Inflation - Ihr Ursprung und ihre Überwindung

Quelle
Auszug aus dem Buch „Inflation - Ihr Ursprung und ihre Überwindung“
Novalis-Verlag, Schaffhausen, 1978
Bibliographische Notiz

I. Generalbeichte des Verfassers

Eine Stimmung, die sich schnell verbreitet, betrachtet die Inflation als das Grundübel, nach dessen Beseitigung das System der freien Wirtschaft befestigt und in seinem Grundkonzept bestätigt der Zukunft entgegensehen könne. Gelingt es dagegen nicht, die Inflationsseuche zu stoppen und die Weltwährungsprobleme in den Griff zu bekommen, dann ‐ so fürchtet man vielfach instinktiv ‐ kann oder wird dies wahrscheinlich schon bald zu einem Zusammenbruch der Weltwirtschaft führen und damit die Grundlagen des Systems zerstören. Das heißt, daß das System der kapitalistischen Wirtschaft durch die permanente Währungskrise in seiner Funktionsfähigkeit nicht nur immer fragwürdiger erscheinen muß, und zwar nicht nur als wissenschaftlich begründete und bestätigte Wirtschaftstheorie, sondern einfach durch das Leben, durch seine Praxis selbst. Die Währungsmisere bedroht das System in seinem Kern, dem Prinzip der Freiheit.

Gegen das System der freien Marktwirtschaft sind selbst von seiten seiner Anhänger schon oft ernst zu nehmende Einwendungen erhoben worden. Aber stets hat über die sozialen Absurditäten der Glanz des „freien Wettbewerbs” triumphiert, durch den der unaufhaltsame Fortschritt der Industriekultur glaubwürdig gemacht wurde und verbürgt zu sein schien. Gegen diese praktischen Erfolge konnten Einwendungen nichts ausrichten, mochten sie auch noch so stichhaltig und theoretisch unwiderlegbar vorgebracht werden. Wie sollte es anders sein? Gab es etwas anderes als diesen „freien” Wettbewerb, um die Riesenmaschine des Industrialismus weltweit in Schwung zu halten mit seiner pausenlosen Herausforderung der individuellen Kräfte zum Rennen nach Lohn und Wohlstand ‐ während das andere Prinzip, der Sozialismus, in mehr als einem halben Jahrhun‑

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dert seiner praktischen Anwendung keine überzeugenden Beweise seiner Überlegenheit hat erbringen können?

Wenn man die Hektik verfolgt, mit der die kompetenten Instanzen der Wissenschaft, der Praxis und der Politik das Problem der Inflation in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten stellen, dann läßt sich ahnen, daß es in dieser Geldkrise um mehr geht als um eine vorübergehende Trübung am Himmel des gewohnten existentiellen Bestandes unseres „freien” kapitalistischen Wirtschaftssystems. Die Weltwährungsfragen zehren an der Ideologie des Systems, weil sie die Vision einer nicht mehr automatisch sich lösenden totalen Krise heraufbeschwören.

Alle Veröffentlichungen jüngsten Datums, die sich mit dem Währungsproblem befassen, erwecken zunächst den Eindruck, die Inflation sei, obgleich ein weltweites Übel, doch ein im kapitalistischen System lösbares Problem ‐ wenn die Staaten und die kompetenten Währungshüter nur den Mut aufbrächten, ihr Instrumentarium konsequent und energisch einzusetzen. An guten Ratschlägen fehlt es dabei nicht, noch weniger an Postulaten und an moralischen Appellen.

Der Leser, der ähnliches in den nachfolgenden Ausführungen erwartet, sei gewarnt. Nicht die Inflation als solche und ihre Bekämpfung, isoliert von dem Boden der kapitalistischen Marktwirtschaft, aus dem sie herauswächst, ist die Absicht dieses Buches. Daher der Entschluß des Verfassers, nachdem das Thema bereits nach vielen Seiten abgehandelt war und das Buch vor dem Abschluß stand, in einem zu Anfang eingefügten Kapitel unverblümt darzulegen, welche Konsequenzen es für unsere ganze gesellschaftliche Lebenssituation haben muß, wenn man die Währungsprobleme auf dem sozialen Untergrund betrachtet, aus dem sie immerfort wie eine Drachensaat herauswachsen.

Dieses Herumreden und Großtun, als ob man mit einigem Heldenmut dem Drachen der Inflation das Haupt abschlagen könne, scheint dem Verfasser keinen Pfifferling wert zu sein; man verdrängt die Probleme und verlagert sie, ohne daß man es merkt, nur an eine andere Stelle im sozialen Ganzen. Man macht Konjunkturdämpfung mit Hochzinspolitik und Kaufkraftentzug durch staatliche Steuer.

