Bedingungsloses Grundeinkommen

Die Utopie eines bedingungslosen Grundeinkommens lenkt von der Möglichkeit einer demokratischen und damit sozialgerechten Reduzierung der Arbeitszeit ab. Sie erlaubt den Gewinnern des bedingungslosen Eigentums ihre Übermacht weiter auszubauen, ohne soziale Unruhen befürchten zu müssen. Hinzuverdienen werden die wenigen, die sich optimal anpassen. Wer versucht, Widerstand zu leisten, wird bald um die Bedingungslosigkeit seines Grundeinkommens und damit um seine Existenz fürchten müssen.

Bedingungsloses Grundeinkommen und soziale Dreigliederung

Um zu verstehen, wie verkehrt die Vorstellung ist, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen irgend etwas mit sozialer Dreigliederung zu tun haben könnte, braucht man sich nur die Grundgedanken in Erinnerung zu rufen, die den Dreigliederern der ersten Generation noch gängig waren:

Kapital – Geistesleben
Arbeit – Rechtsleben
Einkommen – Wirtschaftsleben

Ein erster Versuch von Ramon Brüll, das bedingungslose Grundeinkommen als Umsetzung der sozialen Dreigliederung auszugeben, wurde von Peter Schilinski 1977 noch zurückgewiesen. Schilinski konnte sich dabei zu Recht auf Rudolf Steiners Zuordnung der Arbeit zum Rechtsleben in seinem Buch Die Kernpunkte berufen. Leider war dieser zentrale Aspekt der sozialen Dreigliederung nach dem Zweiten Weltkrieg immer mehr in Vergessenheit geraten. So konnte es Gerald Häfner 1985 zuerst in der inzwischen von Ramon Brüll gegründeten Zeitschrift info3, dann in der Zeitschrift die Drei nochmals versuchen, ohne auf nennenswerten Widerstand zu stossen. Jedes Einkommen und nicht nur ein Mindesteinkommen sollte als Recht angesehen werden. Gerald Häfner gab sich dabei als Achberger zu erkennen und steht in dieser Frage bis heute in der Tradition von Wilhelm Schmundt und Wilfried Heidt. Mit der Zeit wurde es in den Kreisen, die sich für eine soziale Dreigliederung aussprachen, immer gängiger, das Einkommen zum Rechtsleben und die Arbeit wahlweise zum Wirtschaftsleben oder zum Geistesleben zu rechnen.

Zum durchschlagenden Erfolg kam es aber erst 2003, als sich Götz Werner hinter das bedingungslose Grundeinkommen stellte. Dazu mag beigetragen haben, dass sein Freund Benediktus Hardorp wie die Achberger das Einkommen zum Rechtsleben rechnete. Götz Werner selber vermeidet es aber, Bezug auf die soziale Dreigliederung zu nehmen. Wie Ramon Brüll und Gerald Häfner vor ihm, verweist er lieber auf frühere Aufsätze von Rudolf Steiner, wo dieser 1906 erstmals auf die Notwendigkeit einer Trennung von Arbeit und Einkommen aufmerksam macht. Götz Werner geht es aber bloss um das Recht auf ein Mindesteinkommen, also genau um dasjenige, was Gerald Häfner 1985 noch für eine gefährliche halbe Sache gehalten hat, die dem Neoliberalismus dienen könnte. Davon hört man von ihm allerdings wenig, und das würde auch nicht helfen, weil Gerald Häfner selber in dieser Frage nicht auf dem Boden der sozialen Dreigliederung steht.

Die Aufgabe, die soziale Dreigliederung von der Vereinnahmung durch das bedingungslose Grundeinkommen zu befreien, steht uns also noch bevor. Den Befürwortern des bedingungslosen Grundeinkommens können wir aber trotzdem dankbar sein. Sie haben mich jedenfalls auf das jahrzehntelange Verschweigen der Arbeit als demokratische Frage in den Dreigliederungskreisen der Nachkriegszeit aufmerksam gemacht. Ein folgenschweres Versäumnis.

Sylvain Coiplet

Stand: 31.03.2021