Inflationsursachen und Dreigliederung

01.10.1974

Veröffentlichung
Zeitschrift Gegenwart,
Monatsschrift für freies Geistesleben und soziale Dreigliederung,
Jahrgang 36, Heft 7/8 Oktober/November 1974,
Sonderheft «Was ist soziale Dreigliederung?», S.237-247

«Einem Ideenzusammenhang wie dem von der Dreigliederung des sozialen Organismus wird oft als Einwand entgegengeworfen: er könne nicht für diese oder jene Einzelheit mit ‚praktischen‘ Vorschlägen auftreten. Man sagt etwa: Da ist die Zerrüttung der Valuta. Was hat der Anhänger der Dreigliederung als Mittel zu ihrer Verbesserung anzugeben?[1

Diese wenigen Worte von Steiner führen uns mitten in eine Problematik, die auch heute noch höchst aktuell ist: Sehr oft hört man die

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Meinung, dass die Idee der Dreigliederung im Unverbindlichen verbleibe und nichts zur praktischen Lösung der dringenden Gegenwartsprobleme beizutragen vermöge.

In den folgenden Ausführungen über die Inflationsursachen soll versucht werden zu zeigen, wie wenig berechtigt eine solche Meinung ist; ja, wie es überhaupt erst vom Gesichtspunkt der Dreigliederung aus möglich wird, ein solch schwieriges Gegenwartsproblem wie die Inflation in ihren eigentlichen Ursachen zu erfassen.

Was bedeutet «Inflation»?

Inflation heisst Teuerung. So kostete 1939 ein Liter Frischmilch 33 Rappen, heute 105 Rappen. In allen Bereichen der Wirtschaft lassen sich solche Preissteigerungen beobachten. Aber nicht nur die Warenpreise steigen, sondern auch die Löhne, die Zinse, die Bodenpreise.

Inflation bedeutet gleichzeitig aber auch Geldentwertung. Dies lässt sich wiederum mit Hilfe unseres Beispiels darstellen: 1939 erhielt man für einen Franken drei Liter Milch, heute nicht einmal mehr ganz einen Liter.

Die Inflation hat heute mehr oder weniger alle Länder der Erde erfasst. So ist im Bulletin der Schweizerischen Kreditanstalt zu lesen: «Die massive Teuerung hält weltweit an. Insgesamt beträgt die Inflationsrate in den meisten Industrieländern mehr als 10 % ... Noch höhere Teuerungsraten weisen einige Entwicklungsländer auf[2].»

Auch in der Schweiz haben wir eine hohe Inflationsrate: 1973 stiegen die Konsumentenpreise gegenüber dem Vorjahr um 11,9 %. Für das Jahr 1974 erwarten die Wirtschaftssachverständigen eine ähnlich hohe Preissteigerung.

Inflationsfolgen

In ihren Folgen ist die Inflation höchst unsozial, weil sie eine falsche Vermögens- und Einkommensumverteilung bewirkt.

Die Vermögensumverteilung beruht auf der Schädigung der Sparer: Selbst die gestiegenen Zinssätze vermochten in der Schweiz nicht die Kaufkraftverluste der Sparguthaben auszugleichen. Der Sparer wird also mit einem Negativzins bestraft. Diese Entwicklung ist deshalb so bedenklich, weil unsere Altersvorsorge zum Teil auf der eige-

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nen Spartätigkeit beruht. Will man diesen Vermögensverlusten vorbeugen, so bleibt nur die «Flucht in die Sachwerte» übrig. Auf diese Weise werden Grundstücke und Häuser zu immer beliebteren Kapitalanlagen, was sich natürlich auch auf die Höhe der Mieten auswirkt.

Nicht nur die Besitzer von bebauten Grundstücken können in Inflationszeiten eine die Teuerung übertreffende Erhöhung der Einkommen erzielen, sondern auch der Staat. Die durch den Teuerungsausgleich angehobenen Löhne werden verstärkt von der Steuerprogression betroffen: Die Steuerbelastung nimmt zu, ohne dass sich das Einkommen tatsächlich vergrössert hätte.

Diese Umverteilung der Vermögen und Einkommen zuungunsten der wirtschaftlich Benachteiligten führt langfristig zu einer Verschärfung des sozialen Klimas, wobei sogar eine eigentliche Klassenkampfsituation entstehen kann.