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Das hört sich gut an, ist leicht zu begreifen in seiner primitiven Mechanik, aber ein neues Drachenhaupt wächst sogleich an anderer Stelle und heißt Arbeitslosigkeit, Konkurse, Lähmung der Initiative ‐ wir erleben es gerade. Man hat nicht den Drachen Inflation getötet, sondern mit dem Schlag gegen ihn einen Streich gegen die eigene Existenzgrundlage geführt. Indem der Blick auf die gefährlichen Auswüchse des Geldwesens wie gebannt gerichtet ist, wird er abgelenkt von dem Ursprung des Übels. Die Darstellung der Währungs- und Geldphänomene zwingt bei einer unideologischen Betrachtung dazu, daß die Gedanken immerfort um die Fragestellung kreisen: Wie müssen sich die Elemente dieser freien kapitalistischen Marktwirtschaft ändern, damit das Geld von selbst wertbeständig bleibt und seine Funktion ohne währungspolitische Zwangsjacke erfüllen kann?

Analytische Resultate

Ob es möglich ist, die Bedingungen für ein gerecht funktionierendes Geldwesen und dessen eigene Gesetzmäßigkeit in einem ersten Ansatz verständlich darzustellen, erscheint zunächst fraglich. Die Berechtigung aber, so vorzugehen, ergibt sich aus der Besonderheit sozialwirtschaftlicher Erkenntnisbemühungen. Bei diesen kann nur eine umgreifende Betrachtungsweise überzeugen, weil auf dem sozialen Gebiet Ursache und Wirkung stets zu gleicher Zeit und bei allen Faktoren auftreten. Es genügt nicht, wie in der Naturwissenschaft kausal zu denken; jeder willkürliche Eingriff in das Geldwesen, gleich von welcher Seite er kommt, von der Zentralbank oder durch Tarifabschlüsse der Tarifpartner, verändert das ganze soziale Gefüge. Es kann dann nicht ausbleiben, daß die Maßnahmen sich gegenseitig unterlaufen und aufheben ‐ wie zum Beispiel Geldverknappung durch die Zentralbank und Geldausweitung durch Tariferhöhungen. Sie rufen unberechenbare neue Krisenursachen hervor.

Im folgenden wird versucht, Zusammenhänge überschaubar zu machen, die wegführen von den punktuellen geldtechnischen Vorstellungen. Sie zwingen zu einem beweglichen Denken, das in ganzheitlicher Weise den Prozessen zu folgen vermag.

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  1. Die erste Erkenntnis auf diesem Wege ist, daß zu allem Organischen das Entstehen und Vergehen naturnotwendig hinzugehört. Dem entspricht auf dem Gebiet des Geldwesens das Bewerten und Entwerten und demzufolge der Übergang von dem einen zum anderen Gebiet des sozialen Organismus. Damit wird ausgegangen von der Wesensverschiedenheit der drei sozialen Gebiete: Wirtschaft, Recht und Kultur.
  2. Es gibt also diese polar unterschiedlichen Gebiete des sozialen Lebens, die im Bewerten und Entwerten des Geldes so verschiedene Vorzeichen haben wie Plus und Minus in den Rechenoperationen. Solche Unterschiede bestehen zwischen materieller wirtschaftlicher produktiver Leistung und immaterieller geistiger Leistung oder, pauschal ausgedrückt, zwischen Wirtschaftsleben und Geistesleben.
  3. Das Geld hat die Aufgabe, beiden Bereichen die wirtschaftliche materielle Geltung im Leben des sozialen Organismus zu geben. Die Wirtschaft lebt so von den geistigen Leistungen des Kultur- und Bildungswesens wie dieses von den materiellen Leistungen des Wirtschaftsgebietes. Das Geld vermittelt diese polar gegensätzlichen Leistungen im großen zwischen den beiden Gebieten, sowie es allgemein den Austausch von einzelnen Leistungen innerhalb dieser bewirkt.
  4. Alles Geld hat dadurch verschiedene Qualitäten, ohne daß man es ihm ansieht. Es unterliegt durch den Verschleiß und Verbrauch materieller Werte selbst einem Verschleiß; es bekommt durch die Verwendung in der Naturproduktion und in der geistigen Produktion seinen Wert. Im einzelnen bestimmen die geistig-physischen Leistungen im sozialen Organismus einerseits und die Bedürfnisse der Individuen andererseits den Geldwert.
  5. Die eine Wertschöpfung im Geld geht von der Naturproduktion (Nahrungsmittel und Bodenschätze) aus; die andere Wertschöpfung bekommt das Geld aus der geistig produktiven Leistung. Äußerlich entstehen dadurch drei Geldkategorien: Kaufgeld, Leihgeld, Schenkungsgeld. Als solche sind sie deutlich zu unterscheiden, obwohl Geld in seinem Kreislauf alle drei Bereiche durchlaufen kann und fortwährend durchläuft. Aus Geldkapital wird durch Konsumverzicht Leihkapital, Industriekapital, um in einer geregelten Geldordnung im Kulturgebiet als Schenkungsgeld wieder wert-voll zu werden

