so unbequem sie ist, voll enthüllt werden muß: Die Hüllen des niederen Seins, das Träger des Egoismus ist, umzuwandeln und in diesem Umwandlungsgeschehen das höhere Selbst, das durch sich selbst sozial ist, zu entfalten. Sie steht in einem Werde- und Potenzierungsprozeß, in welchem, wenn Substanzen zum Heilmittel werden wollen, auch ein Niederes, das Hülle eines Höheren ist, geopfert werden muß. Das Blei, das als Substanz, alle seine „Qualitäten“ egoistisch in sich verschließend vor uns liegt, ist Gift für den Menschen. Aber aus dem Blei, das den Prozeß der Potenzierung durchlebt, geht, seiner „egoistischen“ Substantialität entkleidet, eine Ichverwandte, heilende Kraft hervor. Es gelangt, indem es so den Bereich des egoistischen bloßen Ausstrahlens seiner selbst verläßt, also sich seines „niederen Selbst“ entäußert, in jenen Bereich überirdischer Kräfte, die aus dem Umkreis unegoistisch, selbstlos wirken.4) In gleicher Weise gelangt der Mensch, der auf dem Schulungswege zu seinem höheren Selbst sich befindet, an einen Punkt der Entwicklung, in welchem sein Ich, selbstlos in die Welt ergossen, aus dem Umkreis auf den Leichnam-Leib, den Sitz des niederen Selbstes, schaut.
Das Soziale Hauptgesetz verlangt nichts anderes. Es verlangt die Potenzierung der egoistisch vom Menschen ausstrahlenden Kräfte, die Befreiung der Potenzen, die als
4) Über ausstrahlende und von einem Umkreis einstrahlende Kräfte siehe Dr. Steiner und Dr. Wegman: „Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst“.
höheres Menschenwesen in der Verhaftung in die niederen Hüllen schlummern. Wenn Rudolf Steiner im Zusammenhang mit dem Lohnproblem z. B. sagt:5) „Jene Dreigliederung der sozialen Ordnung, die löst die Ware von der Arbeitskraft ab, so daß die Menschen in der Zukunft nur Ware, nur äußeres Erzeugnis, nur vom Menschen Abgesondertes kaufen und verkaufen werden, daß aber der Mensch aus Bruderliebe für den anderen Menschen arbeiten wird“, so hat diese Bruderliebe keineswegs mit bloßer Empfindung zu tun, die flüchtig ist, sondern mit den anthroposophisch erschulten Sozialkräften des höheren Ich. Der höchste, nachhaltigste Beitrag zum Lohnproblem wird auf dem anthroposophischen Erkenntnisweg errungen, auf dem Bruderliebe, selbstloses Nicht-für-sich, sondern Für-den-anderen-Arbeiten, als Ergebnis möglich wird. Indem wir das sagen, müssen wir aber hinzufügen, daß jeder anthroposophisch Arbeitende in reichem Maße auch den Menschenbrüdern in den Arbeitsstätten von dem Erworbenen ab g eben kann, indem er ihnen (in Besprechungsstunden im Sinne Rudolf Steiners) durch geisteswissenschaftliche Naturerkenntnis usw. zu einem lebendigen Denken verhilft. Lebendiges Denken, über welchen Gegenstand es sei, ist der Beginn der „Potenzierung“, der erste Schritt auf dem Entwicklungsweg zum höheren Selbst, das allein das Soziale Hauptgesetz begreifen kann und eines Tages begreifen wird.