In der Beurteilung der Inflationsfolgen sind sich die Wirtschaftswissenschafter einig. Einer Vielfalt von Meinungen begegnet man jedoch, wenn man nach den Inflationsursachen fragt. Versucht man dieses Problem trotzdem anzugehen, ist zuerst die Frage, wodurch der «Wert» des Geldes bestimmt wird, abzuklären.

Wodurch erhält das Geld seinen «Wert»?

Der Begriff «Wert des Geldes» ist ein volkstümlicher: in der Nationalökonomie spricht man von der Kaufkraft des Geldes. Stellt man die Frage nach den Bestimmungsgründen der Kaufkraft, so ist grundsätzlich festzustellen, dass sie nicht durch den Eigenwert des Geldes bestimmt wird. Früher, als noch Gold- und Silbermünzen im Umlauf waren, traf dies in der Regel zu, heute, wo wir Papiergeld haben, jedoch nicht; sein Eigenwert entspricht einem Bruchteil seiner Kaufkraft. Man denke da nur an eine 1000-Franken-Note.

Bis vor kurzem war ein grosser Teil der Nationalökonomen der Meinung, dass das Gold dem Gelde seine Kaufkraft verleihe. Man sprach deshalb von einer Golddeckung des Geldes. Diese Meinung ist zwar historisch verständlich, sie trifft aber keineswegs zu. Obwohl die Golddeckung unseres Notenumlaufs heute noch sehr gross ist — 1973 betrug sie 65 % —, haben wir in der Schweiz eine viel höhere Inflationsrate als in andern Ländern, wo die Golddeckung sehr viel geringer ist.

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In Wirklichkeit erhält das Geld seine Kaufkraft durch die Gesamtheit der in einer Volkswirtschaft vorhandenen Waren. Dies ist offensichtlich, wenn wir bedenken, dass das Geld wirtschaftlich gesehen ein «Tauschmittel für Waren»[3], rechtlich gesehen ein «Anrecht auf den Warentausch»[3] ist. «Das Geld kann im gesunden sozialen Organismus nichts anderes sein als eine Anweisung auf Waren, die von andern erzeugt sind und die man aus dem Gesamtgebiet des Wirtschaftslebens deshalb beziehen kann, weil man selbst erzeugte Waren an dieses Gebiet abgegeben hat[4].» Das Geld ist sozusagen ein Zeichen, das stellvertretend für die Waren dasteht. Es ist deshalb verständlich, dass sich die Geldzeichen nicht beliebig vermehren lassen. Geschieht dies dennoch — ohne entsprechende Vermehrung der Warenmenge —, so muss zwangsweise die Kaufkraft des Geldes sinken. Die Geldmenge muss also begrenzt werden, wenn das Geld seine Kaufkraft behalten soll. Dies zeigt sich auch am Beispiel der Schweiz. In den Jahren 1970 bis 1973 wurde der Notenumlauf um rund 40 %, die Kredite um 33 % erhöht, was sich natürlich auf die Kaufkraft des Frankens auswirkte.

Warum versagen die Notenbanken?

Verantwortlich für die Regelung der Geldmenge sind in den meisten Ländern die Notenbanken. In der Schweiz ist es die Nationalbank. Ihre Aufgabe wird in der Bundesverfassung folgendermassen umschrieben: «Die mit dem Notenmonopol ausgestattete Bank hat die Hauptaufgabe, den Geldumlauf des Landes zu regeln ... und ... eine dem Gesamtinteresse des Landes dienende Kredit- und Währungspolitik zu führen[5].» Die letztjährige Inflationsrate von 11,9 % beweist aber eindeutig, dass es der Nationalbank nicht gelungen ist, die Geldmenge im Gesamtinteresse des Landes zu regulieren. Mit ihrem Versagen steht sie aber nicht allein : alle übrigen Notenbanken vermochten ebenfalls nicht, eine übermässige Geldmengenausdehnung zu verhindern. Liegt es an der fehlenden Einsicht der Notenbankdirektoren? Dies anzunehmen, wäre zweifellos eine unzulässige Vereinfachung, da diesen Persönlichkeiten die Folgen einer Geldmengenvermehrung sicher nicht unbekannt sein dürften. Man darf die Notenbanken nicht einfach zum alleinigen Sündenbock für die Inflation abstempeln, denn die Gründe für ihr Versagen liegen tiefer. Der freie Entscheidungsraum

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der Notenbanken ist nämlich durch gesellschaftlich bedingte Sachzwänge stark eingeschränkt.

