Bernhard Behrens „Anthroposophisch orientierte Wirtschaftswissenschaft“

Eine Rezension von Walter Birkigt

01.02.1930

Veröffentlichungen, die das Resultat einer in einer Gemeinschaft geleisteten Arbeit darstellen, sind für die anthroposophische Bewegung besonders fruchtbar. Daß mit den Ausführungen von Behrens das Ergebnis einer gründlichen Arbeit vorliegt, wird der Kenner wirtschaftlicher Probleme ohne weiteres bemerken. Wer um ein Verständnis der wirtschaftlichen „Urgedanken“ gerungen hat, wird dieses Heft, wegen des Scharfsinns und des Willens zu einer unbedingten Sachlichkeit, mit dem der Verfasser die schwierigen Probleme der heutigen Weltwirtschaft angepackt hat, mit Genuß und Befriedigung lesen.

Sehr glücklich ist die Art, wie Behrens die heutige offizielle Nationalökonomie in dieser Schrift heranzieht. Er vermeidet zwei Klippen, die in dieser Hinsicht gefährlich werden können. Er verschwendet keine Zeit durch kritische Untersuchungen unbrauchbarer Einzelresultate dieser Wissenschaft; er geht aber auch nicht achtlos an ihrem echten Erkenntnisstreben vorüber. Die wirklich bedeutsamen Problemstellungen dieser Wissenschaft, zu deren Lösung sie aber selbst nicht kommen kann, hat er mit

[Zeitschrift „Die Drei“, 02/1930, Seite 127]

gutem Griff herausgehoben und gezeigt, wie anthroposophisch orientierte Wissenschaft Antwort auf diese Rätselfragen geben kann.

In der vorliegenden ersten Lieferung werden zwei Probleme behandelt: „Anthroposophisch orientierte Wirtschaftswissenschaft eine Gegenwartsforderung“ und „Die Einsicht in das Wesen des Preisproblems als Voraussetzung für eine wirklichkeitsgemäße Wirtschaftswissenschaft“. Um das „Wie“ der Problembehandlung zu charakterisieren soll eine Einzelheit herausgegriffen werden. Behrens führt in dem oben erwähnten zweiten Aufsatz u. a. aus, wie in der Preisbildung die Gegensätzlichkeit von „Gebrauchswert“ und „Tauschwert“ überwunden wird und fügt dann folgenden Satz an: „„Das sind bekannte und selbstverständliche Zusammenhänge“ wird man einwenden und ihre Darstellung als überflüssig bezeichnen, wenn man diese „Selbstverständlichkeiten“ nicht in einem neuen Lichte zu sehen vermag, in dem sie das Gleichgewichtsprinzip der Weltwirtschaft offenbaren.““ Dazu ist zu bemerken, daß es sich bei dem Zusammenhang der Begriffe „Preis“, „Gebrauchswert“ und „Tauschwert“ in der offiziellen Nationalökonomie seit mehr als 100 Jahren um ungelöste Fragen handelt. Wird die Lösung in einer Form gebracht, daß man daran anschließend sagen kann: das seien bekannte und selbstverständliche Zusammenhänge, so zeigt dies, wie durch intensive gedankliche Arbeit die begrifflichen Schwierigkeiten soweit überwunden worden sind daß die Darstellung dann eine so „selbstverständliche“ Form annehmen kann.

Ohne gedankliche Schwierigkeiten ist allerdings dieses Heft nicht zu lesen, aber gerade dadurch zeigt es seinen Wert als ernste wissenschaftliche Arbeit. Als solcher möchte ich ihr, die ihr gebührende Beachtung wünschen.

[Zeitschrift „Die Drei“, 02/1930, Seite 128]