Abkehr von der reinen Abschlußorientierung

14.04.2002

Die Antworten auf das schlechte Ergebnis der deutschen Schüler beim internationalen Schultest "Pisa" sind vielfältig. Oft fällt es aber schwer, den vielen Vorschlägen etwas Positives abzugewinnen. Zu sehr stecken die Politiker in ihren Denkgewohnheiten drinnen. Sie suchen nach neuen oder alten Rezepten, statt einzusehen, daß zu viele Köche den Brei verderben. Die deutschen Lehrer können noch so gut sein, die politischen Pfuscher sind die besseren Belehrer.

Die Sozialdemokraten zum Beispiel sprechen jetzt von einer Qualitätsoffensive. Die Bildungsminister der von ihnen geführten Bundesländer haben beschlossen, künftig regelmäßig und länderübergreifend die Qualität der Schulleistungen mit Hilfe von Vergleichsarbeiten zu überprüfen. Die Vergleichsarbeiten sollten nicht erst zum Ende der Schulzeit mit der Abschlussprüfung geschrieben werden, sondern bereits zuvor mindestens einmal während der Grundschulzeit und zwei Mal in den Schuljahren vor der Mittleren Reife geschrieben werden.

Die sozialdemokratischen Minister erhoffen sich dadurch mehr und rechtzeitige Informationen über das Wissen des einzelnen Schülers. Bei schwachen Schülern sollen die Lehrer künftig verpflichtet werden, individuelle Lern- und Förderpläne aufzustellen. "Wir wollen weg von der reinen Abschlußorientierung. "Die frühzeitige Leistungs-Diagnose soll helfen, Schwächen dann auszubügeln, wenn noch Einfluss möglich ist", sagte die rheinland-pfälzische Schulministerin Doris Ahnen. "Pisa" hatte aufgezeigt, dass den Lehrern nur elf Prozent der bei dem Test aufgefallenen Schüler mit besonders schweren Problemen beim Lesen und beim Textverständnis überhaupt bekannt waren.

Die bisherige Abschlußorientierung ist in der Tat ein grober pädagogischer Fehler. Nicht jeder Schüler kann unter Stress und mit einer Peitsche vor der Nase das Beste von sich geben. Die drei geplanten Zwischenabschlüsse werden wenig daran ändern. Sie werden auch immer zu spät kommen. Die angestrebten individuellen Lehrpläne sind dann nur noch Reparaturen. Sie bedeuten Einzelunterricht und eine enorme Verschwendung pädagogischer Kompetenz. Sinnvoller wäre es, wenn begabte Mitschüler, die sich sonst langweilen würden, rechtzeitig zur Förderung der schwachen Schüler eingesetzt werden, noch bevor sie damit überfordert werden. Lehrerbildung sollte möglichst früh anfangen. Dies setzt aber voraus, daß der Klassenzusammenhalt nicht unnötig durch Vergleichsnoten gefährdert wird, egal ob sich der eigene Lehrer oder Pisa-Experten die Klausur ausgedacht haben. Jeder Schüler sollte erst einmal an sich selber gemessen werden, einem individuellen Vergleichstest unterzogen werden. Dieser braucht keine Noten, sondern eine konkrete Beurteilung.

Diese Einsicht fehlt sowohl den konservativen wie den liberalen Bildungspolitikern. Sie setzen auf Notendruck, zusätzliche Förderung der Starken und Aussortieren der Schwachen. Was dahinter steckt, ist nichts weiter als ihre Wettbewerbsideologie. Die sozialdemokratischen Bildungspolitiker schwärmen zwar von Chancengleichheit, nehmen aber den Lehrern durch ihre gutgemeinte Regelungswut die Möglichkeit, flexibel auf die konkreten Schüler einzugehen.