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durch geistige Produktivität und Bildung nachwachsender Generationen.

  1. Ein solcher Kreislauf durch den sozialen Organismus ist ein gesetzmäßig-organischer, der sich in der kapitalistischen Wirtschaft nicht vollziehen kann:
    1. wegen der Macht des einheitsstaatlichen Zentralismus,
    2. wegen der römisch-rechtlichen Eigentumsmacht,
    3. wegen der Kapitalakkumulation durch das vererbbare Finanz- und Produktionsmittelkapital.
  2. Aus der Eigentumsmacht und der Akkumulation von Kapital ist spontan die Konkurrenzwirtschaft hervorgegangen. In dieser wird der natürliche Zusammenhang von wirtschaftlich vertretbarer geistiger und materieller Produktion durch das Gewinnmaximierungsprinzip gestört oder verhindert. Im Kampf der Eigentümer miteinander und im Gegensatz von Kapital und Arbeit wird der Geldwert zum Spielball wirtschaftlicher Interessen gemacht. Das Geld verliert seine Möglichkeit, den Gegenwert von materieller und immaterieller Produktion richtig auszudrücken.
  3. Durch den parlamentarischen Einheitsstaat wird das Geld zum Spielball parteipolitischer Interessen verfremdet. Je mehr der Staat wesensfremde Funktionen an sich zieht, desto unproduktiver macht er das Wirtschafts- und Kulturleben; er selbst produziert wert-loses Geld, indem er rein politische Ziele verfolgt. Durch nationale Eigentendenz verhindern die Staaten, daß die Wirtschaft sich als Weltwirtschaft konsolidiert. In nationalen und politischen Gegensätzen werden die durch produktive Leistungen geschaffenen Geld-Werte zerschlissen.
  4. Der Geldmechanismus von heute macht Geld- und Kreditschöpfung zu unproduktiven politischen Zwecken und im Dienste individueller kapitalistischer Interessen möglich. Die Kreditschöpfung kann dadurch als finanzpolitisches Abenteuer betrieben werden; in dem darin lauernden Hasardspiel gehen echte Geld-Werte verloren. Die Wirtschaft und die politische Gesellschaft sind dadurch spekulativen Machenschaften in weitem Umfang ausgeliefert, was in dem Auf und Ab der Börse ein makabres Abbild findet. Wie tief dabei

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das Geld herabgesunken ist, zeigt sich darin, daß an der Börse in kurzer Zeit Milliarden von Geld-Werten verschaukelt werden.

  1. Einrichtungen und Rechtsverhältnisse bewirken somit, daß das Geld unehrlich werden muß. Es verzerrt die Wert-Verhältnisse. Die Inflation ist diejenige Verzerrung in den Wertverhältnissen, die aus der Unehrlichkeit in Wirtschaft und Politik hervorgeht; sie spiegelt die egoistische und materialistische Einseitigkeit in den Einrichtungen des sozialen Lebens und der Verfassung des sozialen Organismus.

Das primäre Erfordernis wäre eine ausgewogene Sozialstruktur durch ein Gleichgewicht von Wirtschaftsleben, politischem Rechtsleben und Kultur- und Geistesleben ‐ die Dreigliederung des sozialen Organismus.

Praktische Folgerungen ‐ die „Kompetenz-Kompetenz“ des Staates als Angelpunkt

Die Wurzel der Inflation liegt im Wesen des heutigen Staates. Diese allgemeine Behauptung kann nicht und soll auch nicht durch Argumente gegen den Staat bewiesen werden. Es geht nicht darum, den Staat als Hauptschuldigen anzuprangern. Man würde sich dabei allerdings in guter Gesellschaft befinden, denn es ist bei allen denjenigen, die ihre Stimme in Sachen Inflation erheben, gang und gäbe, den Staat allein verantwortlich zu machen, entweder direkt für die Inflation, nämlich seine Haushaltsführung und Ausgabenpolitik anzugreifen, oder ihn dafür anzuklagen, daß er die Inflation nicht verhindere oder die Folgen nicht beseitige.

