Der nationalökonomische Kursus Dr. Rudolf Steiners am Goetheanum

01.10.1922

Quelle
Zeitschrift „Die Drei“
Jahrgang 2, Heft 10-11, Januar-Februar 1923, S. 856-881
Bibliographische Notiz

Dem Wunsche einer grösseren Anzahl Studenten der Nationalökonomie folgend, die sich innerlich unbefriedigt fühlen von dem Inhalt der heutigen offiziellen ökonomischen Wissenschaft, hat sich Dr. Rudolf Steiner bereit erklärt, diesen Kursus von vierzehn Vorträgen und mehreren seminaristische Übungen vom 24. Juli bis 6. August vorigen Jahres am Goetheanum in Dornach abzuhalten. Der Kursus war von etwa sechzig Teilnehmern aus der ganzen Welt besucht. Hauptsächlich Studenten der Nationalökonomie; junge, suchende Menschen, die die lebensfremden Definitionen und toten Begriffskonstruktionen der heutigen Volkswirtschaftslehre als eine unfruchtbare Öde empfinden, und die hier einen Hauch anthroposophischen Geistes verspürten, von dem sie fühlten, daß er auch ihre Wissenschaft – und gerade sie – mit neuem, hoffnungsvollem Leben erfüllen kann.

Dieser Kursus bildete eine Art Fortsetzung der Reihe von fachwissenschaftlichen Kursen, die Dr. Rudolf Steiner auf den Gebieten der Pädagogik, Physik, Chemie, Astronomie, Sprachwissenschaft, Medizin und Theologie im Laufe der letzten drei Jahre bereits abgehalten hat.

Im folgenden soll versucht werden, den überreichen und anregenden Inhalt der einzelnen Vorträge kurz zu skizzieren. Indem ich diesen Versuch unternehme, bin ich mir voll bewußt, daß sich der ganze Gehalt dieser Vorträge erst dem eindringlichen Studium der Niederschriften und dem dadurch geschärften Blick für die Vorgänge des volkswirtschaftlichen Lebens selbst, ergeben wird.

I.

Die Nationalökonomie als Wissenschaft entstand in der Zeit, in der sich das Wirtschaftsleben der neueren Völker zu immer komplizierteren Formen entwickelte. Diese Entwickelung war eine andere in England; eine andere in Deutschland.

Die neuzeitliche Gestaltung der englischen Wirtschaftsverhältnisse geschah im wesentlichen bereits im ersten Drittel bis zur Mitte des neunzehnten Jahrhunderts. Sie vollzog sich auf der Grundlage des alten Handelskapitals, das sich durch die Beziehungen Englands zu dem jungfräulichen Gebiet seiner Kolonien, insbesondere zu Indien, gebildet hatte.

In Deutschland vollzog sich der Übergang vom konservativen Agrarland zum Industrieland erst im zweiten Drittel des neun-

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zehnten Jahrhunderts. Aber er war mehr begleitet von bewußten Vorstellungen; nicht instinktiv wie in England. In Deutschland empfand man die Aufhebung des alten Korporationswesens wie eine Menschenbefreiung. Man bildete sich volkswirtschaftlich-liberalistische Gedanken und Theorien. In England war man mehr wie selbstverständlich in die neuen Verhältnisse hineingeraten.

Im letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts nahm dann in Deutschland der Staat das wirtschaftliche Leben mehr und mehr für sich in Anspruch. Dadurch wurde ein radikaler Gegensatz geschaffen zu dem wirtschaftlichen Denken Englands und zu der englischen Wirtschaft selbst.

Mit diesem Gegensatz trat die Welt in die Weltwirtschaft ein und – konnte in die Weltwirtschaft nicht hinein. Statt einer Lösung dieses Gegensatzes kam – der Weltkrieg.

Nach Beendigung des Weltkrieges war die »Dreigliederung« als eine Lösung dieser Weltgegensätze gemeint. Sie wurde nicht verstanden. Jetzt leben sich die Gegensätze in den Valutaspannungen und anderen Erscheinungen aus.

Über Nationalökonomie begann man erst zu denken in einer Zeit, in welcher man, aus der allgemeinen Geistesverfassung der Zeit heraus, schon nicht mehr die Gedanken und Ideen hatte, um ein Lebensgebiet, wie das volkswirtschaftliche, voll umfassen zu können. Es war die Zeit, in welcher man auch in den anderen Wissenschaften nur noch solche Vorstellungen zu entwickeln vermochte, die zum Beispiel in der Physik zu einer falschen Lichtlehre führten.

Wie das Licht hineinversinkt in die Wärme (ultrarot), auf der einen Seite, und auf der anderen Seite hineinragt in die chemischen Wirkungen (ultraviolett), so greift die Volkswirtschaft auf der einen Seite hinunter in die Natur; auf der anderen Seite führt sie hinauf in das Kapital. Dazwischen liegt das eigentliche wirtschaftliche Leben.

Nun ist aber nur dasjenige Gebiet, wo die Wirtschaft hinunterreicht in die Naturgrundlage, mit dem gewöhnlichen menschlichen Verstand zu erfassen. Zum Ergreifen der eigentlichen Volkswirtschaft dagegen braucht man nicht starre Verstandesvorstellungen sondern bewegliche Begriffe und Ideen. Die Volkswirtschaft ist ein lebendiger Prozeß, demgegenüber die Begriffe fähig sein müssen, sich ständig umzuformen. Begriffe wie Wert, Preis, Pro-

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duktion, Konsumtion usw. dürfen nichts Starres an sich haben, das man definieren kann. Sie sind in ständiger Zirkulation; sind in jedem Augenblick etwas anderes.

Das soziale Leben ist ein Organismus, der über die ganze Erde hin als ein lebendiges Ganzes genommen werden muß. Die Nationalökonomen, von Adam Smith angefangen, haben immer nur mit kleinen Gebieten als sozialen Organismen gerechnet. Sie hatten die Staaten im Auge, die keine Organismen, sondern höchstens Zellen sind. Sie haben Prinzipien aufgestellt, die nur für eine einzelne Zelle gelten, nicht aber den ganzen Organismus in seinem lebendigen Prozeß zu ergreifen imstande sind.

II.

Die Volkswirtschaft kommt an den Menschen heran, wenn er etwas zu kaufen oder zu verkaufen hat. Was ihn dabei interessiert, ist der Preis einer Ware oder eines Gutes. Das Preisproblem ist ein außerordentlich verwickeltes. Eine allgemeine Definition, wie der Preis sich zusammensetzt, kann es nicht geben. Denn der Preis hängt von zahlreichen unbestimmten Bedingungen ab. Er ist an jedem Ort und zu jeder Zeit ein anderer. Er hat etwas ungeheuer Fluktuierendes, das sich nicht in scharf konturierte Begriffe fassen läßt. Man kann eigentlich nur beobachten, wie der Preis sich bildet.

Dadurch wird die Aufmerksamkeit auf den volkswirtschaftlichen Prozeß selbst gelenkt, aus dem heraus die Preisbildung sich ergibt.

Als die Faktoren der Volkswirtschaft werden gewöhnlich genannt: die Natur, die menschliche Arbeit und das Kapital. Nach Ansicht der einen liegt aller Wert bereits in der Natur; nach Ansicht der anderen entsteht der volkswirtschaftliche Wert erst durch die in die Naturprodukte »hineinkristallisierte« Arbeit; wieder andere finden, der Wert bilde sich durch das Kapital, das die Arbeit erst möglich mache. Für jeden Standpunkt gibt es gute und schlechte Gründe. Aber an die volkswirtschaftliche Wirklichkeit kommt man damit überhaupt nicht heran. Im volkswirtschaftlichen Prozeß ist alles in fortwährender Bewegung. Die Erscheinungen sind unendlich viel komplizierter, labiler, variabler, fluktuierender, als in der Natur. Sie sind daher mit festen Begriffen viel weniger zu erfassen als diese.

In der Tierwirtschaft ist die Natur selber wertbildend. In der

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menschlichen Volkswirtschaft haben wir den Naturwert nur als Ausgangspunkt. Auf die Natur wird die Arbeit verwendet. Dadurch entsteht erst ein volkswirtschaftlichen Wert. Wertbildend ist also die menschliche Arbeit, die ein Naturprodukt so verändert, dass es in der volkswirtschaftliche Prozess übergehen kann. Arbeit an sich hat keinen Wert. Sport ist auch Arbeit. Nur durch die Art, wie sie sich in den volkswirtschaftlichen Prozess hineinstellt, kann die Arbeit wertbildend wirken.

