Clara Steinkellner: Menschenbildung in einer globalisierten Welt

24.07.2012

Perspektiven einer zivilgesellschaftlichen Selbstverwaltung unserer Bildungsräume

Rezension von Johannes Mosmann, erstmals erschienen in der Zeitschrift "Sozialimpulse", Ausgabe Juni 2012.

Clara Steinkellners „Menschenbildung in einer globalisierten Welt“ ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Es ist einerseits das bislang umfassendste und gründlichste Werk zum Thema Bildungsfreiheit, andererseits aber auch das ansteckendste. Strenger wissenschaftlicher Aufbau und akribische Quellenrecherche verbinden sich hier scheinbar mühelos mit einem leichten Lesefluss und einer klaren Sprache. Gleichzeitig durchbricht die Autorin die akademische Beweislast, indem sie diese als Mittel verwendet, um anschaulich werden zu lassen, was gerade nicht bewiesen werden kann: die Freiheit. Die Idee der Freiheit entwickelt sich gewissermaßen durch den wissenschaftlichen Diskurs, vor allem aber durch die Biografien vieler ihrer bedeutendsten Verfechter in Gegenwart und Vergangenheit hindurch, deren Gedanken, Gefühle und Taten Steinkellner zum Erlebnis werden lässt. Mancher Leser wird überrascht sein, die modernsten Ansichten ausgerechnet bei Persönlichkeiten zu finden, deren Namen heute Staatsschulen und Straßenschilder zieren. Johann Heinrich Pestalozzi zum Beispiel: „Unser Geschlecht bildet sich wesentlich nur von Angesicht zu Angesicht, nur von Herz zu Herz menschlich. Es bildet sich wesentlich nur in engen, kleinen, sich allmählich in Anmut und Liebe, in Sicherheit und Treue ausdehnenden Kreisen also. Die Bildung zur Menschlichkeit, die Menschenbildung, und alle ihre Mittel sind in ihrem Ursprung und in ihrem Wesen ewig die Sache des Individuums und solcher Einrichtungen, die sich eng und nahe an dasselbe, an sein Herz und an seinen Geist anschliessen.“

Pestalozzi spricht, wie die anderen hier vorgestellten Persönlichkeiten auch, aus Erfahrung. Das ist die Krux in jeder Argumentation für die Freiheit: Es lässt sich eben nicht theoretisch beweisen, dass Bildung niemals auf „Vermittlung“ von Inhalten, sondern auf einer Selbstbetätigung des lernenden Individuums beruht, dass dieses sich zwar an der Beschäftigung mit dem Inhalt bildet, letzterer aber in Wahrheit bloß den äußeren Anreiz für seine Selbst-Bildung liefert. Vielmehr zeigt sich das offenbar denjenigen Menschen als Erfahrungstatsache, die bereits selbstverantwortlich im Bildungsprozess drinnen stehen, und das konkret Individuelle in seiner Selbstbetätigung wahrnehmen. Aus dieser Erfahrung resultiert dann die Einsicht, dass sich Lehrinhalt und Lehrmethode danach bestimmen müssen, inwieweit sie den Willen des jeweiligen Schülers hervorzurufen geeignet sind, und daher nur von den Menschen entwickelt werden können, die mit diesem bestimmten Schüler wahrnehmend verbunden sind. Ganz natürlich ist es deshalb auch, dass umgekehrt von der Warte der abstrakten Administration das Wesen der Bildung nicht erkannt, und unter dem Namen „Bildungsreform“ immer effizienter angegriffen wird. Die absurde Tragik dieses Prozesses wird dem Leser schmerzhaft vor Augen geführt: Während sich die gewordene Verfassung von Staat und Wirtschaft als immer ungeeigneter erweist, den Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft zu begegnen, unternimmt die Menschheit immer größere Anstrengungen, genau dieser Verfassung auch die geistige Entwicklung der zukünftigen Generation zu unterwerfen. Clara Steinkellner fragt deshalb: Wie kann der umgekehrte Prozess ermöglicht werden? Was kann konkret unternommen werden, damit Staat und Wirtschaft von einem freien, zivilgesellschaftlich verwalteten Bildungswesen ihrerseits die Impulse für eine menschenwürdige Verfassung der Zukunft empfangen?

Aufgrund ihrer Erfahrung im Aufbau selbstverwalteter Bildungsräume, zuletzt etwa durch die Mitbegründung der freien Bildungsstiftung, kann die Autorin hier sehr konkrete Angriffspunkte aufzeigen. Die eigentliche Antwort liegt jedoch in der Form, in der schon diese Schrift gehalten ist: Steinkellner schreibt nicht über Ideen, sondern über Menschen. Zwar liefert sie auch eine scharfe und äußerst vielseitige Analyse des Bildungssystems. Dabei verzichtet sie jedoch weitgehend auf persönliche Kritik und zeigt stattdessen in den von ihr zitierten Persönlichkeiten das Fruchtbare im Ringen um ein zeitgemäßes Bildungswesen auf. Die vielen Menschen, die hier zu Wort kommen, werden gerade durch ihre ganz individuell errungene Weltsicht gewissermaßen zu Zeugen einer Biografie in der Biografie, die das vorliegende Buch in Wahrheit erzählt: die des freien Geistes. Das freie Geistesleben erscheint somit nicht als eine spezielle Idee Rudolf Steiners, sondern als eine sich aus der Natur des modernen Menschen heraus entwickelnde Kraft. Und so findet Clara Steinkellner doch einen Weg, eine Brücke zu schlagen zwischen Fachleuten und Außenstehenden. Denn der Leser fühlt deutlich: ich bin mit diesen Menschen verbunden, der Freiheitsimpuls ist schon wirklich da, hier kann ich anknüpfen! Diese Erfahrung wünsche ich möglichst vielen, die irgendwie aktiv an der Gestaltung von Bildungseinrichtungen beteiligt sind oder es noch nicht sind.

Clara Steinkellner: Menschenbildung in einer globalisierten Welt - Perspektiven einer zivilgesellschaftlichen Selbstverwaltung unserer Bildungsräume. Verlag Edition Immanente, Berlin 2012. Klappenbroschur: 298 Seiten, 18,00 EUR. ISBN: 978-3-942754-20-0.

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