Zu einem solchen unmittelbaren Sachzwang wirkt sich der Gegensatz zwischen der Notenbank und den Geschäftsbanken aus.

Die Notenbank ist eine Institution mit einer sozialen Zielsetzung: Sie hat die Aufgabe, die Kaufkraft des Geldes zu erhalten. Das Geschäftsbankensystem ist «gekennzeichnet durch das Prinzip der Gewinnmaximierung; die Geschäftsbanken sind bei ihren Bankgeschäften auf höchstmögliche Rentabilität bedacht ...»[6]. Die Notenbanken stehen im Dienste der Gesamtwirtschaft, die Geschäftsbanken jedoch verfolgen privatwirtschaftliche Interessen. Diese gegensätzliche Zielsetzung der beiden Bankensysteme spielt deshalb eine so grosse Rolle, weil nicht nur die Notenbank, sondern auch die Geschäftsbanken Geld schöpfen können.

«Genau umrissen, besteht das folgende Problem : Die Banken vermitteln Kredit aufgrund der Einlagen, die in Form konkreten Geldes eingezahlt sind und die als solche Kaufkraft besitzen. Das ist ein altes Gewerbe, jedermann verständlich und volkswirtschaftlich ohne besondere Probleme, weil es sich um existentes Geld handelt. Aber die Banken produzieren im Kreditschöpfungsakt auch Geld. Insofern vermögen sie auch mit vorher nicht existentem, sondern von ihnen erst herzustellendem Geld Handel zu treiben, um privatwirtschaftlichen Gewinn zu machen[7].»

Die Geschäftsbanken können natürlich nicht selber Papiergeld drucken; dieses kann nur die Notenbank. Sie können jedoch sogenanntes Kreditgeld schöpfen. Kreditgeld ist an keinen stofflichen Träger gebunden und entsteht, wenn eine Forderung aus einem Kreditverhältnis als Tauschmittel verwendet wird. So werden die jederzeit abhebbaren Guthaben bei den Banken als Kreditgeld bezeichnet. Weil nun die Geschäftsbanken infolge des bargeldlosen Zahlungsverkehrs nur einen Bruchteil der eingezahlten Gelder wieder in Form von Bargeld als Liquiditätsreserve benötigen, können sie für ein Vielfaches der eingezahlten Gelder Kredit erteilen. Das Ausmass der Kreditgeldschöpfung durch die Geschäftsbanken hängt von der Liquiditätsreserve ab, die von der Notenbank vorgeschrieben wird. In der Fachsprache spricht man von Mindestreserven. Je höher die Mindestreserven angesetzt werden, desto mehr ist der Kreditschöpfungsspielraum der Ge-

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schäftsbanken eingeschränkt. Das Mittel der Mindestreservenpolitik ist jedoch nicht ganz problemlos: Eine zu grosse Krediteinschränkung kann eine wirtschaftliche Krise, verbunden mit Arbeitslosigkeit, auslösen.

Der sehr begrenzte Handlungsspielraum der Notenbanken erscheint noch enger, wenn wir die aussenwirtschaftliche Verflechtung der einzelnen Volkswirtschaften betrachten. So betreffen alle Massnahmen, die eine Notenbank glaubt im Interesse der eigenen Währungssicherung anwenden zu müssen, auch die übrigen Währungen. Als es noch allgemein feste Wechselkurse zwischen den einzelnen Währungen gab, konnte sich die Inflation von einem ins andere Land übertragen, weil die Notenbanken gezwungen waren, die Währung des Inflationslandes zu einem festen, aber im Vergleich zum eigentlichen «Wert» überhöhten Wechselkurs zu kaufen.

Heute liegen die Verhältnisse ähnlich, obwohl die Wechselkurse grösstenteils nicht mehr fest, sondern fliessend sind. Das hängt damit zusammen, dass die Notenbanken aus wirtschaftspolitischen Gründen gezwungen sind, durch Devisenkäufe und -verkäufe die Kursentwicklung zu beeinflussen. Dies sei am Beispiel des Schweizer Frankens dargestellt: Es ist möglich, dass durch Bewegungen der internationalen Spekulationsgelder sein Kurs so sehr steigen kann, dass die Exportfähigkeit der Schweizer Industrie eingeschränkt wird, weil die Schweizer Produkte dann zu teuer für das Ausland werden. Das Einschreiten der Nationalbank ist dann unerlässlich. Nicht nur die währungspolitischen, sondern auch die kreditpolitischen Massnahmen der ausländischen Notenbanken können die Bestrebungen der eigenen Notenbank durchkreuzen. Versucht sie zum Beispiel im eigenen Land die Inflation durch eine Einschränkung des Kreditvolumens zu bekämpfen, so kommt sie nicht zum Ziel, solange das Zinsniveau höher ist als in den umliegenden Ländern, weil sonst ständig Anlagegelder hereinfliessen und so das Ziel der Kreditverknappung nicht erreicht werden kann.