Aber volkswirtschaftlichen Wert entsteht noch auf eine andere Art. Dadurch dass die Arbeit modifiziert, dirigiert, organisiert wird durch den Geist. Der Geist findet in der Volkswirtchaft seinen äußeren Ausdruck in dem Kapital.

Volkswirtchaftliche Werte entstehen also dadurch, daß die Natur modifiziert wird durch die Arbeit, und daß die Arbeit modifiziert wird durch den Geist. Auf diesen zwei polarischen Gegensätzen sind die wertbildenden Momente im volkswirtschaftlichen Prozeß zu suchen.

Beim Kauf und Verkauf werden diese Werte (nicht eigentlich die Güter) gegeneinander ausgetauscht. Was herauskommt im volkswirtschaftlichen Prozeß, wenn Wert und Wert aufeinanderstoßen, um sich auszutauschen, ist der Preis.

Wert und Preis kann man nicht in Begriffe einfangen. Will man in der Volkswirtschaft auf festen Füßen stehen, oder gar in den volkswirtschaftlichen Prozeß handelnd eingreifen, so muß man zurückgehen zu dem, was hinter Preis und Wert steht, was den Wert bildet und den Preis entstehen lässt; zu den Ausgangspunkten des volkswirtschaftlichen Prozesses selbst.

Um zu dem Problem der Preisbildung vordringen zu können, muß man zunächst verstehen, wie Werte auf der eine Seite und Werte auf der anderen Seite gebildet werden.

III.

Wie der Thermometerstand nur hinweist auf einen bestimmten Wärmezustand, so weisen Preise und Werte nur hin auf die sie verursachenden, realen Verhältnisse der Volkswirtschaft. Insofern die Volkswirtschaftslehre Wert- und Preiskurven beobachtet, wie man die Kurven des Thermometerstandes beobachtet, ist sie eine theoretische Wissenschaft. Sobald sie, auf Grund der so gewonnenen Beobachtungen, dazu übergeht, die Gesetze des Han-

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delns zu bestimmen, wird sie zu einer praktischen Wissenschaft.

Wie man die Wärmeverhältnisse eines Zimmers nicht dadurch ändert, daß man den Thermometerstand unmittelbar zu regulieren sucht, sondern etwa dadurch, daß man den Ofen einheizt, so kann man in der Volkswirtschaft den Wert- und Preisstand nicht durch Einwirkung auf diesen selbst ändern; man muß vielmehr auf die Wert und Preis bedingenden volkswirtschaftlichen Faktoren zurückgehen. Wenn die Preise eines Artikels zu niedrig werden, muß man Maßregeln treffen, die geeignet sind, dem Sinken der Preise entgegenzuwirken; zum Beispiel durch Erhöhung des Absatzes oder dergleichen.

Dr. Steiner zeigte durch eine historische Betrachtung, wie sich das volkswirtschaftliche Leben in alten Zeiten mehr instinktiv abspielte, wie die Impulse des religiösen Lebens auch die ökonomischen Beziehungen der Menschen ordneten, so daß zum Beispiel die Regelung der Arbeitswerte keine erhebliche öffentliche Frage bildete. Erst als sich die Wirkung der religiösen und ethischen Impulse mehr und mehr nur noch auf das moralische Leben zu erstrecken begann, wurde die Eingliederung der Arbeit in das soziale Leben zu einem Problem. Sie ging über an das gleichzeitig heraufkommende Recht. Das Gebot, das früher das ganze Leben umfaßt hatte, zog sich zurück auf das bloß seelische Leben des Menschen.

Solange die religiöse Impulse für das ganze Leben maßgebend waren, wurde der Egoismus in Schranken gehalten. Seitdem aber das Recht und die Arbeit sich emanzipierten, wurde die Eingliederung des menschlichen Egoismus in das soziale Leben zu einem Problem des menschlichen Geistes.

Gleichzeitig damit kam die moderne Arbeitsteilung herauf. Die Arbeitsteilung führt zuletzt dazu, daß niemand dasjenige, was er erzeugt, für sich selbst verwendet.

Dr. Steiner illustrierte dies an einem, unter den Teilnehmern des Kurses viel umstrittenen Beispiel, eines Schneiders, dem ein Anzug, den er von seiner eigenen Produktion für sich selbst zurückbehält, teurer zu stehen kommt, als wenn er ihn dem allgemeinen Verkehr entnehmen würde. (Weil er nämlich durch den Akt der Selbstversorgung, den Preis der anderen Anzüge herabdrückt Das schlägt im Verlaufe des volkswirtschaftlichen Prozesses auf ihn zurück.)

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Je mehr die Arbeitsteilung fortschreitet umso weniger kann der einzelne etwas für sich selbst tun; er muß vielmehr alles für die anderen tun. Auf diese Weise ist am besten für ihn selbst gesorgt. Der Altruismus ist eine rein volkswirtschaftliche Konsequenz der modernen Arbeitsteilung. Dass die Menschen noch nicht verstanden haben, in ihrem Denken über den Egoismus hinauszukommen und das Wirtschaftsleben altruistisch einzurichten, wie es die moderne Arbeitsteilung und die Weltwirtschaft verlangen, darauf beruhen zum großen Teil die sozialen Kämpfe der Gegenwart.

Dadurch, das die Selbstversorgung vielfach kaschiert drinnen ist in unserer Volkswirtschaft, widerspricht diese ihrer eigenen Forderung nach Arbeitsteilung. Das zeigt sich besonders beim Lohnempfänger, der nur soviel hingeben will, als er erwerben will. Er strebt in egoistischer Weise nach Selbstversorgung. Selbstversorgen heißt für den Erwerb arbeiten. Für die anderen arbeiten, heißt aus der sozialen Notwendigkeit heraus arbeiten.

Eine der wichtigsten volkswirtschaftlichen Fragen ist daher diese: Wie bringt man die Arbeit auf Erwerb aus dem volkswirtschaftlichen Prozeß heraus? – Nur dann bekommt man wahre Preise, die nicht abhängig sind von den Menschen, sondern von dem Fluktuieren der Werte im volkswirtschaftlichen Prozeß.

IV.

Der volkswirtschaftliche Prozeß nimmt seinen Ausgangspunkt von der Natur. Durch die menschliche Arbeit wird das Naturprodukt verwandelt. Dadurch erhält es einen volkswirtchaftlichen Wert.

Im Weiterrücken der volkswirtschaftlichen Entwickelung entsteht die Arbeitsleistung; Organisation der Arbeit. Organisation der Arbeit bedeutet daß die Arbeit mit Geist durchdrungen, vom Geiste aus organisiert, dirigiert wird. Das geschieht mit Hilfe von Kapital. Kapitalentstehung ist immer eine Begleiterscheinung der Arbeitsteilung. Mit Hilfe von Kapital dirigiert der Geist die Arbeit an der Natur. Dabei ist es dem Geist nicht um die Natur zu tun, sondern um die Erhöhung der Arbeit.

Die Arbeit selbst ist noch verbunden mit der Natur. Das Kapital hebt sich von der Natur ab. Es emanzipiert sich von ihr. Dem Kapitalisten ist es einerlei, welche Art von Arbeit er organisiert; er will nur, daß das, was durch ihn organisiert wird, fruchtbar sei.

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So verschwindet nach und nach die Besonderheit der Natursubstanz und die Besonderheit der Arbeitsarten in den Kapitalmassen. Es vollzieht sich ein realer Abstraktionsprozeß.

Dieser Abstraktionsprozeß wird noch verschärft durch die Übertragung von Kapital von einem Kapitalisten auf den andern. Der neue Kapitalempfänger kümmert sich schon gar nicht mehr darum, durch welchen Arbeitsprozeß. das Kapital, das er bekommt, in der Vergangenheit entstanden ist, sondern nur darum, wie er es in Zukunft fruchtbar machen kann.