Gewiß haben die Staaten ein gerüttelt Maß an Schuld an den großen und kleinen Inflationen. Man kann nicht sagen, daß die heutigen Staaten wesentlich bessere Haushalter seien als die Staaten und Herrscher in der Vergangenheit. Auch ist die staatliche Insuffizienz gerichtsnotorisch; anders ausgedrückt: die Staaten sind fortlaufend in der Lage, ihre Unzulänglichkeit, ihr Versagen und ihre Schwäche in Sachen Inflation unter Beweis zu stellen. Um so merkwürdiger ist es, daß trotzdem allgemein und im besonderen bei den Experten der

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Glaube aufrechterhalten wird, der Staat könne, wenn er nur wolle. Ist der Staat nicht die falsche Adresse?

Man muß davon ausgehen, daß der Staat als solcher nicht kompetent ist. Daß man es dennoch glaubt, hat seinen Grund in der „Kompetenz-Kompetenz” des Staates.

Die Kompetenz-Kompetenz ist eine Erfindung der Jurisprudenz. Sie besagt, daß es im Wesen und in der „Fähigkeit eines Staates liegt, seine Aufgaben willkürlich zu erweitern” (Brockhaus).

Der Staat kann sich also auch bei der Inflation für kompetent erklären und sich so verhalten. Es ist jedoch das Verkehrteste, was er tun kann, denn er ist in Wirklichkeit von der Sache her überhaupt nicht kompetent, die Währung zu garantieren. Er hat sich das selber angehängt, weil er sich als omnipotenter Staat die Kompetenz-Kompetenz hat zuschieben lassen.

Etwas Neues würde in der Gesellschaftsgeschichte beginnen, wenn der Staat sich in Sachen Inflation nicht für kompetent erklären würde! Denn er ist nicht dafür kompetent.

Die Kompetenz-Kompetenz läßt sich noch verstehen, wenn sie als die Befugnis des Staates begriffen wird, über die Zuständigkeit in einer Rechtssache zu entscheiden. Aber auf Grund welcher Voraussetzungen soll der Staat für die Währung, also eine wirtschaftliche Entscheidung, zuständig sein?

Die Währung ist eine Angelegenheit der Wirtschaft; ihre Gewährleistung ist eine Frage der Wirtschaftsordnung. Doch wer ist für die Wirtschaftsordnung kompetent? Für das heutige Staats- und Gesellschaftsbewußtsein gilt als Antwort: der Staat bestimmt die Wirtschaftsordnung ‐ vermöge seiner Kompetenz-Kompetenz. Da sind wir wieder, wo wir waren. Wir haben uns im Kreise gedreht, weil wir mit einem Vorurteil an diese Frage herangingen ‐ mit der Kompetenz-Kompetenz des Staates. In diesem Kreise drehen sich die Diskussionen der Notenbankleiter, der Währungsexperten, der Finanzleute, der Ökonomen, der Unternehmerorganisationen und der Gewerkschaften.

Die Kompetenz-Kompetenz ist der Widersinn unserer Staatsverfassung. Der Papst hat die Kompetenz-Kompetenz in dogmatischen Problemen (er ist sogar „unfehlbar”). Wieso hat er nicht auch die

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Kompetenz für die Wirtschaft? Weil die Wirtschaft nicht (mehr!) seines Amtes ist. (Es gab Zeiten, in denen die Kirche sogar Höchstpreisbestimmungen erlassen hat.) Andererseits hat die Kompetenz-Kompetenz des Staates in religiösen Fragen ihre Grenze. Hier ist eine scharfe Trennung vollzogen worden. Die Entwicklung hat dazu geführt, weil das Bewußtsein der Individuen es so forderte.

Fordert nicht die Inflation heute ein allgemeines Bewußtsein, daß der Staat in Geld- und Währungsfragen nicht bestimmen kann? Er ist nicht kompetent, sowenig wie die Fürsten es waren, als sie noch über die Religionszugehörigkeit ihrer Untertanen entschieden ‐ und sie mußten diese Kompetenz abgeben. So muß der Staat abgeben:

  1. seine Kompetenz für Wirtschaft und Währung,
  2. seine Kompetenz-Kompetenz.

