Bürgerräte als Friedens-Weg für Israel?

24.09.2002

Der Ansatz der "Aktivisten für eine israelische Zivilgesellschaft" (ICS), um die notwendige Grundlage für eine allgemeine zivile, geistig-kulturelle Infrastruktur des "dritten gesellschaftlichen Sektors" in Israel zu schaffen ist die Gründung von Bürgerräten (citizens councils).

Diese Räte sollen als eine Art soziales "Rückgrat" dienen, um einen dritten autonomen kulturell-geistigen Sektor in Israel zu begründen. Der "dritte" Sektor wird unabhängige zivile (geistig-kulturelle) Einrichtungen brauchen, welche freie Erziehung, Gesundheitsfürsorge, Medien, Umwelt, Forschung und Entwicklung, Kultur und die Künste organisieren, führen, und fördern.

Angesichts der im Galilee Gebiet lebenden Mischbevölkerung, ist es dort eines der dringendsten Aufgaben der Bürgerräte sich mit der immer tiefer werdenden Kluft zwischen israelischen Arabern und Juden zu befassen.

Die erste öffentliche Versammlung des Galilee-Bürgerrates wird im November 2002 stattfinden. Bis dahin bereitet die ICS das Ereignis vor und hat einen kleinen Ausschuss gegründet, der als motivierender Kern des Bürgerrates dienen wird.

Die Vorbereitung findet durch Gespräche, Einzelgespräche, Gruppenberatungen und dem Austausch mit Bürgern, NGO Aktivisten, Lehrern und leitenden wirtschaftlichen, religiösen und kulturellen Personen in den nördlichen Gebieten Israels, statt.

Das folgende Beispiel illustriert die Zustände unter denen diese Initiative im heutigen Israel arbeitet: Im Oktober 2000 gingen Tausende israelisch-arabische Bürger auf der Straße - einige sehr gewalttätig, andere ruhig, um ihre Solidarität mit dem sogenannten "zweiten" oder "El Akza" Intifada (Aufstand) in den besetzten Gebieten zu demonstrieren. Damit drückten sie ihre Verbitterung aus, als zweitrangige Bürger in Israel angesehen zu werden.

Banken und Tankstellen in arabischen Städten aber auch in Städten mit gemischter Bevölkerung wurden von Demonstranten in Brand gesteckt. Hauptverkehrsstraßen wurden blockiert. Jüdische Ansiedelungen in Galilee wurden angegriffen. Zum ersten Mal brachen gewaltsame Demonstrationen auch in sonst friedlichen Mischbevölkerungs-Städten aus, einschließlich Tel Aviv, Jaffa, Haifa und Acer.

Die israelische Polizei antwortete mit überwältigender Kraft und setzte Heckenschützen ein, die 13 arabisch-israelische Bürger töteten und Hunderte verwundeten. Die Wut und Qual in der arabischen Gemeinschaft nahmen zu. Viele israelische Juden boykottierten arabische Geschäfte und hielten sich von den arabischen Dörfern und Städten fern.

Die letzten zwei Jahre (seit Oktober 2000) haben keine Heilung herbeigeführt. Äußerlich ist es "ruhig" geblieben, aber die inneren ungelösten und eskalierenden Spannungen und Frustrationen sind nicht zu verdecken.

Vor kurzem, während sich beide Gemeinschaften auf den zweiten Jahrestag dieser tragischen Ereignisse vorbereiteten, gaben israelische Sicherheitskräfte bekannt, dass acht Mitglieder einer wohlbekannten arabisch-israelischen Familie als Verdächtige festgenommen worden seien. Sie hatten angeblich dem Selbstmord-Attentäter, welcher letzten August einen Bus in Meron, nahe Zefad im Oberen Galilee, sprengte, geholfen, ihn versteckt und zum Ziel geführt. Dutzende wurden schwer verletzt und 10, größtenteils junge Menschen aus lokalen Galilee Gebieten, wurden getötet.