Zur Übertragung von Kapital dient das Geld. Das Geld ist ein vollständiges Abstraktum. Geld ist aber das Mittel für den Geist, um einzugreifen in den volkswirtschaftlichen Organismus, der in der Arbeitsteilung steht. Wer Geldkapital besitzt, von dem er nicht selbst Gebrauch machen kann, um Arbeit zu organisieren, der wird zum Leiher für einen, der nichts anderes hat als Geist, und der dadurch in die Lage versetzt wird, Arbeit zu organisieren. Dieser wird zum Schuldner. Für ihn ist Kapital nicht mehr – wie vielleicht für den ersten Erwerber – »kristallisierte« Arbeit. Die volkswirtschaftliche Bedeutung von Kapital besteht für ihn darin, daß er es überhaupt als Schuldkapital bekommen kann. Und dann darin, daß er es geistig verwerten kann.

Kapital strömt demjenigen zu, der es am besten verwerten kann. Es besteht eine Niveaudifferenz zwischen dem Leiher, der nichts anzufangen weiss mit seinem Kapital und dem Schuldner, der es durch seine Fähigkeiten verwerten kann. Dadurch kommt die Zirkulation von Kapital zustande. Das Bedingende dabei sind die verschiedenen Anlagen und Fähigkeiten der Menschen. Durch sie, kommt das Kapital in Fluß.

Wir kommen also zu folgender Formel:

Natur (N) erfaßt von menschlicher Arbeit (a) ergibt volkswirtschaftlichen Wert (w)

N wa

Was dann durch die Arbeitsteilung eintritt, muß ausgedrückt werden durch eine Division. Arbeit (A) erfaßt durch den Geist ergibt ebenfalls volkswirtschaftlichen Wert (w)

A wg

Also :

N wa
A wg

Aus der vom Geist erfaßten Arbeit entsteht aber das Geld. Dieses bekommt man daher als Nenner. Als Zähler bekommt man, aus der von der Arbeit erfaßten Natur, die Ware.

Es ergibt sich also die Gleichung:

N wa   Ware
=
A wg   Geld

 

Auf dieser Gleichung, das heißt auf dem richtigen Verhältnis zwischen Warenwert und Geldwert, beruht die Gesundheit des volkswirtschaftlichen Prozesses.

V.

Werte entstehen durch Anwendung von Arbeit auf die Natur; durch Anwendung des Geistes auf die Arbeit; durch Anwendung des Geistes auf das Kapital. Wir haben hier eine wertebildende Bewegung: die Produktion. Die Bewegung geht aber weiter. Sie führt hinein in die Konsumtion. Da tritt ihr die Bedürfnisentwickelung entgegen. Es entsteht eine wertebildende Spannung zwischen Produktion und Konsumtion, der dann (durch den Verbrauch) die Entwertung auf dem Fuße folgt. Diese Spannung ist ein zweiter wertebildender Faktor im volkswirtschaftlichen Prozeß. Die wertbildende Spannung kann auch durch andere Verhältnisse (Seltenheitswert, Erinnerungswert oder dergleichen) erzeugt werden.

Im volkswirtschaftlichen Prozeß müssen fortwährend Werte entstehen und Werte untergehen.

Was würde geschehen, wenn die Entwertung nicht in einer entsprechenden Weise eintreten würde? – Folgende Überlegung kann das zeigen:

Der geistige Produzent wird zum Schuldner dadurch, daß er Kredit in Anspruch nimmt. Personalkredit, mit Hilfe dessen er seine organisatorischen Fähigkeiten entfalten kann. Dafür zahlt er einen Zins. Ist der Zins niedrig, so kann er billiger produzieren, als wenn er hoch ist. Personalkredit verbilligt also die Produktion, wenn der Zinsfuß abnimmt.

Wird aber Kredit auf Grund und Boden gegeben (Realkredit), so beobachten wir gleichzeitig mit einem Fallen des Zinsfußes eine Verteuerung von Grund und Boden. Der sinkende Zinsfuß

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ist ein Zeichen dafür, daß mehr Kapital in den Boden hineinkreditiert wird. Dadurch wird der Boden teurer. Realkredit verteuert also den Grund und Boden, wenn der Zinsfuß abnimmt.

Personalkredit verbilligt die Ware; Realkredit verteuert Grund und Boden.

Das heißt aber, daß, indem man das Kapital in Form von Bodenkredit mit der Natur wieder verbindet, man den volkswirtschaftlichen Prozeß immer mehr verteuert. Indem Kapital in die unverarbeitete Natur hineingeführt wird, entsteht eine Stauung. Das geschieht, wenn mehr Kapital vorhanden ist, als sich (durch den Geist) mit der Arbeit verbinden kann. Das überschüssige Kapital sucht den Ausweg in die Natur (Grund und Boden). Dadurch tritt die Wertbildung von unbearbeitetem Grund und Boden ein. Es entstehen Scheinwerte. – Genau wie durch die willkürliche Banknotenvermehrung.

Das kann nur verhindert werden, wenn das Kapital richtig verbraucht wird. Ebenso wie die erarbeitete Natur verbraucht wird, wie aufgebraucht wird durch das Kapital die organisierte Arbeit, so muß auch das Kapital richtig verbraucht werden. Nur soviel darf am Ende des volkswirtchaftlichen Kreislaufes übrigbleiben, als notwendig ist, damit die Natur weiter bearbeitet werden kann.

Eine Regelung des richtigen Kapitalverbrauchs kann sich natürlich nicht theoretisch ergeben, sondern nur durch praktisches Eingreifen in die realen volkswirtschaftlichen Prozesse. Dieses kann geschehen durch wirkliche Assoziationen, die auf Grund von richtigen Beobachtungen der volkswirtschaftlichen Vorgänge, auf Grund von möglichst allseitiger Erfahrung im lebendigen Zusammenarbeiten, ihre Maßnahmen zur Regelung der Arbeitsverhältnisse usw. ergreifen.

VI.

In seinem Buche »Die Kernpunkte der sozialen Frage« hat Dr. Rudolf Steiner die Formel geprägt, daß ein richtiger Preis für ein Produkt dann vorhanden sei, wenn jemand für ein Erzeugnis, das er verfertigt hat, soviel als Gegenwert bekommt, daß er seine Bedürfnisse (einschließlich derjenigen seiner Angehörigen) befriedigen kann solange, bis er wiederum ein gleiches Produkt verfertigt haben wird. Ein Wesentliches dieser wirklich

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erschöpfenden Formel ist, daß sie nicht in die Vergangenheit weist, sondern in die Zukunft. Für das, was jemand bekommen muß für sein Erzeugnis, sind nicht maßgebend die Verhältnisse, welche bestanden haben während der Zeit, in der er das Produkt verfertigt hat, sondern die – vielleicht ganz anderen – Verhältnisse in der Zeit, die er braucht, um wiederum ein gleiches Erzeugnis hervorzubringen. (In Ländern mit schnell sinkender Valuta spürt das heute jedermann am eigenen Leibe. Es gilt aber auch sonst.)

Wirtschaften heißt eben aus der Vergangenheit in die Zukunft hineinarbeiten. Läßt man die Zukunft außer Betracht, dann wird man vor allem niemals die Bedeutung der geistigen Arbeit im volkswirtschaftlichen Prozeß verstehen. In bezug auf die Vergangenheit ist nämlich der geistige Arbeiter nur konsumierend, in bezug auf die Zukunft ist er dagegen im höchsten Maße produzierend.

Wenn ein Schuster wegen Krankheit drei Wochen keine Schuhe produziert, so entsteht ein Produktionsausfall. Wird der Schuster aber durch einen geschickten Arzt bereits nach acht Tagen gesund, – wer hat dann eigentlich die Produktion von zwei Wochen hervorgebracht?

So arbeitet Leibniz, als Erfinder der Differentialrechnung, noch heute an jedem Tunnelbau produktiv mit.

Innerhalb der geistigen Betätigung, die damit beginnt, daß die Arbeit organisiert wird; daß die in der materiellen Kultur stehenden Unternehmen geleitet werden, tritt auch das vollständig freie geistige Wirken auf. Hierher gehört die Betätigung von Künstlern, Gelehrten, freien Schriftstellern, besonders aber das ganze Gebiet von Erziehung und Unterricht. Die im freien Geistigen Wirkenden sind in bezug auf die volkswirtschaftliche Vergangenheit reine Konsumenten. Reine Konsumenten sind auch die Kinder und jungen Leute, sowie die nicht mehr arbeitenden älteren Leute, Kranke, Invalide usw. Der volkswirtschaftliche Prozeß könnte gar nicht vorwärts gehen, wenn in ihm nicht reine Konsumenten (gegenüber der Vergangenheit reine Konsumenten) vorhanden wären.

