Assoziation von Landwirtschaft und Industrie durch Staatsgewalt verhindert

Quelle: GA 337a, S. 185-186, 1. Ausgabe 1999, 09.06.1920, Stuttgart

Das, was wir begründeten als den Kommenden Tag, das kann ja im Grunde genommen nur ein unbefriedigendes Surrogat sein. Warum denn? Weil wir eben uns keine Illusionen vormachen, daß wir praktisch sein können, ohne auf praktische Taten uns zu stützen. Wir versuchen, wirtschaftlich tätig zu sein, aber da kommen dann die Leute und fragen einen: Ja, wie muß man denn einen Gewürzkrämerladen einrichten, damit er sich möglichst gut in den dreigliedrigen sozialen Organismus hineinstellt? - Gewiß, wir wollen in dem Kommenden Tag wirtschaftliche Unternehmungen begründen, aber da handelt es sich darum, daß man sie wirklich praktisch anfaßt. Und wie sollte man heute praktisch die Sache anfassen, wenn man sich sagen muß: Wirtschafte ich mit einer bestimmten Sorte von Unternehmungen, so muß ich, damit ich da rationell wirtschaften kann, auch eine andere Gruppe von Unternehmungen haben - zum Beispiel zu einer bestimmten Gruppe von industriellen Unternehmungen muß ich eine bestimmte Gruppe von landwirtschaftlichen Unternehmungen haben. Ja, können Sie denn das? Das ist ja heute alles unmöglich. Der Staat macht es Ihnen ja unmöglich, eine solche praktische Einrichtung zu treffen. So groß ist heute ja die Gewalt des Staates. Nicht darum handelt es sich, daß Unpraxis vorliegt, sondern daß Gewalt auf der anderen Seite die Sache unmöglich macht.

Daher sollten diejenigen Menschen, die nun tatsächlich auf irgendeinem Gebiete des wirtschaftlichen Lebens stehen, doch heute wahrhaftig nicht über untergeordnete Fragen sich unterhalten, sondern sie sollten sich darüber unterhalten, wie die verschiedenen wirtschaftlichen Berufsstände, die wirtschaftlichen Assoziationen überhaupt loskommen von dem, was politischer Staat ist, wie sie sich aus ihm herausschälen können. Solange zum Beispiel die Techniker, solange diese und jene Leute nichts anderes denken, als Einrichtungen zu treffen, die am besten hineinpassen in das gegenwärtige Staatsleben, solange kommen wir keinen Schritt weiter. Erst dann kommen wir vorwärts, wenn darüber diskutiert wird: Wie kommen wir los? Wie gründen wir ein wirklich freies Wirtschaftsleben, in dem nicht organisiert wird von oben herunter, sondern assoziiert wird, wo sich Berufsstände an Berufsstände sachlich angliedern? Es ist ja noch nicht einmal das allererste ABC von der Dreigliederung in den praktischen Diskussionen drinnen, sondern immer wieder wird unter der Rücksichtnahme auf die gegenwärtigen Verhältnisse weiter gequacksalbert und herumgeredet. Aber all dieses Herumreden führt zu nichts heute. Erwehren wir uns der Leute, die immer wieder und wiederum sagen: Wie ist es denn mit dem und jenem? - Wir werden erst anfangen, vernünftig reden zu können, wenn wir ein Stück weiter sind in der Dreigliederung, wenn wir wirklich so drinnenstehen in dieser Propaganda für die Dreigliederung, daß eine genügend große Anzahl von wirtschaftenden Menschen wissen: Wir können überhaupt nichts Vernünftiges reden, solange wir noch immer darauf kalkulieren, daß uns das Wirtschaftsleben durch Staatseinrichtungen gemacht wird. Nur in dem Maße, in dem man drinnensteht in einem freien Wirtschaftsleben, das nichts zu tun hat mit Politik, kann man erst vernünftig reden - vorher ist es Unsinn. Ebenso kann man nicht über Reformen des Geisteslebens sprechen, solange man sich nicht klar ist, daß man überhaupt nicht anfangen kann, darüber sich zu unterhalten, ehe man nicht in einer freien geistigen Organisation drinnensteht. Man muß sich wenigstens bewußt sein: Solange man in einer geistigen Organisation drinnen ist, die vom Staate abhängt, solange muß man Unsinn reden, solange kann man nicht reformieren. Sehen Sie, damit ist scharf der Punkt bezeichnet, auf den es ankommt. Es handelt sich nicht um Kleinigkeiten, sondern um Großigkeiten. Und je mehr man das einsehen wird, desto mehr wird man gerade auf dem Gebiete der Lebenspraxis erreichen.