Fähigkeiten – Vereinbarungen – Bedürfnisse

Es gehört zu den grössten Fehlern beim Verständnis der sozialen Dreigliederung, Vereinbarungen pauschal dem Rechtsleben zuzurechnen. Nach meinem bisherigen Kenntnisstand geht dieser Fehler ursprünglich auf Christof Lindenau zurück, hat sich aber seitdem unter den Vertretern der sozialen Dreigliederung rasant verbreitet. Man findet ihn bei sonst so unterschiedlichen Denkern wie Dieter Brüll, Lex Bos, Herbert Ludwig oder Stefan Padberg.

Richtig ist, dass die Tatsache, dass es zu einer Vereinbarung gekommen ist, noch nichts darüber sagt, ob man es mit Rechtsleben, Wirtschaftsleben oder Geistesleben zu tun hat. Man unterschätzt sowohl das Wirtschaftsleben als das Geistesleben, wenn man ihnen unterstellt, es zu keinen Vereinbarungen bringen zu können. Das Rechtsleben ist nicht der Alleinvereinbarer.

Es gehört eine starke Portion an Abstraktion, um Verträge und jedwede Verabredungen dem Rechtsleben zuzurechnen. Bei dieser Überdehnung des Rechtsbegriffs übersieht man zugleich, dass das Rechtsleben, im Unterschied zum Wirtschaftsleben und Geistesleben, selber abstrakt bleiben muss. Das Rechtsleben bedarf des abstrakten Gesetzes, um im Sinne der Gleichheit wirken zu können und damit seinen eigenen Beitrag zum gesellschaftlichen Leben zu leisten.

Sylvain Coiplet