Das kann sich auch aus folgendem ergeben:

Die bearbeitete Natur wird zur Ware des Marktes dadurch, daß sie bezahlt wird. Zahlen ist die Funktion, die in Betracht kommt,

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soweit es sich um den Verkehr mit der verarbeiteten Natur handelt.

Sobald es sich aber um die Organisierung der Arbeit durch den Geist handelt, kommt in Betracht das Leihen. Der geistig Fähige muß die Möglichkeit haben, Kapital zu leihen, damit er in den materiellen volkswirtschaftlichen Prozeß eingreifen kann.

Derjenige aber, der eine vollständig freie geistige Wirksamkeit entfaltet, ist darauf angewiesen, daß ihm etwas geschenkt werde. Schenken ist eine dritte, volkswirtschaftlich ungeheuer wichtige Funktion.

Zahlen, Leihen, Schenken ist somit eine volkswirtschaftliche Trinität.

Das freie Geistesleben (zum Beispiel Erziehung und Unterricht) muß beschenkt werden aus dem Produktionsprozeß der Vergangenheit. Dann kann es seinen befruchtenden Einfluß geltend machen auf das halbfreie Geistesleben, das die Organisation der Arbeit besorgt. Dadurch aber wirkt es mittelbar hinein in die Produktion der Zukunft.

VII.

Wenn zu wenig geschenkt wird, muß die freie Geistesarbeit – zum Schaden des sozialen Organismus – zurückgehen. Aufgabe der Assoziationen wird es daher sein, auch im Interesse des Fortschrittes der volkswirtschaftlichen Enwickelung, ein Zuwenig an Schenkungen zu verhindern. Assoziationen werden die Möglichkeit haben, dem überschüssigen Kapital, das die Tendenz hat, in Form von Hypotheken den Boden zu belasten und dadurch Stauung zu verursachen, einen Abfluß zu schaffen in freie geistige Institutionen hinein. –

Zu einer Formulierung des Preisproblems kann man erst kommen, wenn man einsieht, wie die drei Faktoren: Kauf, Beleihung und Schenkung in der Preisbildung spielen. Darüber bestehen heute ganz unklare Vorstellungen. Hauptsächlich deshalb, weil man dasjenige, was in Bewegung ist, in Ruhe erfassen will.

Vom Lohn spricht man so, als habe man es im Lohn zu tun mit dem Preis der Arbeit, als fände im Arbeitsverhältnis ein Kauf der Arbeit statt. Das ist aber gar nicht der Fall. Ein volkswirtschaftlicher Wert kann nur im Austausch von Erzeugnissen entstehen. Arbeit als solche kann man nicht gegen irgend etwas aus-

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tauschen. Sie hat an sich keinen Wert. Einen Wert hat nur das bearbeitete Produkt. Diesen Wert tauscht der Arbeiter mit dem Unternehmer (gegen Geldwert) aus. Der Unternehmer kauft in Wirklichkeit dem Arbeiter sein Erzeugnis ab. Aufgabe des Unternehmer ist es dann, diesem Erzeugnis, durch seinen Unternehmungsgeist, im volkswirtschaftlichen Zusammenhang einen höheren Wert zu verschaffen. Darin sucht er seinen Gewinn. Man kann also nicht davon sprechen, daß im Arbeitsverhältnis selbst ein Mehrwert entstände, den der Unternehmer dem Arbeiter vorenthielte, sondern höchstens davon, daß der Preis, den der Unternehmer dem Arbeiter für seine Erzeugnisse bezahlt, nicht ihrem wirklichen Werte entspricht. –

Womit haben wir es zu tun bei der Bodenrente? – Hier sehen wir das volkswirtschaftliche anstoßen an Macht- und Rechtsverhältnisse. Wer, sei es durch Macht (Eroberung), sei es durch Rechtsverhältnisse, über Grund und Boden verfügt, verlangt, daß ihm diejenigen, denen er erlaubt, auf seinem Grund und Boden ihre Erzeugnisse herzustellen, etwas von diesen Erzeugnissen abliefern. (Den Zehnten.) Er verpflichtet sie zu einer Zwangsschenkung. Dadurch wird aber der Preis dieser Erzeugnisse über ihren eigentlichen Tauschwert hinaus erhöht.

Nun besteht im volkswirtschaftlichen Prozeß, der sich auf Arbeitsteilung gründet, wie bereits gezeigt worden ist, die Tendenz, Bodenrente zu erzeugen; also: die Preise der landwirtschaftlichen Produkte immer weiter zu erhöhen. Es handelt sich also darum, wie man die Bodenrente im volkswirtschaftlichen Prozeß unschädlich macht. Man kann sie nicht einfach »abschaffen«, weil der volkswirtschaftliche Prozess sie immer wieder hervorbringen will.

Im Gegensatz zur Bodenrente hat das Unternehmerkapital die Tendenz, in seinem Preise zu sinken. Der Unternehmer ist darauf angewiesen, sein Kapital zu leihen. Er hat also die Tendenz, es im Preise herabzudrücken.

Die Bildung richtiger Preise wird also im volkswirtschaftlichen Prozeß fortwährend dadurch gestört, daß von der einen Seite her Dinge auf dem Markte erscheinen, die zu hoch im Preise sein wollen (landwirtschaftliche), und von der andern Seite her Dinge, die im Preise zu niedrig sein wollen (die aus freier menschlicher Betätigung stammenden).

[Zeitschrift „Die Drei“, Jahrgang 2, Heft 10-11, Januar Februar 1923, Seite 867]

Die Schwierigkeit der Preisbildung wächst mit der fortschreitenden Differenzierung der Produkte und der menschlichen Bedürfnisse. Ein gleichmäßiges Steigen oder Fallen aller Preise würde an und für sich niemanden berühren. Daß aber die Produkte in der verschiedensten Weise steigen und fallen namentlich im Zusammenhang mit einem Steigen und Fallen des Geldwertes (indem einfach aufbewahrt ist früherer wirklicher Wert) – das bewirkt zum Beispiel gegenwärtig eine völlige Umschichtung der menschlichen Gesellschaft.

All dies führt dazu, die im volkswirtschaftlichen Organismus wirksamen Faktoren noch in einer anderen Weise anschauen zu müssen.

Wir haben folgende Bewegung verfolgt: 1. Natur; 2. bearbeitete Natur (Natur bewegt sich gegen Arbeit); 3. gegliederte, organisierte Arbeit (Arbeit bewegt sich gegen den Geist, gegen das Kapital). Dann entsteht die Tendenz, daß Kapital als Bodenrente wieder zur Natur zurück will.

Nun gibt es aber noch eine entgegengesetzte Bewegung. Wenn bearbeitete Natur in rückläufiger Bewegung empfangen wird vom Geist, dann entsteht das Produktionsmittel. Das Produktionsmittel ist gleichsam vom Geist erfasste Natur: Wird dann das Produktionsmittel (in weiter rückläufiger Bewegung) empfangen von der Arbeit, so entsteht das Unternehmerkapital. Wird diese Bewegung fortgesetzt zur Natur zurück, so entsteht die Ware, die von der Natur (dem Menschen) konsumiert wird oder verdirbt.

VIII.

Innerhalb der volkswirtschaftlichen Betrachtung ist die wichtigste Frage die Preisfrage. Der Preis kann uns, je nachdem, ob er steigend oder fallend, zu hoch oder zu niedrig ist, angeben, ob die Dinge im volkswirtschaftlichen Organismus in Ordnung sind oder nicht.

Eine weitverbreitete Ansicht ist die, daß der Preis bestimmt werde durch Angebot und Nachfrage, und daß man nichts machen könne, als ihn unter der Wirkung des Gesetzes von Angebot und Nachfrage sich entwickeln zu lassen.

Indem man diese Begriffe von Angebot und Nachfrage aufstellt, bewegt man sich blaß in einem theoretischen Begriffssystem, ergreift aber nicht die Wirklichkeit. Die liegt hinter dem, was man

[Zeitschrift „Die Drei“, Jahrgang 2, Heft 10-11, Januar Februar 1923, Seite 868]

mit den Begriffen Angebot und Nachfrage trifft. Der volkswirtschaftliche Prozeß, insofern er Tausch oder Handel ist, kann sich gar nicht vollziehen anders, als daß sowohl beim Käufer wie beim Verkäufer Angebot und Nachfrage vorhanden sind. Angebot in Ware ist zugleich Nachfrage nach Geld, und Angebot in Geld ist zugleich Nachfrage nach Ware. Es kommt darauf an, daß nicht nur eine gewisse Anzahl von Waren als Angebot da ist (das zugleich Nachfrage nach Geld ist), sondern, daß auch eine Anzahl von Leuten da ist, die das Angebot Geld (das zugleich Nachfrage nach Ware ist) gerade für diese Waren entwickeln können.

