Tony Blair und die EU-Agrarpolitik

17.06.2005

Der Kalküll des britischen Premiers Tony Blair ist aufgegangen. Beim letzten EU-Gipfel nutzte er die EU-Agrarpolitik als Vorwand, um den Britten-Rabatt beizubehalten. Tony Blair war klar, daß Jacques Chirac, der französische Präsident, sich nicht über die Interessen seiner Groß-Agrarier hinweg setzen konnte. So brauchte er nur die Kürzung der Agrarsubventionen zur Bedingung eines Verzichtes auf den Rabatt zu machen, um sich weiter auf Kosten der anderen EU-Länder bereichern zu können. Tendenz steigend.

Friedrich-Wilhelm zu Gräfe-Baringdorf, stellvertretender Vorsitzende des Agrarausschusses des Europäischen Parlaments, hat auch seine Kritik an der EU-Agrarpolitik, geht aber differenzierter vor.

Der EU-Agrarhaushalt ist nämlich in zwei Säulen aufgeteilt. Von der ersten Säule leben nicht nur die Wahlhelfer von Jacques Chirac, sondern auch die deutschen Groß-Agrarier von Angela Merkel, die obwohl sie unter den deutschen Bauern eine Minderheit darstellen, den Bauernverband dominieren. Das sind die Direktzahlungen an die Bauern und stellen 90 Prozent des EU-Agrarhaushalts dar. Hier kassieren 4 Prozent der Betriebe 50 Prozent der Gelder. Diese Prämien waren bisher an der Produktionsmenge gekoppelt, was zu einem dramatischen Verlust bei der Qualität führte. Der EU-Agrarpolitik wuchs aber auch die Produktion über den Kopf, so daß die Prämien nun an der Fläche gekoppelt werden sollen. Ein kleiner Fortschritt, der dem deutschen Bauernpräsidenten, Gert Sonnleitner, der den Interessen der Groß-Agrarier verpflichtet ist, schon zu viel ist. Am Problem der Subventionierung der Abschaffung von Arbeitsplätzen ändert sich allerdings auch bei der neuen Regelung nichts.

Diese erste Säule ist auf Initiative von Jacques Chirac und Gerard Schröder bis 2013 festgelegt. Würde Tony Blair eine Reduzierung des EU-Agrarhaushalts durchsetzen, würde es daher die zweite Säule treffen. Friedrich-Wilhelm zu Gräfe-Baringdorf dazu: "Die zweite Säule, also Beträge, die Arbeitsplätze, Projekte und Innovation im ländlichen Raum fördern sollen, ist (...) nicht festgezurrt. Dieser Anteil macht nur zehn Prozent des Agrarhaushaltes aus, und ausgerechnet da soll nun auch noch gespart werden. Dabei ist dies der zukunftsfähige und innovative Bereich, während der erste Teil im Grunde für viele Betriebe eine Art private Bereicherung darstellt."

Das scheinheilige Argument von Tony Blair, die EU würde zu viel in die Landwirtschaft im Vergleich zur Bildung und Forschung stecken, kann Friedrich-Wilhelm zu Gräfe-Baringdorf ganz einfach widerlegen: "Man konnte und kann diesen Haushaltsposten durchaus kritisieren. Derzeit macht er rund 40 Prozent des gesamten Budgets aus, soll aber bis 2013 auf 32 Prozent sinken. Seine Höhe hängt damit zusammen, dass die Landwirtschaft die einzig völlig vergemeinschaftete Politik ist. Würden andere Bereiche wie die Industrie- oder Sozialpolitik auch auf die europäische Ebene verlagert, hätten wir einen erheblich größeren Haushalt, und der Agrarposten wäre nur ein kleiner Teil."

Eine richtige Reform wäre also nicht, den EU-Agrarhaushalt zu kürzen, sondern ihn umzustrukturieren und Gelder der ersten in die zweite Säule umzuwidmen. Das wird von denjenigen, die sich bislang an den Geldern bereichern, natürlich nicht sehr gern gesehen. Mit einer solchen Forderung würde aber Tony Blair die französische Bauernopposition um José Bové stärken und Jacques Chirac in die Enge treiben. Leider interessiert ihn die EU-Agrarpolitik nicht, sondern nur die Beibehaltung des Britten-Rabatts. Dies zeigte sich auch als die neuen EU-Länder um Polen sich bereit erklärten, auf Subventionen zu verzichten, um den Britten-Rabatt zu finanzieren. Tony Blair lehnte es ab, weil diese Länder, anders als Frankreich, durch dieses Opfer eine moralische Autorität bekommen hätten, die es ihnen leichter gemacht hätte, den Britten-Rabatt später erfolgreich in Frage zu stellen.

Wir sehen also überall eine Verquickung von wirtschaftlichen und politischen Interessen. Jacques Chirac verdankt seine Karriere den französischen Groß-Agrarier. Und die deutsche Unterstützung für den Wunsch von Jacques Chirac, die erste Säule des EU-Agrarhaushalts auf zehn Jahre festzulegen, war nicht wirtschaftlich, sondern politisch motiviert. Gerhard Schröder kaufte sich damit die französische Unterstützung für seine - an sich gerechtfertigte - Ablehnung des Irak-Krieges.

Das grundsätzliche Problem der EU-Politik ist, daß sie diese Verquickung von wirtschaftlichen und politischen Interessen genauso wenig überwunden hat, wie vor ihr die nationalen Politiken. Die EU-Politik wollte übernational werden, ist aber so konventionell geblieben, daß sie auch in eine Sackgasse führen wird. Die Verquickung mit den religiösen Interessen einer Angela Merkel, die nur deswegen einen EU-Beitritt der Türkei ablehnt, um die Vorherrschaft ihres politischen Christentums in Europa zu wahren, wird es nicht besser machen.

Was wir brauchen sind drei europäische Unionen, die ihre Interessen selbständig artikulieren, mit jeweils eigenen Spielregeln. Bei der eigentlichen wirtschaftlichen Union sollen politische Interessen keine Rolle spielen. Im Gegenzug könnte sich die politische Union leisten, unkäuflich zu sein, statt immer mehr zum Spielball einiger Großkonzerne zu werden. Als Drittes müßte sich die geistige Union eigene Grenzen setzen können, ohne damit die wirtschaftliche Zusammenarbeit torpedieren zu müssen.

Eine solche Differenzierung in drei europäischen Unionen mag utopisch klingen. Liegt nicht die größere Utopie aber darin, zu glauben, daß sich alles unter einen Hut bringen läßt? Die Damen und Herren Politiker halten sich für Zauberer. Und aus dem Hut zaubern sie uns den Mammon.