Machen wir uns klar, wie die Dinge gelaufen sind. Die Lehre des Altvaters der freien Marktwirtschaft, Adam Smith, hat mit äußerster Entschiedenheit festgestellt, daß die Wirtschaft ihre eigene Gesetzmäßigkeit besitze ‐ das Laissez faire. Sie hat in dieser Wirtschaftsform das Ideal einer „prästabilierten Harmonie” durch das Marktgesetz von Angebot und Nachfrage gesehen. Sie brauchte den Staat nicht und sah in ihm den künftigen Nachtwächterstaat.

Die Theorie von Adam Smith war falsch: sie führte die Wirtschaft ins Chaos und mußte ‐ heute im Wirtschaftsliberalismus allgemein zugegeben ‐ vom Staat gezügelt werden. Der Staat ist nicht abgetreten, sondern ist der Moderator der Wirtschaft geworden. Da die Wirtschaft ohne einen Moderator nicht läuft, hat sich der Staat die Kompetenz zugesprochen ‐ vermöge seiner alten (von der Kirche geerbten) Kompetenz-Kompetenz. Die sogenannte freie Wirtschaft war eine Fiktion. Die Inflation ist nichts anderes als die Bestätigung dieser Fiktion.

Drei Schritte vorwärts, zwei Schritte zurück ‐ die Echternacher Springprozession ist eine gültige Metapher für den Fortgang der Entwicklung. So war es, als die Kirche ihr weltliches Regiment an die weltliche Macht übergeben mußte. So war es, als die weltliche Macht den Individuen die Religionsfreiheit einräumen mußte. Und so ist es und wird es sein, wenn die staatliche Macht ihre Kompetenz-Kom‑

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petenz aufgeben und der Wirtschaft (und dem Kulturleben) die Eigenverantwortung ‐ nicht überlassen, sondern auferlegen muß.

Die Zeichen der Zeit sprechen davon, daß aus der Wirtschaftsfreiheit nun die Selbstverantwortung der Wirtschaft hervorgehen muß. Denn die Selbstverantwortung ist allein in der Lage, dem inflatorischen Betrug ein Ende zu bereiten.

Fundamente einer Selbstgestaltung der Wirtschaft

In der eingefügten Tabelle der Inflationsursachen (S. 53) werden in der letzten Spalte (VII) die Konsequenzen aus der Inkompetenz des Staates auf wirtschaftlichem Felde gezogen. In der Wirtschaft geht es um Verträge über Leistung und Gegenleistung. Eine solide Wirtschaft ist das Fundament einer soliden Währung. Dazu ist erforderlich:

  1. Der Staat überträgt der Wirtschaft die Verantwortung für die Währung. Die Geschäftsbanken sind Geldinstitute im Bereich der Wirtschaft; die Notenbank als Geldschöpfungsinstrument gehört weder in die Hand des Staates noch in diejenige der Wirtschaft. Sie ist souverän im Sinne einer geistig-kulturellen Institution (die den Interessen des Ganzen dient).
  2. Der Staat wird von wirtschaftlichen Interessen und weltanschaulichen und ideologischen Einflüssen befreit. Das ist die Voraussetzung dafür, daß die soziale Gerechtigkeit und die geistige Freiheit in den Bereichen sich verwirklichen können, wo sie hingehören ‐ das erste in der Wirtschaft, das andere im Kulturbereich. Wenn der Staat sich auf die Rechtsfrage beschränkt, ist der Weg in eine Befriedung der sozialen Landschaft frei.
  3. Das Bodenrecht als eine der Wurzeln der Inflation, als Herd der Spekulation und der Geldentwertung kann nun eine Neuordnung erfahren. Die Eigentümeransprüche lassen sich in Tilgungsanleihen umwandeln. Der Boden kann durch eine genossenschaftliche Verwaltung entlastet und neutralisiert werden. An die Stelle der Bodenhypothek tritt der genossenschaftlich gewährleistete Personalkredit für die Bauobjekte.
  4. So wie im Falle des natürlichen Produktionsmittels wird auch