Zwischen Angebot und Nachfrage – aber auf beiden Seiten – entwickelt sich allerdings der Preis; nur sind alle drei primäre Faktoren. Der Preis ist nicht eine Funktion von Angebot und Nachfrage. Angebot, Nachfrage und Preis sind drei voneinander unabhängige Größen, die miteinander in Wechselspiel treten.

Der Konsument hat im Auge seine Nachfrage und den Preis. Der Produzent hat im Auge sein Angebot und den Preis. Der Händler hat im Auge Angebot und Nachfrage. Für ihn ist der Preis eine Funktion von Angebot und Nachfrage [p = f (a. n)]. Für den Konsumenten ist das Angebot eine Funktion von Preis und Nachfrage [a = f (p. n.)]. Für den Produzenten ist die Nachfrage eine Funktion von Angebot und Preis (n = f (a. p.)]. Daraus ergibt sich die vierte Gleichung [x = f (a. n. p.)]. Die Gleichungen sind aber dadurch verschieden dass beim Konsument der Angebot (a) ein Angebot in Geld ist, beim Produzenten ist die Nachfrage (n) eine Nachfrage nach Waren [1], und beim Händler haben wir es zu tun mit etwas, was zwischen Geld und Ware drinnenliegt.

Nun spielt aber in den volkswirtschaftlichen Prozeß hinein das Recht. Das wird anschaulich, sobald das Geld im volkswirtschaftlichen Verkehr auftritt. Geld hat nur dadurch einen Wert, daß es als Wert anerkannt wird. Ware wird in Geld verwandelt, also in Recht.

Dieses Recht läßt sich nun halten, wieder in Ware verwandeln, oder es läßt sich dadurch, daß man es verbindet mit menschlichen Fähigkeiten, durch das Geld etwas ganz Neues hineinproduzieren in den volkswirtschaftlichen Prozeß. Die menschlichen Fähigkeiten (der Geist) verbinden sich mit dem volkswirtschaftlichen Prozeß.

[Zeitschrift „Die Drei“, Jahrgang 2, Heft 10-11, Januar Februar 1923, Seite 869]

In den ganzen Prozeß: Natur, bearbeitete Natur, durch den Geist gegliederte Arbeit, gliedern sich ein: das Recht und die menschlichen Fähigkeiten. Eine Dreigliederung innerhalb der Volkswirtschaft!

Die Folge davon ist, daß im volkswirtschaftlichen Prozeß fortwährend auftreten, außer dem Austausch zwischen Waren und Waren, der Austausch zwischen Waren und Rechten, zwischen Waren und Fähigkeiten und auch wiederum zwischen Rechten und Fähigkeiten. Dinge, die gar nicht miteinander vergleichbar sind. Dadurch ist der volkswirtschaftliche Prozeß etwas so ungeheuer Kompliziertes, Fluktuierendes, das nicht in ein starres wissenschaftliches System eingefangen werden kann, das auch nicht ein einzelner Mensch ganz überschauen kann, sondern das nur im Zusammenwirken der Urteile der Menschen, die in Produktion, Konsumtion und Warenzirkulation lebendig drinnenstehen, sachverständig geregelt werden kann.

IX.

Für eine Volkswirtschaftslehre, die die wirklichen volkswirtschaftlichen Vorgänge erfassen will, ist es erforderlich, auch auf verborgenere Zusammenhänge in der Volkswirtschaft hinzuweisen. Dadurch wird noch mehr ersichtlich, wie kompliziert sich die Dinge im volkswirtschaftlichen Prozess abspielen.

Es ist eine unter Landwirten bekannte Tatsache, daß am Roggenpreis nichts verdient, sondern verloren wird. Das heißt, es wird für Roggen ein Preis erzielt, der nicht die Kosten deckt für das Rohprodukt, die Herstellungskosten und einen gewissen Gewinn. Was liegt hier in Wirklichkeit vor? – Der Roggen liefert nicht nur das Korn, sondern auch Stroh. Mit dem Stroh versorgt der Landwirt sein Vieh. Dadurch erzielt er den denkbar besten Dünger. Den bekommt er umsonst. Damit gleicht er seine Bilanz wieder aus.

Diese und ähnliche Vorgänge werden in der volkswirtschaftlichen Literatur wenig berücksichtigt. Was hier vorliegt, kann man eine Binnenwirtschaft innerhalb der allgemeinen Volkswirtschaft nennen.

Eine andere Tatsachenreihe ist folgende:

Es ist bereits das Beispiel erwähnt worden, daß ein Arzt durch seine Geschicklichkeit einen Schuster, der sonst drei Wochen krank liegen würde, in einer Woche gesund macht, so daß eigent-

[Zeitschrift „Die Drei“, Jahrgang 2, Heft 10-11, Januar Februar 1923, Seite 870]

lich der Arzt die Schuhproduktion von zwei Wochen hervorbringt. Nun entsteht die Frage: Bekommt der Arzt diese Produktion auch bezahlt? – Äußerlich betrachtet, durchaus nicht! Wenn man aber eine etwas längere Bilanz aufstellt und die Ausbildungskosten des Arztes in Betracht zieht, dann wird man dafür doch ungefähr soviel herausbekommen, als später von ihm wieder hereingebracht wird durch Erhöhung der Produktion seiner Patienten. Natürlich im volkswirtschaftlichen Ganzen gerechnet.

Die Ausgaben für die Ausbildung des Arztes stammen aber offenbar aus dem Bereich der Schenkungen. Aus Stiftungen, Schenkungen der Eltern oder dergleichen. Wenn man verfolgt, wie stark das Schenkungsgeld auf alles geistige Produzieren wirkt, das dann wieder befruchtend wirkt auf das ganze Unternehmertum, dann wird man gewahr, daß das allerfruchtbarste im volkswirtschaftlichen Prozeß gerade die Schenkungen sind. Weniger produktiv sind die Leihkapitalien, und am unproduktivsten, was unmittelbar unter dem Einfluß von Kauf und Verkauf bezahlt wird.

Dazu kommt noch, daß, wie bereits gezeigt, gerade dasjenige Kapital geschenkt wird, was als verfügbar aus dem volkswirtschaftlichen Prozeß hervorgeht und diesen schädigen würde, wenn es sich auf Grund und Boden stauen würde.

Aus alledem geht hervor, daß man den volkswirtschaftlichen Prozeß nur dadurch überschauen kann, dass man auch über Vergangenes und Zukünftiges eine gewisse Einsicht gewinnt. Diese wird sich aber in umfassender Weise nur dem Urteil der sich assoziativ vereinigenden Menschen ergeben können.

X.

Volkswirtschaftliche Werte entstehen durch Bearbeitung der Natur. Auf einer höheren Stufe durch Organisierung der Arbeit. Die organisierte Arbeit wird aufgefangen von dem Kapital. Dieses emanzipiert sich von der Natur und geht über in freie Geistigkeit.

Was bringt nun die volkswirtschaftlichen Werte in Bewegung? – Wer einen Tausch vollzieht, sucht dabei seinen Vorteil, seinen Gewinn. Nicht nur der Verkäufer, sondern auch der Käufer; jeder will gewinnen. Der Verkäufer begehrt das Geld mehr als die Ware. Der Käufer begehrt die Ware mehr als das Geld. Es wird also bloß durch den Austausch sowohl das Geld als auch die Ware mehr Wert. Das ist deshalb möglich, weil Käufer und Verkäufer in

[Zeitschrift „Die Drei“, Jahrgang 2, Heft 10-11, Januar Februar 1923, Seite 871]

verschiedenem volkswirtschaftlichem Zusammenhang darinnenstehen. Für den einen hat die Ware, für den anderen das Geld einen höheren Wert. Das Streben nach Gewinn ist somit dasjenige, was den volkswirtschaftlichen Prozeß in Bewegung bringt, was ihn vorwärts schiebt.