Wir sind überzeugt, daß der Sozialerkenntnis treibende Anthroposoph fort und fort zum „Sozialen Hauptgesetz“ als zentralem Meditationsstoff für seine Arbeit sich wird hinwenden müssen. Es wird ihn vor Verflachung bewahren, es wird sich, samt dem übrigen Inhalt von „Theosophie und soziale Frage“ als Kraftquelle erweisen. Rudolf Steiner hat 1905 diese Quelle erschlossen. Er hat, als er keinen Widerhall fand, lange Jahre geschwiegen. Mit dem ersten Weltkrieg und der Geburt der Dreigliederung ist er immer wieder auf die Quelle von 1905 zurückgekommen, das Axiomatische des Sozialen Hauptgesetzes betonend. Aber ist das verstanden worden? Ist das wirksam geworden? Wenn wir ohne Schonung ehrlich sein wollen gegen uns selbst, müssen wir antworten: Nein! Und doch sagte Rudolf Steiner, als er von der Arbeit „aus Bruderliebe für den anderen Menschen“ sprach, auf „Theosophie und soziale Frage“ hinweisend: „Es mag ein weiter Weg sein, um das zu erreichen, doch nichts wird die soziale Frage lösen, als einzig und allein dieses.“
Wir müssen weiter sagen, in unsere Umwelt blickend: Die Arbeiter, in weitem Umfang, sind heute weniger vorbereitet zum Verständnis dessen, was dem sozialen Leben nottut, als vor 33 Jahren. Der einstmalige geistige Schlachtruf „Arbeit darf nicht Ware sein“ ist verstummt und wird nicht mehr verstanden. Surrogatlösungen, wie Erfolgsanteil-System, Gewinnbeteiligung, Mitbesitzerschaft, die den einst revolutionären Arbeiter selbst zum kleinen Kapitalisten macht, haben die Kräfte echter sozialer Dynamik gelähmt und verschüttet. „Theosophie und soziale Frage“ aber ist noch heute eine leuchtende Fackel, leuchtender denn je. Anthroposophie hat die Aufgabe, diese Fackel zu zeigen, ja mehr noch: Das erloschene Feuer ursprünglicher Arbeiterbewegung, die ihrer Anlage nach eine wahre Menschheitsbewegung war, wieder zu entzünden. Die Fackel des „Sozialen Hauptgesetzes“ ist das Mittel dazu.
„Denkt nicht, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen! Nein, ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert", sagt das Evangelium. Das „Soziale Hauptgesetz“ ist das Schwert, das in die Seele derjenigen dringen muß, die bewußte Träger des sozialen Geschehens sein wollen. Es ist das Schwert, welches das Ich aus den Fesseln der nieder-egoistischen Hüllen trennt, damit dieses Ich ihnen frei gegenübertrete und (ihre Verwandlung in Manas, Budhi und Atman beginnend) den geistigen Ursprungsorten der Brüderlichkeit entgegenreife.
Das Schwert aber ist das Hüter-Schwert; das Soziale Hauptgesetz ein Schwellenwort.
5) Im Vortrag „Verstehet einander!“ des Zyklus „Die soziale Grundforderung unserer Zeit“.
III.
Die Erdensituationen haben sich so entwickelt im lichten Zeitalter, daß sie aus Erdenbegriffen, mit Gedanken, die nur an der Sinneserfahrung geschult sind, nicht mehr lösbar sind. Mächte des Untersinnlichen sind eingebrochen, welche die menschlichen Beziehungen im Kleinen und im Großen verwirren. Ihnen sind nur die Kräfte des Übersinnlichen gewachsen, und die lösenden sozialen Ideen — im Kleinen und im Großen sind nur von jenseits der Schwelle zu holen.
Auf unterbewußte Weise kommt heute die Menschheit auf ihrem geschichtlichen Wege an die Schwelle heran. Sie gelangt damit auch in den Bereich des „Hüters der Schwelle“ und sie kommt, wiederum nur unterbewußt, mit demjenigen in Berührung, was der Hüter von ihnen fordern muß, damit sie seine Proben bestehe. Und es ist notwendig für den Fortgang der sozialen Entwicklung, daß die Hüterworte verstanden werden und zu Herzen dringen, damit das spirituelle Willensfeuer entfacht werde, aus dem allein neue soziale Substanz in die Welt kommt. Das Nichtverstehen, das Unterbewußtbleiben des gewaltigen Anrufes, den der Hüter aus allen Situationen des Lebens, an das höhere Selbst gerichtet, erschallen läßt, muß die Menschheit der Welt des Untersinnlichen überliefern, die sich schon erschreckend mächtig über uns gezeigt hat, indem sie ganze Völker unter ihre Herrschaft brachte, das Amoralische, ja Böse zum Gesetz des Handelns machend.