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das Eigentum an den industriellen Produktionsmitteln neutralisiert durch Umwandlung der Eigentumsrechte in Tilgungsanleihen. Damit kann ein solidarisches Verhältnis von Arbeit und Kapital begründet werden. Das Kapital in einem gegliederten neuen Eigentumsrecht (s. „Das Eigentum an den Produktionsmitteln” v. Verf.) wird vom Management volkswirtschaftlich (statt privatwirtschaftlich) verwaltet, für die Betriebsmittel ist die Belegschaft kompetent und verantwortlich. Damit ist der Weg frei für eine solidarische (assoziative) Wirtschaftsordnung. Das Konkurrenzprinzip ist damit ersetzbar durch die Zusammenarbeit von Produktion, Zirkulation und Konsumtion. In dieser assoziativen Ordnung besteht ein Dauervertragsverhältnis zwischen Produzenten, Handel und Konsumenten über Menge, Qualität und Preise der Produktion. Konkurse und Streiks können in diesem Ordnungssystem vermieden werden. Löhne und Gehälter sind Gegenstand des Gesellschaftsvertrages zwischen Management und Belegschaft. Verluste, die das Geld berühren, können nicht auftreten.

  1. Das Erbrecht unterliegt der gleichen Neuordnung. Wenn das Vererben großer Vermögensmassen (auf diese kommt es an, nicht auf die nur konsumtiven Mittel) aufhört, entfallen die Geld- und Währungsmanipulationen des Finanzkapitals.
  2. Die Verantwortung der Wirtschaft für die Währung muß zu einer (internationalen) Clearinginstitution führen. Einfuhr- und Ausfuhrüberschüsse müssen von den volkswirtschaftlichen Belangen getrennt und von der Wirtschaft (international) verwaltet werden. Durch ein internationales Clearing werden die wirtschaftlichen Beziehungen auch zwischen den nationalen Wirtschaften auf eine assoziative Basis gestellt. Solidarität setzt voraus, daß Leistungen und Gegenleistungen wirtschaftlich berechtigt sind. Das internationale Clearing wird einem Staat keinen Kredit geben, der damit einen (monetären oder politischen) Angriff finanzieren will.
  3. Die gleiche Solidarität wird als Hilfe zur Stelle sein, wo Katastrophenverluste auftreten. Wenn der Ausgleich durch finanzielle Mittel in einem solchen Fall international erfolgen würde, könnte es im Rahmen der Gesamtmenschheit kaum zu einem merklichen Verlust kommen.

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Das sich selbst verwaltende Kulturleben

Die Autonomie des Kulturlebens liegt auf dem Wege der bisherigen Entwicklung. Sie ist jetzt an der Reihe. Für das Kulturleben gilt, daß die Geldmengen, die es zu seiner Existenz braucht, gegenüber den Naturwerten ein Minuszeichen haben. Der Ausdruck dafür ist „Schenkungsgeld”. Darin liegt, daß es den in der materiellen Produktion Tätigen abgezogen wird; sie müssen so viel von ihrer Konsumkraft abgeben, wie das Kulturleben, zum Beispiel das Bildungswesen, für seine materielle Existenz braucht. Daß heute der Staat aus seinen Steuereinnahmen das Kulturleben beschenkt und das staatliche Erziehungswesen finanziert, ist nicht nur unrationell, sondern durch den damit verbundenen staatlichen Einfluß schädlich. Das Bildungswesen wird dadurch vom Staate so unselbständig gehalten, wie es früher in seiner Finanzierung durch die geistige Macht der Kirche unselbständig war.

Im Leihkapital spiegelt sich der Verschleiß der damit geschaffenen wirtschaftlichen Einrichtungen. Es muß also nach einem gewissen Zeitraum durch die Zentralbank aus dem Verkehr gezogen werden. Wenn dieser Zeitpunkt eintritt und das Leihverhältnis erlischt, kann ein entsprechender Betrag durch die Notenbank an die Institutionen des Kulturbereiches geschenkt werden. (In welcher Weise dies erfolgen kann, ist in den Veröffentlichungen des Verfassers „Das kranke Geld” und „Die organische Geldordnung” dargestellt.) Ein solcher Transfer von abgelaufenem Leihgeld an Institutionen des Kulturbereiches ist ein selbsttätiger Vorgang, durch welchen die heutige Hypertrophie des Wirtschaftslebens durch die ausschließliche Vermehrungstendenz des Geldes vermieden wird. Das damit erzielte soziale Gleichgewicht verhindert Wertverluste und Geldentwertung durch Überproduktion in der materiellen Produktion.

Das sind einstweilen aphoristische Kurztexte des organischen Zusammenhangs zwischen den produktiven Kräften des sozialen Organismus und ihrem Ausdruck in den Geld-Werten. Das nächste Kapitel stellt an dem Geld, mit dem wir heuteleben müssen, dar, wie die produktiven und die Geld-Werte auseinanderfallen.

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