Diese Bewegung wird unterstützt durch eine Saugwirkung, die ausgeht von dem Bedürfnis nach Leihkapital. Das Leihen geht ursprünglich nicht aus von dem Streben nach dem Vorteil, den man durch den Zins hat, sondern davon, daß man darauf rechnet, daß einem gegebenenfalls wieder geliehen werde. Die menschliche Gegenseitigkeit spielt dabei eine Rolle. Wer Zins nimmt für Leihkapital, verzichtet damit darauf, daß ihm, als Gegenleistung, wieder geliehen werde. Der Zins ist eine Ablösung der menschlichen Gegenseitigkeit. Er ist realisierte Gegenseitigkeit.

Die menschliche Gegenseitigkeit ist noch auf einem anderen Gebiete von größter Bedeutung: in der modernen Arbeitsteilung. Hier findet die Gegenseitigkeit ihren Ausdruck in dem Gelde. Das Geld ist die abstrakte Form der menschlichen Gegenseitigkeit, wie sie in der Arbeitsteilung wirksam ist.

An dem Beispiel von Zins und Geld kann man sehen, wie es für das volkswirtschaftliche Denken notwendig ist, überall von den bloß abstrakten Begriffen überzugehen zu bildhaften Vorstellungen. Sonst kommt man überhaupt nicht an die realen Vorgänge des volkswirtschaftlichen Prozesses heran. Nicht auf Begriffe kommt es an, sondern auf Anschauungen, auf empfindende Urteile. Aber nicht auf das empfindende Urteil des einzelnen, sondern auf das Zusammenströmen der Erfahrungen und Urteile der in Assoziationen vereinigten Produzenten, Konsumenten und Vertreter des Handels. Aus ihnen kann sich etwas geltend machen wie sich selbst tätige Vernunft, die viel mehr ist als alle Theorie, mit der man die volkswirtschaftlichen Prozesse überhaupt nicht erfassen kann.

Und noch etwas anderes wird sich in den Assoziationen entwickeln können. – Der einzelne sucht im wirtschaftlichen Leben in egoistischer Weise seinen Vorteil. Das kann nicht anders sein. Er kann beim Kauf oder Verkauf nur seinen egoistischen Sinn befriedigen. In den Assoziationen wird nicht das unmittelbar persönliche Interesse maßgebend sein, sondern die Überschau über den ganzen volkswirtschaftlichen Prozeß. Die führt wieder hin-

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ein in das Gebiet der Gegenseitigkeit von Mensch zu Mensch, aus dem sich darin objektiver Gemeinsinn entwickelt. Nicht aus Moral, sondern aus einer wirklichen Erkenntnis der Notwendigkeiten des volkswirtschaftlichen Prozesses. Dadurch können dann die Ausgleiche geschaffen werden gegenüber dem egoistischen Handeln des einzelnen.

XI.

Die Entwickelung der Wirtschaft geht von der ländlichen Privatwirtschaft über die Volkswirtschaft zur Weltwirtschaft. Aber diese einzelnen, aufeinander folgenden Stufen leben auch nebeneinander fort. Die hochentwickelte Weltwirtschaft enthält die primitiven Formen der ländlichen Privatwirtschaft noch in sich.

Die Volkswirtschaft entsteht durch den Zusammenschluß einzelner Privatwirtschaften. Dadurch wird der Austausch, das heißt der Handel zwischen den einzelnen Privatwirtschaften möglich. Durch den Austausch entsteht (im allgemeinen) für jede Privatwirtschaft der Gewinn. Auf diesen Gewinn kommt es bei der Privatwirtschaft an.

Die neuere Volkswirtschaftslehre entstand in der Zeit, als sich eben die Volkswirtschaft aus der Privatwirtschaft heraus entwickelte. Ricardo und Adam Smith dachten deshalb über die Volkswirtschaft wesentlich so, dass sie die Fruchtbarkeit der Volkswirtschaft darin sahen, dass, wie in der Privatwirtschaft, nun eine Volkswirtschaft mit der anderen in Austausch kommt und dadurch Vorteil gewinnt.

Innerhalb dieses Austausches der einzelnen Volkswirtschaftskörper entstand dann die Führung der mächtigsten dieser Volkswirtschaften: der englischen. England wurde unter dem Einfluß des Weltverkehrs die führende Wirtschaftsmacht.

Im letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts begann der Weltverkehr überzugehen in die Weltwirtschaft. Der Weltverkehr besteht im Austausch der Waren zwischen den einzelnen Volkswirtschaften. Die Weltwirtschaft besteht in einem Ineinandergreifen der wirtschaftlichen Prozesse der ganzen Welt. Weltwirtschaft entsteht, wenn alle Faktoren der Wirtschaft, also Produktion, Konsumtion und Verkehr gespeist werden aus der ganzen Welt. Fährt man nun fort, innerhalb dieser Weltwirtschaft nur volkswirtschaftlich zu denken und zu handeln, dann muß die Welt-

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wirtschaft mit Notwendigkeit in sich zusammenbrechen. Sie hätte auch zusammenbrechen müssen, wenn dieser Zusammenbruch nicht durch die Herbeiführung des Weltkrieges beschleunigt worden wäre. Volkswirtschaftliche Gewinne sind heute nur noch dadurch zu erzielen, daß die eine Volkswirtschaft auf Kosten der anderen sich durch Valutadifferenzen wirtschaftliche Vorteile verschafft.

Die Weltwirtschaft ist ein in sich geschlossenes Wirtschaftsgebiet. Eine über die ganze Erde ausgedehnte Riesenwirtschaft, die aber nicht auf Kosten irgendeiner anderen Wirtschaft bestehen kann, sondern in sich selbst fruchtbar gemacht werden muß. In einem geschlossenen Wirtschaftsgebiet ist das Verhältnis zwischen der Menschenzahl und der nutzbaren Bodenfläche von grundlegender Bedeutung. Innerhalb einer geschlossenen Wirtschaft gibt es solche Menschen, die unmittelbar jene Naturprodukte mit Arbeit verbinden, die der Ernährung (im weitesten Sinne) dienen (ein produzierendes Feld) und solche, die von jenen ernährt werden (ein konsumierendes Feld). Wächst die Zahl der letzteren, ohne daß die ersteren ebenfalls zunehmen, dann müssen jene sich einschränken, oder die Kulturfähigkeit des Boden muß erhöht werden. Das kann aber nur dadurch geschehen, daß ein geistiges Leben ist, das hineinwirkt in die Produktion der Zukunft. Dieses geistige Leben ist aber angewiesen auf Schenkungen von Seite derjenige, die die Produktion der Vergangenheit geleistet haben. Durch Schenkungen wird gleichzeitig verhindert, daß die Überschüsse der Produktion wieder in den Grund und Boden hineingeführt werden und sich dort (die Produktion verteuernd) stauen.

XII.

Aus dem Vorangegangenen kann hervorgehen, daß das Preisproblem ein anderes ist innerhalb der geschlossenen Weltwirtschaft als innerhalb der aneinander grenzenden, miteinander im Tauschverkehr stehenden Volkswirtschaften. Sucht man sich dem Preisproblem zu nähern, so stößt man auch auf die Frage, welches die Wirkung des Geldes auf die Preisbildung sei.

Über das Wesen des Geldes ist in der volkswirtschaftlichen Literatur viel geschrieben worden. All dem gegenüber, was über die notwendigen Eigenschaften des Geldes und dergleichen an scharfsinnigen Definitionen aufgestellt worden ist, kommt es darauf an,

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einzusehen, daß im volkswirtschaftlichen Prozeß alles erst einen Wert bekommt dadurch, das es in die Zirkulation kommt. Die Natur bekommt erst einen Wert dadurch, daß Arbeit, mit ihr verbunden wird; die Arbeit dadurch, daß sie organisiert wird; das Kapital dadurch, daß es vom Geist ergriffen und in den volkswirtschaftliche Prozeß hineingearbeitet wird. So erhält auch das Geld als solches erst ein Wert durch die Zirkulation selbst.

Geld hat zunächst innerhalb der auf Arbeitsteilung gestellten Wirtschaft die Aufgabe, nicht selbst ausgetauscht zu werden, sondern den Austausch der übrigen Werte zu vermitteln. Es wird diese Aufgabe am besten erfüllen, wenn es nur zur Vermittlung des Tausches benutzt und nicht selbst, im gewöhnlichen Sinn, verbraucht werden kann.