Das Hüterschwert, das in die Seele dringt, trennt das Vergangene, Gewordene im Menschen vom Werdenden, Zukünftigen. Ein Anschauendes, das höhere Idi, welches Zukunft ist, steht einem Anzuschauenden, dem gewordenen Ich, das in der Vergangenheit wurde, gegenüber. Und dieses anzuschauende Gewordene ist der „kleine Hüter der Schwelle“, welcher spricht: „Ich bin es selbst, die Wesenheit, die sich einen Leib gebildet hat aus deinen edlen und deinen üblen Verrichtungen. Meine gespenstige Gestalt ist aus dem Kontobuch deines eigenen Lebens gewoben.“6) Der Mensch ist aus höherer Führung, die unbewußt in ihm waltete, nun entlassen- Sein eigenes höheres Ichwesen tritt in die volle Verantwortung ein für seinen — zunächst — gespenstigen dauernden Begleiter. „Ich werde, wenn du meine Schwelle überschritten hast, keinen Augenblick mehr als dir sichtbare Gestalt von deiner Seite weichen. Und wenn du fortan Unrichtiges tust oder denkst, so wirst du sogleich deine Schuld als eine häßliche dämonische Verzerrung an dieser meiner Gestalt wahrnehmen.“ Diesem schwer zu ertragenden Mahnerbild des zusammengewobenen Vergangenen steht ein Zukunftsbild gegenüber, welches den Wandlungswillen in der Tiefe ergreift: „Erst wenn du all dein vergangenes Unrichtiges gut gemacht und dich so geläutert hast, daß dir weiter Übles ganz unmöglich ist, dann wird sich mein Wesen in leuchtende Schönheit verwandelt haben. Und dann werde ich mich zum Heile deiner ferneren Wirksamkeit wieder mit dir zu einem Wesen vereinigen können.“ Muß man Worte machen, die kümmerlich ausdrücken, was ein solches Bild aus den höheren Welten, wie es das des „kleinen Hüters“ ist, ins Bewußtsein gehoben, im sozialen Leben der Erde bedeutet?
In jedem Gespräch unter Menschen, in jeder Handlung von Menschen in Arbeitsstuben und Werkstätten will heute der „kleine Hüter“ anwesend sein und bemerkt werden. Das besagt im Konkreten, was Rudolf Steiner meinte, indem er sagte: „Die Menschheit als Ganzes schreitet über die Schwelle, aber dieses Überschreiten darf nicht im Unbewußten bleiben.“ Der unbewußt heute an den Menschen heran tretende Hüter muß zum bewußten Erlebnis werden, damit Hüterkräfte Antriebskräfte im sozialen Leben werden. Und die Übungen und Schilderungen in „Wie erlangt man Erkenntnisse
6) Dies und die folgenden Zitate stammen aus „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?“
der höheren Welten?“ sind in unseren Tagen das Akuteste, was Eintritt in das Gemeinschaftsleben der Menschen erheischt.
Es ist aber noch ein anderes, was das menschheitliche Herankommen an die Schwelle zu den geistigen Welten und die Berührung mit dem Hüter mit sich bringt. Der Mensch wird nicht nur aus der unbewüßten Engelsführung seines Ich entlassen, sondern auch aus der des Geistes, der sein Volk und damit sein eigenes Leben, bestimmt, des Erzengels, und er muß lernen, bewußt dessen Weisungen zu vollziehen, in denen er bisher selbstverständlich und unbewußt gelebt hat. Er wird sich dieser Forderung zunächst annähern, indem er durch Studium sich Kenntnis erwirbt über Wesen und Impulse der Volksgeister, wie geisteswissenschaftliche Forschung sie enthüllt. Wie sehr die Menschen durch ihr Herankommen an die Schwelle und den Hüter aus der Erzengelführung gefallen sind, das haben wir an unserem eigenen Volke erlebt, und wir erleben es noch an jenem Volke, welches Manas in seinem Schoße birgt. Nicht nur das soziale Leben im engeren, sondern das Volksleben als Ganzes, das Menschheitsleben als Zusammenwirken von Völkern, werden in Zukunft in immer größere Verwirrung getrieben, wenn nicht durch das bewußt aufgenommene Schwellen- und Hüterbild, das einmal auch zum Schauenserlebnis wird, kathartische Prozesse, Wandlungsimpulse in das Erdenleben der Menschen eingreifen.
