Jüdische Siedler und palästinensische Rückkehrer

28.02.2001

Seit der Wahlsieg von Ariel Scharon von der rechtsgerichteten Likud-Partei zum Ministerpräsidenten ist es zu Koalitionsvereinbahrungen zwischen Ariel Scharon und der Arbeiterpartei, die mittlerweile unter der Führung des Friedensnobelpreisträgers, Schimon Peres, steht, gekommen. Es wird zu einer "Regierung der nationalen Einheit" kommen. Die "nationale Einheit" wird aber auf Kosten der Palästinenser gehen. Beide Parteien hätten sich darauf geeinigt, zunächst Übergangsvereinbarungen mit den Palästinensern und kein endgültiges Abkommen anzustreben, wie es die Regierung Barak versuchte. Scharons Ziele sind folgende: Im Rahmen eines Interim-Abkommens erhalten die Palästinenser ungefähr die heute von ihnen verwalteten Gebiete (etwa 42 Prozent des Westjordanlandes und zwei Drittel des Gazastreifens). Das fruchtbare Jordantal an der Grenze zu Jordanien bleibt unter israelischer Kontrolle. Scharon akzeptiert offenbar eine Staatsgründung auf den bereits abgetretenen Gebieten. Für Scharon sind die jüdischen Siedlungen aber unantastbar. Das Westjordanland (Judäa und Samaria) ist für ihn ein Gebiet, auf das Israel einen historischen Anspruch hat. Er versprach den rund 200 000 Siedlern, dass keine einzige Siedlung abgebaut werde. Für Scharon bleibt Jerusalem die ewige und ungeteilte Hauptstadt unter israelischer Souveränität und er lehnt, wie sein Vorgänger Ehud Barak, weiterhin das Rückkehr-Recht der palästinensischen Flüchtlinge ab.

Während diese neuen politischen Leitlinien festlegt werden, zeichnet sich ab, mit welchen Mitteln die neue Regierung diese Interims-Friedensordnung durchsetzen will: Nämlich durch Ausüben ihrer wirtschaftlichen Macht. Die Kassen der Palästinenser seien so gut wie leer, seit die Israelis ihnen nicht mehr verabredungsgemäß monatlich rund 35 Millionen Euro (70 Mio DM) überweisen. Bei dem nicht transferierten Geld handelt es sich beispielsweise um Zolleinnahmen, die die israelischen Grenzbehörden auf Güter erheben, die aus den Palästinensergebieten kommen oder dort eingeführt werden. Hinzu kommen die Steuern, die die Israelis normalerweise auf die Löhne der in Israel arbeitenden Palästinenser erheben und die rücküberwiesen werden müssten. Jassir Arafat kann inzwischen kaum noch seine Beamten, Lehrer und das Krankenhauspersonal bezahlen. Eingesprungen in die Lücke ist die Europäische Union, die seit Jahren Hilfsprojekte in den Palästinensergebieten mit durchschnittlich 180 Millionen Euro im Jahr fördert. Aus einem Sonderhilfsfonds zahlte Brüssel im Dezember erstmals 27,5 Millionen Euro direkt in den Haushalt der Palästinenser. Im Januar flossen weitere 30 Millionen Euro. Für Februar und März steht noch EU-Geld zur Verfügung. Aber nicht nur der öffentliche Haushalt, sondern auch die Bevölkerung hat massive ökonomische Probleme: Das Welternährungsprogramm rief zur Unterstützung für seinen Notstandsplan für etwa 250 000 Palästinenser auf, die seit Beginn der israelisch-palästinensischen Konfrontationen vor fünf Monaten unter die Armutsgrenze abgerutscht sind. Israel hat seit Ende September fast durchgängig eine Blockade des Westjordanlands und des Gazastreifens aufrechterhalten. Deshalb konnten mehr als 150 000 Palästinenser nicht zu ihren Arbeitsplätzen in Israel gelangen. "Diese Menschen leiden wirklich", sagte Muschtak Kureschi vom UN-Welternährungsprogramm. Die Wirtschaft sei hart angeschlagen und dies zeige sich besonders im Bereich der Kaufkraft. "Die Leute können sich die grundlegendsten Dinge nicht mehr leisten, weil sie ihre ganzen Ersparnisse aufgebraucht haben." Nach Erkenntnissen der UN ist der Anteil der Armen in den Palästinensergebieten seit Beginn der Unruhen von 21 auf 32 Prozent gestiegen. Die Zahl der Menschen, die am Tag von weniger als zwei Dollar leben müssen, ist von 650 000 auf eine Million gestiegen. Hinzu kommen die etwa 3,7 Millionen palästinensischen Flüchlinge, von denen 900.000 in Lagern außerhalb des Westjordanlandes in größter Armut leben und denen Israel kategorisch die Rückkehr verweigert.

Es ist ein Paradebeispiel, wie Israel seine staatliche Kontrolle und Druck auf die palästinensische Wirtschaft ausübt, um politische Lösungen herbeizuführen.

Der Streit beißt sich selbst in der Schwanz. Es ist ein Streit um Bodenkapital, der jetzt, von Seiten Israels, immer mehr und mehr wirtschaftlich ausgetragen wird. Die Intifada ist nicht nur ein nationaler Aufstand, sondern auch ein proletarischer Aufstand. Die über 1 Million zählenden Araber in Israel standen bisher nicht mit dem palästinensischen Aufstand in Verbindung und waren zwar nicht sozial, jedoch bis jetzt wirtschaftlich in Israel integriert, und werden nun zunehmend von Israelis boykottiert. Die Ausbeutung und der wirtschaftliche Druck des palästinensischen Arbeiterheers steht kausal mit der Intifada im Zusammenhang und bedingt sich gegenseitig.

Wenn Scharon denkt, er komme mit diesem wirtschaftlichen Repressionskurs zum Erfolg, hat er sich, in bezug auf die Bedürfnisse des sozialen Menschen, verrechnet - der Mensch als Bedürfiger, Mündiger und gleichwertiges Wesen. Niemanden kann den Palästinensern in diesem sinnlosen Gerede von historischen Rechten ein freiheitliches und vor allem ein wirtschaftlich gesundes Leben abschlagen. Dies gilt für die Palästinenser im Westjordanland, in Gaza und Flüchlingslagern gleichermaßen. Schon die Politik von Ehud Barak war verfehlt, indem er die Flüchlinge ungeachtet ließ.

Wenn ein Ausweg aus der Nahostkrise gefunden werden soll, muß das Bodenrecht entschärft werden, durch das gleiche Zugangsrecht zum Boden für alle Parteien (Israelis, jüdische Siedler, israelische Araber, Flüchlinge und Palästinenser), für überall in Israel und in den palästinensischen Gebieten. Der Boden gehört zum Wirtschaftsleben, nicht zum Staatsleben. Israel hat ungewollt durch die Dienstbarmachung des palästinensischen Arbeiterheers einen gemeinsamen Wirtschaftsraum mit den Palästinensern geschaffen. Eine gemeinsame Regelung wirtschaftlicher Angelegenheiten, wie Bodennutzung, bringt keine Gefährdung der jeweiligen Eigenstaatlichkeit von Israel und Palästina mit sich. Dies ist viel mehr eine Chance in vielerlei Hinsicht.