Während alle anderen Dinge, nach kürzerer oder längerer Zeit, verderben, scheint Geld nicht zu verderben. Ein Pfund Fleisch, das einer bestimmten Summe Geldes entspricht,, beginnt nach einiger Zeit zu riechen. Es ist ehrlich. Die Geldsumme bleibt dieselbe. Das Geld ist ein unreeller Konkurrent. Es will den Anschein erwecken, als bliebe es immer dasselbe. In Wirklichkeit macht es ebenfalls eine Veränderung durch. Nach einiger Zeit muß man nämlich für ein Pfund Fleisch, das für den Menschen doch einen festen, unveränderlichen Wert bat, eine ganz andere Summe Geldes zahlen. Das Geld hat einfach durch den volkswirtschaftlichen Prozess selbst eine Veränderung erfahren. Welches sind sind nun im volkswirtschaftlichen Prozess die Gelegenheiten, die die Veränderungen des Geldwertes verursachen ?

Neben dem Geld, das den Tausch vermittelt, dem Tausch- oder Kaufgeld, haben wir das Leihgeld. Das Geld, das zum Beispiel ein Unternehmer geliehen bekommt, um damit sein Geschäft zu betreiben. Da verbinden sich mit dem Geld die menschlichen Fähigkeiten. Der Wert dieses Geldes hängt davon ab, ob der Unternehmer ein Genie ist oder – das Gegenteil. Der nominale Geldbetrag ist nicht das Wesentliche, sondern die Fähigkeiten, die damit verbunden sind.

Eine dritte Art von Geld ist das Schenkungsgeld. Schenkungsgeld ist alles, was für Erziehung, Unterricht, für Stiftungen, zur Förderung von Kunst, Wissenschaft und Religion (Peterspfennig) usw. ausgegeben wird. Das spielt im volkswirtschaftlichen Prozeß eine wenig erkannte, aber außerordentlich wichtige Rolle.

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In Wirklichkeit geht nun alles Leihgeld allmählich über in Schenkungsgeld. Dort entwertet es sich. (Dies im einzelnen zu belegen, wird Aufgabe einer zukünftigen Nationalökonomie sein.)

Diesem Prozeß wird entgegengearbeitet, er wird kaschiert dadurch, daß man an der dem Gelde aufgedruckten Zahl starr festhält, einerlei welche Wandlungen und Veränderungen innerlich mit dem Geld vorgegangen sind durch seinen Übergang von Kaufgeld in Leihgeld und in Schenkungsgeld. Die Folge davon ist, daß die Schwankungen an einer anderen Stelle herauskommen – in den Preisen der Waren, die an und für sich ihren Wert nicht verändern würden.

Wird nun der Preis für irgendein Gut zu hoch, so kann innerhalb der Volkswirtschaft eine Korrektur dadurch eintreten, daß das betreffende Gut aus einer benachbarten Volkswirtschaft importiert wird. Diese Korrektur ist innerhalb der einheitlichen Weltwirtschaft nicht möglich. Die große Frage tritt daher auf, wie diese Verhältnisse gestaltet werden müssen beim Übergang von der Volkswirtschaft zur Weltwirtschaft.

In der Weltwirtschaft wird es unerläßlich sein, das Geld sich nicht wild entwickeln zu lassen, sondern die Geldzirkulation bewußt zu gestalten; das Geld zu zähmen dadurch, daß man ihm sein Alter einfügt. Geld muß entstehen und sich wieder entwerten. Junges Geld ist deshalb wertvoller als altes Geld, das seinem Untergange nähergerückt ist. Man wird daher junges Geld als Leihgeld in Anspruch nehmen für langfristige Unternehmungen; älteres für kurzfristige; noch älteres als Kaufgeld; und das älteste als Schenkungsgeld, so daß eben noch derjenige, der es geschenkt bekommt, etwas dafür kaufen kann. Dann muß es aus dem Verkehr gezogen werden, um von neuem (verjüngt) in den volkswirtschaftlichen Prozeß hineingebracht zu werden, dort wo der Naturprozeß mit der Arbeit in Verbindung gebracht wird. So entstehen in einer geschlossenen Weltwirtschaft drei Gebiete, das Kaufgeldgebiet, das Leihgeldgebiet und das Schenkungsgeldgebiet. Und wenn Störungen auftreten, die sonst korrigiert werden von der Nachbarschaft her durch Import und Export; innerhalb der Weltwirtschaft müssen sie korrigiert werden von den drei Gebieten. Richtet das Kaufgeld eine Störung an, dann fließt in der entsprechenden Weise zu oder ab die Leihgeldsphäre oder die Schenkungsgeldsphäre und umgekehrt. Zu dieser Korrektur ist aber not-

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wendig menschliche Vernunft, die nur in das Wirtschaftsleben hineinkommen kann durch die Assoziationen, die aus ihren Erfahrungen heraus die Dinge beobachten können und danach die richtigen Maßnahmen treffen.

XIII.

Volkswirtschaftlicher Wert entsteht dadurch, daß menschliche Arbeit verbunden wird mit der Natur. Die erste Stufe dieser Wertbildung liegt in der Bearbeitung von Grund und Boden. Auf einer höheren Stufe kommt die Wertbildung dadurch zustande, daß sich Geist verbindet mit der Arbeit, die auf das Naturprodukt verwendet wird. Geist wirkt werterhöhend durch Organisierung der Arbeit an der Natur. – Aber, der Geist kann auch an sich wertbildend wirken. Ein findiger Kopf kann, ohne irgendeine Arbeit zu verrichten, Wertumlagerungen hervorrufen. Es ist nicht leicht zu durchschauen, wie der Geist wertbildend wirkt, außer auf dem Weg über die Arbeit an der Natur. Man kann es sich klarmachen, wenn man von einfachen Verhältnissen ausgeht: In einer Dorfwirtschaft arbeiten zusammen die Bauern, einige Gewerbetreibende, Bäcker, Schneider, Schuster usw., außerdem ein Pfarrer und ein Lehrer. Die Bauern und Handwerker verrichten körperliche Arbeit an der Natur. Dadurch erzeugen sie Werte. – Wie bilden sich aber die Werte der Leistungen der Pfarrer und des Lehrers? Offenbar durch die Bedürfnisse, die die Bauern und Handwerker haben für die Leistungen jener; für Predigt und Schulunterricht. Diese sind ihnen soviel wert, daß sie von den Werten, die sie selbst durch körperliche Arbeit erzeugen, soviel abgeben, als der Pfarrer und Lehrer zu ihrem Lebensunterhalt brauchen. Pfarrer und Lehrer brauchen nicht selbst körperliche Arbeit zu tun. Die Arbeit wird ihnen erspart. Der Wert ihrer Leistung wird also dadurch bestimmt, wieviel körperliche Arbeit sie ihnen erspart. Der Wert eines Gemäldes für den Maler hängt davon ab, wie lange er mit dem Erlös, den er dafür erzielt, leben kann, ohne Arbeit verrichten zu müssen!

Werte entstehen also ganz anders bei körperlicher Arbeit als bei geistiger Wirksamkeit. Die wertbildende Kraft besteht auf der einen Seite darin, daß körperliche Arbeit an das Produkt herangebracht wird (das Produkt zieht Arbeit an), auf der anderen Seite darin, daß das Produkt Arbeit bewirkt (das Produkt strahlt Arbeit aus).

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Körperliche Arbeit fügt sich in positiver Weise in den volkswirtschaftlichen Prozeß ein; geistige Wirksamkeit (zunächst) in negativem Sinne.

Hierin kommen die beiden Extreme, der Wertbildung zum Ausdruck. Das eine lautet: Arbeit verleiht den Dingen Wert; das andere: Kapital (Geist) verleiht den Dingen Wert dadurch, daß es Arbeit erspart. Beide sind richtig. Aber sie schließen einander nicht aus, sondern sind eben die Pole des wertebildenden Prozesses. In der Wirklichkeit sind sie nur in Mischung vorhanden: Die einfachste körperliche Arbeit (Handfertigkeit) enthält bereits geistige Elemente, und die höchste geistige Tätigkeit erfordert zum mindesten einen kleinen Aufwand an körperlicher Arbeit. In der Mitte zwischen freier geistiger Wirksamkeit (zum Beispiel des Künstlers) und der einfachsten körperlichen Arbeit (zum Beispiel des ungelernten Taglöhners), liegt die geistige Tätigkeit, die durch Organisierung der Arbeit in den Produktionsprozeß eingreift. Die beiden Extreme kompensieren sich gegenseitig. Die wertebildende Kraft der einfachen Bodenbearbeitung wird zahlenmäßig herabgedrückt durch dasjenige, was ihr von der geistigen Seite her entgegenwirkt. Sind nun irgendwo zu viele geistig Produzierende vorhanden, gegenüber der Bodenproduktion, dann kommt ein negativer Wert heraus. Die geistige Produktion kann sich nur entwickeln in einem gewissen Verhältnis zur Bodenproduktion. Sonst wird die volkswirtschaftliche Bilanz, und damit die volkswirtschaftliche Gesundheit gestört. Das Studium der Bilanz zwischen Landwirtschaft, das heißt Bodenbearbeitung, auf der einen Seite, und geistiger Wirksamkeit auf der anderen Seite, ist eine der dringendsten Aufgaben der Volkswirtschaftslehre.