In dieses intime, aber geistgewaltige Hin und Wider zwischen dem Menschen, der in der Gemeinschaft ein soziales Wesen werden will und dem „kleinen Hüter der Schwelle“, wirkt aber auch schon die hehre Gestalt des „großen Hüters“ herein, jener „erhabenen Lichtgestalt . . ., deren Schönheit zu beschreiben schwierig ist in den Worten unserer Sprache." Er ist der große Erzieher zur Selbstlosigkeit und zu brüderlichem Wesen, der seine Sphäre heute über die geistige Welt hinaus ausdehnen möchte bis in die Erden- und Menschenwelt hinein, in welcher, im Aufblick zu ihm, der eigentliche Mensch erst geboren werden wird. Seine Lichtgestalt, welche Selbstlosigkeitssubstanz ist, will die Menschheit, die in das lichte Zeitalter eintrat, ergreifen, damit einstmals Brüderlichkeit auf der Erde Wirklichkeit werden könne. „Bisher hast du nur dich selbst erlöst“, sagt er dem an seiner Schwelle Ankommenden, welcher gereinigt die Schwelle des „kleinen Hüters“ überschritten hat, „nun kannst du als ein Befreiter alle deine Genossen in der Sinnenwelt mitbefreien“. Aller Wahn bloßen Sich-SelbstErlösens hat an seiner Pforte ein Ende. „Als Einzelner hast du bis heute gestrebt; nun gliedere dich ein in das Ganze, damit du nicht nur dich mitbringst .in die übersinnliche Welt, sondern alles andere, was in der sinnlichen vorhanden ist. Mit meiner Gestalt wirst du dich einst vereinigen können, aber ich kann kein Seliger sein, solange es noch Unselige gibt.“
Rudolf Steiner spricht hier aus dem Bereich höherer Wesen, welche als erhabene Lehrer des Menschen wirken, wenn dieser sich in rechtem Gebrauch seiner Freiheit auf den Pfad begibt. In diesen Bereich gehört auch das Wirken der Engel, welche Leitmotive in den astralischen Leib des Menschen verweben, die der Mensch, an ihnen sich orientierend, in kommender Entwicklung Erdenwirklichkeit wird werden lassen können.7) Es wirkt dabei auch der Grundsatz, „daß in der Zukunft kein Mensch Ruhe haben soll im Genuß von Glück, wenn andere neben ihm unglücklich sind. Es herrscht ein gewisser Impuls absolutester Brüderlichkeit, absolutester Vereinheitlichung des Menschengeschlechtes — richtig verstandener Brüderlichkeit — mit Bezug auf die sozialen Zustände im sozialen Leben.“ Man sehe auf das Wort, „daß kein Mensch Ruhe haben soll im Genuß von Glück . . .“ und sehe auf das Hüterwort „. . . aber ich kann kein Seliger sein . . .“, um die innere Zusammengehörigkeit zu erkennen. Brüder-
7) Siehe „Was tut der Engel in unserem Astralleib?“ Vortrag Zürich, 9. 10. 1918.
lichkeit, so muß man sagen, ist erst dann Realität, wenn man sie als Sdiwellensubstanz erlebt, als Substanz aus der Sphäre des „großen Hüters“.
Wir sagten: Das „Soziale Hauptgesetz“ ist ein Schwellenwort. Das Gleiche gilt von allem Erläuternden in „Theosophie und soziale Frage“, was das Gesetz umgibt. Dieser innerste Keim aller Sozialerkenntnis und allen sozialen Wirkens wurde 1905 von Rudolf Steiner gelegt im Hinblick auf die immer stärker werdende unbewußte Schwellenberührung der Menschheit. Das notwendige Bewußtwerden des Schwellencharakters unserer Zeit führt dazu, daß auch der „große Hüter“ in unser Sehfeld eintritt, zunächst in der Gestalt, wie sie uns in „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?“ geschildert wird. „Theosophie und soziale Frage“ aber ist die erste Botschaft in Menschenworten, die uns der „große Hüter der Schwelle“ für das soziale Leben gegeben hat.
