Deutsch-französischer Streit um die EU-Grundrechte-Charta

26.09.2000

Die Arbeiten an den 54 Artikeln der EU-Grundrechte-Charta sind heute abgeschlossen worden. Am letzten Tag haben die Sach- und Sprachverständigen das Wort gehabt. Sie haben dafür gesorgt, daß die Europäische Union sich nicht mit einer einzigen Verfassung zufrieden gibt, sondern sich stattdessen gleich zwei Verfassungen zulegt.

Bis zuletzt wurde nämlich über die Präambel der Charta gestritten. Ingo Friedrich, der deutsche Wortführer der Christdemokraten im Europaparlament bestand auf einen Gottesbezug. Dies wurde seitens Frankreich mit Verweis auf die eigene laizistische Tradition abgelehnt. Dort gilt wie in der Türkei das Prinzip der Trennung von Staat und Religion. In der deutschen Version der EU-Grundrechte-Charta wird daher auf ein kulturelles, humanistisches, geistig-religiöses Erbe verwiesen. In der französische Version steht nicht geistig-religiös, sondern einfach nur geistig.

Die Christdemokraten können also weiter den Staat zum Schutz ihrer eigenen Religion mißbrauchen und aus ihren Überzeugungen nicht nur moralische Gebote, sondern auch staatliche Gesetze machen. Ihr Christentum bleibt eine Religion der Intoleranz. Gerade aus diesem Wunsch heraus lehnen sie einen Beitritt der Türkei zur europäischen Union ab. Das Land ist nämlich nicht nur moslemisch, sondern auch noch dazu laizistisch.

Die Franzosen können mit ihrer eigenen europäischen Verfassung weiterhin alle religiöse Bekenntnisse als Gehirnwäsche abtun und seit einigen Monaten auch gerichtlich verfolgen.

Dadurch ist dasjenige offenbar geworden, was oft nur stillschweigend erfolgt. Wer sich mit offiziellen europäischen Texten beschäftigt, stößt ständig auf solche Stellen, die in den verschiedenen Sprachversionen eine völlig andere Bedeutung erhalten. Es heißt aber nicht, daß die Übersetzer ihre Arbeit schlecht machen. Was fehlt sind Politiker, die sich nicht nur für Europa begeistern, sondern mehr können als nur die eigene Sprache und Kultur. Dies gehört eben weder zum geistigen noch zum geistig-religiösen Erbe Europas. Und dies wird auch so bleiben, solange sich dort das Prinzip der Trennung von Staat und Kultur nicht durchgesetzt hat.