Es ist eindeutig: Keine Notenbank kann unter diesen Umständen langfristig die Kaufkraftstabilität erhalten. Es liegt an den Schwächen unseres Gesellschaftssystems, wenn die Geldmenge nicht den Bedürfnissen der Gesamtwirtschaft angepasst werden kann. Diese Feststellung gilt nicht nur für das Ausland, sondern auch für die Schweiz.

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Die Schwächen unseres Gesellschaftssystems

Die Hauptschwäche unserer Gesellschaftsordnung liegt darin begründet, dass die drei gesellschaftlichen Bereiche Kultur, Recht und Wirtschaft nach einem einheitlichen Prinzip verwaltet werden. In den westlichen Gesellschaften ist es die Wirtschaft, die die Bereiche des Rechtes und der Kultur beherrscht und ihren Zielsetzungen unterordnet. Dort wird dem Staat als Rechtsstaat die Aufgabe zugewiesen, die durch die Konkurrenzwirtschaft bewirkten sozialen Schäden auszugleichen, zum Beispiel in Form von Subventionen. Da diese Staatsaufgabe immer grössern Umfang annimmt, wächst der staatliche Geldbedarf. Die staatlichen Finanzquellen reichen jedoch trotz zum Teil höherer Steuereingänge nicht aus, um alle Sozialaufgaben zu bewältigen. Weil der Staat aus politischen Gründen die Steuerschraube nicht beliebig anziehen kann, muss er sein Einkommen auf andere Weise zu steigern versuchen. Das nötige Geld kann er sich auf dem Kreditweg von der Notenbank beschaffen. Natürlich wird er kaum in der Lage sein, diese Kredite wieder zurückzubezahlen. Weil durch solche staatliche Schatzanweisungen neues Notengeld geschöpft wird, führt dieser Weg notwendigerweise in die Inflation. Diese fragwürdige Ausweichsmöglichkeit wurde von der Schweiz in der Zeit des Ersten Weltkriegs beschritten. Heute verzichtet man in der Schweiz im Gegensatz zum Ausland fast völlig auf eine solche Geldpolitik. Man beschränkt sich auf eine passive Rolle, indem man nur zögernd etwas gegen die Inflation unternimmt, weil sie bekanntlich eine «kalte» Steuererhöhung bewirkt.

Die Möglichkeit einer vom Staate veranlassten Geldschöpfung zeigt, dass die Notenbanken keine vom Staate unabhängigen Instanzen sind. Diese Tatsache kann durchaus im Widerspruch zum rechtlichen Status stehen, wie zum Beispiel in der Schweiz, wo die Nationalbank eine halbprivate Institution ist. In solchen Fällen vermag der Staat durch entsprechende politische Druckmittel gegenüber der Notenbankleitung eine ihm gemäss scheinende Geldpolitik durchsetzen. Da ein enger Zusammenhang zwischen Staat und Wirtschaft besteht, bedeutet die staatliche Beeinflussung der Notenbank die indirekte Beeinflussung durch wirtschaftliche Interessengruppen. So schrieb Professor Sieber von der Universität Bern, dass die Politik fester Wechsel-

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kurse, die die Nationalbank bis 1973 betrieb, eine Politik der «Rücksichtnahme auf die Exportwirtschaft und die international tätigen Banken»[8] gewesen sei. Auch die bestehende Eigentumsordnung entspricht völlig dem Wesen der auf dem Egoismus beruhenden Konkurrenzwirtschaft. Kennzeichnend für unsere Eigentumsordnung ist das Vorherrschen des Privateigentums an den Produktionsmitteln.

Was heisst Privateigentum? Im Schweizerischen Zivilgesetzbuch ist zu lesen: «Wer Eigentümer einer Sache ist, kann in den Schranken der Rechtsordnung über sie nach seinem Belieben verfügen. Er hat das Recht, sie von jedem, der sie ihm vorenthält, herauszuverlangen und jede ungerechtfertigte Einwirkung abzuwehren[9].»