XIV.

Den volkswirtschaftlichen Prozeß kann man nur erfassen durch lebendige Begriffsbilder. Solche zu vermitteln, war die Aufgabe, die sich Dr. Rudolf Steiner mit diesem Kursus über Nationalökonomie gestellt hat. Er wollte damit den Studenten der Nationalökonomie die Möglichkeit verschaffen, das in dem Bezirk ihrer Wissenschaft. aufgehäufte Material in einer neuen, von der Geisteswissenschaft befruchteten Art zu handhaben und dadurch an der Weiterentwickelung dieser Wissenschaft mitarbeiten zu können. Dr. Steiner meinte, gegen das Vorgebrachte würden sich mancherlei

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Einwendungen ergeben. Das würde gerade gut und nützlich sein, wenn es mit wirklichem Forscherernst und Forschergeist geschähe. Denn das Lebendige sei immer ein Vieldeutiges und dulde keine dogmatische Theorie.

Ein solches vieldeutiges Begriffsbild ist dasjenige des alt werdenden, sich abnützenden Geldes. Seine Verwirklichung ist in verschiedener Weise denkbar. Welches die beste ist, wird sich in der Praxis ergeben.Worauf es ankommt, ist, daß der Begriff selbst ein lebendige, lebenswirklicher sei. Dann kann er seine Aufgabe so oder so erfüllen. Er wird durch sich selbst anzeigen, wo man ihn modifizieren muß.

In dem sich abnützenden Geld werden wir eine notwendige Parallelströmung haben zu den sich abnützenden Gütern. Eine Parallele zwischen Zeichenwert (Geld) und Sachwert (Ware). Dann wird der Geldumsatz gleichsam eine Art Weltbuchhaltung darstellen. Und Geld wird dann, was es nur sein darf, ein äußeres Mittel für den Austausch von Leistungen. Auf den Austausch von Leistungen kommt es an im volkswirtschaftlichen Prozeß. Das Geld vermittelt ihn nur. Sobald der Handel mit Geld zum Selbstzweck wird, tritt eine Fälschung der ganzen Wirtschaft ein. In Wirklichkeit leben die Menschen von Leistungen und nicht von den Zeichen dieser Leistungen.

Nun werden im volkswirtschaftlichen Prozess Leistungen von zweierlei Art gegeneinander und untereinander ausgetauscht. Leistungen, die auf Bearbeitung der Natur beruhen und geistige Leistungen. Leistungen durch körperliche Arbeit, deren Wert darin besteht, dass durch sie ein Naturprodukt bearbeitet wird, und solche Leistungen, die mehr auf geistiger Wirksamkeit beruhen, die soviel Wert sind, als sie ihrem Hervorbringer körperliche Arbeit ersparen. Dadurch sind im wirtschaftlichen Kreislauf zwei einander entgegengesetzte Strömungen, die sich in gesunder Weise kompensieren müssen. Die Schwierigkeit beruht nun darin, herauszurechnen, wie die verschiedenen Leistungen gegeneinander abzuschätzen sind. Herauszubekommen zum Beispiel, wieviel körperliche Arbeit sich derjenige ersparen kann, der ein Kunstwerk geschaffen hat und es in den Wirtschaftskreislauf bringt. Da entsteht die Frage: Wieviel sind die anderen, die körperliche Arbeit an der Natur (oder an den Produktionsmitteln) leisten, gewillt, von dem Ertrag ihrer Arbeit abzugeben für eine solche künstlerische

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Leistung? Die Beantwortung dieser Frage wird davon abhängen, ob in einem Gebiet überhaupt ein Interesse für geistige Wirksamkeit vorhanden ist. Dann aber auch davon, wieviel die Naturgrundlage, einschließlich der vorhandenen Produktionsmittel, durch die an sie gewandte Arbeit hergibt – im Verhältnis zu der Einwohnerzahl eines bestimmten Wirtschaftsgebietes. Je nachdem werden Anweisungen auf die Leistungen der körperlich Arbeitenden entstehen dürfen, die von denen gebraucht werden, denen durch sie Arbeit erspart werden soll. Daraus kann sich ergeben, daß die Grundlage für eine gesunde Währung nicht das Gold sein kann, auch nicht Schuldverpflichtungen des Staates, sondern die Summe der in einem Wirtschaftsgebiet vorhandenen brauchbaren Produktionsmittel (einschließlich der Naturgrundlage), an denen Arbeit geleistet wird. Geld kann nichts anderes sein als ein Ausdruck für die Summe der brauchbaren Produktionsmittel, die in einem Gebiet vorhanden sind. Aber die Einheit der Währung darf keine abstrakte sein, sondern muß eine solche sein, die einen Vergleichsmaßstab abgeben kann. Dazu sind am geeignetsten die Bodenprodukte. Würde die Geldeinheit zum Beispiel ausgedrückt werden in einer bestimmten Menge Weizen, so würde das einen Maßstab abgeben, an dem andere Leistungen gemessen werden könnten. Dadurch würde erreicht ein überschaubares Verhältnis innerhalb der einzelnen Glieder einen wirtschaftlichen Ganzen. Jeder einzelne würde dann in jedem Augenblick seinen Zusammenhang mit der Natur auch im Gelde noch haben. Statt des undefinierbaren Goldwertes hätte man den Naturwert.

Dann wird man erst wieder zu einer gesunden Preisbildung kommen, wenn man alles zurückverfolgt bis zu dem Wertverhältnis, das für die Bodenbearbeitung herbeigeführt wird durch das Verhältnis der Bevölkerungszahl zu der brauchbaren Bodenfläche. Diesen Zusammenhang – und alles was sich darauf aufbaut – muß man, trotz unserer kompliziert gewordenen Wirtschaft, wieder durchschauen können.

***

Dieser Kursus wollte eine Hinleitung sein zu einem wirklichen, lebendigen Erfassen volkswirtschaftlicher Realitäten; eine Aufforderung, den Willen zu entwickeln, unterzutauchen in die Wirklichkeit und hinzuschauen, wie sich die Dinge der Volkswirtschaft

[Zeitschrift „Die Drei“, Jahrgang 2, Heft 10-11, Januar Februar 1923, Seite 880]

in ihrer Realität gestalten. Er wollte die Teilnehmer einen freien Ausblick gewinnen lassen in manches, was zur Heilung der schweren Kulturschäden unserer Zeit notwendig sein wird. Dieser Zeit, in der an die Stelle der Wahrheit die Phrase, an die Stelle eines gesunden Rechtsempfindens die Konvention und an die Stelle wirklicher Lebenspraxis die bloße Lebensroutine getreten ist.

Möchte die Verpflichtung zur Arbeit im Geiste dieses Kurses, wie von dem Vertreter der Studenten als Dank an Dr. Steiner zum Ausdruck gebracht wurde, recht ernst empfunden werden; dann werden aus diesem Kursus noch zahlreiche fruchtbare Anregungen geschöpft werden können – zum Heile unserer schwergeprüften Zeit.

[Zeitschrift „Die Drei“, Jahrgang 2, Heft 10-11, Januar Februar 1923, Seite 881]

Emil Leinhas

Anmerkungen

[1] Die Aussage, dass es beim Produzenten um eine «Nachfrage nach Waren» gehen soll, macht natürlich keinen Sinn, wurde aber von Emil Leinhas erst 1965 in der 4. Auflage des Nationalökonomischen Kurses korrigiert. Dort steht seitdem richtig, dass es beim Produzenten um ein «Angebot in Waren» geht. Dieser langjährige Fehler hat aber dem Verständnis des Nationalökonomischen Kurses nachhaltig geschadet und wirkt noch heute nach.

Sylvain Coiplet