Das Entsetzen in Israel ist natürlich auf beiden Seiten sehr groß.

Es ist verständlich, dass auch kleinere Kreise der israelischen Aktivisten - Juden und Araber - die für Frieden und Kooperation arbeiten, alarmiert sind. Sie müssen der Tatsache ins Gesicht schauen, dass weltlich-orientierte, gebildete und wirtschaftlich erfolgreiche Mitglieder einer israelischen arabischen Familie, an dieser Scheußlichkeit aktiv teilgenommen haben könnten und sicherlich über die Vernichtung eines überfüllten Busses in dem die Söhne und Töchter ihrer jüdischen Nachbarn jeden Tag reisten, wussten.

Wie soll die ICS solchen beunruhigenden Entwicklungen entgegenwirken? Das ist jetzt ihre wichtigste Frage. Soll die ICS die Bemühungen der verschiedenen NGO-Gruppen unterstützen, Araber und Juden versöhnen und wieder zusammenbringen? Ist dies die Aufgabe der ICS, oder lenkt dies sie von ihrem zentralen sozialen Ziel ab?

Solche Fragen sind in letzter Zeit sehr dringlich geworden, da die ICS ihre erste öffentliche Tätigkeit in Galilee im November beginnen wird. Die Beratungen des ICS führten zu den folgenden Schlüssen:

So alarmierend diese tragischen Ereignisse auch sind, nach dem Verständnis der ICS wird eine wirklich fruchtbare Arbeit im Galilee-Bürgerrat nicht erfolgreich sein, wenn sie sich einseitig mit einem einzelnen Problem befasst.

Sobald der Rat besteht, werden verschiedene Abteilungen entstehen, die sich spezifischen sozialen Problemen widmen. Einer von ihnen wird sich natürlich mit der kritischen jüdisch-arabischen Situation in Galilee befassen. Jedoch hat uns unsere praktische soziale Erfahrung gelehrt, dass wir die ursprünglichen Absichten der ICS in den Vordergrund stellen, und uns nicht von unserem langfristigen Kurs ablenken lassen sollen.

Die jüngsten Ereignisse haben uns davon überzeugt, dass der Beitrag der ICS gerade in seiner ganzheitlichen Vorgehensweise liegt und dass die Lösung eines einzelnen Problems im gegenwärtigen sozialen Leben nicht gefunden werden kann, solange wir nicht einige der grundlegendsten Formen und Strukturen auf diesem Feld umgestaltet haben.

Schließlich hat die arabisch-jüdische Krise die gleichen grundlegenden Ursachen wie alle anderen sozialen Krise, in der wir uns befinden. Deshalb wollen wir uns bemühen, dass die Bürger in Galilee – Araber und Juden – neue soziale Begriffe und Praxen, neue Strategien kennen lernen und vor allem, durch die Bereitschaft auf einen Lernprozess einzugehen, ein neues Bewusstsein entwickeln. Daraus kann ein Bild entstehen, wie das soziale Leben als Ganzes ist, sein könnte, und warum und wie der dritte Sektor von den politischen und ökonomischen Sektoren getrennt werden soll. Und natürlich auch wie sich solche erwünschte Änderungen auf die lokalen sozialen Herausforderungen des Gebiets zutreffen.

In dieser Hinsicht wird der Galilee-Bürgerrat, sobald er besteht, zum ersten Mal in der Geschichte Israels arabische und jüdische Bürger außerhalb von Regierungseinrichtungen oder NGO-Gruppen mit spezifischen Aufgaben zusammen bringen, um gemeinsame Beratungen zu übernehmen und eine allgemeine soziale Strategie bezüglich ihres gemeinsamen Schicksals zu entwickeln.

Wenn dieses Ziel der ICS selbst nur in aller Bescheidenheit erreicht werden kann - und es kann immer nur bescheiden sein – dann wird dies für Israel als Ganzes einen qualitativen und sozialen Schritt vorwärts bedeuten.

Quelle: NNA