Das Privateigentum gilt nun nicht nur für alle in der Wirtschaft hergestellten und verbrauchten Waren, sondern auch für die beiden Produktionsmittel Boden und Kapital, die die Herstellung von Waren erst ermöglichen. Ihre Verwendung in der Wirtschaft erfolgt aus einem egoistischen Gewinnstreben heraus und nicht nach gesamtgesellschaftlichen Gesichtspunkten, wie es eigentlich dem Wesen der Arbeitsteilung entspräche.

Aus diesem Eigentumsrecht sind hervorgegangen: «das Lohnsystem, der Arbeitsmarkt, das Gewinn- und Profitdenken, der Kampf der Grossorganisationen um den Preis der Arbeit und die Tendenz zur Gewinn- und Lohnmaximierung ...[10]» Dieser aus der bestehenden Eigentumsordnung hervorgehende Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit gipfelt im Kampf um den «Mehrwert», die Gewinne, die ein Unternehmen erwirtschaftet. Aufgrund des Privateigentums fällt der gesamte Gewinn den Kapitaleigentümern zu. Da die Arbeiter sehr wohl wissen, dass ein Gewinn ohne ihre Mitwirkung nicht möglich wäre, versuchen sie durch gewerkschaftliche Organisation den Kapitaleigentümern einen Teil dieses Mehrwertes zu entreissen. Gelingt es den Gewerkschaften, bei gleichbleibender Geldmenge die Löhne zu erhöhen, dann wird der Gewinn der Kapitaleigentümer kleiner. Will man dies vermeiden, so bleibt die Vermehrung der Geldmenge der einzige Ausweg. Wird nun von den Gewerkschaften eine allgemeine Lohnerhöhung durchgesetzt, zugleich aber auch im selben Ausmass die Geldmenge vermehrt, so findet keine Einkommensumverteilung statt. Der Lohn des Arbeiters ist zwar gestiegen; er kann aber mit ihm nicht mehr kaufen als vorher, weil nun auch die Preise der Waren ge-

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stiegen sind. Eine tatsächliche Lohnerhöhung kommt in der Regel nur dann zustande, wenn der Gewinn eines Unternehmens gestiegen ist, so dass sie sich ohne Schmälerung des Gewinnanteils der Kapitaleigentümer verwirklichen lässt. Der geschilderte Vorgang führt dann zur Lohn-Preis-Spirale, dem völlig sinnlosen Hinauftreiben der Löhne und Preise. Der Notenbank ist es in diesen Fällen kaum möglich, dem Druck der Interessengruppen auszuweichen und die Geldmenge nicht zu vermehren. «Keine Notenbank ist in der Lage, mit ihren Erkenntnismitteln die Wirkung dieses Antagonismus mit seinem Gruppenegoismus auf den Geldwert vorauszusehen und durch ihr Instrumentarium zu paralysieren[11].»

Alle diese Tatsachen zwingen uns zur «Schlussfolgerung, dass es am System liegen muss, wenn das Geld falsch geschöpft wird»[12]. Das ganze Problem der Inflation kann nicht gelöst werden, wenn wir die Ursache bloss in den Unvollkommenheiten des Systems suchen, ohne es aber selbst in Frage zu teilen. Eine Änderung unserer Gesellschaftsordnung ist unerlässlich, wenn wir die Inflation wirksam bekämpfen und eine soziale Geldordnung schaffen wollen. Es bleibt nun noch die Frage, in welchem Sinne unsere Gesellschaftsordnung sich wandeln muss.

Die Dreigliederung als Voraussetzung für eine soziale Geldordnung

Der erste grundlegende Schritt auf dem Wege zu einem sozialen Geldwesen ist die Befreiung der Wirtschaft und der Kultur vom Staate. «Der Staat kann weder die Wirtschaft fördern noch das Kulturleben, sondern nur das Recht wahren. Genau das wiederum tut er dann nicht, wenn er omnipotent, das heisst auf allen drei Gebieten durch parlamentarischen Zentralismus führend ist. Der Staat kann auch niemals als Staat den Geldwert stabilisieren und die Währung erhalten, weil es auch nicht der Staat ist, der dem Gelde seinen Wert gibt; das tut allein die richtige Ordnung und die Leistung der Wirtschaft. Also gehört die Verantwortung der Währung in das Wirtschaftsgebiet[13].» Allerdings ist diese Übergabe der Verantwortung nur dann wünschbar, wenn für die Wirtschaft nicht mehr das Konkurrenzprinzip grundlegend ist. Voraussetzung dafür ist, dass neue Eigentumsformen für die beiden Produktionsmittel Boden und Kapital geschaffen werden. Eine solche

