Die Staatsidee Wilhelm von Humboldts

01.12.2013

Mit Dietrich Spittas Buch "Die Staatsidee Wilhelm von Humboldts" liegt zum erstenmal eine Gesamtdarstellung der gesellschaftspolitischen Ideen Humboldts vor. Das überraschende Ergebnis: offenbar grenzte Wilhelm von Humboldt nicht nur Kultur und Bildung vom Gebiet der staatlichen Wirksamkeit ab, sondern entwickelte gleichzeitig auch zukunftsweisende Ideen für das, was dann innerhalb des Staatsgebietes liegen würde, und unter die Wirksamkeit desselben fallen müsste - bis hin zu konkreten Verfassungsideen. Das im Verlag Duncker & Humblot 2004 erschienene grundlegende Buch, das bisher € 79,90 kostete, ist jetzt zum Preis von € 24,90 hier erhältlich.

Wilhelm von Humboldts Staatsidee ergibt sich einerseits aus seiner 1792 verfassten genialen Jugendschrift „Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen.“ Ausgehend von der Notwendigkeit einer freien Bildung und Entwicklung des Menschen und seiner freien Entfaltung kam er damals schon zu der Erkenntnis, dass der Staat nur die Aufgabe hat, für die Sicherheit der Menschen zu sorgen, während das geistig-kulturelle Leben einschließlich des Bildungswesens sowie das wirtschaftliche Leben nicht zu den Aufgaben des Staates gehören. Diese können und müssen der freien Betätigung der Menschen und ihrer Zusammenarbeit in „Nationalanstalten“ überlassen bleiben. Darunter versteht Humboldt im Gegensatz zu Staatsanstalten frei gebildete Körperschaften von Bürgern, die sich einerseits den geistig-kulturellen, insbesondere den Aufgaben der Bildung und Erziehung widmen und die andererseits das wirtschaftliche Leben in freier Weise durch Verträge regeln. Auch dachte er bereits an den vertraglichen Zusammenschluss einer ganzen Nation zu einer „Nationalanstalt“. Insofern ist die Idee der Dreigliederung des sozialen Lebens in ein freies Geistes- und Bildungswesen, in einen auf die Erhaltung der Sicherheit begrenzten Staat und in ein assoziatives Wirtschaftsleben in Humboldts Ideen von den Grenzen der Wirksamkeit des Staates bereits keimhaft enthalten.

Andererseits ist kaum bekannt, dass Humboldt während seiner späteren staatsmännischen Tätigkeit insbesondere als Vertreter Preußens während des Wiener Kongresses in den Jahren 1813 – 1815 wesentliche Gedanken für die Neuordnung Deutschlands und Europas nach dem Sturz Napoleons vertreten hat, und dass er im Jahre 1819 als Minister für ständische Angelegenheiten in Preußen in zwei großen Denkschriften bedeutsame Ideen für die geplante Verfassung Preußens entwickelt hat, die auch für unsere Zeit noch weiterführend sein können.

Bisher gab es keine zusammenfassende Darstellung der Ideen Wilhelm von Humboldts über die Grenzen des Staates und seiner späteren Gedanken über die Gestaltung des staatlichen Lebens und seiner Verfassung. Es gibt zwar viele Ausgaben von Humboldts Jugendschrift über die Grenzen der Wirksamkeit des Staates (z.B. mit Nachwort von Dietrich Spitta, Stuttgart 1962). In dieser hat Humboldt bereits Ideen entwickelt, in denen Rudolf Steiners Idee der Dreigliederung des sozialen Organismus im Keim enthalten ist. Die große Bedeutung dieser Humboldt’schen Schrift ist jedoch in der Staatslehre nicht erkannt worden, weil die Meinung besteht, dass Humboldt sich später während seiner Tätigkeit als Leiter der Sektion für Kultus und Unterricht im preußischen Innenministerium von den Ideen seiner Jugendschrift abgewendet habe. Spitta zeigt demgegenüber, dass dies unzutreffend ist und Humboldt auch während dieser Tätigkeit versuchte, im Sinne dieser Ideen zu wirken. Auch hat Spitta erstmals die Ideen dargestellt, die Humboldt bei seinem umfangreichen staatsmännischen Wirken u.a. während des Wiener Kongresses zur Neuordnung Deutschlands und Europas und später 1819 bei seinen zwei Entwürfen für eine preußische Verfassung leiteten.

Die grundlegende Bedeutung der Ideen Wilhelm von Humboldts, die auch zu einer Lösung von aktuellen politischen Problemen unserer Zeit beitragen könnten, ist bedauerlicherweise bisher nicht ausreichend erkannt und gewürdigt worden.

Mehr zum Thema: