Reaktionen auf den Bologna-Prozess

07.12.2009

Zuerst waren es die Studenten der Universitäten in Wien, dann auch Studenten deutscher Hochschulen, die mit ihren Protesten dafür die Aufmerksamkeit erweckten, dass die seit der so genannten Bologna-Konferenz eingeleitete Verschulung und Standardisierung der Studiengänge wirkliche Bildungsprozesse zunehmend verunmöglicht. Diesen Protesten der unmittelbar Betroffenen folgten dann auch Besprechungen namhafter Persönlichkeiten in großen Presseorganen, die nun endlich deutlich zur Sprache bringen, welch technokratischer Denkungsart diese so genannten „Reformen“ entsprungen sind. So war beispielsweise in einem Artikel von Adam Soboczynski in der Wochenzeitung DIE ZEIT zu lesen: „Der deutsche Professor nach neuem Wunschbild ist ein apparatschikhaft vernetzter Großorganisator von Studiengängen, Graduiertenkollegs und Sonderforschungsbereichen, der pflichtgemäß allerlei uninspirierte Sammelbände herausgibt, um seinen Brotgelehrtenfleiß zu dokumentieren. Ihm entspricht der Student, der sich nicht mehr um zwei Uhr nachts noch in Nabokovs Romane vertieft, sondern der um acht Uhr morgens frisch rasiert den Hörsaal betritt, um seinem Workload gerecht zu werden. Der auch nicht mehr – sofern er engagiert und begabt ist – das Privileg genießt, von einem Dozenten frühzeitig in ein Oberseminar eingeladen zu werden, sondern der lemminghaft die für seine Alterskohorte vorgesehenen Pünktchen sammelt.“[1] Dass mit dem „Brotgelehrtenfleiß“ Friedrich Schillers Antrittsvorlesung als Geschichtsprofessor in Jena von 1789 zitiert wird ist kein Zufall, denn Schiller war der Erste, der klar gestellt hatte: "Der Staat selbst ist niemals Zweck, er ist nur wichtig als eine Bedingung, unter welcher der Zweck der Menschheit erfüllt werden kann, und dieser Zweck der Menschheit ist kein anderer als Ausbildung aller Kräfte des Menschen, Fortschreitung. Hindert eine Staatsverfassung, dass alle Kräfte, die im Menschen liegen, sich entwickeln, hindert sie die Fortschreitung des Geistes, so ist sie verwerflich und schädlich, sie mag übrigens noch so durchdacht, und in ihrer Art noch so vollkommen sein.“[2] Und es darf als besonders erfreuliches Zeichen gewertet werden, dass die bedeutsamen Bemühungen des engen Freundes Friedrich Schillers, nämlich Wilhelm von Humboldts, nun auch wieder vom Staub des Missverstehens befreit werden: "Unsere Universitäten müssen Stiftungsuniversitäten werden. Bis auf den heutigen Tag krankt die deutsche Universität an ihrer Erfolgsgeschichte im neunzehnten Jahrhundert: Während Humboldt eine von staatlichem Einfluss freie Stiftungsuniversität intendierte, übernahm der preußische Staat die Berliner Gründung in seine Verantwortung, und baute sie zur Weltgeltung aus. (...) Da der Staat heute nicht mehr in der Lage ist, die Universitäten auskömmlich zu finanzieren, muss Humboldts 200 Jahre alte Idee endlich in die Tat umgesetzt werden: die führenden deutschen Universitäten müssen in Stiftungsuniversitäten umgewandelt werden, damit zu der knappen staatlichen Förderung größeres und kleineres zivilgesellschaftliches Engagement treten kann."[3] Dass Herr Markschies so deutlich klarstellt, dass die nationalstaatliche „Erfolgsgeschichte“ der deutschen Universität des 19. Jahrhunderts für die Bildung im Zeitalter einer globalen Menschheitsgesellschaft kein Vorbild mehr sein kann, darf als wirklicher Fortschritt in der öffentlichen Debatte bezeichnet werden, und dass er von Humboldts Ideal einer von staatlichem Einfluss befreiten Stiftungsuniversität spricht, darf geradezu als historisch bedeutsamer Moment gewertet werden. Für Humboldt war Bildung eben nie eine staatliche, sondern immer eine öffentliche (zivilgesellschaftliche) Aufgabe![4]

Diese Unterscheidung hat nach Humboldt dann nur noch Rudolf Steiner klar ausgesprochen: „Nehmt dem Staat die Schulen ab, nehmt ihm das geistige Leben ab, gründet das geistige Leben auf sich selbst, lasst es durch sich selbst verwalten, dann werdet ihr dieses geistige Leben nötigen, den Kampf fortwährend aus seiner eigenen Kraft zu führen. Dann wird aber dieses geistige Leben auch von sich aus in der richtigen Weise zum Rechtsstaat und zum Wirtschaftsleben sich stellen können, wird zum Beispiel das geistige Leben gerade - ich habe das in meiner sozialen Schrift [Die Kernpunkte der sozialen Frage], die nunmehr fertig wird in den nächsten Tagen, ausgeführt -, dann wird das geistige Leben auch der richtige Verwalter des Kapitals sein.“[5]

Gerade angesichts der weltweiten Finanzkrise kann deutlich werden, welche Verantwortung in der Bildungsfrage insbesondere all jenen zu kommt, die sich dem Werk Rudolf Steiners verbunden fühlen.

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Anmerkungen

[1] DIE ZEIT, 26.11.2009 Nr. 49, S. 55
[2] Friedrich Schiller, in: Die Gesetzgebung des Lykurgus und Solon
[3] Prof. Dr. Christoph von Markschies, Präsident der Humboldt Universität Berlin, in der November-Ausgabe der Zeitschrift CICERO, S. 80
[4] „Öffentliche Erziehung scheint mir ganz außerhalb der Schranken zu liegen, in welchen der Staat seine Wirksamkeit entfalten muss.“ Aus: Wilhelm von Humboldt, Ideen zu einem Versuch die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen, in Sämtliche Werke, 1999, Bd. 1, S. 226
[5] Rudolf Steiner, Vergangenheits- und Zukunftsimpulse im soz. Geschehen, Vortrag 21. März 1919 in Dornach, GA 190, Dornach 1980, Seite 24