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neue Eigentumsordnung[14] muss als wahrhafte Alternative zum Privateigentum und Staatseigentum die Entfaltung der individuellen Fähigkeiten im Interesse der Gesamtheit ermöglichen. Sie gibt den Weg dafür frei, dass das der Arbeitsteilung entsprechende Prinzip der allgemeinen Zusammenarbeit zwischen Herstellung, Verteilung und Verbrauch verwirklicht werden kann und so zur Grundlage einer allein dem Bedarf dienenden Wirtschaft wird[15]. «Erst auf die Befreiung von der Macht des Eigentums kann die Befreiung der Wirtschaft von der Ideologie des Profits und der Geldmacht folgen[16].» In einer auf solche Weise befreiten Wirtschaft sind die Assoziationen die Organe, wo die verschiedenen wirtschaftlichen Interessen ihren Ausgleich finden. Dieses Prinzip der umfassenden Solidarität muss sich auch auf das Verhältnis zwischen den Geschäftsbanken und der Notenbank erstrecken. Diese Zusammenarbeit zwischen den beiden Banksystemen verlangt eine neue Tätigkeit der Geschäftsbanken, die sozialen Zielsetzungen verpflichtet ist. Erst auf dieser Grundlage ist die Schaffung einer wahrhaft sozialen Geldordnung ohne Inflation möglich[17].

Selbstverständlich war es im Rahmen dieses Aufsatzes unmöglich, die Problematik der Inflationsursachen bis in die letzte Einzelheit darzustellen. Auch konnten die Voraussetzungen für eine soziale Geldordnung nur kurz gestreift werden. Was wir zu zeigen versuchten, war, dass das «wirklich praktische Mittel zu einem Neuaufbau des Zerstörten eben die Dreigliederung selbst ist»[18].

Anmerkungen

[1] Rudolf Steiner, «Aufsätze über die Dreigliederung des sozialen Organismus», Dornach 1961, Seite 121.

[2] Bulletin der Schweizerischen Kreditanstalt, April/Mai 1974, Seite 4.

[3] Folkert Wilken, «Selbstgestaltung der Wirtschaft», Freiburg 1949, Seite 188.

[4] Rudolf Steiner, «Kernpunkte der sozialen Frage», Dornach 1919, Seite 131.

[5] Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (vom 29. Mai 1874), Art. 39, Abs. 3.

[6] Hans Georg Schweppenhäuser, «Das kranke Geld», Stuttgart 1972, Seite 55.

[7] Hans Georg Schweppenhäuser, op. cit., Seite 113.

[8] Hugo Sieber, «Inflation und landwirtschaftliche Preisforderungen», «Der Bund», September 1972.

[9] Schweizerisches Zivilgesetzbuch (vom 10.Dezember 1907), Art. 641.

[10] Hans Georg Schweppenhäuser, op. cit., Seite 236.

[11] Hans Georg Schweppenhäuser, op. cit., Seite 236.

[Gegenwart, Jahrgang 36, Heft 7/8 1974, S. 246]

[12] Hans Georg Schweppenhäuser, op. cit., Seite 108.

[13] Hans Georg Schweppenhäuser, op. cit., Seite 162.

[14] Man vergleiche hierzu: Folkert Wilken, «Die Entmachtung des Kapitals durch neue Eigentumsformen», Freiburg 1959; Hans Georg Schweppenhäuser, «Das Eigentum an den Produktionsmitteln», Berlin 1963 ; Hans Georg Schweppenhäuser, «Macht des Eigentums», Stuttgart 1970.

[15] Man vergleiche hierzu: Folkert Wilken, «Selbstgestaltung der Wirtschaft», Freiburg 1949.

[16] Hans Georg Schweppenhäuser, op. cit., Seite 162.

[17] Man vergleiche hierzu: Hans Georg Schweppenhäuser, «Das kranke Geld», Stuttgart 1972.

[18] Rudolf Steiner, «Aufsätze über die Dreigliederung des sozialen Organismus», Dornach 1961, Seite 121.

[Gegenwart, Jahrgang 36, Heft 7/8 1974, S. 247]