Sie wurde nicht aufgenommen. Wie eine stumm-beredte Klage steht unter dem ersten und letzten, was Rudolf Steiner auf sozialem Felde damals unternahm: „(Wird fortgesetzt)“.
Wird sie heute, 47 Jahre nach ihrer Verkündigung, 33 Jahre nach der Volksbewegung für Dreigliederung, Wurzel auf der Erde schlagen? „Fortgesetzt“ werden?
IV.
Wir haben die Frage gestellt: „Was hat Rudolf Steiner auf sozialem Felde eigentlich gewollt?“ Wir bilden uns nicht ein, daß sie mit einem Aufsatz beantwortet werden könnte. Ein Aufsatz kann nur ein Hinweis sein auf die geistigen Quellen, die nie jemand ausschöpfen wird. Das Quillen und Quellen, das Fließen und Überströmen liegt ja in ihrer Natur. Mehr als ein Flinweis können also diese Zeilen niemals sein. Und wenn wir uns darin einig sind, daß wir unseren Mitmenschen nicht Flußwasser oder gar Teichwasser weiterreichen dürfen, sondern sie frischen Mutes an die Quellen führen müssen, auf daß sie selber schöpfen und so schöpferisch werden können, dann erfüllen sie ihren Zweck. Schöpferisch werden, d. h. die Quelle in der eigenen Brust zum Sprudeln bringen, kann aber jeder Mensch. Denn: „Es schlummern in jedem Menschen Fähigkeiten . . .“ Und am Schluße möge ein Wort aus jener Hüterbotschaft stehen, die Rudolf Steiner an die unbewußt die Schwelle berührende Menschheit des beginnenden lichten Zeitalters übermittelte:
„Was aber jeder tun kann, das ist, im Sinne des Sozialen Hauptgesetzes in seinem Bereich zu wirken. Es gibt keine Stellung eines Menschen in der Welt, innerhalb welcher man das nicht kann: sie möge anscheinend noch so unbedeutend oder noch so einflußreich sein.“
Das „Soziale Hauptgesetz“
in Rudolf Steiners „Theosophie und soziale Frage“ „Das Heil einer Gesamtheit von zusammenarbeitenden Menschen ist umso größer, je weniger der einzelne die Erträgnisse seiner Leistungen für sich beansprucht, das heißt, je mehr er von diesen Erträgnissen an seine Mitarbeiter abgibt, und je mehr seine eigenen Bedürfnisse nicht aus seinen Leistungen, sondern aus den Leistungen der anderen befriedigt werden.“ Alle Einrichtungen innerhalb einer Gesamtheit von Menschen, welche diesem Gesetz widersprechen, müssen bei längerer Dauer irgendwo Elend und Not erzeugen. — Dieses Hauptgesetz gilt für das soziale Leben mit einer solchen Ausschließlichkeit und Not-
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wendigkeit, wie nur irgend ein Naturgesetz in Bezug auf irgend ein gewisses Gebiet von Naturwirkungen gilt. Man darf aber nicht denken, daß es genüge, wenn man dieses Gesetz als ein allgemeines moralisches gelten läßt, oder es etwa in die Gesinnung umsetzen wollte, daß ein jeder im Dienste seiner Mitmenschheit arbeite. Nein, in der Wirklichkeit lebt das Gesetz nur so, wie es leben soll, wenn es einer Gesamtheit von Menschen gelingt, solche Einrichtungen zu schaffen, daß niemals jemand die Früchte seiner eigenen Arbeit für sich selber in Anspruch nehmen kann, sondern daß diese möglichst ohne Rest der Gesamtheit zugute kommen. Er selbst muß dafür wiederum durch die Arbeit seiner Mitmenschen erhalten werden. Worauf es also ankommt, das ist, daß für die Mitmenschen arbeiten und ein gewisses Einkommen zu erzielen, zwei von einander ganz getrennte Dinge seien.